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Tanja Kubes

Fieldwork on High Heels. Eine ethnographische Studie über Hostessen auf Automobilmessen

(Gender Studies), Bielefeld 2018, transcript, 296 Seiten mit Abbildungen, 1 Tabelle
Rezensiert von Aurelia Ehrensperger
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 26.08.2019

In ihrer Dissertation „Fieldwork on High Heels“ untersucht die Soziologin und Ethnologin Tanja Kubes die Konstruktion von Geschlechterdichotomien auf Automobilmessen. Die auf Messen präsentierten Fahrzeugneuheiten und Hostessen fasst die Autorin als Ausstellungseinheit, der sie sich durch eine Living Fieldwork annähert. Um die komplexen Handlungsabläufe des zunächst simpel wirkenden Hostessenhabitus zu erschließen, arbeitete Kubes selbst als Hostess auf verschiedenen Automobilmessen. Kubes beweist eindrücklich, wie (auto-)ethnografische, multisensorische Forschungen zu einem vertieften Verständnis eines äußerst regulierten und schwer zugänglichen Forschungsfeldes führen können. In ihren genauen Beobachtungen zeichnet sie das heteronormative Gefüge nach, in welches die Hostessentätigkeit eingespannt ist. Gegenpol der übersteigert weiblich inszenierten Hostessen bilden männliche Hosts, Teamleitungen, Verkäufer, Berater und Securities, denen die Agency an Messeständen obliegt. In der von ihr konzipierten Living Fieldwork verknüpft sie qualitative Interviews, teilnehmende Beobachtungen, beobachtende Teilnahme sowie eine Medienanalyse und entwickelt durch die versierte theoretische Reflexion eine differenzierte Studie über die heteronormativen Schönheits-, Körper-, Macht- und Inszenierungspraktiken während einer Messe.

Die Studie ist in neun Kapitel gegliedert. Die „Einleitung: Boliden, Blech und lange Beine“ bietet einen Einblick in das Forschungsthema, umreißt die Problemstellung der Inszenierung des Hostessenbildes und deren Tätigkeit und schließt mit einem historischen Überblick über „Automobile und Frauen: Eine lange Geschichte“. Im zweiten Kapitel legt Kubes ihre der Forschung zugrunde liegende methodische Anlage der Living „Fieldwork on High Heels“ dar. Ihre Herleitung stützt sie auf Autoren wie Anne Honer, Sarah Pink und Brigitte Bönisch-Brednich und begründet nachvollziehbar: „Nicht nur als Forscherin ähnlich wahrzunehmen, sondern sich wirklich emotional auf das Feld einzulassen gelingt, indem man die Rolle der Forscherin soweit wie möglich ablegt und stattdessen selbst Forschungsobjekt wird.“ (68)

In Kapitel drei veranschaulicht der Bericht über das „Forschungsfeld Automobilmesse“ den Untersuchungskontext und bringt den Leser*innen die beforschte Einheit von „Automobil und Frauen“ in deren praktizierten Umsetzung auf Automobilmessen näher. Automobilmessen seien inzwischen größtenteils eventisiert, sie „haben keinen ,reinenʽ Messecharakter, sondern zielen über den Einsatz multisensorischer Eventelemente auf die ganzheitliche Sinnesansprache der Besucher*innen ab“ (75). Entsprechend werden die Hostessen auf die „Erfüllung eines normativ geprägten Frauenbildes“ festgelegt: Statt etwas zu tun, gehe es darum, auf eine bestimmte Weise zu sein (85). Kubes gibt zu bedenken, dass es bei der Position der Produkthostessen weniger um die Informationsweitergabe gehe, vielmehr sollen mit der idealen Erscheinung ohne Worte die Markenwerte verkörpert und nach außen kommuniziert werden (92). Gerade aufgrund der intensiven Inszenierungspraxis entsprechend geschlechtlicher Idealtypen der westlichen Geschlechterbinarität plädiert Kubes in Anlehnung an Gottschalk (1998) dafür, nicht von einem bloßen doing gender while doing work, sondern von einem doing gender-difference while doing work zu sprechen (90).

Das vierte Kapitel schildert „Becoming Hostess: Wie man Hostess wird“. Hier wird durch die Reflexion der autoethnografischen Auszüge die Transformation der Autorin als Wissenschaftlerin hin zu einer Messehostess nachvollziehbar. Die eindringlichen Beschreibungen von den Vorbereitungen der Anwärterinnen, dem Auswahlverfahren, hin zum „Ausgewähltwerden“, den vertraglichen Vereinbarungen und den Produktschulungen und schließlich der „Verortung am Messestand und wie man lernt, ein Auto zu enthüllen“, zeugen von einem vertieften Branchenverständnis. Kubes transformierte sich im Laufe ihrer Feldforschung zu einer Hostess, die die weiblich konnotierten, normierten Körpertechniken selbst performierte und ebenso geschlechterkritisch reflektiert. Das gelingende Enthüllen eines Autos erlebte sie als Glücksmoment, welcher ihr ein komplexes Zusammenspiel von sozialisiertem Wissen und angewandten Körpertechniken offenbarte (135).

In den Kapiteln fünf und sechs wird die Diskussion um die äußeren Körperformungen und inneren Leibeszurichtungen der Hostessentätigkeit vertieft. Mit Referenz auf Nuber (1997), Kaufmann (2006) und Shilling (1993) erörtert Kubes das Schönheitshandeln der Hostessen, welches weit über die Schönheitsperformanz hinauswirke. Das Zeichenhafte des Hostessenkörpers werde nach einem Idealbild konstruiert, welches geschlechtertypische Ressourcen bediene und durch die Bedeutungszuschreibung im Feld bekräftigt werde. Es komme zu einem homogenisierenden, uniformierenden Effekt, den Kubes mit Vila (2002) erklärt: Damit die Geschlechterdifferenz als Vollzugswirklichkeit gelinge, machten die Ressourcen nur mit dem Wissen um ihre soziale Bedeutung Sinn (142). Interessant sind die Auswirkungen der Uniformierung und Stereotypisierung auf die eigenleibliche Wahrnehmung der Trägerinnen. Der charakteristische Hostessenhabitus entwickle sich zu einem Teil des Körperkapitals (Wacquant 1995) (166). Zusätzlich sei eine angemessene „Emotionsarbeit“ verlangt, um die mimische Leistung des Dauerlächelns zu bewerkstelligen. Ausgehend von Hochschild (1975, 1979, 1990) legt Kubes die theoretischen Grundlagen für eine Analyse der Praktik des verlangten Gesichtsausdrucks: „Durch die Anwendung kognitiver Strategien (Hochschild 1990) wird versucht, nicht nur oberflächlich zu lächeln, sondern das hierfür notwendige Gefühl tatsächlich hervorzurufen.“ (185) Indes werden die dabei häufig zu beobachtende emotionale Dissonanz sowie die panoptischen Arbeitsbedingungen von den Hostessen auch als berufliche Kompetenz und Orientierungsrahmen erlebt (188 f.).

Die Herleitungen zu Körper- und Emotionsarbeit grundieren das darauffolgende siebte Kapitel „Doing Hostess: Die Interaktion mit Besucher*innen“. Die sichtbare Displaytätigkeit steht im Vordergrund und wird anhand zahlreicher Auszüge aus dem Forschungstagebuch entlang der Beratungstätigkeit, dem Dauerlächeln und Posieren während der Produktpräsentationen und Pressevorstellungen ausgeführt. Auffallend sind die zahlreichen Bestätigungen konservativer Geschlechterkonstruktionen während des doing hostess: „Die heteronormative Struktur der Messe macht Hostessen auf den ersten Blick zu passiv Angeschauten und Betrachteten, die vorwiegend männlichen Besucher werden zu aktiv Schauenden, Blickenden oder Starrenden.“ (207)

Im achten Kapitel „Hostessen in den Medien“ zeigt Kubes auf, wie mediale Repräsentationen und die eigenleibliche Erfahrung zusammenwirken. In der medialen Repräsentation dominieren Bilder von Hostessen, die ausschnitthaft lange Beine und High Heels zeigen. Diese „mediale Fragmentierung“ des Körpers bringe es mit sich, dass das Bein vom Körperteil zum Symbol werde und als Synekdoche für die schöne Frau als Objekt herhalte (237). Durch die mediale Zerlegung des Hostessenkörpers komme es zu einem „spürbaren“ Bedeutungszuwachs der Beine, die zu den am intensivsten erfahrenen Leibesinseln während der Hostessenperformanz avancierten (240). Das Kapitel schließt mit der durchaus provokanten Frage: „Ich zeige mich, also bin ich – Selbstverobjektivierung als Agency?“ (244).

Im letzten Kapitel kondensiert Kubes ihre Überlegungen zur Konstruktion von Gender und Geschlecht und wagt einen Ausblick auf die anzustrebende Diversifizierung von Displayberufen, etwa in Form von einer heterogeneren Auswahl der Hostessen, die weniger als Schauobjekte, sondern als Wissensvermittler*innen an Messeständen arbeiten würden.

Die Publikation ist mit zahlreichen Schwarzweiß-Abbildungen versehen, die Einblick in die Automobilmesse und deren Medienpräsenz geben. Die Gestaltung des Titelbildes (der Absatz eines glänzenden, bordeaux-farbenen Lack-High Heel vor schwarzem Hintergrund) scheint mir dem Anliegen der Autorin – Dichotomien aufzubrechen – entgegenzuwirken. Insgesamt gelingt es Kubes, das Spannungsfeld zwischen einer kritischen Perspektive gegenüber Geschlechterkonstruktionen und einer Frau, die ebendiesen stereotypisierten Idealen entspricht und ebenso sozialisiert wurde, geschickt auszubalancieren. Große Anerkennung gilt ihrem eigenständigen multisensorischen Zugriff in Form der Living Fieldwork, der die ethnografische Erschließung der Automobilmesse ermöglichte und vertiefte Erkenntnisse über Geschlechterkonstruktionen in einem traditionell heteronormativen Feld generierte.