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Aktuelle Rezensionen


Sarah May/ Katia Laura Sidali/Achim Spiller/Bernhard Tschofen (Hg.)

Taste | Power | Tradition. Geographical Indications as Cultural Property

(Göttingen Studies in Cultural Property 10), Göttingen 2017, Universitätsverlag, 132 Seiten mit Abbildungen, zum Teil farbig, Tabellen
Rezensiert von Johannes J. Arens
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 02.09.2019

Der Supermarkt der Gegenwart ist voll von Siegeln, Labeln und Signets, die mehr oder weniger aussagekräftig und mehr oder weniger rechtlich bindend sind. Auf den Verpackungen von Lebensmitteln wird auf die Bemühungen rund um das Tierwohl, die Herstellung im Rahmen der biologischen Landwirtschaft oder das Nichtvorhandensein von Gluten und Laktose hingewiesen. Nie war die allgemeine Aufmerksamkeit für die Zusammensetzung und die Produktionsbedingungen unserer Nahrung höher. Und nie zuvor gab es derart große Anstrengungen, eine Authentizität von bestimmten Produkten festzulegen. Kennzeichnungen wie etwa das blau-gelbe Logo der Europäischen Union für eine geschützte geografische Angabe und vergleichbare Kategorisierungen im außereuropäischen Bereich stehen im Fokus des zehnten Bands der Göttingen Studies in Cultural Property. Das Buch versteht sich als Einführung in den Diskurs um das Thema „geographical indications“, wobei der englische Begriff weiter gefasst wird als die hierzulande bekannte Kategorisierung von etwa Hopfen aus der Hallertau oder Nürnberger Lebkuchen. Es setzt sich zum Ziel, Perspektiven im Umgang mit Lebensmitteln und dem Agrarmarkt als beispielhafte Felder der Auseinandersetzung um kulturellen Besitz aufzuzeigen und Empfehlungen für eine verbesserte Praxis in der Anwendung zu geben. Entstanden ist es als Dokumentation des interdisziplinären Projekts „Geographical Indications. Culinary Heritage as Cultural Property“ und des gleichnamigen Symposiums, das im Frühjahr 2013 an der Universität Tübingen stattfand.

Die Sammlung von insgesamt zehn Aufsätzen eröffnet im Untertitel das Spannungsfeld von Geschmack, Macht und Tradition, in dem sich das Phänomen „geographical indications“ bewegt. Das Buch untersucht den Kontext von Argumentationen und Legitimierung im Rahmen der Antragstellungen und die Auswirkungen auf lokale Akteur*innen, Konsument*innen und schlussendlich auf die Produkte selber. Nach einer grundlegenden Einleitung nähert sich der Band dem Thema zunächst auf einer abstrakten Ebene, um sich schließlich in insgesamt acht Fallbeispielen mit unterschiedlichen Perspektiven auseinanderzusetzen.

Die Einleitung „Placing Geographical Indications on an Interdisciplinary Agenda” (Spiller, Tschofen) versucht, Markierungen auf der interdisziplinären Agenda zu setzen, interdisziplinäre Ansätze vorzustellen und das Thema Produktion und Vermarktung von Lebensmitteln im Zusammenhang der für die Reihe titelgebenden „Studies in Cultural Property“ zu verorten. Ein erster Themenblock mit dem Titel „The Study of Geographical Indications at the Interface of Culture an Economy” fokussiert auf die Strukturen von Governance und Alltagspraxis im Regime von kulturellem Besitz und verknüpft dabei Konsument*innen, Produzent*innen und Interessenvertreter*innen. Es folgt die Auseinandersetzung mit „Politics and Practices of Tasty Products: Geographical Indications as Power Relations“, während es im letzten Abschnitt mit dem Titel „Case Studies, Comparative Overviews and Theoretical Insights“ um den internationalen Kontext von Handelsabkommen und Rechtssystemen sowie die gesellschaftlichen Kontexte und Verknüpfungen geht.

Die Autor*innen repräsentieren unterschiedliche akademische Hintergründe, die sich zwischen Wirtschaftswissenschaften, Agrarwissenschaften und den verschiedenen Feldern der sozialen und kulturellen Anthropologie bewegen. Fabio Parasecoli etwa beschreibt in „Geographical Indications, Intellectual Property and the Global Market“ das wachsende Interesse an und den wirtschaftlichen Einfluss auf die Verknüpfung von Lebensmitteln mit dem Ort ihrer Herstellung, die sich im akademischen Diskurs über Terroir, die Dynamik von Identität und kulturellen Werten niederschlagen. Er resümiert, dass die Forschung und die international geführte Debatte in unterschiedlichen Disziplinen besser verknüpft werden muss. Gisela Welz untersucht in „Pure Products, Messy Genealogies. The Contested Origins of Halloumi Cheese“ die komplexe Historie des Zusammenlebens im östlichen Mittelmeergebiet anhand des Phänomens Halloumi und bemerkt, dass immer dann, wenn lokale Produkte in überregionalen Märkten verhandelt werden, die Herkunft in der Aushandlung von Authentizität eine entscheidende Rolle spielt. Greta Leonhardt und Katia Laura Sidali beschäftigen sich in „This Cheese Tastes as it Looks: Conferring Authenticity through Symbols and Narratives“ mit der Darstellung von lokalen Spezialitäten in unterschiedlichen Medien wie etwa gedruckten Broschüren oder Anzeigen und stellen fest, dass die Sensibilisierung der Kund*innen gegenüber den besprochenen Signets (in diesem Fall die EU-weite geographisch geschützte Angabe) vergleichsweise gering ist und diese auch in der Alltagspraxis der Produzent*innen keine große Rolle spielen. Sarah May analysiert in „Shaping Borders in Culinary Landscapes. European Politics and Everyday Practices in Geographical Indications“ die Praxis der Grenzziehung – sowohl während als auch aufgrund der Umsetzung der Europäischen Vorgaben im Alltag. Den brasilianischen Markt und konkret die geographische Indizierung von Obst aus dem São Francisco Flusstal schildern Andréa Cristina Dörr et. al. in „Role of the Geographical Indication Certification in Grapes and Mangoes: the Submedium São Francisco River Valley Case“. Auch hier lautet das Fazit, dass die Käufer*innen und Konsument*innen die zugrunde liegende Konzeption oftmals nicht kennen. Laurent-Sébastien Fournier und Karine Michel beleuchten in „Mediterranean Food as Cultural Property? Towards an Anthropology of Geographical Indications” die anthropologische Perspektive, die sie als hilfreich bei der Verknüpfung von historischem Kontext, technischen und wirtschaftlichen Aspekten und den damit verbundenen Wirkungsweisen von gesellschaftlicher Gutheißung beschreiben. Auch für sie geht die symbolische Aufladung von Produkten weit über den materiellen Wert hinaus. Maurizio Canavari et. al. werten in „Consumer Preferences, Marketing Problems and Opportunities for Non-EU-based GIs: Experiences for Brazil, Serbia and Thailand” unterschiedliche Studien aus. Sie wählen einen Ansatz, der die Vermarktung von Kaffee, Obst und Gemüse in den drei genannten Staaten untersucht. Ihr Fazit lautet, dass das Verständnis und die Rezeption von geographischer Indizierung im EU-Binnenmarkt sich unter Umständen schwieriger gestaltetet als im Export. Raúl Matta vergleicht in „Unveiling the Neoliberal Taste. Peru’s Media Representation as a Food Nation“ mehrere Medienproduktionen rund um die gastro-politischen und gastro-diplomatischen Bemühungen der peruanischen Regierung, die kulturelle Vielfalt, Unternehmertum und Wettbewerb als zentrale kulturelle Werte in eine neoliberale Gesellschaft einschreiben sollen. Sein Beitrag beleuchtet anschaulich die konstitutive Macht von symbolischen Repertoires und Performances. Bernhard Tschofen schließlich untersucht in „‚Sura Kees‘. An Alpine Nutrional Relic as a Ferment of Regionality“ die historischen Bedingungen für die Wiederentdeckung des Vorarlberger Sauerkäses und die Transformation von Assoziationen wie „rückständig“ hin zu „authentisch“, die durch die erhöhte globale Aufmerksamkeit gegenüber regionalen Spezialitäten ermöglicht wurde.

Alle Beiträge beschreiben das Phänomen „Geographical Indications“ nicht nur als Regulierungsinstrument, sondern als eine Werkzeugsammlung, die Vorschriften und Impulse auf unterschiedlichen Ebenen ermöglicht, im Idealfall aber auch zur wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Selbstermächtigung beitragen kann. Die Texte zeigen, dass die unterschiedlichen Systeme einer geographischen Indizierung von Lebensmitteln sehr vielschichtig zu verstehen sind. Hin und wieder verlieren sie dabei ein wenig den spezifisch kulturwissenschaftlichen Fokus, was der breiten Interdisziplinarität des Projekts bei relativ beschränkter Seitenzahl zu schulden ist. Ein niedrigschwelliger Zugang für Leser*innen, die nicht aus dem eigenen akademischen Feld stammen, ist nicht immer gegeben. Ebenso lässt sich eine gewisse Redundanz feststellen – das Phänomen „Geographical Indication“ wird in fast jedem Artikel einleitend beschrieben und ausgiebig erläutert –, wobei die interkulturellen Unterschiede zwischen etwa Brasilien, dem Montafon und Serbien in einer Publikation von diesem Umfang zwangsläufig zu kurz kommen. Aber der Band versteht sich, wie eingangs beschrieben, eben als erste Einleitung und kursorische Betrachtung unterschiedlicher Perspektiven.