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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Aktuelle Rezensionen


Katrin Hammerstein

Gemeinsame Vergangenheit – getrennt Erinnerung? Der Nationalsozialismus in Gedächtnisdiskursen und Identitätskonstruktionen von Bundesrepublik Deutschland, DDR und Österreich

(Diktaturen und ihre Überwindung im 20. und 21. Jahrhundert, Bd. 11), Göttingen 2017, Wallstein, 592 Seiten
Rezensiert von Paul Hoser
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 08.10.2019

Über den Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit und die öffentliche Erinnerung an sie in der Bundesrepublik Deutschland gibt es bereits zahlreiche Studien. Hammerstein geht nun erstmals darüber hinaus und richtet auch den Blick auf die entsprechenden Entwicklungen in der Deutschen Demokratischen und in der Republik Österreich. 1988 stellte der Soziologe Mario Rainer Lepsius die These auf, in der Bundesrepublik sei die Erinnerung an die NS-Herrschaft durch Internalisierung, in Österreich durch Externalisierung und in der DDR durch Universalisierung geprägt. Dies ist so zu verstehen, dass man sich in der Bundesrepublik als Nachfolgestaat des Deutschen Reichs und damit in der Mitverantwortung für die Vergangenheit sah, während man sich in Österreich als besetztes Land und damit als reines Opfer empfand, das keinerlei Verantwortung trug. Die DDR stellte das nationalsozialistische System als Erscheinung des Faschismus dar, der wiederum ein Produkt des Kapitalismus gewesen sei. Da sie sich im Lager der Gegner des Kapitalismus befand und damit Stellung im universalen Kampf zwischen diesem und dem Sozialismus bezogen hatte, hatte sie nach der Selbstauffassung ihrer Repräsentanten nichts mit der Vergangenheit zu tun. Die Auseinandersetzung mit der These von Lepsius steht im Zentrum der Studie.

Da der Faschismus aus der Diktatur des Finanzkapitals geboren sei, das auch die Bundesrepublik beherrsche, war sie für die DDR nur eine neue Variante des alten Systems. In ihrem eigenen Herrschaftsbereich gebe es dagegen weder Nationalismus noch Militarismus, die den neuen sozialistisch orientierten Deutschen fremd sei. Dementsprechend gab es auch nur den von Antifaschisten geleisteten Widerstand, von anderen Opfern war mit Absicht nicht die Rede.

In Österreich wurde der Nationalsozialismus wahrheitswidrig als rein deutsche Angelegenheit hingestellt. Der erste Bundeskanzler des Landes, Leopold Figl, behauptete gar, man habe ihn von Anfang an bekämpft. Die Juden stellte man als reine Opfer der Deutschen hin, Österreich habe ihnen nie etwas angetan. Den Mythos von Österreich als Opfer verbreitete sogar noch Wolfgang Schüssel, Bundeskanzler von 2000–2007.

In der Bundesrepublik räumte man zwar die Mitverantwortung für die Verbrechen des Nationalsozialismus ein und erkannte die Pflicht zu einer Form von Wiedergutmachung an. Konrad Adenauer verkündete aber, die Mehrheit der Deutschen sei gegen den Nationalsozialismus gewesen –  eine Linie, die auch der erste Bundespräsident Theodor Heuß vertrat. So konnte sich bis zu einem gewissen Grad auch der Großteil der Deutschen als Opfer sehen. Dass dies so nicht zutraf, zeigte sich schon darin, dass der Kult um den Widerstand des 20. Juli 1944 von oben her etabliert wurde; sehr viele Deutsche erblickten dagegen in den Attentätern immer noch Verräter. Die bundesdeutsche Linie reichte allerdings nicht für einen eigenen bequemen Gründungsmythos, demzufolge man mit der Zeit vor 1945 nichts zu tun hatte.

Alle drei Länder waren bald gegen eine zu rigoros betriebene Entnazifizierung, weil sie die Masse der kleinen Parteigenossen in die neue Gesellschaft integrieren wollten.

Nach und nach erkannte man in der BRD auch den Widerstand von linker Seite an, in der DDR bezog man andererseits Teile der Leute des 20. Juli, darunter Stauffenberg, ein.

Seit dem Auschwitz-Prozess befasste man sich in Westdeutschland auch stärker mit den Tätern. Bundespräsident Heinemann sprach von der Mitverantwortung an den Verbrechen, Bruno Kreisky wollte dagegen in Österreich keinerlei Debatte über den Nationalsozialismus, weil dies sein zeitweises Regieren mit den Freiheitlichen hätte gefährden können, bei denen vielfach noch Sympathien für die braune Vergangenheit vorhanden waren. Immerhin räumte Kreiskys Nachfolger Sinowatz schließlich eine gewisse Mitverantwortung ein.

Die 1979 in der BRD und in Österreich gesendete amerikanische Serie „Holocaust“ trug dazu bei, in beiden Ländern eine breitere Öffentlichkeit für die Verbrechen an den Juden zu sensibilisieren. In der DDR wurden nach langem Ignorieren schließlich auch die Juden als Opfergruppe gesehen, allerdings nur unter ferner liefen. Österreich hielt trotz allem grundlegend an seinem Opfermythos fest. 1983 hatten dort Politiker sogar die Chuzpe zu überlegen, ob man nicht Wiedergutmachungsforderungen an die Bunderepublik stellen könne.

Während jedes Land ursprünglich den Mythos des anderen verwarf, wurden seit den achtziger Jahren eine begrenzte Annäherung des Geschichtsbildes und ein gewisses Eingeständnis von Mitverantwortung sichtbar. 1985 bewirkte die Rede des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker einen Umschwung, da er den Tag der deutschen Kapitulation als Tag der Befreiung sah, während er vorher lange Zeit noch als Tag der Niederlage empfunden worden war. Die Debatte um die nationalsozialistische Vergangenheit des österreichischen Bundespräsidenten Kurt Waldheim erschütterte auch das Monopol der dortigen Opferthese.

Bei allen drei Ländern war man seit der zweiten Hälfte der achtziger Jahre zur Kooperation mit einem der anderen bei Ausstellungen zur Geschichte der nationalsozialistischen Vergangenheit bereit. Auch gemeinsame Kolloquien kamen vor. Die DDR gab aber ihre Grundauffassungen bis zu ihrem Untergang nie auf; Österreich wollte seinen Opferstatus ebenfalls nie ganz preisgeben. Österreich und die BRD tauschten sich aber immerhin gegenseitig über die Frage einer möglichen Entschädigung von Zwangsarbeitern aus.

Hammerstein kommt zu dem Ergebnis, die These von Lepsius sei zu starr und schematisch, was sie nicht zuletzt mit dem Aufweichen des österreichischen Opfermythos und der rigorosen Antifaschismus-Konstruktion in der DDR begründet. Jeder Staat habe den anderen beobachtet, was gewisse Rückwirkungen und eine, wenn auch begrenzte, Konvergenz ausgelöst habe.

Als Quellen dienen Hammerstein vor allem Reden von Politikern, wofür sie Parlamentsprotokolle, Pressekorrespondenzen, Pressausschnittsammlungen und Zeitungen eingesehen hat; Material fand sie auch in Publikationen der Bundeszentrale für politische Bildungsarbeit, der entsprechenden Landeszentralen und in Themenheften der österreichischen Bundespressedienstes. Auf unveröffentlichte Archivquellen hat sie wegen der oft noch hinderlichen Sperrfristen verzichtet. Des Öfteren wirken die ausgewählten Zitate etwas zufällig und beliebig, oft kennt die Autorin die Hintergründe der zitierten Personen nicht. So weiß sie zwar, dass der bei ihr auf S. 321 mit einer scheinbar originellen Formulierung zu Worte kommende Lothar Höbelt, zeitweise FPÖ-Berater war, offenbar aber nicht, dass er mit Vorliebe in rechtsextremen Kreisen auch in der BRD auftritt und gern in entsprechenden Organen publiziert, wobei er immer wieder die Verbrechen des Nationalsozialismus zu relativieren und zu verharmlosen sucht.

Um klares Deutsch ist die Autorin leider nicht bemüht. Ein abstoßendes Beispiel ist der Satz: „Denn eine komparative und überdies transnational perspektivierte Analyse der Diktaturüberwindungsprozesse verschiedener, aber in der Erfahrungsdimension direkt miteinander verbundener postdiktatorischer bzw. postnationalsozialistischer Staaten bietet ein Sample, das aufgrund des gleichen Ausgangspunkts besonderen Aufschluss über Varianz und mögliche (Pfad-)Abhängigkeiten von Umgangsweisen mit belasteter Vergangenheit, Geschichtspolitik und Erinnerungskultur, aber durch den erweiterten, die Staatsgrenzen transzendierenden Blickwinkel auch über Interdependenzen und Verflechtungen von Gedächtnisdiskursen geben kann.“ (S. 11).

Die zentrale Debatte um die Wehrmachtsausstellung kommt bei ihr überhaupt nicht vor. Ihr hauptsächliches Ziel, im Einzelnen die Wechselwirkungen der jeweiligen Erinnerungsformen der jeweiligen Erinnerungsformen der drei Länder aufeinander aufzuzeigen, hat sie nicht wirklich gründlich und überzeugend erreicht; die entsprechenden Entwicklungen sind meist nur oberflächlich angerissen. Die Arbeit bietet zwar eine brauchbare Übersicht, in die Tiefe geht sie aber nicht.