Aktuelle Rezensionen
Gregor J. Betz/Ronald Hitzler/Arne Niederbacher/Lisa Schäfer (Hg.)
Hybride Events. Zur Diskussion zeitgeistiger Veranstaltungen
(Erlebniswelten), Wiesbaden 2017, Springer VS, 340 Seiten mit AbbildungenRezensiert von Susan Baumert
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 30.09.2019
Events – die spätmodernen Formen des Festlichen – sind heute durch die kommerzielle Medienkultur, aber auch in der Hoch-, Pop- und Alltagskultur allgegenwärtig. Seit den 1990er Jahren bilden sie innerhalb der geistes- und gesellschaftswissenschaftlichen Forschungsfelder einen festen thematischen Bestandteil. In ihrer Komplexität und Vielfältigkeit sind sie soziokulturelle Phänomene, die die Transformation der traditionellen außeralltäglichen Festkultur(en) hin zur Verfestlichung des Alltags und Vervielfachung der festlichen Angebote anzeigen. Die wissenschaftliche Untersuchung von Events trägt dazu bei, vergangene und gegenwärtige gesellschaftliche Dispositionen zu erkennen, zu deuten und für diverse Anwendungsbereiche fruchtbar zu machen. Darüber hinaus ist in den letzten Jahren eine Erweiterung der Eventforschung vorgenommen worden, die die urbanen Strukturen als Ausgangspunkt und Voraussetzung weiterer Eventisierungsschübe und -phänomene in den Blick nimmt.
Der angezeigte Sammelband, der an der Fakultät Erziehungswissenschaft, Psychologie und Soziologie der TU Dortmund entstand und auf eine Tagung im April 2016 zurückgeht, nähert sich den inszenierten Ereignissen mittels eines weiteren Charakteristikums: der Hybridität beziehungsweise Hybridisierung von Events. Ziel der Publikation ist es, durch Beiträge aus verschiedenen Fachbereichen aufzuzeigen, ob und inwiefern Konzepte der Hybridität beziehungsweise Hybridisierung für die Untersuchung der multidimensionalen Gegenwartsgesellschaft empirisch relevant und erkenntniserweiternd sind. In fünf übersichtlich strukturierten inhaltlichen Blöcken, denen einleitende Definitionsvorschläge zu den zentralen Begrifflichkeiten um Event und Hybridität vorangestellt sind, stellen die Autoren ihre Thesen, Methoden und Ergebnisse vor. Im Folgenden werden wesentliche Gesichtspunkte des Bandes herausgegriffen.
Zu Beginn der ersten Sektion bietet ein einführender Beitrag der Herausgeber eine grundsätzliche „Theoretische Orientierung“. Danach kontextualisiert Thomas Kron das Phänomen der Hybridität, indem er es in der Gegenwartsgesellschaft verortet, die sich von einer „dichotomen zu einer hybriden sozialen Ordnung“ gewandelt habe (25). Außerdem zeigt Winfried Gebhardt als ein klassischer Vertreter der soziologischen Fest- und Eventtheorie, dass sich in der Gegenwartsgesellschaft ein emotionaler Wandel der Feste und Feiern weg von Exzess und Pathos hin zum gezielten, gesteuerten und kontrollierten Gefühlsmanagement ökonomisch ausgerichteter Events vollzieht (45). Seine abschließende Diagnose formuliert Kritik und Bedenken gegenüber den mitunter inhaltsleeren und überdisziplinierten hybriden Events, welche die Ventilfunktionen ehemaliger Feste und Feiern nicht mehr ermöglichen und demzufolge ‚soziale Probleme‘ – statt sie abzumildern – eher verstärken können (46).
Innerhalb der Sektion zu „Hybriden Events im politischen und wirtschaftlichen Kontext“ wird u. a. gezeigt, dass Hybridisierungsprozesse politischer Großveranstaltungen in der Öffentlichkeit durchaus nicht neu sind. So verortet Nikola Baković die Hybridität politischer Massenveranstaltungen in Jugoslawien zwischen „rigide[m] sowjetinspirierten Festformat und der Adaption westlich-kapitalistischer Inhalte“ (53). In ähnlichem Sinne weist Theresa Jacobs am Beispiel sorbischer Tanzparaden auf die mannigfachen Facetten politischer Inszenierungen hin. Die Untersuchung Manfred Prischings widmet sich hingegen der dunklen Seite der Hybridität von Ereignissen, indem durch eine vierschrittige Fallanalyse (95) ein 2015 stattgefundener Amoklauf in Graz und dessen Darstellung in den Medien nachgezeichnet wird. Janine Klemmt schließt diesen thematischen Block mit einer Studie über die hybride Vielfalt sogenannter BarCamps und deren wirtschaftlicher Nutzbarmachung (134).
Mittels anschaulich präsentierter Fallbeispiele nähert sich die dritte Sektion der „Hybridität religiöser Ereignisse“. Diese umfassen sowohl die von Gunther Schendel beleuchteten historischen Entwicklungslinien und gegenwärtigen Tendenzen evangelisch-lutherischer Missionsfeste (148) als auch die Facetten der „multiplen Hybridisierung“ (160), die von Werner Binder und Nils Meise am Beispiel der Auftaktveranstaltung des Konstanzer Gedenkwochenendes für Jan Hus 2015 veranschaulicht werden (169). Des Weiteren zeigt Ruth Conrad anhand des „kirchliche[n] Hybridevent[s]“ (183) rund um das Reformationsjubiläum 2017, dass die Institution Kirche gegenwärtig um ein verbessertes Image ringt, welches sie auch durch ansprechende „Veranstaltungsformate und [...] flankierende Diskussionen“ (183) zu erreichen versucht. Monika Salzbrunn geht in ihrem Beitrag der grundlegenden Frage nach, ob „nicht alle Zusammenkünfte, die anlässlich religiöser Praktiken organisiert werden, per se hybrid“ sind (185). Besonders deutlich wird das Ringen um ein modernes Kirchenprofil schließlich in der Art und Weise der unterschiedlichen Kommunikationsformen, die im Aufsatz von Meike Haken und Michael Wetzels analysiert werden. So verweisen hybride Events wie der „ökumenische Gottesdienst zum Auftakt der Fußball-Bundesligasaison 2015/16 [...] in der Dortmunder Dreifaltigkeitskirche“ (201) auf eine „Spannung zwischen situativer Partizipation und institutionalisierter Liturgie“ (213).
Der „Hybridisierung hoch- und interkultureller Ereignisse“ ist die vierte Sektion gewidmet. Nicole Burzan konzentriert sich in ihrem Beitrag auf hybride Prozesse der Eventisierung innerhalb von Museen, die einerseits einhergehen mit der Emotionalisierung und Unterhaltung ihrer Rezipienten, andererseits aber auch Tendenzen der Enthybridisierung (228) mit sich bringen, die mit der Multioptionalisierung individualisierter Museumsangebote begründet werden (230). Im Anschluss daran untersucht Nicole Holzhauser intendierte und nicht intendierte Hybriditätseffekte, die eng an ökonomisch motivierte Eventisierungsstrategien gekoppelt sind (242 ff.). Die abschließende Analyse von Bernd Rebstein und Bernt Schnettler versucht, die Leistungsfähigkeit der „Reflexion der jeweiligen Abschattungen und Mischungsverhältnisse von Hybridität für die Erfassung zeitgeistiger und anderer Veranstaltungen“ (261) abzuleiten.
Die letzte Sektion des Sammelbandes befasst sich mit „Hybriden Events in (Jugend-)Szenen“. Am Beispiel des Leipziger ‚Wave-Gotik-Treffens‘ analysiert Markus Tauschek die verschiedenartig kombinierten Elemente und Hybridisierungstendenzen von Events. Stefan Brandt verdeutlicht durch seine Analyse der Vermischung von Techno-Party und Kneipenszene, wie schwer es ist, eindeutige Aussagen über die Gründe der Transformationsprozesse von Feiern hin zu hybriden aufmerksamkeitsökonomisch geleiteten Events zu treffen. Hinsichtlich solcher Schwierigkeiten steht die Tragfähigkeit des Hybriditäts-Konzeptes letztlich prinzipiell zur Diskussion: Laut Peter Hinrichs sei es ratsam, sich zukünftig eher auf die Entstehung von Hybriden und deren Verdichtung zu Typen zu konzentrieren und hierbei stets zu fragen, ob der jeweils untersuchte Hybrid überhaupt noch als aus zwei oder mehreren Elementen bestehend wahrgenommen wird (308). Durch vergleichendes Quellenstudium online zugänglicher Partyfotos erforscht Francis Müller Szenezugehörigkeiten anhand „körperliche[r] beziehungsweise körpernahe[r] und ästhetische[r] Phänomene[] [...], die eine symbolische Bedeutung haben“ (312). Der letzte Beitrag von Julia Wustmann, Christin Scheurer und Paul Eisewicht geht schließlich der Frage nach, „welche Menschen mit welchem Wissen und welcher Erwartung, welche Ereignisse als hybrid erfahren“ (322) und endet mit der Feststellung, dass „Hybridität [...] ein fragiles und zeitweiliges Zwischenstadium zwischen zwei Entitäten zu sein [scheint]“ (335).
Ein Fazit, das die Ergebnisse der einzelnen Untersuchungen in einem bilanzierenden Abschluss zusammenfassen würde, fehlt leider und lässt das ansonsten lesenswerte Buch, das streckenweise eine sorgsamere redaktionelle Bearbeitung verdient hätte, damit recht unvermittelt enden. Der Beitrag von Hans-Georg Soeffner, der in der zweiten Sektion des Bandes zu finden ist, bietet allerdings insofern einen Ersatz, indem er nach dem analytischen Mehrwert einer angewandten Hybridisierungssemantik fragt, die zukünftig eher als ein mythenreiches Abbild des gegenwärtigen ‚zeitgeistlichen Selbstverständnisses‘ diskutiert und analysiert werden sollte (92).