Aktuelle Rezensionen
Irene Dingel u.a. (Hg.)
Theatrum belli – Theatrum pacis. Konflikte und Konfliktregelungen im frühneuzeitlichen Europa
(Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Beiheft 124), Göttingen 2018, Vandenhoeck & Ruprecht, 320 SeitenRezensiert von Gerhard Immler
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 16.06.2020
Die Gedenkjahre 1618 (Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges), 1718 (Friede von Passarowitz) und 1918 (Ende des Ersten Weltkrieges) waren Anlass, die Heinz Duchhardt zum 75. Geburtstag gewidmete Festschrift entsprechend dem Forschungsschwerpunkt des Jubilars den Konflikten und Konfliktbeilegungen der Frühen Neuzeit mit Ausblicken ins 19. und 20. Jahrhundert zu widmen. Eingeleitet wird der Band mit dem Abdruck der Festrede, die Winfried Schulze 2011 zum Abschied Duchhardts aus dem Amt des Direktors des Instituts für Europäische Geschichte in Mainz gehalten hat, die in der Tat wie eine passende Einführung in die Thematik der Festschrift wirkt.
Gegliedert ist diese in drei Abteilungen, zwei frühneuzeitliche, die einerseits innere, andererseits internationale Konflikte und deren Beilegung oder Einhegung behandeln, und eine dritte, die als Ausklang dem 20. Jahrhundert gewidmet ist.
Im ersten inhaltlichen Beitrag schlägt Horst Carl vor, die Eidgenossenschaft und die Republik der Vereinigten Niederlande nicht, wie es gewöhnlich geschieht, zusammen mit Venedig als Republiken einer Sondergruppe frühneuzeitlicher Staatlichkeit zuzuordnen, sondern als föderative Staatswesen, die sich wesentlich über die Funktion der Stiftung inneren Friedens trotz divergierender Interessen ihrer Bestandteile definierten, mit dem Heiligen Römischen Reich zu vergleichen. Während es dabei um Verfassungsstrukturen geht, befasst sich Johannes Ludwig Schipmann mit Handlungsstrategien, mit Hilfe derer es den führenden Städten der Hanse in den Jahren 1540 bis 1557 gelang, das kontroverse Thema der Verlegung des niederländischen Kontors von Brügge nach Antwerpen durch einen vielfach retardierten Beratungsprozess schließlich einer einvernehmlichen Lösung zuzuführen und zwar trotz des Störfaktors der konfessionellen Spaltung zwischen den hansischen Vororten. Eike Wolgast stellt die „Konfessionelle[n] Friedstände auf den Reichstagen Karls V.“ in einer Überblicksdarstellung zusammen und reiht damit den Augsburger Religionsfrieden von 1555 in die Perspektive einer Schlussfolgerung aus jahrzehntelangen Erfahrungen der Reichsstände ein, die sich entschlossen, aus Provisorien eine dauerhafte politische Lösung des Problems der religiösen Spaltung zu machen, nachdem die Hoffnung auf ein Konzil als Letztinstanz zerronnen war, da die Protestanten nach dem Papst auch dieses nicht mehr als verbindlichen Entscheidungsträger anerkennen wollten. Diesem ereignisgeschichtlichen Beitrag folgt ein komparatistischer zum Thema Religionsfrieden: Irene Dingel bezieht dabei als deutsches Beispiel neben dem Augsburger Religionsfrieden auch den Frankfurter Anstand von 1539 mit ein. Beide zeichnen sich dadurch aus, dass sie die Religionsparteien ausdrücklich benennen, nämlich die Anhänger der „alten Religion“ und die Augsburger Konfessionsverwandten (Die Frage, ob damit nur die Confessio Augustana von 1530 oder auch ihre Variante von 1540 gemeint sei, wurde erst später zum Streitpunkt). Genau daran fehlt es im französischen Toleranzedikt von Saint-Germaine-en-Laye von 1562, das für die unter gewissen Restriktionen zu duldenden Anhänger der „nouvelle réligion“ lediglich die Anerkennung des Alten und Neuen Testaments sowie des Nizänums von 325 vorschreibt. Noch weiter ging die Warschauer Konföderation von 1573, die eigentlich eher eine Art Landfrieden der polnischen Stände untereinander und zugleich ein Vorspiel auf die Wahlkapitulation des Thronkandidaten Heinrich von Valois war. Sie vermied jegliche inhaltliche Definition der „dissidentes de religione“ und verzichtete bezeichnenderweise im Gegensatz zu den deutschen und französischen Beispielen darauf, die Hoffnung auf kirchliche Wiedervereinigung in ihrem Text zum Ausdruck zu bringen. Diese signifikanten Unterschiede sind Resultate des jeweiligen politischen und gesellschaftlichen Kontextes, der Anlass zum Abschluss eines Religionsfriedens gab. Den Abschnitt interne Konfliktschlichtung schließen zwei Beiträge ab, die die früher herrschende Meinung, vor und im Dreißigjährigen Krieg hätten die Reichsinstitutionen völlig versagt, widerlegen oder zumindest relativieren. Matthias Schnettger tut dies anhand einer Detaildarstellung des letztlich erfolgreichen Einschreitens einer aus Kurmainz und Hessen-Darmstadt bestehenden Reichshofratskommission gegen den Fettmilch-Aufstand in der Reichsstadt Frankfurt 1612-1614. Johannes Burkhardt verweist in seinem Grundsatzbeitrag auf die „Resilienz“ sowohl der Landesherrschaften wie der Reichsgremien. Für den von 1613 bis 1640 in der Tat ausfallenden Reichstag hätten Kurfürstentage und die Reichskreise einen Ersatz geboten. Am Ende seien es Landesherrschaften und Reichskreise gewesen, die einen widerspenstigen Kaiser gezwungen hätten, sich von dynastischen Bindungen zu lösen und sich auf seine Rolle als Reichsoberhaupt zu konzentrieren. Somit habe das Reich dank seiner föderalen Struktur überlebt.
Den zweiten Teil des Bandes leitet ein kurzer Aufsatz von Katrin Keller ein, der sich mit den Bemerkungen zu den Westfälischen Friedensverhandlungen in den kürzlich edierten Diarien und Tagzetteln des Prager Kardinals Harrach beschäftigt. Michael North stellt anhand der Beschreibung der anlässlich der Friedensverträge von Oliva und Kopenhagen (1660) geprägten Medaillen fest, dass diese bewusst eingesetzte Propagandainstrumente waren, im Falle Dänemarks sogar zur Bemäntelung seiner Niederlage im Machtkampf mit Schweden. Leopold Auer weist im Rahmen seiner Untersuchung der kaiserlichen Instruktion und Propositionen zum Friedenskongress von Nimwegen die prägende Wirkung des Westfälischen Friedens für die folgenden europäischen Kongresse nach. Dem Beitrag des bulgarischen Historikers Ivan Parvev über die vom kaiserlichen Geheimen Rat Graf Jörger in einem Gutachten von 1689 imaginierte „Pax Austriaca auf dem Balkan“ merkt man ein gewisses Bedauern an, das dieser seinem Kaiser zwar die Fortsetzung des damals sehr erfolgreich verlaufenden Türkenkriegs, nicht aber auch einen Friedensschluss „koste es, was es wolle“ mit Ludwig XIV. empfohlen hat, um die anschließenden Rückschläge zu vermeiden. Jenseits dieses Spiels mit dem „Was wäre gewesen, wenn …“ beschäftigt sich Parvev aber auch mit der Frage, warum der Kaiserhof dieses geheime Gutachten gerade 1723 öffentlich machte. Bettina Braun weist, Ansätze der jüngeren Forschung erweiternd, nach, dass Kaiserin Maria Theresia nicht, wie ältere Biographen annahmen, im Laufe ihres Lebens zur Kriegsgegnerin geworden sei, sondern dass sie von Anfang an sich stets zwei Fragen gestellt habe, nämlich ob ein Krieg den traditionellen Anforderungen des bellum iustum genüge (was für sie im Österreichischen Erbfolgekrieg der Fall war, nicht aber im Bayerischen) und im ersteren Falle, ob die Erfolgsaussichten die Kosten rechtfertigten. Lucien Bély beschäftigt sich in einem französischsprachigen Beitrag zunächst mit dem Beginn der Ablösung des Begriffs der französischen Nation von seiner Identifikation mit dem König im Spanischen Erbfolgekrieg, dann überhaupt mit dem Beitrag von Kriegen zur Nationsbildung. Er plädiert dafür, für die Herausbildung des europäischen Staatensystems den Frieden von Utrecht gleichberechtigt neben den Westfälischen zu stellen, da erst 1713 das Prinzip der Gleichberechtigung der Souveräne durch das des Gleichgewichts ergänzt worden sei. Martin Wrede kann anhand zahlreicher Beispiele die traditionelle Auffassung von der „Zähmung der Bellona“, d.h. der Mäßigung der Kriegspraxis im „ritterlichen“ Mittelalter und erneut im Zeitalter des Absolutismus überzeugend relativieren, was das Vorgehen bei Schlachten und Belagerungen betrifft. Die wichtige Frage der Kriegseinwirkungen auf die Zivilbevölkerung bleibt dabei im Gesamturteil aber doch etwas unterbelichtet, denn es ist ja durchaus bemerkenswert, dass im Siebenjährigen Krieg mit einer halben Million ungefähr so viele Soldaten gefallen sind wie im Dreißigjährigen, aber die Zahl der Ziviltoten im letzteren um ein vielfaches höher war als die ebenfalls halbe Million in den Jahren 1756-1763. Im letzten Abschnitt befasst sich Martin Espenhorst mit dem heute weitgehend vergessenen Kieler Aufklärer und Kulturhistoriker Dietrich Hermann Hegewisch, einem Gegner des „Nationalhasses“ und Vordenker des weltweiten Freihandels und einer europäischen Währungsunion. Abgeschlossen wird dieser Teil des Bandes von einer Überblicksdarstellung von Jan Kusber und Julia Röttjer über die Entwicklung der polnisch-russischen Grenze während der Neuzeit, die sich zuletzt zu einer Gesamtdarstellung der Ursachen der zwischen beiden Völkern bis heute herrschenden „Entfremdung“ – vielleicht würde angesichts der weitgehenden Permanenz eines gespannten Verhältnisses es besser passen, von einem „Kalten Frieden“ zu sprechen – weitet.
Damit ist der Anschluss gefunden an die beiden Aufsätze zum 20. Jahrhundert. Der Beitrag von Wolfgang Schmale zu Friedensinitiativen französischer Freimaurer erscheint dabei wenig aufschlussreich, weil „der Vorhang … nur ganz wenig gelüftet werden kann“, was übrigens den geläufigen Vorwurf verschwörerischer Aktivitäten der Freimaurerei entgegen der Absicht des Autors eher bekräftigt. Sehr viel detailreicher und damit auch informativer ist der Aufsatz von Hans-Ulrich Thamer über die Abläufe und das Zeremoniell bei der Pariser Friedenskonferenz von 1919 und der Unterzeichnung des Versailler Vertrags, der in geradezu beklemmender Weise deutlich macht, weshalb nicht nur die friedensstiftende Funktion der Konferenz verfehlt wurde, sondern auch ein Vertragsschluss über umfassende förmliche und feierliche Friedensregelungen nach kriegerischen Großkonflikten anders als 1648 und 1815 seitdem unterblieben ist.
Den Ausklang des Bandes bilden „Anstelle eines Nachworts“ humorvolle Bemerkungen zum Duchhardt'schen Vorwort, die ebenfalls dem Festakt von 2011 entstammen.