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Gudrun M. König/Gabriele Mentges (Hg.)

Musealisierte Mode. Positionen, Thesen, Perspektiven

Münster/New York 2019, Waxmann, 260 Seiten mit Abbildungen, meist farbig, ISBN 978-3-8309-4028-9
Rezensiert von Thekla Weissengruber
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 10.07.2020

Unübersehbar ist der Hype um Modeausstellungen, der spätestens seit dem Jahr 2000 einsetzte und mittlerweile zu eigenen Masterstudiengängen für Modekurator*innen geführt hat. Museen ihrerseits befinden sich schon seit einigen Jahren in einer Phase der Umorientierung, im Spagat zwischen ihren wissenschaftlichen Aufgaben der Bewahrung des dinglichen Erbes, kultureller Neubestimmung, Ökonomisierung und den Möglichkeiten der Digitalisierung. Anlass genug, sich über Ausstellungen von Mode im Museum und zu museologischen Praktiken auszutauschen und vertiefend zu beschäftigen.

Die beiden Herausgeberinnen Gudrun M. König und Gabriele Mentges luden als Verantwortliche des Seminars für Kulturanthropologie des Textilen am 30. November und 1. Dezember 2015 zu einer internationalen und interdisziplinären Tagung mit dem Titel „Musealisierte Mode. Positionen, Thesen, Perspektiven“ an die Technische Universität Dortmund. Leider erst vier Jahre später konnte die gleichnamige beachtliche Publikation mit den verschriftlichten Vorträgen, aber auch ergänzt um thematisch passende Aufsätze erscheinen. Der näheren Betrachtung dieses Bandes soll vorausgeschickt werden, dass diese Zusammenschau zu Mode- und Kleidungs-Ausstellungen und den ihnen zugrunde liegenden musealen Sammlungen allen Wissenschaftler*innen und Kurator*innen noch vor einer Ausstellungsplanung im Bereich Mode und Kleidung bzw. vor einer Neuorientierung im Umgang mit vestimentären Objekten in Museen als Lektüre ans Herz gelegt werden soll. Denn hier findet sich nicht nur die Darstellung der Genese bisheriger Zugänge, sondern auch bereits umgesetzte neue Wege des Umgangs mit Mode und Kleidung und unzählige Tipps für zeitgemäße Forschungs- und Vermittlungsschwerpunkte.

Im einleitenden Beitrag von Gudrun M. König und Gabriele Mentges werden die hinführenden Fragestellungen, die Thesen und auch die Struktur der Publikation angeführt. Die Positionen musealisierter Mode werden ausführlich diskutiert, von verschiedenen Blickwinkeln betrachtet und befundet. Das Buch ist in vier Hauptkapitel strukturiert, das Einführungskapitel „Museologie(n) der Mode“, die museumsrelevanten Kapitel „Mode deponieren und exponieren“ und „Museologische Strategien“ und schließlich das Kapitel „Modeforschung als Sammlungsforschung“. Den Herausgeberinnen ist es gelungen, namhafte Fachwissenschaftler*innen aus den verschiedensten Disziplinen nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus Frankreich, den Niederlanden, den USA, der Schweiz, Kanada und Dänemark zusammenzuführen.

Grundlegend stellt sich im Kapitel „Museologie(n) der Mode“ der Beitrag von Marie Riegels Melchior nicht nur zur Geschichte der Mode-Museen, sondern auch zur Geschichte der Mode-Ausstellungen dar. Sie gliedert diese mit ihren gestalterischen und inhaltlichen Zielsetzungen in drei Perioden bis zur derzeit vorherrschenden „fashion museology“ mit ihren hauptsächlich wirtschaftlich motivierten Mode-Ausstellungen bei neuen Visualisierungs- und Präsentationsstrategien. Wichtig ist ihre Unterscheidung von „dress“ (Kleidung) und „fashion museology“ als Paradigma der Postmoderne. Der Spagat zwischen vorwiegend kulturhistorischen Kleidungsausstellungen und ästhetischen Modeausstellungen wird deutlich. Mit dem Bild des „Laufstegs“ arbeitet Kerstin Kraft in ihrem Beitrag die Problematik der Modepräsentationen auf und fragt nach Berechtigungen, nach trennenden Faktoren und den Folgen einseitiger Festlegung. Universität und Museum, Kleidung und Mode sollten als Ganzes begriffen werden. Die beiden Kuratorinnen Christine Delhaye und Alexandra Bosc analysieren in ihrem Beitrag zu „Fashion Blockbusters: A Mixed Blessing“ kritisch die zunehmende Legitimierung und Sichtbarkeit von Mode und Kostüm in Museen aus marktstrategischen Gründen. Sie plädieren für forschungsbasierte, von Museen aus der eigenen Sammlung kuratierte Ausstellungen und damit für mehr Tiefe.

Im Kapitel „Mode deponieren und exponieren“ finden sich vorwiegend Praxisberichte aus verschiedenen Museen, so Jutta Zander-Seidels Beitrag über ihre Erfahrungen anlässlich des Ausstellungsprojektes „In Mode. Kleider und Bilder aus Renaissance und Frühbarock“ (Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, 2016). Unter dem Titel „Alles schon mal dagewesen?“ zeigt sie Möglichkeiten und Grenzen der musealen Vermittlung historischer Kleidung auf und deutet zu Recht auf Quellenprobleme und Probleme von Rückprojektionen hin. „Die schöne Rheinländerin“ führt schon im Titel zu den Modesammlungen des Deutschen Textilmuseums Krefeld und Isa Fleischmann-Heck erläutert nicht nur dessen Geschichte, sondern auch die Perspektivenwechsel bis hin zu interdisziplinären objektbasierten modehistorischen und kulturgeschichtlichen Modeausstellungen. Isabella Belting gibt Einblick in das Ausstellungsprojekt „Gretchen mag’s mondän“ des Münchner Stadtmuseums 2015 zur Mode der 1930er Jahre zwischen Glamour und nationalsozialistischer Politik. Im Beitrag „Tot oder lebendig?“ verweist Adelheid Rasche auf grundlegende museale Standards und ruft bewusst provokant ins Gedächtnis, dass ein Museum in erster Linie ein Gedächtnisort und kein Ausstellungsort ist. Sie sieht seine Hauptaufgaben im Sammeln und Bewahren, d. h. der Sicherung des kulturellen Erbes, was gerne übersehen werde. Erst in weiterer Folge sollten sich Museen der Vermittlung und Ausstellung widmen. Fragen nach Selektion, Dauerhaftigkeit und der grundsätzlichen Differenz zwischen dem Exponat und dem Produkt Mode markieren wichtige Punkte im Diskurs um Modeausstellungen. Darauf aufbauend wendet Ulrike Langbein ihren Blick auf musealisierte Kleidung und stellt die „Macht des Selektiven“ in den Vordergrund. Mit dem analysierenden Blick auf eine Vielzahl von Dauer- und Sonderausstellungen sowie auf museale Sammlungen verdeutlicht sie den Wandel der Institution Museum. Kuratorische Intentionen und museale Traditionen haben zu den vier Ausstellungstrends der Feminisierung, Sexualisierung, Ästhetisierung und Unikatisierung geführt.

Im dritten Kapitel zu „Museologischen Strategien“ erläutert Karl Borromäus Murr anhand der Ausstellungen des Staatlichen Textil- und Industriemuseums Augsburg (tim) die Verbindung von Textil- und Modeforschung. Er versteht das tim als „Laboratorium der Moderne“ mit der Verknüpfung von historischen und zeitgemäßen Kleidungspraktiken, von Produktion und Konsumption, von künstlerischen und kritischen Auseinandersetzungen mit aktuellen Themen. Murr plädiert für eine Sichtbarmachung von Mode als einem ganzheitlichen gesellschaftlichen Phänomen. Neue Wege geht das tim auch in der Sammlungspolitik, gemeinsam mit zwei anderen Häusern. Claudia Gottfried als Leiterin des LVR-Industriemuseums Textilfabrik Cromford erläutert entsprechend auch in ihrem Beitrag die Kooperation der Museen zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Textilindustrie in der gemeinsamen Arbeit an der Kulturgeschichte der Kleidung. Um den Herausforderungen des Sammelns von Massenmode begegnen zu können, wird hier nicht nur bei Ankaufsfinanzierungen und Dokumentationen, sondern auch bei Ausstellungskonzepten, Gestaltungen und Katalogen eng zusammengearbeitet. Die Vorteile ergeben sich durch Ressourcenersparnis und Synergieeffekte. Das dritte Museum dieser Kollaboration stellt Martin Schmidt als Leiter des LWL-Industriemuseums TextilWerk Bocholt vor, wobei er hier besonders auf die Verantwortungsverschiebung des gemeinsamen Sammelns eingeht. Das Projekt „Fashion Victims“ (Bata Shoe Museum, 2014) brachte die Wissenschaftlerin Alison Matthews David von der Ryerson University in Toronto und die Kuratorin Elizabeth Semmelhack zusammen, um gesundheitsschädigende Produktionsmethoden an Kleidungsstücken des 19. Jahrhunderts zu erforschen und auszustellen. Ergebnis dieses Projektes war neben der medialen Aufmerksamkeit und dem „visual pleasure“ ein „pause for thought“.

Im anschließenden Kapitel „Modeforschung als Sammlungsforschung“ erläutert Beate Schmuck anhand des Beispiels von „Paper Dresses“, einer Wegwerfmode der 1960er Jahre, die Paradoxien zu Beständigkeit und Wertgenerierung von Musealisierungs- und Sammlungsstrategien. Heike Jenss skizziert in ihrem Beitrag Beispiele für digitale Modearchive aus den USA. Das Metropolitan Museum of Art (Met) und das Museum Fashion Institute of Technology (FIT) nutzen soziale Medien als Erweiterung und zur Profilierung des Museums im öffentlichen Bewusstsein. Minh-Ha T. Pham nutzt ihren Blog „Of Another Fashion“ um einen Diskurs um ‚race‘, Ethnizität und Geschlecht in Zusammenhang mit Mode, Technologie und Konsumkultur in Gang zu bringen. Der Blog „Worn Stories“ der Künstlerin Emily Spivack fokussiert sich auf Kleidung als Erinnerungsträger. Durch diese partizipative kuratorische Praxis verwischen die Grenzen zwischen Öffentlichkeit und Privatheit. Jean-Pierre Lethuillier kompiliert im Netzwerk GIS (Groupe internationale scientifique ACORSO/ Research International Group RIG) multidisziplinäre und internationale, museale und universitäre Forschungsprojekte und Forscherpersönlichkeiten zur Kleidungs- und Modeforschung. Ziel ist es, den wissenschaftlichen Austausch längerfristig zu fördern. Die Forscher*innen dieses Netzwerks konzentrieren sich auf Geschichte und Anthropologie von Kleidung, Mode und ihren Erscheinungen in westlichen Gesellschaften von der Renaissance bis heute.

Bedauerlicherweise wurden die beiden Tagungsvorträge von Claudia Banz (Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg) mit dem überaus spannenden Thema „Fast Fashion. Über das Ausstellen und Zeigen von Massenmode“ sowie von Karen Ellwanger (Universität Oldenburg) mit einem Bericht zu „Kleider und Geschichten. Universitäre Sammlung im Kontext von Forschung und Lehre“ in der vorliegenden Publikation nicht veröffentlicht. Dafür wurde sie um weitere Beiträge, wie erläutert, erweitert und dadurch bereichert. Den Abschluss des umfangreichen Einblicks in die Zeigestrategien der Mode- und Kleidungsausstellungen sowie in die Sammelstrategien und unterschiedlichen Forschungsansätze bilden Kurzbiografien zu den Autor*innen sowie eine umfangreiche 14 Seiten umfassende Literaturliste, die die bibliografischen Hinweise der einzelnen Beiträge zusammenfasst und ergänzt. Somit stellt sich dieses Werk als grundlegende Publikation und Handreiche zu den genannten Themen dar und hofft, neue Perspektiven für die Museums- und Modetheorie eröffnet zu haben.