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Susanne Schicho

Hundemenschen. Multispecies Family Lives und ihre biografischen Folgen

(Grazer Beiträge zur Europäischen Ethnologie 24), Marburg 2019, Jonas, 104 Seiten mit 1 Abbildung, ISBN 978-3-89445-560-6
Rezensiert von Irina Arnold
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 30.06.2020

Bei der vorliegenden Publikation handelt es sich um eine Masterarbeit, die sehr gelungen die zwei Ausbildungsdisziplinen der Autorin Susanne Schicho – Kulturanthropologie und Angewandte Kynologie – verbindet und somit dem Wunsch der Verfasserin entspricht, „als Beispiel für angewandte Interdisziplinarität“ (89) zu dienen. Die Arbeit ist sowohl in der Biografie- als auch in der Multispecies-Forschung verortet und zeigt anhand von Hund-Mensch-Biografien den Mehrwert für beide Forschungsrichtungen auf. Sie legt dar, was Multispecies-Forschung sein und leisten kann und wie sie gestaltet werden kann. Damit stellt die Monografie einen wichtigen Beitrag zum sich ausbildenden und institutionalisierenden Bereich der Multispecies Studies dar.

Nach einer kurzen Einführung in den Forschungsstand beider Disziplinen (9‑15) und einem ausführlichen Kapitel zum Forschungsfeld, den darin zugewiesenen und eingenommenen Rollen sowie zur Methodik (17–30), werden im Hauptteil folgende Forschungsfragen bearbeitet: Welche Rollen nehmen Hunde in Mensch-Hund-Beziehungen ein; wie gestalten und beeinflussen die hundlichen Akteur*innen das (Alltags-)Leben und die Biografien der menschlichen Akteur*innen; was sind die Gründe für „multispecies family lives“ und welche Auswirkungen hat dieses Zusammenleben. Begrifflich angelehnt an Donna Haraways Überlegungen zu „Hundemenschen“ und „multispecies family lives“ in „The Companion Species Manifesto“ (2003), zeichnet Susanne Schicho anhand von Forschungs- und Alltagsgesprächen ein dichtes Bild vom „Zusammenleben von Tierschutzhunden und Menschen“ (19, Hervorhebung im Original) und führt eingebettet in Bezüge zur bestehenden Forschungsliteratur aus, wie sich „individuelle Hunde- und Menschenleben einander konkret“ beeinflussen (32). Dabei liegt der Fokus auf den Menschenbiografien, was der Autorin zufolge jedoch kein „Ausblenden der Hundeleben oder Ähnliches“ (89) bedeutet, „[d]enn gerade durch die Analyse dieser menschlichen Biografien und des Lebensstils wurde die Handlungsmacht der Hunde deutlich“ (89). Diese agency der Hunde zeigt sich zum einen in Veränderungen im Leben von Schichos Gesprächspartner*innen, die explizit für die Hunde vorgenommen wurden, wie beispielsweise Umzüge oder Arbeitsplatzwechsel. Zum anderen erscheint sie in langsamen „Wandlungen, die nicht plötzlich, sondern im Laufe des gemeinsamen Zusammenlebens von Menschen und Hunden vollzogen werden“ (43). Hunde nehmen dabei unterschiedliche Rollen im Leben der Hundemenschen ein; für die hier beschriebenen Fälle stellt Hundehaltung einen Lebensstil dar. Schicho benennt acht Gründe für Hundemenschen, sich für diesen Lebensstil, „für ein enges Zusammenleben mit Hunden [zu] entscheiden“ (72): Glück, Zuflucht, Sozialkontakt, Konstante im Leben, Macht, Sich-Kümmern und Gebraucht-Werden, Ehrlichkeit des Hundes sowie Naturverbundenheit (72–79). Da die Arbeit „Leben mit verhaltensauffälligen Hunden und Mehrhundehaltung“ (80) fokussiert, werden auch die negativen Konsequenzen für Hunde und Menschen wie beispielsweise Zeitmangel, psychische und physische Erschöpfung, Stress und andere Belastungen thematisiert.

Der Arbeit ist das tiefe Verwobensein der Forscherin in die Forschungskontexte anzumerken und bisweilen steht das einer wissenschaftlichen Distanzierung im Weg. Gleichzeitig wird dadurch ein Einblick in eine Welt ermöglicht, die für „Nicht-Hundemenschen“ (67) kaum nachvollziehbar ist und auch manchmal bleibt, ein Umstand, der sich in den Erfahrungen und Erzählungen von Schichos Gesprächspartner*innen spiegelt. Die hundliche agency im Hier und Jetzt kommt mit dem Fokus auf Biografien, also vor allem Erzählungen von Lebensgeschichten, zu kurz, bietet aber vielversprechende Ansätze, die es lohnen, sie weiterzudenken und zu beforschen.

Empfehlenswert ist diese Arbeit vor allen Dingen aber auch als Lektüre für Studierende, da sie sowohl die Methodenpluralität des Vielnamenfaches und die Stärke eines qualitativen, mikroperspektivischen Zugangs als auch eine Einführung in die noch auszugestaltende Multispecies-Forschung aus kulturanthropologischer Perspektive veranschaulicht. Außerdem lässt sich anhand der Arbeit gut über Themen wie das Nähe-Distanz-Verhältnis in unseren Forschungsfeldern und die eigene Positionierung beziehungsweise die Rollen der Forschenden nachdenken und diskutieren.