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Kaspar Maase

Populärkulturforschung. Eine Einführung

(Edition Kulturwissenschaft 190), Bielefeld 2019, transcript, 288 Seiten, ISBN 978-3-8376-4598-9
Rezensiert von Gesa Ingendahl
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 03.07.2020

„Moderne westliche PK [Populärkultur] enthält […] viele Möglichkeiten zur Bereicherung wie zur Reflexion unserer Lebensführung. Deshalb hat es mehr Sinn, über ihre Verbesserung nachzudenken als über ihre Anziehungskraft zu klagen.“ (250) Mit diesem Appell schließt die Einführung in die Populärkulturforschung von Kaspar Maase, die immer wieder deutlich zu machen versteht: Empirisch-kulturwissenschaftliche Forschungen zum Vergnügen, zu Genuss und Unterhaltung rufen nicht per se zu anbiedernder Mainstreamverharmlosung auf, sondern im Gegenteil, gerade die genaue Untersuchung der individuellen genussvollen Welt- und Selbsterfahrung kann zu einer gesellschaftspolitischen Überwindung des ausgrenzenden „Wir“ beitragen. Angelehnt an Richard Rorty, Sherry B. Ortner und Arjun Appadurai versteht Maase seine Beschäftigung mit ästhetischen Praxen als eine Möglichkeit, Solidarität und Hoffnung auf Veränderung gerade auch dort freizulegen, wo vordergründig hauptsächlich Beharrung und (ausgrenzende) Trägheit am Werk sind. Kaspar Maase, ein ausgewiesener Vertreter empirischer Populärkulturforschung, definiert die Praktiken des Vergnügens dabei explizit in einem Spektrum starker Gegensätzlichkeit: Praktiken, die individuelle Orientierung über aggressive Ausgrenzung in sich tragen auf der einen Seite, und Praktiken, die über die Bestätigung von Sinnlichkeit und Phantasie „Linien der Überwindung [des Status Quo] imaginieren“ lassen, auf der anderen (15). Denn jenseits aller berechtigten Kultur- und Kapitalismuskritik bleibt es unbestritten, dass Populärkultur und Massenkünste in der ganzen Welt einen wesentlichen Teil des Alltags ausmachen. Und deshalb, fordert Maase, sollten sie „endlich Gegenstand ernsthafter, vorurteilsfreier, professioneller Kritik sein – wie die herkömmlichen Künste auch“ (16). Dem Autor geht es um spezifische populärkulturelle Ausdrucksformen und -praktiken, die „primärintentional“ dem ästhetischen Erleben dienen und die Maase gleichsam als eine Kunstgattung versteht. Die „PK-Forschung“ – wie Maase die Populärkultur und ihre Erforschung abkürzt – widmet sich also „im Kernbereich“ den Massenkünsten zwischen populärer Musik, Literatur, Film, Theater und Nippes, Fotos und Comics.

Diesen Kernbereich so zu definieren, ist eine Einschränkung, die in einer Disziplin wie der empirischen Alltagskulturforschung vielleicht verwundert – einer Disziplin, deren Forschungsfeld spätestens in der „Erlebnisgesellschaft“ [1] grundlegend ästhetisch grundiert erscheint. Doch Maase ist auch hier, freilich gut begründet, eindeutig – eine Haltung, die das Buch in meinen Augen im Wesentlichen so empfehlenswert macht: Denn er will „letztlich“ ein Vorurteil abbauen, „das seit Generationen in vielen kritischen Köpfen wirkt: dass kapitalistische PK grundsätzlich [im Original kursiv] – und nicht nur in konkret belegbaren Fällen – ein Instrument zur Stabilisierung einer ‚falschen‘ Gesellschaft (Theodor W. Adorno, später in Kapitel 3.1) sei“ (16).

Hier schimmert eines seiner langjährigen Forschungsinteressen durch, die empirisch dicht gesättigte Analyse all dessen, was bürgerlich so gern als „Schund“ bezeichnet wurde und wird. Daraus zieht Kaspar Maase weitreichenden Mehrwert. Denn aus einer „Gleichbehandlung des Unterschiedlichen“ lassen sich ungewohnte Fragen stellen, die Massenkünste herausfordern können, sich weiterzuentwickeln: „Alle Kunst wird besser durch Kritik“ zitiert Maase hier den Kulturphilosophen Richard Shusterman (17). Ebenso kann eine unvoreingenommene kritische Herangehensweise dazu beitragen, die in Populärkultur angelegten intensiven Erlebnisse als wesentlich für die Lebensweise gerade auch westlicher Durchschnittsbevölkerung ernst zu nehmen.

Es geht also um populäre Künste als sogenannte Massenkünste, die zu untersuchen Maase mit dieser „Einführung“ unterstützen will. Dass er dabei tatsächlich so systematisierend vorgeht wie eingangs angekündigt, ist sein großes Verdienst und nicht zuletzt – neben dem durchgängigen Lesevergnügen – auch für die Lehre ein großer (Erkenntnis-)Gewinn.

Nachdem die Einleitung bereits durch ihre Zwischenüberschriften (1.1 „Wieso Populärkulturforschung – und was für eine?“; 1.2 „‚Einführung‘ – worin und für wen?“) deutlich gemacht hat, dass sich hier einer nicht nur traut, mutig ‚einfache‘ Fragen zu stellen, sondern diese auch noch konzis und grundsätzlich zu beantworten in der Lage ist, widmet sich das zweite Kapitel unter der Überschrift „Populärkultur und Populäres – Kategorien und Konzepte“ dem Begriffsfeld des Populären. Es ist aufgebaut über eine begründete Auswahl an Definitionsangeboten im Horizont von „Populärem“ und „Popularem“, es stellt das Populäre als Gattung und als quantifizierende Masse vor, im Plural der „Kulturen“ wie im Singular des Gemeinsamen; es siedelt den Begriff zwischen wertender Eliten- und Unterschichtenmarkierung an und differenziert ihn noch einmal aus zwischen konsumiertem „Pop“ und rebellischem, anspruchsvollen „POP“. Im Fazit dieses Kapitels münden seine Überlegungen darin, die Vielfalt des Populären über die Wittgensteinschen „Familienähnlichkeiten“ (37) zu strukturieren. Hierin wird, wie im gesamten Buch, das erkenntnisleitende Prinzip wirksam, Mehrperspektivisches nicht als hinderlich für die Wissenschaft zu beklagen, sondern produktiv für Untersuchungen zu nutzen.

Das dritte Kapitel „Nützliche Theorien und Perspektiven“ stellt aus eben diesem produktiven Vielfachen unterschiedliche theoretische Ansätze als (kombinierbare) Werkzeuge zur fruchtbaren Aneignung vor. Ausgehend von Denkern zu Massenkünsten und Kulturindustrie (3.1) über das philosophische Interesse an Hoffnung und Begehren (3.2) führt das Kapitel in die Konzepte der „Cultural Studies“ ein (3.3), als hauptsächlicher Richtung zur Erforschung von Populärkultur im Zusammenhang mit Macht und Hegemonie. Diese erweitert Maase durch Überlegungen zur Akteur-Netzwerk-Theorie (3.4), um auch „die aktive Rolle von PK-Elementen wie Technik, Texten, Örtlichkeiten, Begleitmedien, etablierten Redeweisen und Ähnlichem“ (62, im Original kursiv hervorgehoben) mit in die Forschungen einzubeziehen. Alle theoretischen Ansätze werden so konstruktiv wie kritisch vorgestellt und auf ihre Spezifika für eine Erforschung von „PK“ zugespitzt.

Das vierte Kapitel „Populäre Künste“ stellt dann zentrale Überlegungen und Gebrauchsweisen zum Kernbereich des Buchs, den „Massenkünsten“, an. Mit den Fragen „Ist Massenkultur Kunst?“ (4.1) und „‚Kunstparadigma‘ oder ‚Kulturparadigma‘?“ (4.2), weiter ausgebaut über (theoretische) Ansätze zum Verständnis von „Ästhetik“, „Schönheit“ und „Vergnügen“ (4.3 u. 4.4), werden hilfreiche Geländer zur Einordnung des je spezifischen Gegenstandsbereichs gebaut. Sie qualifizieren populäre Künste als Kunst im Sinne der primärintentionalen Absicht, ästhetisches Erleben zu ermöglichen, um sie dann jedoch klar über das „Kulturparadigma“ zur Aufgabe einer Alltagskulturforschung zu machen. Es geht um die ‚agency‘ von Ästhetik und ihrem „wie“ von Wirkungsweisen und Praktiken mit dem Ziel, „wann, unter welchen Bedingungen welches möglicherweise ästhetische Erleben von wem wie gemacht wird“ (98). Das Unterkapitel 4.5 „Gattungen und Genres der Massenkunst“ extrahiert dann aus dem Vorherigen heuristische Zuordnungen, indem es aus Nutzungspräferenzen einen Katalog an „primär für ästhetisches Vergnügen“ (107) ausgerichteten Populärkünsten erstellt. Es wird eng begleitet von Unterkapitel 4.6, „Massenkünste im Kunst-System“, in dem diese Gattungen – ob Popmusik, Dialektbühne oder massenmediale Reproduktionen von Fotografien, Nippes, Film oder popularisierter Klassik – abschließend über das System der „artistic cultures“ [2] wieder ausdifferenziert werden. Sind doch Zuordnungen im Kunstbereich äußerst dynamisch und können, je nach Nutzung und Standort, zwischen Hoch- und Subkultur wechseln oder Avantgarde relational mit Kommerz zusammenrücken lassen.

Das ebenfalls zentrale fünfte Kapitel „Ästhetische Praktiken in Populärkultur und Alltag“ beschäftigt sich in insgesamt sechs Unterkapiteln mit verschiedenen unterhaltenden textlichen, bildlichen, auditiven und visuellen Massenkünsten und deren analogen wie virtuellen erlebnisorientierten Erfahrungsdimensionen. Anhand von Fallstudien zeigt Maase, inwiefern Elemente der bruchstückhaften Rezeption auf der Suche nach „gelingendem Leben“ dabei ebenso eine Rolle spielen wie fragmentierte Möglichkeiten aktiver „Aneignung“ über sinnlich-emotionale Genüsse, gesucht und gefunden sowohl in künstlerisch „anspruchsvollen“ wie in „eingängigen“ Künsten (173). Derart vorbereitet kann sich der Autor in Unterkapitel 5.5 den „Wertungsfragen: ‚Laienästhetik‘ versus ‚Profiästhetik‘“ widmen, um diese vom soziodemographischen, über Bildung hergeleiteten Ordnungsmuster zu trennen. Anhand der empirischen Befunde macht Maase stattdessen deutlich, dass alle sozialen Schichten hauptsächlich über solche Strategien mit Kunst interagieren, die auf anstrengungsloses Erleben ausgerichtet sind. Zugleich mahnt der Autor, mit einem solchen Befund nicht das Bewusstsein für die sozial und ökonomisch ungleich verteilten Möglichkeiten an komplexeren ästhetischen Erfahrungen zu verwischen. Um nicht Gefahr zu laufen, über eine „liberale Gleichschätzung“ soziale Ungleichheit zum Status quo zu erklären, mündet dieses Kapitel in die Aufforderung, Massenkunst analytisch „als wichtige und spezifische Quelle ästhetischen Erlebens und sozialer Aushandlungen“ (198) zu nutzen.

So schließt sich folgerichtig Kapitel sechs mit der Frage an: „Wie politisch ist Populärkultur, und auf welche Weise ist sie politisch?“ Im Diskurshorizont um vermutete und befürchtete Beeinflussungen rund um Zugehörigkeiten und Ausgrenzungen, um affirmative und rebellische Botschaften und popkulturelle Prägewirkungen, widmet sich Maase in sechs Unterkapiteln systematisch dem „wie“ solcher Erzählungen politischer Relevanz von Populärkultur. Instrumentalisierungen und Mobilisierungen im Selbst- und Fremdmodus werden ebenso vorgestellt und diskutiert wie die Warenförmigkeit der Populärkultur in den „Produktionskulturen“ und Hoffnungen auf „Partizipationskulturen“ in der digitalisierten Alltagswelt. Neben dem ernüchternden metaphorischen Fazit eines Puddings, der sich nicht an die Wand nageln lässt, dient dieses Kapitel in erster Linie dazu, den angenommenen politischen Effekten von unterhaltenden PK-Formaten ‚an sich‘ eine empirisch begründete Absage zu erteilen. Stattdessen empfiehlt der Autor, explizit politisch eingesetztes Populäres als Bestandteil politischer Praktiken zu untersuchen (242).

Das siebte Kapitel „Ausblicke: Westliche Populärkultur im globalen Kontext“ öffnet die Lesarten und Gebrauchsweisen von Populärkultur noch einmal in Richtung Diversität. Im Horizont lokaler Erfahrungen und globaler Erwartungen versprechen Untersuchungen zur „kulturellen Globalisierung populärer Kulturen“ (249) Einblicke in bislang unbekannte, komplex organisierte Transferphänomene. Einblicke, die nicht zuletzt im Vergleich deutlich machen, dass „‚westliche‘ PK-Praktiken“ gar nicht so zwangsläufig den globalen Kontext bestimmen, wie dies aus europäischer Perspektive gern angenommen wird. Insgesamt jedoch attestiert Kaspar Maase der modernen westlichen Populärkultur, gerade durch ihre ästhetischen Potentiale, die bereits eingangs angesprochene Möglichkeit „zur Bereicherung wie zur Reflexion unserer Lebensführung“ (250) und plädiert für ihre intensive Erforschung.

Mit seiner empirisch ausgerichteten kulturwissenschaftlichen Einführung zu populärkulturellen Massenkünsten kann Kaspar Maase ein großes Versprechen halten: Er bereitet das komplexe Feld transparent und reflexiv, systematisch und sprachlich so auf, dass die Lesenden in der angebotenen Vielfalt und Diversität der Perspektiven genügend Orientierung für einen eigenen, kognitiv wie sinnlich instruktiven Erkenntnisgewinn finden – ein ebenso ästhetisches wie intellektuelles Vergnügen.

Anmerkungen

[1] Gerhard Schulze: Die Erlebnisgesellschaft: Kultursoziologie der Gegenwart. Frankfurt am Main/New York 1992.

[2] James Naremore u. Patrick Brantlinger: Introduction: Six Artistic Cultures. In: Dies. (Hg.): Modernity and Mass Culture. Bloomington 1991, S. 1–23.