Aktuelle Rezensionen
Sabine Eggmann/Konrad J. Kuhn (Hg.)
Das Museum als Ort kulturwissenschaftlicher Forschung und Praxis/Le musée comme lieu de recherche et de pratique ethnologiques
(Schweizerisches Archiv für Volkskunde, 113. Jg., H. 2), Basel 2017, Schweizerische Gesellschaft für Volkskunde, 152 Seiten mit AbbildungenRezensiert von Jochen Ramming
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 26.08.2019
Kulturwissenschaftliche Forschung und Praxis sind im Museum eigentlich eine Selbstverständlichkeit, sollte man meinen. Dennoch hat das Herausgeberteam des Schweizerischen Archivs für Volkskunde gerade dieses noch einmal programmatisch zum Titel eines Themenheftes gemacht, um in der Einleitung dann auch zu erläutern, warum es erneut an der Zeit ist, sich dieser Selbstverständlichkeit zu vergewissern und deren Fokus ein Stück weit neu auszurichten. Sabine Eggmann und Konrad J. Kuhn wollen mit den Beiträgen des Heftes die wissenschaftliche Erforschung kultureller Phänomene, wie sie in den einschlägigen Museen schon immer betrieben wird, erweitern und die in den Forschungen enthaltene gesellschaftspolitische Positionierung, die durch die museale Praxis auch nach außen dargestellt wird, mit einbeziehen oder besser: deren Stoßrichtung und Wirkung kritisch mitreflektieren. Dazu ist es nötig, die Museen selbst in ihren Abhängigkeiten, Strukturen und Zielsetzungen genau im Blick zu behalten, bilden sie doch die eigentliche Vermittlungsinstanz zwischen den kulturwissenschaftlichen Inhalten und dem gesellschaftlichen Resonanzraum der museumswissenschaftlichen Arbeit. Konkrete im Heft vorgestellte Projekte sollen aus dieser Perspektive befragt werden.
Den Anfang macht dabei Beatrice Tobler, die über das zentrale schweizerische Freilichtmuseum am Ballenberg berichtet und dabei die dortigen Inszenierungs- und Vermittlungsformen in den Mittelpunkt rückt. Dreh- und Angelpunkt ist der 2014 auf Grundlage einer Evaluation der Ausstellungsmodule des Museums entwickelte „Masterplan Dauerausstellung“, der nunmehr erstmals ein zentrales Leitmotiv für die museale Arbeit formuliert und dezidiert Vermittlungsziele benennt, auf die alle Präsentations- und Kommunikationsformen ausgerichtet werden. Damit rücken Besucherbedürfnisse und Besucherinteressen in den Fokus und nehmen auch Einfluss auf Forschungsprojekte, wenn etwa Hauseinrichtungen nunmehr mit eindeutigen zeitlichen und sozialen Bezugspunkten rekonstruiert werden oder die Herkunftsorte der translozierten Gebäude in den Mittelpunkt siedlungsgeschichtlicher Dokumentationsmaßnahmen rücken.
Isabelle Raboud-Schüle und Christophe Mauron betonen die Notwendigkeit klassischer, am Sammlungsbestand orientierter Forschungsarbeit im Museum. Das Musée gruérien in Bulle unterzog seine Sammlungen ab 2004 einer umfassenden wissenschaftlichen Neubetrachtung, die letztlich in die Neukonzeption der 2012 eröffneten Dauerausstellung einfloss. Auf Grundlage neuer Sammlungsfelder, einer umfassenden Objektdokumentation, wissenschaftlicher Kooperationen und neuer Fragestellungen wurden zahlreiche Aspekte des vorherrschenden regionalen Selbstverständnisses kritisch durchleuchtet und neu dargestellt. Dabei rückte vor allem die Bedeutung überregionaler und internationaler Vernetzungen für regionale Entwicklungsprozesse in den Mittelpunkt. Die von den Autoren angeführten Beispiele weisen allerdings kaum über die mittlerweile übliche kulturhistorische Forschungspraxis an zeitgemäßen Museen hinaus.
Sofie Elpers vom Meertens-Instituut in Amsterdam beleuchtet die vorsichtige Annäherung der niederländischen Museen an das Immaterielle Kulturerbe gemäß der UNESCO-Konvention, die die Niederlande 2012 ratifizierte. Das in der Folge eingerichtete „Kenniscentrum Immaterieel Erfgoed Nederland“ wurde 2017 dem Freilichtmuseum in Arnhem angegliedert und obwohl das Zentrum weiterhin relativ selbstständig agiert, erhöhte sich doch der Erwartungsdruck hinsichtlich einer Zusammenarbeit mit dem Museum. Dort bestanden allerdings massive Verständnisprobleme bezüglich der Inhalte und Ziele der UNESCO-Konvention, die intensive Übersetzungs- und Vermittlungsdienste notwendig machten – bis hin zu einem „Almanak“, der problematische Begrifflichkeiten beider Sphären kritisch reflektiert. Erste konkrete Projekte zum Immateriellen Kulturerbe liefen erst vor Kurzem im Freilichtmuseum an und zeigten in ersten Evaluationen mitunter beträchtliches Konfliktpotential zwischen den Werten des Museums und den Zielen der UNESCO.
Im Mittelpunkt des Beitrags von Dagmar Hänel und Carsten Vorwig steht die Translozierung eines Asylcontainers aus der Gemeinde Titz ins Freilichtmuseum Kommern zwischen 2012 und 2014. Die Erweiterung der Ausstellungskonzeption bis zum Ende des 20. Jahrhunderts ist eine bewusste Strategie des Museums, um inhaltlich näher an die Erfahrungswelt der Besucher anzuschließen und damit gesellschaftliche Relevanz zu generieren. Die Übernahme des Wohncontainers erfolgte dabei unter Anwendung klassischer Arbeitsmethoden kulturhistorischer Museen, insbesondere mit Hilfe von Zeitzeugeninterviews, die hier zudem vom LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte mit der Filmkamera dokumentarisch begleitet wurden. In besonderer Weise gesellschaftspolitisch aktuell wurde das Projekt erst nach seinem Abschluss mit den rasant steigenden Geflüchtetenzahlen vor allem im Jahr 2015.
Theresia Anwander stellt im Anschluss die Grundkonzeption des 2013 wiedereröffneten „vorarlberg museums“ in Bregenz vor, die sich durchgängig am Grundbegriff des „Sichtens“ orientiert. Dabei exemplifiziert sie die damit umschriebenen Arbeitsweisen des Museums an zwei Ausstellungsbeispielen, nämlich zum einen an einer adaptierten Wanderausstellung über Sinti und Roma und zum anderen an einer semipermanenten Präsentation zum Thema Berührung. Der Perspektivenwechsel vom Objekt zum Menschen – als Ausstellungsinhalt und Besucher – sowie die intensive Einbindung partizipativer Projektbausteine kennzeichnen die Haltung des neuen „vorarlberg museums“, das in dieser Hinsicht unstrittig Weg- und Zukunftsweisendes leistet. Allerdings wären mit Blick auf den Titel des Themenheftes anstelle griffiger Floskeln zur zeitgemäßen Arbeitsweise auch einige weiterreichende Reflexionen zum (kulturwissenschaftlichen) Ertrag der Ausstellungsprojekte wünschenswert gewesen.
Auch Denise Tonella gelingt es in ihrem Beitrag nicht, den kulturwissenschaftlichen Erkenntnisgewinn musealer Arbeit in seiner Spezifik herauszuarbeiten und selbstbewusst als Eigenleistung der Museen zu reklamieren. Stattdessen arbeitet sie Einsatzmöglichkeiten digitaler und audiovisueller Medien in der täglichen Ausstellungspraxis im Landesmuseum Zürich ab und beschreibt exemplarisch einzelne Medienstationen und -inszenierungen.
Sarah Kleinmann nähert sich von außen: Sie macht Präsentationspraktiken in den Dauerausstellungen von NS-Gedenkstätten und Dokumentationszentren zu ihrem Forschungsthema – zeitgeschichtliche Ausstellungen in explizit musealen Einrichtungen konnte sie leider nicht mit einbeziehen. Mit Hilfe dichter Beschreibungen analysiert sie die Darstellungen und konzentriert sich dabei vor allem auf die museale Repräsentation der Täter und Täterinnen. Dabei kann sie zeigen, wie Ausstellungen noch immer der ästhetischen Faszination der Selbstinszenierung des NS-Regimes unterliegen können, wie sie unterschwellig eine gewisse Distanz zu den Verbrechen herzustellen versuchen und wie sie die Ambivalenz der Gesellschaft der NS-Zeit in ihrer Komplexität zu Gunsten eines deterministischen Geschichtsbildes reduzieren. Gerade an dieser Stelle könnten die in Kleinmanns Untersuchung nicht berücksichtigten Museen abseits der nationalsozialistischen Tatorte weitere detaillierte Forschungs- und Aufklärungsarbeit leisten.
Abschließend formuliert Friedrich von Bose einige Überlegungen zum Humboldt-Forum im Berliner Stadtschloss und fordert dabei ausgehend von der vehementen Debatte über Kolonialismus und Provenienzforschung in ethnologischen Sammlungen, das Humboldt-Forum als „diskursiven Knotenpunkt“ zu verstehen und die Debatte an sich zum Kern der Institution zu machen. Damit könnten die Ausstellungen im Stadtschloss keine endgültigen Präsentationen bieten, sondern müssten die Unabgeschlossenheit zum Prinzip erklären.
Letztlich scheitert das Themenheft des Schweizerischen Archivs für Volkskunde an seiner selbstgestellten Aufgabe und ist doch ein Gewinn für alle Kulturwissenschaftler und Kulturwissenschaftlerinnen, die sich mit Museen befassen. Es gelingt dem Herausgeberteam nicht, die konzeptionellen Thesen der Einleitung in allen Beiträgen tatsächlich durchzusetzen – wie immer auf Tagungen und in Sammelbänden zum Thema Museum genügen sich manche in der Darstellung der eigenen Arbeit und transzendieren Best-Practice-Beispiele nicht in allgemeingültige museologische Erkenntnisse. Zugleich liefern andere jedoch immer auch außerordentlich erhellende Reflexionen des eigenen Tuns oder aufschlussreiche Analysen musealer Tätigkeit. Eben darin liegt der Gewinn des Bandes.