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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Aktuelle Rezensionen


Michael Matheus (Hg.)

Reformation in der Region. Personen und Erinnerungsorte

(Mainzer Vorträge 21), Stuttgart 2018, Franz Steiner, 212 Seiten, zahlreiche Abbildungen
Rezensiert von Rolf Kießling
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 13.07.2020

Der vorliegende Sammelband dokumentiert eine Vortragsreihe des Instituts für Geschichtliche Landeskunde an der Universität Mainz, die im Rahmen der ‚Lutherdekade‘ den „Versuch“ unternahm, „auf das Reformationsjubiläum hinzuführen“. Es richtete „den Fokus auf die Geschichte der Reformation im heutigen Rheinland-Pfalz“, auf die „Stätten des Reformationsgeschehens“ ebenso wie auf „Einzelpersonen  […], die dort für die Reformationsgeschichte […] eine wichtige Rolle spielten“ (S. 7f.). Die zehn Beiträge spannen den Bogen von der Wormser Stadtgeschichte über die Aktionen des ritterschaftlichen Adels bis zum Buchdruck und zur Sprachgeschichte der Lutherzeit. Alle bieten zweifellos wichtige Einsichten, wenn auch ganz unterschiedlicher Art, stammen sie doch von ausgewiesenen Fachleuten, wie das jeweilige Literaturverzeichnis zu den Beiträgen sichtbar macht.

Gerold Bönnen zeigt am Beispiel von Worms, wie schwierig es mitunter ist, die „reformatorische Bewegung“ zu fassen: Zu Recht knüpft er ausführlich an die vorreformatorische Beziehungen zwischen Stadtregiment und der kirchlichen Struktur vor Ort an und leitet daraus die „offene Bekenntnislage und gebremste Konfessionsbildung“ der 1520er Jahre ab (S. 21), sodass erst nach dem Augsburger Religionsfrieden Ansätze für einen organisatorischer Rahmen geschaffen werden konnten – freilich in einer mehrkonfessionellen Stadt. Es bleibt allerdings bei diesem Beispiel für den Komplex ‚städtische Reformation‘, denn die anschließenden Beiträge widmen sich den bekannten Figuren der rheinischen Ritterschaft. Silvana Seidel Menchi geht der Frage nach, wann und wie Ulrich von Hutten den Weg zu seinem reformatorischen Verständnis gefunden hat: Sie sieht den Wendepunkt im Angriff auf das höfische Leben des Klerus – „Im Jahr 1518 erklärt Ulrich von Hutten Rom den Krieg“ (S. 45) – und findet die Ursache dafür im ‚Julius‘-Dialog des Erasmus, dem massiven humanistischen Angriff auf den verstorbenen Papst Julius II., den Hutten aufnahm und in seinen eigenen  Schriften verarbeitete.

Die nachfolgenden vier Beiträge beschäftigen sich mit verschiedenen Facetten des Franz von Sickingen, einer zweifellos für diese Region zentralen Figur: Reinhard Scholzen interpretiert sein Leben und seine zahlreichen Fehden unter dem Aspekt „Fehde als Geschäftsmodell“,  Kurt Andermann zeigt in einem Vergleich mit dem sehr viel bescheideneren Zügen des Handelns von Götz von Berlichingen die Spannbreite ritterschaftlicher Existenz. Erst der Aufsatz von Wolfgang Breul nimmt das Thema „Reformation“ für die Person Sickingens wieder auf und betont mit dem Schutz, den er mit der Ebernburg als ‚Wartburg des Westens‘ einer ganzen Reihe von Reformatoren bot – Luther nahm das freilich nicht an –, und seinem ‚Sendbrief‘ von 1522 sein eindeutiges Bekenntnis zur neuen Lehre als „verordneter Vollzieher der Gerechtigkeit“ (S. 102). Das Weiterwirken in der Literatur verfolgt Volker Gallé mit seinen Bemerkungen zu Lassalles Drama ‚Franz von Sickingen‘ von 1857 im Kontext der Rezeptionsgeschichte, und Matthias Müller geht in seinem Beitrag zu „Herrscherbildnis und Medienkonkurrenz“  der Frage nach, inwieweit auch Sickingen mit Bild und Porträtmedaille Formen der „herrschaftlichen Inszenierung“ fürstlicher Prägung (S. 135) übernahm.

Eine letzte Gruppe von Beiträgen nimmt die Diskussion über die Reformation als Medienereignis auf. Die Kunstgeschichte vertritt Andreas Tacke: Er zeigt mit Hilfe statistischer Auswertung, dass Lucas Cranach d.Ä. eindeutig zu den Gewinnern in der Kunstszene der Reformation gehörte, weil er ohne Ansehen der Konfession über Großaufträge aus dem altgläubigen Lager seine  Werkstatt als einträglichen Großbetrieb über die sonst feststellbaren Einbrüche halten und ausbauen konnte. Kritisch mit dem Diktum „ohne Buchdruck keine Reformation“ setzt sich der Buchwissenschaftler Christoph Reske auseinander und schwächt die Vorstellung von der „Medienrevolution“ mit den Argumenten  der relativ geringen Auflagenhöhe der Drucke und der mangelnden Lesefähigkeit der breiten Bevölkerung nicht zuletzt an den Beispielen von Mainz, Speyer und Worms ab und will nur eine „Medienevolution“ sehen (S. 181). Der Sprachwissenschaftler Rudolf Steffens schließlich zeigt am „Kampf- und Agitationswortschatz“, wie Martin Luthers Sprache immer radikaler wurde, und erläutert im Vergleich seiner in Wittenberg erschienenen Übersetzung des Neuen Testaments mit den Basler Nachdrucken die weitreichenden sprachgeschichtlichen Wirkungen der Lutherbibel.

Zweifellos zeichnet sich der Band durch eine große Spannweite der Themenstellungen aus, die geeignet sind, auch einem breiteren Publikum wichtige Facetten der Reformationszeit zu präsentieren. Allerdings ist auch nicht zu übersehen, dass der Titel des Bandes irreführend ist: Von der Reformation ist in einigen Beiträgen überhaupt nicht die Rede, von einer solchen „in der Region“ allenfalls andeutungsweise, etwa an Worms oder an der Ebernburg. Was diese Region als reformatorische räumliche Einheit ausmachen könnte, bleibt jedoch nicht nur unklar, sondern wird völlig ausgespart – der Titel ist wohl eher als Verkaufsanreiz im Nachgang zum Jubiläumsjahr 2017 zu verstehen.