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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Aktuelle Rezensionen


Jane Redlin/Judith Schühle/Jana Wittenzellner/Andrea Aßinger (Hg.)

Hochzeitsträume. Wedding dreams. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Museum Europäischer Kulturen – Staatliche Museen zu Berlin vom 28. September 2018 – 28. Juli 2019

Leipzig 2019, E. A. Seemann, 128 Seiten mit zahlreichen Farbabbildungen, ISBN 978-3-86502-411-4
Rezensiert von Ina Hagen-Jeske
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 10.07.2020

Seit 2014 verzeichnet das Bundesamt für Statistik wieder steigende Eheschließungszahlen. Mit dem ebenfalls boomenden Hochzeitsmarkt wächst auch das mediale Interesse. TV-Serien begleiten zukünftige Bräute bei der Kleidersuche oder dokumentieren Paare, die um die schönste und beste Hochzeit bzw. den Hauptgewinn in Form einer Traumreise wetteifern. Influencer*innen posten Bilder oder Stories von ihren Velobungen, Hochzeitsvorbereitungen, Junggesell*innen-Abschieden und Hochzeitsfesten auf Instagram, die wiederum von tausenden Follower*innen kommentiert werden.

„Hochzeitsträume“ – dieser prägnante und doch komplexe Titel ziert den Katalog zur gleichnamigen Ausstellung, die vom 28. September 2018 bis zum 28. Juli 2019 im Museum Europäischer Kulturen (MEK) in Berlin stattfand. Komplex ist der Titel deshalb, weil die persönlichen Vorstellungen ebenso vielfältig sind wie die Biografien der Träumenden. Hochzeitsträume verweisen zudem auf etwas Emotionales und Außeralltägliches, was sich auch die Medienwelt zu Nutze macht. So kommen (mediale) Hochzeitsnarrative kaum ohne Traum-Assoziationen aus – die Rede ist von Traumkleidern, Traumtagen, Traumtorten, Traumhochzeiten usw. Diesen ‚emotional turn‘ hebt die Museumsdirektorin Elisabeth Tietmeyer bereits im Vorwort heraus und erläutert die Herangehensweise des von Jane Redlin geleiteten Teams, das „nach den persönlichen Vorstellungen und den damit verbundenen Gefühlen der Protagonist*innen fragt“ (4).

Das Ausmaß kommerzieller Angebote, medialer Präsenz und persönlicher Bedeutung des Heiratens schlägt sich (noch) nicht in der aktuellen Forschungs- bzw. Fachliteratur nieder, wenngleich das Thema zu „den ‚Klassikern‘ der ethnologischen Wissenschaften und ihrer Museen“ (4) gehört. Dies nahm das MEK zum Anlass seine historische Sammlung durch zeitgenössische Objekte und Interviews mit „Menschen verschiedener Herkunft, Religion und sexueller Orientierung“ (4) zu erweitern und zu aktualisieren. Die Ausstellung sowie der dazugehörige Katalog leisten folglich einen geradezu überfälligen Beitrag zur Dokumentation und Reflexion eines aktuellen Phänomens.

Der Begleitband zeichnet sich durch prägnante, gut verständliche Texte in deutscher und englischer Sprache aus. Die Beiträge haben verschiedene Formate: Essay, Interview, Traumrobe/Traumort (jeweils Anmerkungen zu abgedruckten Exponaten), Infografik und Fotostrecke. Die dreiseitigen Essays beleuchten die Themen Ehe und Hochzeit aus unterschiedlichen Perspektiven. So stellt Jana Wittenzellner die Entwicklungsgeschichte der Verbindung von Sexualität in der Ehe dar, Ute Frevert setzt sich mit konfessionsverschiedenen Ehen in der Nachkriegszeit auseinander, Raluca Buţincu Betea nähert sich am Beispiel eines Paares dem Phänomen, dass Migrant*innen häufig im Herkunftsort Hochzeit feiern, Monika Wienfort zeichnet die Genese der Partnerwahl und Ehevorstellungen vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart nach, Judith Schühle diskutiert die Erinnerungskultur von Hochzeiten, vor allem der Hochzeitsfotografie und Jane Redlin widmet sich der gesellschaftlichen Bedeutung der Ehe seit dem 18. Jahrhundert.

Gerahmt sind diese Essays von zahlreichen Hochzeitsfotografien bzw. Abbildungen von Exponaten, die der Vielfalt an Lebenswelten und Themenfeldern in Geschichte und Gegenwart gerecht zu werden versuchen. So gesellen sich zu den typischen historisch-volkskundlichen Exponaten wie Brautkronen oder Verlobungs- bzw. Eheringen, zu Chuppa (Traubaldachine), Brauttruhe, Aussteuerbuch, zu Brautkleidern und Hochzeitsfotografien nunmehr auch Souvenirteller anlässlich der Hochzeit von Prinz Harry und Meghan Markle, diverse Boulevard-Zeitschriften mit Hochzeitsreportagen, ein Hennakleid, Zeugnisse einer Trauzeremonie von Angehörigen der Gothic-Szene sowie eine Fotoserie ‚Über Liebe‘ der Künstlerin Loredana Nemes.

Herzstück des Kataloges sind meines Erachtens die Interviews, in denen die Protagonist*innen ihren persönlichen Bezug zum Heiraten erläutern. Sie werden dem Ziel, Menschen verschiedener Herkunft, Religion und sexueller Orientierung zur Sprache kommen zu lassen am besten gerecht. So schildert etwa Silia Korn, wie sie sich als blinde Person an ihre Hochzeit erinnert. Zudem erzählen Bodo Mende und Karl Kreile, die 2017 als erstes Paar in Deutschland ihre Lebenspartnerschaft in eine Ehe umwandeln ließen sowie Andreas Froncala und Jonas Richter, die seit 2014 verpartnert sind, von ihren Hochzeitsfesten und emotionalen Lieblingsmomenten.

Sicherlich ist es kaum möglich, sämtliche Lebensumstände abzubilden, jedoch hätte ich gerade von einem Berliner Projekt mehr Einblicke in (post-)migrantische, muslimische Kontexte erwartet. Die Repräsentation von Personen mit türkischen Bezügen durch lediglich ein Exponat – einem Hennakleid – ist sehr zaghaft. Auch das breite digitale Angebot zum Thema Hochzeit sowie Social-Media-Phänomene kommen etwas kurz.

Obwohl der vorliegende Katalog einige Klischees hinterfragt (siehe Interviews), bestätigt er einmal mehr, dass es sich beim Thema Hochzeit nach wie vor um ein heteronormatives und weiblich dominiertes Feld handelt. Der Fokus auf die weiße (blonde, europäische) Braut ist historisch gewachsen und zeigt sich u. a. darin, dass lediglich weibliche Hochzeitskleidung dargestellt wird. Der Genderaspekt wird auch bei den Hauptakteurinnen deutlich, so sind es vorwiegend Dienstleisterinnen, Journalistinnen, Influencerinnen – und eben auch Wissenschaftlerinnen, die sich dieses Themas annehmen (mich miteinbegriffen). Dies bestätigen auch die ausschließlich weiblichen Herausgeberinnen und Autorinnen des Ausstellungskataloges. Hinzu kommt das Layout des Kataloges, das in knalligem Pink ins Auge sticht. Diese Farbgebung ist sehr dominant und zieht sich durch den gesamten Katalog, was ihn einerseits modern und ansprechend wirken lässt, aber gleichzeitig das Klischee erfüllt, Hochzeit sei (hauptsächlich) eine ‚Mädchensache‘.

Alle Texte sind zweisprachig, kurz und sehr eingängig, was die Publikation für ein breites Publikum attraktiv macht. Als Wissenschaftlerin vermisse ich jedoch bei den Essays die Referenzen zur verwendeten Fachliteratur. Zwar ist auf den letzten Seiten ein knappes Literaturverzeichnis zu finden, im Text zitierte Studien sind dort aber leider nicht aufgeführt.