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Anke Bahl
Die professionelle Praxis der Ausbilder. Eine kulturanthropologische Analyse
(Arbeit und Alltag. Beiträge zur ethnografischen Arbeitskulturenforschung 15), Frankfurt am Main 2018, Campus, 327 Seiten mit 2 Abbildungen, ISBN 978-3-593-50965-5Rezensiert von Stefan Groth
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 17.07.2020
Die Dissertation „Die professionelle Praxis der Ausbilder“ von Anke Bahl beschäftigt sich mit einer Personengruppe, der in der dualen beruflichen Ausbildung in der „Kombination der Lernorte Berufsschule und Betrieb“ (14) eine zentrale Rolle zukommt. Sie fragt danach, „welche soziokulturelle Funktion den Berufsausbilderinnen und Berufsausbildern in der betrieblichen Praxis deutscher Unternehmen aktuell zukommt und welche Rolle sie für berufliche Vermittlungsprozesse von Können einnehmen“ (18). Über den Blick auf Ausbilder_innen, die in Deutschland zahlenmäßig überwiegend in kleineren und mittleren Betrieben beschäftigt sind, will die Arbeit aufzeigen, wie deren Tätigkeit konfiguriert ist und welche Sichtweisen sie vertreten. Die Arbeit geht zurück auf eine vom Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) durchgeführte und von Bahl geleitete Studie über die „Situation des ausbildenden Personals in der betrieblichen Bildung“ (2009 bis 2012). Die breit angelegte Studie über insgesamt 14 Fallunternehmen arbeitete mit leitfadengestützten Interviews mit Berufsausbilder_innen und Auszubildenden. Bahl fokussiert in ihrer Arbeit aus diesem größeren Sample auf fünf Betriebe. Zwei davon – eine Fleischerei mit eigener Schlachtung und eine Firma im Bereich der Elektro- und Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik – sind familiengeführte Betriebe. Darüber hinaus werden der Werkzeugbau in einem großen metallverarbeitenden Industriebetrieb sowie Ausbildungsprozesse in der Versicherungswirtschaft und IT-Branche thematisiert. Das Sample, das Bahl somit präsentiert, weist sowohl hinsichtlich Betriebsgröße als auch Branchenzugehörigkeit eine große Diversität auf.
Die Arbeit gliedert sich in elf Kapitel, die sich wiederum in einleitende Bemerkungen, theoretische und methodische Perspektiven, Fallbeispiele und übergreifende Perspektiven einteilen lassen. Die Einleitung spannt die Rahmenbedingungen auf und legt ausführlich die theoretischen und methodischen Grundlagen wie auch die historische Fundierung und institutionelle Kontextualisierung der Ausbildertätigkeit dar. Hier werden bereits einige Teile vorweggenommen, die in der theoretischen Verortung der Arbeit nochmals detailliert werden. Bahl nimmt insbesondere Bezug auf die Arbeiten Jean Laves’ und Etienne Wengers zu situiertem Lernen und Praxisgemeinschaften sowie auf den britischen Sozialanthropologen Tim Ingold und seine Ansätze über „Taskscapes“ und „Skills“. Beide Ansätze überzeugen für eine kontextualisierende und multidimensionale Analyse von Ausbildungsprozessen, in denen nicht nur das Erlernen von Fähigkeiten, sondern auch deren Anwendungsbezogenheit und soziale Gebundenheit wichtig sind. Auf eine synthetisierende Diskussion von Lave/Wenger und Ingold, die beide Ansätze in ihren Facetten zueinander in Beziehung setzt, wird hier leider verzichtet. In der Diskussion der Fallbeispiele und in den zusammenführenden Kapiteln findet die Verknüpfung nur indirekt und nicht systematisch statt. Auch bei in der Arbeit genutzten Ansätzen wie der Metaphernanalyse (68) oder historischen Dimensionierungen von Ausbildungsprozessen (270) bleibt es den Leser_innen überlassen, die Passung etwa von mentalen Konzeptsystemen und ökologischen Ansätzen oder die Geschichtlichkeit von Taskscapes zu reflektieren. Die entsprechenden Überlegungen sind in der Arbeit angelegt, werden in der schriftlichen Darstellung jedoch nicht greifbar. Dies ist auch insofern von Belang, als die Analyse des empirischen Materials nur punktuell auf die erarbeiteten theoretischen Grundlagen eingeht und etwas unklar bleibt, inwiefern die ausführlichen Konzepte von Taskscape und Praxisgemeinschaft einen Gewinn für die Analyse der Fallbeispiele bringen.
Die fünf Fallbeispiele stellen den Hauptteil der Arbeit dar und legen für jeden Betrieb detailliert und informiert dar, wie Ausbilder_innen in ihren jeweiligen Kontexten agieren und über ihre Praxis reflektieren. Die Reichhaltigkeit des Interviewmaterials, das nicht für den expliziten Zweck der Publikation erhoben wurde, sowie die systematisierende und sorgsame Analyse Bahls zeigen eindrücklich die Vielschichtigkeit von Ausbildungsprozessen auf. So wird nicht nur plastisch, dass trotz Prozessen der Standardisierung und Institutionalisierung in der dualen Ausbildung ganz unterschiedliche Konfigurationen vorliegen, sondern auch warum und auf welche einzelnen Aspekte sich diese Unterschiede zurückführen lassen. Bahls Argumentation legt offen, wie reflexiv Ausbilder_innen sich zu Konzepten des impliziten Wissens oder der sozialen Eingebettetheit des Lernens verhalten und macht so auch den Stellenwert dieser Personengruppe deutlich. In der detaillierten Diskussion der Fallbeispiele, die jeweils auch historische Hintergründe sowie Betriebs- und Berufsspezifik einbeziehen, liegt eine der Stärken der Arbeit Bahls, die sie zur empfehlenswerten Lektüre im Feld der Arbeitskulturen macht. Auch die zusammenführenden Kapitel über die Beziehungen zwischen Ausbilder_innen und Auszubildenden und über Präsenz und Sozialfigur des Ausbilders bieten wichtige Erkenntnisse über innerbetriebliche Prozesse und die Rolle von „skills“.
Die Arbeit betritt, so Bahl in Form eines Disclaimers, methodisches „Neuland“ (63), indem sie mit „Narrationen über Praxis“ arbeitet (ebd.) und Praxis nicht teilnehmend beobachtet, aber dennoch den Anspruch vertritt, praxeografisch zu arbeiten (61). Diese Setzung irritiert, da Arbeiten mit leitfadengestützten Interviews, auch wenn sie ursprünglich aus anderen Projektzusammenhängen stammen, in der qualitativen Sozialforschung keinesfalls unüblich sind und, so zumindest die Auffassung des Rezensenten, keiner zusätzlichen Legitimierung bedürfen – auch nicht, wenn sie auf Praktiken fokussieren. Dies sollte – was Bahl auch tut – entsprechend reflektiert werden, etwa dadurch, dass das „Reden über die Praxis [als Praxis, S.G.] nicht identisch mit der Praxis ist“ (65). Zudem wird in der Begründung des methodologischen Ansatzes jedoch hypothetisch in Frage gestellt, ob mehrwöchige teilnehmende Beobachtungen aufgrund der Fremde der fachlichen Kontexte „zwangsläufig besser und authentischer die entscheidenden Elemente der jeweiligen Taskscape erschlossen hätten“ (64). Über das hier genutzte Forschungsdesign lässt sich diese Annahme allerdings nicht argumentieren. Insbesondere, da eine Rekonstruktion der Binnensicht der Ausbilder_innen (die es, so Bahl auf S. 60, überwiegend nicht gewohnt waren, über ihre Ausbildungspraxis zu reflektieren) als Ziel formuliert wird (68), mutet diese Verteidigung des methodischen Zugangs zulasten des Korpus interdisziplinärer Beobachtungsforschung seltsam an. Situiertheit, Implizitheit, Körperwissen, die Rolle nonverbaler Kommunikation in der Ausbildung: Dies sind nur einige Aspekte (die Bahl in ihrer Arbeit auch reflektiert), die einen teilnehmend-beobachtenden Ansatz zwar nicht erzwingen, aber durchaus für – und nicht gegen – ihn sprächen.