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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Mathias Irlinger

Die Versorgung der „Hauptstadt der Bewegung“. Infrastrukturen und Stadtgesellschaft im nationalsozialistischen München

(München im Nationalsozialismus. Kommunalverwaltung und Stadtgesellschaft 5), Göttingen 2018, Wallstein, 432 Seiten, 28 Abbildungen, 6 Tabellen und Grafiken
Rezensiert von Paul Hoser
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 19.05.2020

Städtische Einrichtungen berühren elementare Vorgänge und Erscheinungen des menschlichen Daseins: Geburt und Tod, Heirat, Kindheit, Jugend und Alter, Gesundheit und Krankheit, formale Identität der Person, Vergnügungen, Fortbewegung, Lernen, Essen und Trinken, Wohnen, Energiebedarf, Sauberkeit, Schutz von Eigentum und körperlicher Unversehrtheit.

Wer an der historischen Darstellung kleiner Städte arbeitet, kann deren Einrichtungen in ihrer Gesamtheit untersuchen, bei Großstädten ist dies wegen der Fülle des Quellenmaterials nur für Teilbereiche möglich.

Während München anfänglich im Vergleich zu anderen Großstädten bei der Modernisierung eher rückständig war, änderte sich dies mit dem Beginn der zwanziger Jahre grundlegend. So wurde aus dem vorher privaten Gaswerk ein städtischer industrieller Großbetrieb, die Elektrizitätswerke wurden zügig ausgebaut, so dass sich zwischen 1921 und 1931 die Stromproduktion verdoppelte, das Straßenbahnnetz wurde erheblich ausgedehnt, ebenso das Rohrnetz für die Wasserversorgung in bedeutendem Maß erweitert sowie die Kanalisation vergrößert und durch das Klärwerk Großlappen ergänzt. Finanziert wurde die Modernisierung der städtischen Infrastruktur mit Krediten, was dann in der Weltwirtschaftskrise Schwierigkeiten nach sich zog. Daraus glaubten die Nationalsozialisten den Vorwurf der Misswirtschaft ableiten zu können, die mit demokratischer Regierungsweise grundsätzlich verbunden sei. Tatsächlich aber brachten die Nationalsozialisten in der Zeit ihrer Herrschaft nichts zustande, was dem Modernisierungsschub der Zeit davor gleichkam. Dank diesem ernteten sie, was sie nicht gesät hatten.

In der Zeit nach 1933 war zunächst nicht der weitere Ausbau, sondern die Arbeitsbeschaffung wichtig, die sich auch propagandistisch ausschlachten ließ. Dazu kamen wenige Großprojekte wie z. B. der Flughafen und der Bau des Nordbads.

Neu war die Trennung der städtischen Wirtschaftsbetriebe von der eigentlichen Verwaltung. Die sollte eine langfristige Entscheidung sein. Doch behielt sich der nationalsozialistische Oberbürgermeister Karl Fiehler dort weiter Eingriffsmöglichkeiten vor. Gegen den jüdischen Wasserwerksdirektor hetzten die Nationalsozialisten so heftig, dass er sich im Januar 1934 in den Ruhestand versetzen ließ. Den Direktor der Straßenbahn hatte der oft als heimlicher Herrscher Münchens angesehene Leiter der nationalsozialistischen Fraktion im Rathaus, Christian Weber, auf der Abschussliste, weil er der BVP angehört hatte. Auch er musste gehen. Die Macht des brutalen, vulgären und raffgierigen Ratsherrn Weber leitete sich aus dem laufenden Kontakt zu Hitler ab, dem er schon seit der Frühzeit der Partei ergeben war. Die zum Teil bestellten neuen Leiter der städtischen Einrichtungen zeichneten sich dagegen alle durch Fachkompetenz aus, nicht durch nationalsozialistische Gesinnung. Man war damit zufrieden, dass sie 1937 fast alle der NSDAP beitraten.

Formal hatten die seit der Deutschen Gemeindeordnung von 1935 „Ratsherrn“ genannten Stadträte keine Kompetenzen mehr. Diese lagen alle nach dem Führerprinzip beim Oberbürgermeister. Tatsächlich waren die Ratsherrn gerade in München oft keine bloßen Abnicker, sondern übten vielfach Macht aus. Dies zeigt nicht nur das Beispiel Webers, auch Stadträte wie Max Amann oder Franz Xaver Schwarz, die wie Fiehler die Funktion von Reichsleitern der Partei hatten, hatten auf Grund ihrer wichtigen Parteiämter durchaus Gewicht. Dies galt ebenso für die Werksreferenten, die von Fiehler in seine Entscheidungen einbezogen wurden.

Zwar hatte dieser vor 1929 getönt, Bedarfsdeckung gehe vor Profitwirtschaft. Tatsächlich blieben aber die städtischen Werke eine lebenswichtige Einnahmequelle für München. Allerdings wurden die Erträge im Wesentlichen nicht für neue Investitionen in deren Bereich verwendet. So wurden die Wasserwerke kaum ausgebaut und waren 1938 am Ende ihrer Kapazität.

Christian Weber, der selbst eine Buslinie betrieb, wollte die Straßenbahn aus dem Stadtinneren zugunsten von Bussen verdrängen. Doch waren diese nicht rentabel genug und schadensanfälliger, so dass das Bussystem nicht stark ausgebaut wurde. Daran änderte auch die Abneigung Hitlers gegen die Straßenbahn nichts, den der Anblick der Oberleitungen störte. Auch der von Weber favorisierte Straßenausbau blieb Flickwerk, dem keine systematische Planung zugrunde lag. Hitler behielt in allen Grundsatzdingen das letzte Wort. So waren ihm seine gigantomanischen Pläne für den Hauptbahnhof wichtiger als der von der Stadt favorisierte Weiterbau des kurzen U-Bahn-Abschnitts, zu dem er ursprünglich selbst den Anstoß gegeben hatte. Aber auch aus Hitlers Hauptbahnhof und der Ost-West-Schneise durch die Stadt wurde am Ende nichts.

Christian Weber setzte sich mit dem Wunsch nach einem Zivilflughafen gegenüber Göring durch, der einen Militärflugplatz wollte. Beim Nordbad musste man sich aus finanziellen Gründen mit einer kleinen Variante statt der ursprünglichen Großanlage zufriedengeben, was Hitler wütend machte.

Für die Gasversorgung stelle man den großen Gaskessel neben dem Oberwiesenfeld auf. Dass eine solche Anlage neben einem Flugplatz riskant war, nahm man in Kauf; ebenso die durch das veraltete Rohrnetz bedingte Explosionsgefahr und die vielen Fälle von Gasvergiftungen. Vor der Entgiftung des produzierten Gases schreckte man zurück, da sie eine unpopuläre Tariferhöhung zur Folge gehabt hätte. Hitler befürwortete zwar die Verlegung des Flugplatzes auf dem Oberwiesenfeld, doch auch dies wurde in die Zukunft verschoben.

Aus Popularitätsgründen verkauften die Gaswerke verbilligte Geräte, die Elektrizitätswerke gegen Anzahlung Volksempfänger auf Kredit. Die Pläne für einen Volkskühlschrank und für allgemeines Fernsehen blieben in den Anfängen stecken. Nach Kriegsbeginn stellte man wegen des Personalmangels erstmals Fahrkartenautomaten auf.

Die Partei nutzte die städtischen Einrichtungen auch bevorzugt für eigene Zwecke. So stand der Hitlerjugend und der BDM unentgeltlich das Dantebad für Schwimmfeste zur Verfügung, für Parteiveranstaltungen wurde gratis Strom geliefert, den man vor allem für die Beleuchtungsinszenierungen brauchte; das Stromnetz und die Gasrohre, an die die Parteigebäude angeschlossen waren, wurden besser instandgehalten.

Die Leistungen der Stadt wurden für die jüdischen Bürger Münchens und während des Kriegs zusätzlich die Zwangsarbeiter rigoros beschränkt. Noch bevor es eine allgemeine Regelung in Deutschland gab, preschte die Stadt München 1938 vor und verhängte ein allgemeines Bäderverbot für Juden, das dann erst durch einen Geheimerlass Görings sanktioniert wurde. Im Gefolge der Gewaltakte der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurde bei jüdischen Geschäften der Strom abgeschaltet; schon seit März 1933 erhielten jüdische Geschäfte keine städtischen Aufträge mehr. 1941 verfügte Gauleiter Adolf Wagner entgegen der Richtlinien des Reichsverkehrsministeriums ein allgemeines Verbot der Benutzung städtischer Verkehrsmittel durch Juden. Die Schikanen gingen vielfach über das, was in anderen Städten üblich war, hinaus.

Fiehler schloss im Juli 1943 auch osteuropäische Zwangsarbeiter von der Benutzung öffentlicher Bäder mit Ausnahme der aus Gründen der allgemeinen Hygiene gestatteten Brausebäder aus. Er war anfänglich der Vorreiter bei all diesen Maßnahmen, später war Wagner die treibende Kraft. Aber auch aus der Bevölkerung kamen Klagen gegen Juden in öffentlichen Bädern und gegen Zwangsarbeiter in den öffentlichen Verkehrsmitteln.

In Krieg bemühte sich die Stadtverwaltung, die Mängel bei den Versorgungseinrichtungen möglichst wenig spürbar werden zu lassen. Dies stieß auf erhebliche Schwierigkeiten, waren doch die Infrastruktureinrichtungen vorrangige Ziele im Luftkrieg.

Die Stadtwerke verpflichteten in größerem Maß auch Zwangsarbeiter.

Am meisten klagte die Bevölkerung über die Einschränkung des Nahverkehrs. Die Stadt wehrte sich in diesem Bereich auch gegen Eingriffe des vom Reichsinnenministerium eingesetzten Beauftragten für den Nahverkehr, ebenso wie gegen die Einmischung des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz, Fritz Sauckel und der Gauleitung. Zunehmend beschäftigte man bei den Straßenbahnen auch Frauen. Auch darüber entstanden Kämpfe. Sauckel wollte, dass dort möglichst wenig Frauen arbeiten sollten, während der Leiter der Parteikanzlei, Bormann, alle Schaffner durch Frauen ersetzt wissen wollte. Schließlich änderte Sauckel seine restriktive Haltung und ließ sogar Frauen als Fahrerinnen zu. Anders als andere Städte war aber München hierzu nicht bereit. Schließlich setzte man dafür französische Kriegsgefangene ein.

Energieversorgung und städtische Verkehrsmittel funktionierten trotz der schlechten Bedingungen einigermaßen bis zu den bis dahin schwersten Luftangriffen im Juli 1944. Alle Hauptwasserleitungen waren danach so beschädigt, dass das Wasser rationiert wurde, ebenso war die regelmäßige Stromversorgung nicht mehr gewährleistet. Am meisten betroffen war die Kanalisation. Teile der Stadt blieben bis Kriegsende ohne Gas und konnten auch von den Straßenbahnen nicht mehr angefahren werden. Viele Münchner zogen sich auf das Land zurück. Die Stadtverwaltung konnte jetzt Eingriffe von außen her nicht mehr abwehren. Die Gauleitung ließ zusätzlich eine behelfsmäßige Notbahn bauen.

Im Januar 1945 wurde die Gasversorgung für die Bevölkerung komplett eingestellt. Die Stromversorgung ging weiter, fiel aber jeden Tag für einen gewissen Zeitraum aus. Immerhin erreichte die Stadt noch bei der Gauleitung, dass einige für die Versorgung lebenswichtige Brücken nicht gesprengt wurden.

Die zentrale These Irlingers lautet, dass die nationalsozialistischen Machthaber wussten, dass eine gut funktionierende Infrastruktur für die Sicherung ihrer Macht lebenswichtig war. Deshalb blieben kompetente Fachleute im Amt, auch wenn sie keine aktiven Nationalsozialisten waren.

Oberbürgermeister Fiehler kannte als ehemaliger städtischer Beamter die Arbeitsweisen der Verwaltung. Er handelte oft nicht als reiner Diktator nach dem Führerprinzip, sondern ließ sich auch umstimmen, wenn er ein Problem erkannt hatte. Auch wenn notwendige Modernisierungen z. T. nicht ausgeführt werden konnten, weil Hitlers gigantomanische Baupläne Vorrang hatten und viele Ressourcen abzogen, funktionierten Energieversorgung und Nahverkehr gut, bis sie zum Schluss durch den Bombenkrieg erheblich beeinträchtigt wurden. Irlinger kritisiert auch die schon öfter angefochtene, auf Horst Matzerath zurückgehende Vorstellung, als seien die Kommunen reine Befehlsempfänger ohne eigene Gestaltungsmöglichkeiten gewesen. Die Stadtverwaltung hatte durchaus ihren Spielraum, konnte auch Einmischungen höherer Stellen abwehren, sofern Hitler persönlich seine Vorstellungen durchsetzen wollte. Irlinger konzentriert sich vor allem auf Energie- und Wasserversorgung, Kanalisation, öffentliche Bäder und Nahverkehr, da Themen wie die Sozialfürsorge und das Gesundheitswesen schon in zwei anderen Bänden der Reihe abgehandelt sind. Ausgeklammert sind große Teile des Bauwesens, insbesondere der städtische Wohnungsbau. Vielfach muss Irlinger auf Überlieferungen anderer städtischer Referate zurückgreifen, da speziell die für die Elektrizitätswerke und die Verkehrsbetriebe mager sind.

Insgesamt handelt es sich um eine gründliche, solide und nützliche Studie. Beim Kapitel über die Referenten hätte man sich eine genauere Herausarbeitung der jeweiligen Kompetenzabgrenzung gewünscht. Dünn ist das Kapitel über die Stimmung der Bevölkerung geraten; über das, was in Weiß Ferdls Lied „Im Wagen von der Linie 8“ für die unmittelbare Nachkriegszeit an Stimmung transportiert wird, geht der Erkenntniswert für die Zeit davor kaum hinaus, doch ist Alltagsgeschichte zugegebenermaßen schwer zu fassen. Bei der verwendeten Literatur wäre noch ergänzend auf Anna Maria Sigmunds Biographie des „Ratsherrn“ Emil Maurice zu verweisen.

Interessant sind auch die eingestreuten Ansätze für Neuerungen, die erst nach dem Krieg zum Tragen kamen und z. T. noch heute wegweisend sind, etwa der Verkauf von verbilligten Gasherden und Radiogeräten auf Raten, die Aufstellung von Fahrscheinautomaten, die Pläne für einen Volkskühlschrank und allgemeines Fernsehen, die Planung der U-Bahn und, besonders aktuell, der Plan für die Einführung eines Sondertarifs für Ladestrom von Elektroautos, um deren Verbreitung zu fördern. All dies hätte man vielleicht zusammenfassend noch mehr hervorheben können.