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Fabian Wolf

Die Weihnachtsvision der Birgitta von Schweden. Bildkunst und Imagination im Wechselspiel

Regensburg 2018, Schnell & Steiner, 495 Seiten mit 236 Abbildungen, meist farbig
Rezensiert von Walter Pötzl
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 14.10.2019

Der Einfluss der Vision der hl. Birgitta, die diese im August 1372 in der Geburtsgrotte in Bethlehem empfing, auf die Entwicklung des Weihnachtsbildes ist in der Ikonografie hinreichend bekannt: „Durch diese neue mystische Auffassung der Geburt Christi in den Offenbarungen der hl. Birgitta wird der alte Darstellungstypus der Geburt Christi, die Wochenbettszene, die im 14. Jh. wohl in Verbindung mit dem Mysterienspiel immer mehr realistisches Beiwerk aufgenommen hatte […], vollkommen durch die Szene der A.d.K. [Anbetung des Kindes] verdrängt, […]. Die Bodenlage des Kindes wird nun allgemein […]. Die bedeutendsten Zeugnisse der auf den Offenbarungen Birgittas beruhenden mystischen Geburtsbilder sind wohl die Tafeln Meister Franckes vom Englandfahrer-Altar (Hamburg, Kunsthalle, um 1425) und Fra Filippo Lippis für die Hauskapelle der Medici (um 1459, Berlin, ehem. KFM, zwei weitere Fassungen Florenz, Uffizien)“.[1]

Fabian Wolf [2] erhielt den Impuls für die Beschäftigung mit der Weihnachtsvision der hl. Birgitta von Professor Jochen Sander. Dabei wurde dem Autor schnell klar, dass die wechselseitigen Bezüge zwischen Vision und Bildtradition überraschenderweise kaum erforscht waren und so wurde die umfassende Darstellung von den Inspirationsquellen Birgittas bis hin zur Etablierung einer neuen Standardikonografie das eigentliche Thema der Arbeit (9).

Die Weite des Ausgriffs veranschaulicht die zum Teil bilinguale Quellenedition im Anhang (427–449), die vom Brief des Hieronymus an Eustochium und verschiedene apokryphe Evangelien über Mechthild von Magdeburg und Ludolf von Sachsen zu Birgittas Revelationen (Nr. 14 u. 15) und zu deren Erwähnung im Kanonisationsprozess führt (Nr. 18 mit zehn Texten). Ein zeitgenössischer Brief aus Rom bezeugt abschließend, welche europäischen Persönlichkeiten sich Abschriften von Birgittas Visionen anfertigen ließen.

Fabian Wolf bearbeitet das umfangreiche Material an Texten und Bildern in den zwei großen Komplexen „Die Vision und ihr Zustandekommen“ (17–188) und „Die Übersetzung in das materielle Bild“ (199–419). Für den Leser des umfangreichen Werkes ist es angenehm, dass der Autor drei Resümees zieht: 1. eines zur „mentalen Bildproduktion“ (181–188), 2. eines zur „Übersetzung in das materielle Bild“ (Verbreitungsphasen des birgittinischen Bildtypus [mit drei Europa-Karten]; Phänomene im Umgang mit einzelnen Motiven; das Nachmodellieren von Raum und Zeit im Bild) (405–416) und 3. eines am Schluss: „Innere und äußere Bildwerdungsprozesse“ (417–419). Der nicht der deutschen Sprache Kundige freut sich sicher über das English Summary (421–424).

Im Kapitel „Kultivierung der imaginatio“ (51–72) argumentiert Fabian Wolf auch stark von der Psychologie her, was sicher sinnvoll ist, doch sollte man nicht außer Acht lassen, dass hier nicht eine Nonne, die als junge Frau ins Kloster eingetreten war, die Geburtsvision in Bethlehem erlebte, sondern eine Frau, die acht Kinder geboren hatte.

Das strenge, sehr theologische byzantinische Weihnachtsbild, in dem Maria als Theotókos im Mittelpunkt steht, begann sich unter dem Einfluss der Mystik ins Menschliche zu wenden. Maria nimmt Kontakt mit dem Kind auf, holt es gar in ihr Wochenbett und gibt ihm die Brust (vgl. Abb. 60 mit vier Beispielen von Giotto, Daddi u. Gaddi). Doch diese Aktionen führen nicht zur Anbetung des Kindes, sondern diese wurzelt auch im Verlangen der Mystikerinnen. Sie sind schon vor Birgittas Vision im Bild verbreitet. Fabian Wolf bringt als früheste Belege zwei Initialen und einen Ausschnitt aus der Lignum-Vitae-Tafel (Abb. 51, 52 u. 61). Bekannter ist die Darstellung auf dem Kölner Klaren-Altar aus der Zeit um 1360/70, auf dem das Kind zur Mutter hinstrebt (Abb. 56). Als „Drehbuch der Einbildungskraft“ bezeichnet Fabian Wolf die „Visualisierungsstrategien“ der Meditationes Vitae Christi in einer aus Italien stammenden Handschrift der Französischen Nationalbibliothek (MS ital 115), in der das Weihnachtgeschehen mit einer ungewöhnlichen Darstellung der Geburt beginnt (zu Füßen der an einer Säule lehnenden stehenden Maria liegt das eben geborene Kind, f 19r). Auf der Blattrückseite hält zunächst die sitzende Maria das gefatschte Kind im Arm, im Bild darunter beten Maria und Josef kniend das gefatschte, in einer Art Altarkrippe liegende Kind an. Die folgende Darstellung kehrt wieder zum damals noch bestimmenden Wöchnerinnenbild zurück, auf dem sich Maria dem gefatschten, in einer truhenartigen Krippe liegenden Kind zuwendet (74–81, Abb. 7, 9 u. 10).[3]

Die birgittinische Weihnachtsvision festigte das Anbetungsbild. Damit sind weitere Einzelmotive verbunden (89–145): das am Boden liegende strahlende Kind, der höchst ehrwürdige Greis Josef (im Gegensatz zu dem sonst geschäftigen Hausmann, der kocht oder seine Beinlinge zerschneidet, um dem Kind daraus Windeln zu machen), der eine Kerze, frei oder in einer Laterne, hält.

Dass die Revelationes bald einem größeren Kreis bekannt wurden, lag am 1391 abgeschlossenen Kanonisationsprozess, doch hatte bereits um 1373/75 Niccolo di Tommaso seine drei Visionsbilder geschaffen, auf denen am Bildrand die Heilige präsent ist. Das Florentiner Birgittenkloster und die Observanten (regelstrenge Franziskaner) erwiesen sich als besonders eifrige Verehrer der Heiligen und das Fresko in Santa Maria Novella gehört zu den bekannteren Visionsbildern (Abb. 91). Während in diesen Bildern die Haltung Marias konstant bleibt, kann Josef statt anzubeten eine Kerze halten (Abb. 93, 103) oder in seine alte nachdenkliche Haltung verfallen (Abb. 111, 112 u. ö.).

Weiteres Material in den verschiedenen Bildmedien in Italien wertet Fabian Wolf im 11. Kapitel aus (267–305), um sich dann dem beginnenden Birgittenkult in Schweden zuzuwenden (307-322) sowie den Verbindungen zur franko-flämischen Malerei (323–335) und der Verbreitung in Böhmen und Österreich (337–353). Umfangreicher fällt das Kapitel über die Darstellungen im deutschen Sprachgebiet aus (355–389), wobei das Visionsbild aus dem Rosgartenmuseum in Konstanz, auf dem der sich abwendende Joseph eine Kerze hält, thematisch besonders interessant ist (Abb. 192). Das Bild des Meisters Francke in Hamburg (ohne Birgitta, aber mit den wesentlichen Elementen ihrer Vision) hat einen hohen Bekanntheitsgrad erreicht (Abb. 375). Folgend geht es noch um Darstellungen im Ostseeraum (391–404).

Der Autor verfolgt sein Thema bis etwa 1430/40. Um diese Zeit hatte sich, von wenigen Ausnahmen abgesehen, das Anbetungsbild durchgesetzt. Auf die erst Jahrzehnte später aufkommende Druckgraphik und die mit ihr verbundenen größeren Möglichkeiten der Verbreitung sei hier noch verwiesen. Es geht dabei nicht nur um zahlreiche Einzelblätter, sondern auch um die Ausgaben der Revelationes 1492 in Lübeck sowie 1500 (lateinisch) und 1502 (deutsch) in Nürnberg. Vorangegangen war das Werk „Onus mundi ex revelacionibus beatae Birgitte“ (Nürnberg 1481, Rom 1502, Augsburg 1502).[4] Die Illustrationen zeigen keineswegs die Weihnachtsvision, sondern Birgitta am Schreibpult und darüber jene Personen, die in ihren Visionen eine Rolle spielen.[5] Im Umlauf waren aber auch kleine, im Blockdruck hergestellte Andachtsbildchen. Aus dem Birgittenkloster Altomünster stammt ein Exemplar, das die betende Heilige vor der das Kind anbetenden Maria zeigt. Die eingeschnitzte Beschriftung besagt: „da zaigt maria s. Birgita wie sie Jhs geboren hat“.[6]

Anmerkungen

[1] Hans Aurenhammer: Lexikon der christlichen Ikonographie, Artikel Anbetung des Kindes. Bd. 1, Wien 1959–1967, S. 111–117, hier S. 113 f. Pia Wilhelm nennt im Artikel „Geburt Christi“ (in: Engelbert Kirschbaum u.a. (Hgg.): Lexikon der christlichen Ikonographie (LCI). Bd. 2, Rom u. a. 1970, Sp. 86–120) zwar die Revelationes S. Brigittae unter den Quellen (Sp. 87), führt den Anbetungstypus dann allgemein auf die franziskanische Mystik zurück (Sp. 114). Darin liegt kein Widerspruch, denn Aurenhammer hebt auf die Nachhaltigkeit und Durchsetzung des Anbetungstypes ab. Vincent Mayr verweist im Artikel „Birgitta von Schweden“ (in: LCI. Bd. 5, Rom u. a. 1973, Sp. 400–403) darauf, dass Birgittas Vision „maßgeblich“ die Weihnachtsdarstellungen beeinflusste. Das „realistische Beiwerk“ wurzelte zunächst auf dem Joseph-Attribut „nutritor domini“, das ihm in den Kalendarien angeheftet wird. Vgl. Walter Pötzl: Die Aktivitäten des (heiligen) Joseph im gotischen Weihnachtsbild. Kalendarien, Legenden, mündliche Überlieferungen, Lieder sowie Spiele und ihre Rezeption im Bild. In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde 2014, S. 71–119, mit Bildteil. Dort auch die eine oder andere Ergänzung zur Dissertation von Fabian Wolf.

[2] Von Fabian Wolf liegt schon vor: Von der Geburt Christi zur Anbetung des Kindes. Die künstlerische Rezeption des Visionsberichtes der Birgitta von Schweden. In: Stefan Roller (Hg.): Heilige Nacht. Die Weihnachtsgeschichte und ihre Bilderwelt. Liebighaus Skulpturensammlung, Ausstellungskatalog. Frankfurt am Main 2016, S. 42–63.

[3] Innovationen benötigten in vergangenen Jahrhunderten Jahrzehnte, bis sie Allgemeingut wurden. Im Katalog der Aktivitäten des Hl. Joseph tauchen die ersten Anbetungsbilder zwar bereits gegen Ende des 14. Jahrhunderts auf (s. Pötzl [wie. Anm. 1], K 26, 35), doch es dauerte etwa ein halbes Jahrhundert, bis sich dieser Bildtypus durchsetzte. Wie das Ringen um einen Ausgleich zwischen zwei Bildtypen wirken Stundenbuchminiaturen vom Beginn des 15. Jahrhunderts (K 64–66, 70, 88): Maria betet im Wochenbett das Kind an bzw. das Kind liegt im Wochenbett und Maria kniet anbetend davor. Vgl. dazu auch Wolf Abb. 163.

[4] Siehe Aurenhammer (wie Anm. 1), S. 374–383.

[5] Wilhelm Ludwig Schreiber: Handbuch der Holz- und Metallschnitte des 15. Jahrhunderts, Bd. 2. Leipzig 1926, Nrn. 1185–1187, 1283-1313.

[6] Karl Haupt: Mystik und Kunst in Augsburg und im östlichen Schwaben während des Spätmittelalters. In: Zeitschrift des historischen Vereins für Schwaben 59/60 (1969), S. 1–100, hier S. 69–73, Abb. 30.