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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Aktuelle Rezensionen


Martin Hille

Revolutionen und Weltkriege. Bayern 1914 bis 1943

Köln/Weimar/Wien 2018, Böhlau, 282 Seiten, 20 Abbildungen
Rezensiert von Paul Hoser
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 04.06.2020

Es ist schon längere Zeit her, dass eine separate zusammenfassende Darstellung der Geschichte der Entwicklung Bayerns zwischen 1914 und 1945 vorgelegt worden ist. Der betreffende Teil in Wolfgang Zorns Buch „Bayerns Geschichte im 20. Jahrhundert“ ist bisher der umfassendste Versuch geblieben. Es reihte aber im Wesentlichen nur Details und Episoden aneinander und bemühte sich nicht um eine analytische Perspektive. Die von Manfred Treml im Auftrag der Bayerischen Landeszentrale herausgegebene Geschichte des modernen Bayern erschien 2006 in einer dritten erweiterten Ausgabe. Der Beitrag zur Weimarer Zeit krankte aber an seiner unzulänglichen Literaturkenntnis, und auch der zu den zwölf Jahren der nationalsozialistischen Ära war nicht gerade von einem ausgewiesenen Kenner verfasst. Zu erwähnen wären auch noch die Kapitel in der zweiten Auflage des Spindler‘schen-Handbuchs von 2002.

Mit Hilles Buch liegt nun eine Arbeit vor, die dem neuesten Stand der Forschung entspricht. Dementsprechend relativiert er das traditionell vorherrschende Bild von der allgemeinen Kriegsbegeisterung im August 1914. Bald rächte es sich, dass man mit einem kurzen Krieg und schnellen Sieg gerechnet und keine Vorbereitungen getroffen hatte. In diversen Industriebereichen sanken die Reallöhne stark, die Lebensmittelversorgung war dürftig. Erste Demonstrationen setzten schon 1916 ein, in dem das ganze Reich erfassenden Streik vom Januar 1918 ging es erstmals nicht nur um Lohn und Preisproteste, sondern um die Forderung nach Frieden. Von der SPD spalteten sich die Unabhängigen Sozialdemokraten ab, die einen sofortigen Frieden wollten, im rechten Lager wurde die Deutsche Vaterlandspartei aktiv, die noch immer einen Siegfrieden als möglich propagierte. Während SPD und Teile der Liberalen immer stärker eine Parlamentarisierung forderten, war das bayerische Zentrum erst ganz zum Ende des Kriegs dafür zu haben, da es mit einer solchen Reform auch den Untergang der Wittelsbacher Monarchie heraufziehen sah.

Während Kurt Eisner, der für kurze Zeit an der Spitze der revolutionären Strömung stand, eine, von ihm aber nicht konkretisierte, Kombination von Räten und parlamentarischer Demokratie vorschwebte, lehnte der Führer der Mehrheitssozialdemokratie, Erhard Auer, ein Rätesystem strikt ab. Eine Zeitlang aber waren beide aufeinander angewiesen. Auer setzte gegen Eisner baldige parlamentarische Wahlen durch, deren Resultat ein Fiasko für die Unabhängigen bedeutete. Eisners Ermordung rief aber ein politisches Vakuum hervor. Die von dem kurz tagenden Landtag gebildete Regierung des Sozialdemokraten Hoffmann wich nach Bamberg aus. Nach der Ausrufung der kurzlebigen Münchner Räterepublik herrschte erst recht Unsicherheit, wenn auch die Verwaltung weiter arbeitete. In Nordbayern fand die Herrschaft der Räte großenteils keinen Anklang. Zwar wollte Hoffmann ein militärisches Vorgehen gegen den Süden vermeiden, musste sich aber unter dem Druck der Reichsregierung, die ein Eingreifen der Ententemächte fürchtete, dazu entschließen. Hoffmann forderte die bedingungslose Kapitulation und setzte als Instrument württembergische Hilfstruppen und Freikorps ein. Deren mörderisches Vorgehen wurde vor allem vom sozialdemokratischen Reichswehrminister Noske gedeckt. In Hoffmanns Kabinett war schließlich die Bayerische Volkspartei vertreten, während die unabhängigen Sozialdemokraten ausgeschieden waren. Obwohl der Kapp-Putsch vom März 1920 im Reich scheiterte, konnten die gegenrevolutionären Kräfte in Bayern, für die die Namen Escherich (Einwohnerwehren), Kahr (Regierung von Oberbayern) und Pöhner (Polizeidirektion München) standen, bei dieser Gelegenheit Hoffmann durch Drohungen zum Rücktritt bewegen. Die Landtagswahlen bestätigten den allgemeinen Rechtsruck, der auch innerhalb der BVP und mit der Berufung Kahrs zum Ministerpräsidenten sichtbar wurde. Diese Entwicklung der Partei des bayerischen politischen Katholizismus ging nicht zuletzt auf das Wirken des Bauernfunktionärs Georg Heim zurück. Wichtigster Koalitionspartner waren jetzt die Deutschnationalen, die die Republik ebenso wie er verabscheuten. Kahrs Anhängerschaft fand sich auch in den demokratiefeindlichen Wehrverbänden und den Einwohnerwehren, denen er breiten Spielraum ließ. Unter dem Druck der Alliierten musste allerdings im Juni 1921 ihr Dachverband, die Orgesch, aufgelöst werden. Doch bestanden die Wehrverbände weiter. Als das Reich nach der Ermordung des Reichsfinanzministers und Zentrumspolitiker Matthias Erzberger und später des Reichsaußenministers Rathenau gesetzliche Maßnahmen zum Schutz der Republik traf, stellte sich Bayern wegen des Eingriffs in die Länderrechte jeweils quer. Die BVP wollte den Konflikt schließlich nicht bis zum äußersten treiben. Sie opferte Kahr, danach unter dem Druck der Rechten aber auch seinen konzilianteren Nachfolger Graf Lerchenfeld.

Zunehmend gewann jetzt die radikale Agitation der Nationalsozialisten Raum. Ein Teil der Wehrverbände stand hinter ihnen, ein anderer hinter der Regierung. Diese schaffte es trotz der energischen Bemühungen des Innenministers Schweyer nicht, den Radikalen Zügel anzulegen. Der deutschnationale Justizminister Gürtner arbeitete ihnen sogar zu. Als Retter in der Not verfiel die BVP wieder auf Kahr, den sie zum Generalstaatskommissar mit Sondervollmachten ernannte. Kahr provozierte wieder die Reichsregierung, schreckte aber doch davor zurück, sie gewaltsam zu attackieren. Dazu wollte Hitler ihn am 8. November 1923 nötigen. Sein Staatsstreichversuch scheiterte an den etablierten Gewalten.

Zwar versteckte sich die BVP jetzt nicht mehr unter einem Spitzenbeamten als Regierungschef, sondern besetzte das Amt erstmals mit ihrem führenden Politiker, Heinrich Held. Sie hielt aber weiter unter allen Umständen an der Koalition mit den Deutschnationalen fest. Den Vorstößen Helds für eine Reform im Sinne eines starken Ausbaus der Länderstaaten war kein Erfolg beschieden.

Hitler gelang es nach seiner Entlassung, seine Parteiorganisation nach und nach wieder auf- und auszubauen. Oberbayern war kein günstiger Boden mehr, dagegen große Teile Frankens. Er setzte den Schwerpunkt der Aktion auf das Land, wo ihm die 1928 spürbare Agrardepression zugutekam. Die zunehmende Weltwirtschaftskrise beschleunigte seit 1930 seinen Erfolg, seit den Reichstagswahlen vom September 1930 war die NSDAP die zweitgrößte Partei in Bayern. In der Reichspräsidentenwahl von 1932 gelang ihr vor allem die Mobilisierung landwirtschaftlicher Wählerschichten. Den endgültigen Durchbruch zur stärksten Partei in Bayern schaffte sie aber nicht.

Selbst als Hitler im Reich bereits an der Macht war, autorisierte er noch am 7. März 1933 den Fraktionsvorsitzenden im Landtag, Buttmann, zu Koalitionsgesprächen. Die radikalen Nationalsozialisten um den Gauleiter von München-Oberbayern, Adolf Wagner und den Obersten SA-Führer Ernst Röhm wollten aber die ganze Macht. Anders als in Preußen beließen die Nationalsozialisten die Spitzenbeamten der Ministerialverwaltungen im Amt. Die Zahl der unter dem Innenminister Wagner in Haft Genommenen war die höchste in allen deutschen Ländern. Röhms Verhältnis zur bayerischen Regierung und den Gauleitern war zunehmend gespannt. In der Mordaktion gegen ihn und eine Reihe seiner Führer vom Juni 1934 kam der von Himmler und Heydrich beherrschten und von Wagner unterstützen Bayerischen Politischen Polizei eine Sonderrolle zu. Die SA verlor ihre politische Bedeutung, die Sonderkommissare verschwanden.

Mit dem Gesetz zum Neuaufbau des Reichs vom 30. Januar 1934 wurden die Länder des Kerns ihrer Rechte beraubt. Den totalen dezentralisierten Einheitsstaat, wie er Frick vorschwebte, wollte Hitler aber nicht, hätte er doch viele seiner ihm blindlings ergebenen Granden den Boden unter den Füssen weggezogen. Von diesen wurde in Bayern vollends Wagner der starke Mann, nachdem die Minister Frank und Esser ausgeschieden waren und der Reichsstatthalter von Epp nur noch Dekoration war. Auch die Macht der übrigen Gauleiter wuchs.

Zwar sank die Arbeitslosigkeit und ab 1937 herrschte außer in den strukturschwachen Gebieten Ostbayerns Vollbeschäftigung. Doch entwickelte sich keine Stärkung der Massenkaufkraft. Nicht zuletzt dank Steuervergünstigungen verbesserte sich die Lage der Landwirtschaft. Schon seit 1935 hatten die Kriegsvorbereitungen Priorität. Noch vor dem Kriegsausbruch setzte die Lebensmittelrationierung ein, doch war die Versorgungslage nie so schlecht wie im Ersten Weltkrieg.

Die Ächtung und Verfolgung der Juden nahm stetig zu. Seit den Ausschreitungen von November 1938 wurde sie zentral in Berlin gesteuert. Ab Mitte November 1941 setzte die systematische Deportation in die Ghettos und von da in die Vernichtungslager ein.

Die Verfolgung oppositioneller katholischer Priester war in Bayern intensiv. Hitler sorgte sich aber über die Wirkung eines zu radikalen Vorgehens und nahm diverse Maßnahmen seiner Funktionäre wieder zurück. Die zwangsweise Eingliederung der Evangelischen Landeskirche Bayerns scheiterte zur Überraschung Hitlers an dem starken Widerstand, den ihre Repräsentanten leisteten.

Der Widerstand der Exil-SPD, der KPD und monarchistischer Kreise wurde von der Gestapo weitgehend aufgedeckt und brutal zerschlagen.

Die Geschehnisse an der Front bekam die Heimat, anders als im Ersten Weltkrieg, dank des Radios schnell und direkt mit, trotz aller damit verbundener Propaganda.

Im Mai 1944 waren 400 000 Zwangsarbeiter in Bayern tätig, die Hälfte davon im gewerblichen Sektor. Die Zahl der Evakuierten und Ausgebombten wuchs, auch die ersten Flüchtlinge kamen schon in diesem Jahr nach Bayern.

Der Stellvertreter und spätere Nachfolger Wagners, Paul Giesler, intensivierte die Propaganda und organisierte als Gauleiter den Volkssturm. Zunehmender Terror herrschte in den letzten Kriegsmonaten. Konzentrationslagerhäftlinge wurden von der SS auf Todesmärsche getrieben, die Wehrmacht mordete viele, die den sinnlosen Kampf nicht mehr weiterführen wollten, mit Hilfe fliegender Standgerichte.

Der Autor hat eine breite und gründliche Kenntnis der Forschungsliteratur, auch wenn man das ein oder andere Werk vermisst, so Thomas Forstners Buch über die Sozialisierung der Geistlichkeit im Bistum München-Freising im 20. Jahrhundert und Björn Mensings Buch über die evangelisch-lutherische Geistlichkeit in Bayern. Mensing hat deren breite Sympathie für den Nationalsozialismus demonstriert, bei Hille kommt dies nicht zur Sprache. Auch Sabine Wanningers Buttmann-Biographie und die Studie von German Penzholz über die Landräte in Bayern im Nationalsozialismus wurden offenbar noch nicht ausgewertet. Hille ist der Ansicht, die Landräte seien nur noch Hilfsorgane der Kreisleitungen gewesen, Penzholz stellt das genaue Gegenteil fest.

Hille weist auf die Rolle der Matrosen beim Ausbruch der Revolution auf der Theresienwiese hin. Mindestens so bedeutsam waren aber auch die stark vertretenen Arbeiter der Pulver- und Munitionsfabrik Dachau. Zweifeln wird man auch an der Sichtweise Hilles, als habe die KPD von Anfang an die Räte systematisch infiltriert und alles gesteuert. Die Forschung bestätigt dies in keiner Weise.

Ein „Museum der Bewegung“ im Braunen Haus, von dem Hille spricht, ist dem Rezensenten aus der Forschungsliteratur nicht bekannt, möglicherweise sollte es aus den Beständen der Sammlung Rehse errichtet werden.

Was man grundsätzlich vermisst, ist eine knappe Darstellung der zentralen Punkte in der Entwicklung der Kommunen.

Hille hat nicht den Ehrgeiz, neue Forschungsperspektiven entwickeln zu wollen. Sein Buch will den Wissensstand für Gymnasiallehrer und Studenten zusammenfassen. Das gelingt ihm hervorragend, und auch Spezialisten können das Buch mit Gewinn lesen. Um den Fluss der Darstellung nicht zu stören, sind Einzelinformationen zu Personen, Institutionen und Ereignissen in 24 Themenkästen eingeschaltet. Hille weist auch auf wunde Punkte hin, etwa die Mitverantwortung der BVP am frühen Aufstieg des Nationalsozialismus. So wirkt sein Buch der Legendenbildung entgegen und erfüllt damit eine der wichtigsten Pflichten des wissenschaftlichen Historikers.