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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Aktuelle Rezensionen


Klaus Näumann/Thomas Nußbaumer/Gisela Probst-Effah (Hg.)

Musikalische Wettstreite und Wettbewerbe

(Musik | Kontexte | Perspektiven 9), München 2018, Allitera, 410 Seiten mit Abbildungen, zum Teil farbig
Rezensiert von Heidi Christ
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 02.09.2019

Die Referate von gleich zwei Tagungen, ergänzt durch thematisch passende Texte aus anderen Veranstaltungen sowie bestellte Aufsätze, versammelt die vorliegende Publikation. Die „Kommission zur Erforschung musikalischer Volkskulturen“ in der „Deutschen Gesellschaft für Volkskunde e.V.“, in Verbund mit dem „Institut für Europäische Musikethnologie“ der Universität zu Köln, hielt am 2. und 3. Oktober 2014 ihre Arbeitstagung zum Thema „Musikalischer Wettbewerb“ an der Humanwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln ab. Der Fachbereich Musikalische Ethnologie am „Department für Musikwissenschaft“ der Universität Mozarteum Salzburg hatte für den 21. und 22. Oktober 2014 unter dem Thema „Volksmusik & Wettbewerb – Folk Music & Competition“ zu einer Tagung geladen.

Im nachfolgenden Gedankenaustausch entschieden sich die Initiator*innen beider Tagungen dankenswerterweise zur gemeinsamen Publikation. Die heterogenen Perspektiven und vorgestellten Musiken an diversen Orten werden dabei der Erkenntnis gerecht, „dass das Phänomen musikalischer Wettstreit/Wettbewerb bei unterschiedlichen Musiken virulent ist und […] sich nicht im Geringsten um irgendwelche von Menschenhand gezogenen Genre-, Gattungs- oder Stilabgrenzungen schert“ (10). Sieben von insgesamt 22 Beiträgen sind auf Englisch verfasst, sodass auch ein internationaler Fachkreis problemlos Zugang zu dem weltweit präsenten Themengebiet erhält.

Schon im einführenden Aufsatz „Wettstreite und formalisierte Wettbewerbe in der Musik: Wesen, Interakteure, Funktionen, Potenziale und Gefahren“ macht Klaus Näumann deutlich, wie breit das Themenfeld nicht nur im Hinblick auf historische und geografische Dimensionen, sondern auch bezüglich der (Darbietungs-) Formen und Akteure ist. Er verweist auf bereits in der Antike bekannte musikalische Wettbewerbe und führt mit kurz vorgestellten Wettstreiten aus Südamerika, Afrika und Europa quer durch die Kontinente; lediglich für Asien konstatiert er eine spärliche Quellenlage. Er legt Wesen und Funktionen der Phänomene dar und unterscheidet Wettbewerbe von formalisierten Wettstreiten – bei teils fließenden Grenzen und weit über musikalische Aspekte hinausreichenden weiteren Funktionen (47). Wettbewerbe zeichnen sich demnach im Wesentlichen durch die Existenz von Regelwerken und musikalischen Schiedsrichtern sowie das nacheinander erfolgende Auftreten der Opponenten und ein Geflecht verschiedener Interakteure mit abweichenden Interessen aus (25–26), während die Wettstreite in „den meisten Fällen […] stark in einen spezifischen kulturellen Kontext eingebunden“ (21) seien. Er widmet sich den Funktionen von Publikum, Akteuren, Juroren, Wirtschaft, Massenmedien, Moderatoren sowie politischen und religiösen Obrigkeiten ebenso wie der Frage nach der Sinnhaftigkeit von Wettbewerben, ihren kritikwürdigen und ihren positiven Aspekten. Näumann schließt mit dem persönlich motivierten Desiderat, „das Phänomen als solches zu akzeptieren, gleichwohl aber Prozesse, Interaktionen und Interakteure kritisch zu beleuchten, auch über potenzielle Vor- und Nachteile zu reflektieren und diese zu artikulieren, insbesondere dann, wenn sich Machtpotenziale zu stark auf eine bestimmte Seite hin verlagern oder das Phänomen gar zum perfiden Machtinstrument (de‑)generiert und dies zu Ungunsten (zumeist) jener, die für die Kunst zuständig sind“ (49).

Die folgenden, alphabetisch nach Autor*innen sortierten Beiträge sind zwischen sechs und 32 Seiten lang und bilden ein buntes Kaleidoskop zum Themenkomplex. Sie reichen von Reflexionen zur Erzählung vom „Musikwettstreit im Benares der vorbuddhistischen Zeit“ (Gretel Schwörer-Kohl, 357–361) bis hin zu Analysen von Musikcastingshows im deutschen Privatfernsehen (Peter Moormann, 233–245). Beide Male stehen „Lehrer“ im Mittelpunkt. Bei Schwörer-Kohl bildet den Kernpunkt in der Geschichte von der Reinkarnation des künftigen Buddhas als Hofmusiker, der sich einem anmaßenden Schüler im Wettstreit stellen muss, „die Verehrung des Lehrers, ein ganz wichtiges Gebot in der buddhistischen Lehre, das bis heute in buddhistischen Ländern gilt“ (360). Moormann geht dem Verdacht nach, dass es sich bei den Musikcastingshows „nur noch formal um musikalische Wettbewerbe handelt“ (233), die tatsächlich keine neuen Musikstars generierten, sondern vielmehr dazu dienten, etablierten Stars – den Juroren/Coaches – Werbeplattformen und sowohl den Teilnehmern als auch den Zuschauern Projektionsflächen für parasoziale Beziehungen zu bieten.

Astrid Reimers berichtet „Vom beschwerlichen Weg nach oben“ (297–313) anhand des Kölner Nachwuchswettbewerbs „Rock de Cologne“, der einerseits „Amateurmusikern Kenntnisse über das Musikbusiness“ vermitteln, andererseits dem Sponsor Sparkasse via Imagetransfer von Rockmusik zu innovativer, jugendlicher Bank bei der Kundenakquise helfen sollte. Nach der fünften Auflage wurde der „Rock de Cologne“ eingestellt, wohl weil die Werbekampagne ausgeschöpft war. Der Traum vom Durchbruch zum Profimusiker erfüllte sich für die Teilnehmer*innen jedoch nicht, sie blieben fast ausnahmslos bis dato Hobbymusiker, erinnern sich aber noch immer gern an das besondere Ereignis der Wettbewerbsteilnahme. Der Stolz im Augenblick des Sieges und sich zu vergegenwärtigen, wie es sich anfühlen wird, wenn die eigene Samba im Sambodrom aufgeführt wird, sei die größte Motivation für die Komponisten beim Wettbewerb der besten Sambaschulen Rio de Janeiros, resümiert Friederike Jurth ihre Beobachtungen über „The phenomenon of composers‘ competitions within the best samba schools in Rio de Janeiro“ (123–135). Während mehrerer Feldforschungsaufenthalte erlebte sie den Wettbewerb zunächst als Außenseiterin und Beobachterin, während sie später die Insider-Perspektive als Musikerin für eine Komponistengruppe einnehmen und hinter die Kulissen blicken konnte.

Auf der Grenze zwischen Spiel und Wettbewerb – angelehnt an die Definition von Lévi-Strauss von „game and ritual“ – ordnet Regine Allgayer-Kaufmann das „Boi-Bumbá in Parintins (Amazonia)“ ein (55–65). Die Darbietung Boi oder Boi-Bumbá ist in ganz Brasilien in unterschiedlichen Traditionen bekannt. Das Besondere in Parintins ist, dass es hier lediglich zwei Boi-Gruppen gibt und die ganze Stadt und auch das komplette Auditorium in ebendiese Lager zerfallen. Der Wettbewerb, so Allgayer-Kaufmann, sei wohl nicht das ultimative Ziel, sondern der Rahmen für die öffentliche Darstellung einer sozialen Realität, bei der die Musik die Kommunikation zwischen den beiden Gruppen unterstützt. Hier werde mit allen Mitteln der Kunst eine gesellschaftliche Leistung inszeniert und gefeiert.

Wie das Boi-Bumbá stehen etliche Wettbewerbe in Verbindung mit langen (Musik-) Traditionen, wurden entstehungs- und entwicklungsgeschichtlich unter Umständen aber erst unzureichend untersucht und verändern durch die Modifikation der Musiziergelegenheit in eine formalisierte Wettbewerbssituation die Musiken. Klaus Näumann beleuchtet Veränderungen in „Trinidads Parang-Musik und Jamaikas Mento-Musik“ im Kontext national motivierter, formalisierter musikalischer Wettbewerbe (247–271). Er kommt zum Schluss, dass „der formalisierte musikalische Wettbewerb durchaus zur Nachhaltigkeit einer Musik beitragen kann, insofern als er Gruppen ein Betätigungsfeld eröffnet, dessen Regeln sie sich allerdings unterwerfen müssen [… und] dass Kurswechsel und Kehrtwenden […] sich höchst negativ auf eine Musik auswirken können“ (269). Näumann überlegt, man müsse damit rechnen, dass das „durch die formalisierten Wettbewerbe Eingeführte (samt seiner wesensfremden und von außen hineingetragenen Kriterien) […] zur Gewohnheit, schließlich zum ‚Traditionellen‘ verklärt und das Alte zunehmend als anachronistisch angesehen, im Extremfall sogar komplett vergessen [wird]“ (248).

Diesen positiven Aspekt kann auch Dan Lundberg für schwedische Volksmusik bestätigen („Das neue Zeitalter der Volksmusikwettbewerbe in Schweden“, 163–184). Während im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts Volksmusikwettbewerbe in Schweden äußerst beliebt waren, lag der Schwerpunkt danach bis vor wenigen Jahren auf den sogenannten „Spielmannstreffen“ mit dem sehr wichtigen spontanen Musizieren. Im Zusammenhang mit der in den letzten Jahren wieder großen Beliebtheit der Volksmusikwettbewerbe weist Lundberg hin auf „die zunehmende Professionalisierung des Genres ‚Volksmusik‘, aus der sowohl für Darbietende als auch für Veranstalter ein vermehrter Bedarf an öffentlicher Präsenz entstand“ (163). Damit nivellierten sich auch scheinbare Gegensätze zwischen Volks- und Popmusik: „Heute basiert nämlich die Popmusik auf eine gleiche Weise wie die Volksmusik auf mündlicher Überlieferung und Verbreitung, und in vielen Fällen wird sie heute sogar mehr als die Volksmusik auditiv bzw. schriftlos vermittelt.“ (170) Das Genre Volksmusik habe sich „immer mehr von seinen alten Kontexten gelöst und zu einem musikalischen Genre unter vielen anderen verwandelt. Heute kann man sich Volksmusik ebenso aneignen wie Jazz, Kunstmusik oder Rock. Aber die Vorstellung, dass Volksmusik eine ‚authentische‘ und sozusagen ‚ererbte‘ Musikform darstelle, existiert weiterhin, was mit sich führt, dass wir unterschiedliche ästhetische Vorstellungen damit verbinden.“ (171)

Während in Schweden Volksmusikwettbewerbe und damit erworbene Titel („Weltmeister“ u.a., 182) als wirksames Marketingmittel betrachtet werden, geht in der Schweiz die Tendenz „zumindest in der Ländlermusik […] weg von Wertung und Ranglisten hin zu motivierenden Plattformen und konstruktiver Kritik – mit großem Erfolg“ (323). Damit, so Dieter Ringli in seinem Beitrag „Von der Wertung zum Coaching: Wettspiele in der Schweizer Ländlermusik“ (315–323), entzieht man sich der objektiven Evaluierung und richtet die Aufmerksamkeit auf die Gefühlsebene. „Das, was uns berührt, ist das Einzigartige, Individuelle, Unvergleichliche.“ (316) Bei den Alphorn-Wettbewerben dagegen ist „juriertes Wettblasen“ (76) durchaus erwünscht. 1805 zur Aufwertung des Nationalbewusstseins an der Ruine Unspunnen bei Interlaken im Berner Oberland erstmals durchgeführt, stellt das Alphornwettblasen „in der Schweiz seit über 200 Jahren einen wichtigen Faktor zur Belebung, aber auch zur Regulierung von Alphornmusik und deren Aufführungspraxis dar“ (76), erläutert Raymond Ammann „Die Funktionen des Alphorn-Wettblasens von den ersten Unspunnenfesten bis heute“ (67–77).

Nach dem Vorbild des Wettbewerbs „Jugend musiziert“ initiierte Josef Sulz 1974 den im zweijährigen Turnus stattfindenden „Alpenländischen Volksmusikwettbewerb“, um „die Jugend des Alpenraumes zur Pflege unverfälschter Volksmusik“ (197) zu animieren. Walter Meixner widmet der Wettbewerbslandschaft in den Alpenländern mit Schwerpunkt Österreich zwei Beiträge („Volksmusikwettbewerbe in den Alpenländern – mit besonderer Berücksichtigung der Vorbildveranstaltung ‚Alpenländischer Volksmusikwettbewerb‘ in Innsbruck, 197–216, und „Veränderungen in der Wettbewerbslandschaft in Österreich seit 1974 – Wettbewerbe in der Nachfolge des Alpenländischen Volksmusikwettbewerbs in Innsbruck“, 217–232). Manfred Seifert vertieft die Situation in Bayern und bezieht „theoretisch-konzeptionelle Reflexionen zur Situation der Volksmusikpflege in Bayern im 20. und beginnenden 21. Jahrhundert“ (387) mit ein. „Gegenüber dem älteren Pflegeideal […] hat mittlerweile die vom Musikwissenschaftler und Volksliedforscher Ernst Klusen entwickelte strukturfunktionalistische Auffassung von Volkslied vielfach einen nachhaltigen Wandel des Pflegestils bewirkt.“ Neuerdings „gewinnt nun ein diskursanalytisch ausgerichteter Theorieansatz immer mehr an Relevanz, der die Kommunikationsprozesse ins Zentrum rückt, die sich um die Musikaktivitäten herum entfalten“ (387). Seifert geht davon aus, dass das „Bedürfnis nach Patrimonialisierung und Prädikatisierung“ (388) auch innerhalb der Volksmusikpflegeszene weiter bestehen wird. Neben den „kompetitiven Praktiken“ weist er hierzu auf die Chancen des „prozesshaft dynamische[n] Traditionsverständnis[ses]“ der UNESCO-Konvention zum Immateriellen Kulturerbe hin.

Nicht in ihrem eigentlichen Kontext, dem Gesangswettstreit der sizilianischen Carrettieri, entstanden sind die beiden Gesangsaufnahmen, die Rob Schultz analysiert („Melodic Structure and Competitive Improvisation in the Singing Tradition of the Cart Drivers from the Province of Palermo, Sicily“, 345–356). Die Carrettieri – bis in die 1960er Jahre Transporteure mit Pferde- oder Eselskarren – nutzten ihre Rastplätze entlang der Transportstrecken als Treffpunkte für soziale Kommunikation und unterschiedliche Wettbewerbe, unter anderem für virtuose Gesangswettbewerbe. Schultz vergleicht eine bei einem Ehemaligen-Treffen 1970 entstandene Aufnahme mit einer Konzert-Aufnahme von 1995. Nur so kann er Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Präsentationen feststellen, denn niemals wäre dasselbe Lied innerhalb eines realen Wettstreits von zwei unterschiedlichen Sängern vorgetragen worden.

Tiefgreifende arbeitsstrukturelle Veränderungen und damit einhergehend der Versuch, die regionale Rinderhaltung anzuregen, waren 1953 die Gründe zur Etablierung des Hirtenfestes in Zella-Mehlis. Unterschwellig „mag auch eine beginnende kulturelle Verlusterfahrung bei der Installation des Hirtenblaswettbewerbs mitgewirkt haben“ (105), vermutet Peter Fauser. Er betrachtet die quellenmäßig schwer zu fassenden „Wettbewerbe der Hirtenbläser im thüringischen Zella-Mehlis in den Jahren 1953 bis 1973“ im Spannungsfeld zwischen „arbeitsfunktionaler Signalgebung und Folkloredarbietung“ (101–122). Während die Hirtensignale im Wettbewerb anfangs noch genauso wie in eigentlicher Arbeitsfunktion geblasen wurden, lösten sie sich schließlich vollständig von der Hutungspraxis in Richtung folkloristischer Darbietungen. „Die fortschreitende gesellschaftliche wie ökonomische Entwicklung schließlich ließ das Ereignis [Hirtenfest] obsolet werden“ (121), während Hirtenhörner und -signale als „Hirtenfolklore“ unterschiedlicher Couleur präsentiert würden.

Die „radiophone Bestandsaufnahme der Spezifika hinsichtlich Repertoire und Interpretation der Singenden in einer ausgewählten Region“ (87) bildete den Leitgedanken der „‚Volksliedersingen‘ der ‚Ravag‘ von 1934–1937“ (79–100). Walter Deutsch widmet sich den zwölf Veranstaltungen, deren Vorbilder das Oberbayerische Preissingen in Egern (1930) und seine drei Nachfolgeveranstaltungen 1931 in Landshut, Weilheim und Traunstein waren. Anders als die Kollegen des Bayerischen Rundfunks setzten die Verantwortlichen der österreichischen „Radio-Verkehrs-Aktien-Gesellschaft“ (Ravag) statt auf einen Wettbewerb auf die Beurteilung der Bewerber durch Experten und Erinnerungsgaben. „Ein wesentliches Ergebnis der Ravag-Volksliedersingen in den zwölf ausgewählten Landschaften liegt in der Konfrontation der als legitimierte Lenker des Volksgesanges wirkenden Forscher und Pfleger mit den Überlieferungsträger(inne)n. Ein Großteil der damals angetretenen Sängerinnen und Sänger kam aus jener dörflichen Bevölkerungsschicht, in der die örtliche oder familiäre Singkultur, der Singstil und das Repertoire in langer Überlieferung lebendig waren. Durch diese von der städtischen Volksliedpflege kaum berührte volksmusikalische Situation in den Dörfern wurde jedes dieser öffentlichen Singen zum klingenden Abbild einer stilistisch abgrenzbaren Region“ (95), stellt Deutsch fest und verweist auf die Möglichkeiten des Vergleichs der damals entstandenen Aufnahmen mit neuen Interpretationsformen derselben Lieder.

Die Weitergabe der christlichen Heilsbotschaft, nicht die Konservierung von Repertoire und Interpretation, steht im Mittelpunkt der Chorwettbewerbe der Christian Women Fellowship (CWF) in Kamerun. Singen zur Stärkung des Gemeinschaftsgefühls und als Ausdruck des Glaubens war immer ein wichtiger Teil im Programm der Missionsarbeit (327). Nepomuk Riva berichtet über seine Forschungen bei einem Wettbewerbswochenende im Jahr 2008 („‚We are learning to transform‘. Transferring Faith through Women’s Choir Competitions in Cameroon“, 325–343). Seine Schwerpunkte liegen auf der oralen Kompositionstechnik, dem verwendeten musikalischen Material und darauf, wie durch die Wettbewerbe religiöses Wissen erworben und weitergegeben wird.

Die Frage nach der Organisationsform „Gesangswettstreit oder Wertungssingen“ erörtert Helmke Jan Keden am Bespiel des „bürgerlichen Laienchorgesang[s] zwischen liberalem Leistungsstreben und nationalem Gemeinschaftsideal in der Weimarer Republik“ (137–148). 1933 wurde „ein Verbot der vermeintlich gemeinschaftsschädigenden Wettstreite [erlassen, …] welches die NSDAP-Organisationen zum Teil durch eine äußerst rigide Vorgehensweise auch durchsetzten“ (142). Durch dieses Verbot konnte die Frage aber nicht gelöst, sondern lediglich „auf unbestimmte Zeit verschoben“ (142) werden.

Maša K. Marty widmet sich den „Folk Music Competitons in Slovenia“ (185–195), die erst nach dem Zweiten Weltkrieg einsetzten, als Volksmusik innerhalb der Popularmusikwettbewerbe eine kleine Nische fand. „Competition on folk music started as presentations of folk singers and musicians under the indirect guidance of the main institution of cultural policy for folklore activities in Slovenia.“ (189) Die Wettbewerbe, bei denen Ethnomusikologen auf Basis von Feldforschung und langjähriger Kenntnis die Regeln vorgeben, finden bis heute als sogenannte „Treffen“ statt, während sich auch in Slowenien parallel dazu Wettbewerbe etablieren konnten, bei denen die Musiker kreativ mit traditionellem Material umgehen. In Astrachan wurde 2003 der Wettbewerb „Voices of the Golden Steppe“ (397–404) ins Leben gerufen. Elena M. Shishkina beschreibt Ausgangssituation, Installation und Entwicklung des musikalischen und ethnographischen Wettbewerbs, der – getragen vom Center of Folk Culture – die Wechselbeziehungen zwischen östlichen und westlichen Traditionen sowie die in ihrem Schnittpunkt daraus resultierenden Veränderungen im Blick hat.

Über Staatsfolklore hinaus von konkreter politischer Einflussnahme auf musikalische Wettbewerbe berichten Heejin Kim bei der „National Folk Arts Competition in South Korea“ (141–161) und Anina Paetzold im kambodschanischen Wettbewerb „Hear My Song“ (273–296), die zudem dem Wandel im kulturellen Selbstverständnis Kambodschas nachspürt. „Die Neukompositionen, die vor einigen Jahren noch verteidigt werden mussten, weil sie als Gefahr für eines der wichtigsten nationalen Kulturgüter, die traditionellen Künste, angesehen wurden, bekommen einen neuen Stellenwert als die zukünftige Hoffnung des Landes. Unterstützung erfahren sie vom Premierminister und durch kulturpolitische Förderungen der Ministerien. Das Anknüpfen an Perioden aus der Geschichte des Landes rechtfertigt den freien Umgang mit Neuerungen und Einflüssen anderer Kulturen, sodass die kontemporären Erzeugnisse als Nationalkunst in der Landestradition verortet werden können. Der Wettbewerb stellt sich dabei als ein wichtiges Mittel für die Anschubförderung von Neuproduktionen kambodschanischer Popmusik durch kulturpolitische Akteure dar.“ (295) Das Jahr 1961, so Kim, stellt in der Geschichte der südkoreanischen „National Folk Arts Competition“ einen Meilenstein dar, denn der nach 1958 zum zweiten Mal stattfindende Wettbewerb zwischen den die verschiedenen Provinzen des Landes repräsentierenden Gruppen erfährt eine politische Überformung durch die neue Militärregierung, indem beispielsweise durch Ausweitung des Programms, Verlegung des Veranstaltungsplatzes und geschickte Terminplanung eine scheinbare Einheit aller Koreaner unter Führung der neuen Regierung erzeugt wird.

„Competition, Bane or Boon“ (157) überschreibt Kim das letzte Kapitel ihres Beitrags. Fluch und Segen – musikalische Wettstreite und Wettbewerbe können beides sein, die 22 Artikel belegen dies aus unterschiedlichsten Perspektiven und weisen gleichzeitig auf Forschungsdesiderate hin. Durch das breite Spektrum der Forschungsansätze und Untersuchungsgebiete erhält der/die Leser*in einen guten Überblick über die Heterogenität des Sujets. Zur Abrundung der interessanten Aufsatzsammlung fehlen eigentlich nur Informationen zu den Programmen der beiden Tagungen bzw. darüber, welche Beiträge über die Veranstaltungen hinaus in den vorliegenden Band aufgenommen wurden.