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Sabrina Stockhusen
Hinrik Dunkelgud und sein Rechnungsbuch (1479 bis 1517). Lebensformen eines Lübecker Krämers an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert
(Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte – Beihefte 245), Stuttgart 2019, Franz Steiner, 470 Seiten mit 6 Abbildungen, Diagramme, Tabellen, ISBN 978-3-515-11697-8Rezensiert von Melanie Burgemeister
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 17.07.2020
Der Lübecker Hinrik Dunkelgud führte an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert mehrere Rechnungsbücher, von denen allerdings nur das „Buch F“ überliefert ist. Er vermengte dabei persönliche Einträge mit seinen Handelsgeschäften und religiösen Stiftungen, wie es auch bei anderen Kaufmannsbüchern der Zeit üblich ist. Bemerkenswert ist, dass er keineswegs der städtischen Führungsgruppe angehörte, sondern von Zeitgenossen ausdrücklich als Krämer bezeichnet wurde und aus der Mitte der Gesellschaft stammte. Damit stellt diese Quelle ein einzigartiges „Selbstzeugnis eines Lübecker Krämers“ (43) dar.
In ihrer Dissertation widmet sich Sabrina Stockhusen diesem zwar bekannten, aber bisher nur wenig untersuchten Rechnungsbuch. Ihre umfassende Arbeit schließt neben der soziokulturellen Analyse auch eine kritische Edition sowie die tabellarische Auswertung des Rechnungsbuches ein. Der analytische Fokus liegt auf den Gruppenzugehörigkeiten des spätmittelalterlichen Krämers sowie den in diesen sozialen Gruppen ausgebildeten Verhaltensweisen und Praktiken. Hieran orientiert sich auch der Aufbau des Buches, das in fünf thematische Bereiche gegliedert ist.
Basierend auf der quellenkritischen Verortung von Werk und Autor geht Stockhusen zunächst auf Haus und Haushaltsführung Dunkelguds ein. Sie thematisiert neben Familie und Haushaltsangehörigen auch die Vermögensentwicklung sowie Selbstdarstellung und Erlangung von Ämtern. Im folgenden Kapitel steht die Schriftlichkeit als Mittel der persönlichen Rechtssicherung im Fokus. Hierbei geht die Autorin auf die Überschneidungen mit öffentlichen Stadtbüchern sowie vor allem auf die Testamente ein, die in der Quelle in mehreren Fassungen enthalten sind. Darauf aufbauend widmet sich die Autorin seiner Mitgliedschaft in der Krämerkompanie und Dunkelguds Rolle als Ältermann. Das umfangreichste Kapitel stellt quellenbedingt die kaufmännische Handelspraxis dar. Hierbei werden der Geschäftskomplex in Lübeck und Buchführungstechniken ebenso vorgestellt wie Kenntnisse der regionalen Handelsplatzgebräuche in Form von Maßeinheiten, Unkosten, Währungen und Kreditinstrumenten. Die Handelswaren werden anhand der Tätigkeit in vier zeitliche Phasen unterschieden und vorgestellt. Ebenfalls ausführlich geht Stockhusen auf die Geschäftsbeziehungen mit den sechs wichtigsten Handelspartnern ein und verortet abschließend die Tätigkeit des Krämers im lübeckischen Handel. Ein letztes Analysekapitel widmet sich Dunkelguds Frömmigkeitsformen und seinen Stiftungen, über die der Kaufmann in seinem Rechnungsbuch genauso exakt buchführt, wie über seine Handelstätigkeit. Diese Dokumentation von Frömmigkeitsvorstellungen sowie ihre Auswertung ist ein wichtiger Beitrag zum besseren Verständnis des Alltagslebens dieser Zeit.
Besonders zu erwähnen ist die umfangreiche Edition des gesamten Rechnungsbuches mit seinen 234 Blättern, das bisher nur in Auszügen publiziert worden ist. In ihrer Edition gibt die Autorin neben dem Text auch alle Streichungen und Randvermerke an, so dass nun eine wesentliche Grundlage vorliegt, auf der weitere Forschungen aufbauen können.
Herausragend sind die umfangreichen Tabellen im Anhang. Hier werden zunächst auf über 40 Seiten Warentabellen für bestimmte Güter wie Gewürze, Kleidung oder Metallwaren angegeben. Sie enthalten neben dem Datum des Eintrags u. a. die moderne und historische Bezeichnung, die gehandelte Menge, den Preis, den Handelspartner und die Seitenangabe in der Quelle. Damit ermöglichen sie eine sehr schnelle Einarbeitung in den Handel der Zeit. Weitere Aufstellungen geben beispielsweise den Aufbau des Rechnungsbuches oder die Stammtafel des Autors wieder. Auch der Handel mit bestimmten Geschäftspartnern, die Kosten der Hochzeitsausstattung sowie Handelsmarken und Warengewichtszeichen werden hier übersichtlich aufgeführt.
Die vorliegende Arbeit überzeugt mit einer umfassenden Aufarbeitung des Rechnungsbuches von Hinrik Dunkelgud. Die Edition und die tabellarischen Aufstellungen ermöglichen eine schnelle Einarbeitung in die Quelle und ihre Bedeutung. Gerade die umfassende Veröffentlichung dieses ergänzenden Forschungsmaterials und die Edition des Textes sind daher besonders zu loben, da sie über die Analyse hinaus eine wertvolle Basis für weitere Forschungen bieten. Die Arbeit selbst versteht es, anhand des Rechnungsbuches die soziale Eingebundenheit Hinrik Dunkelguds herauszustellen und diese übersichtlich zu präsentieren. Damit ist dieses sehr lesenswerte Werk eine gelungene sozialwissenschaftliche Auswertung einer originär kaufmännisch ausgerichteten Quelle.