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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Aktuelle Rezensionen


Lutz Volmer (Hg.)

Musealisierte Häuser. Bausubstanz, Ideologien, Gründungspersönlichkeiten. Ausgewählte Referate der 28. Jahrestagung des Arbeitskreises für ländliche Hausforschung in Nordwestdeutschland und der Interessengemeinschaft Bauernhaus e. V., 18. bis 20. März 2016 in Bielefeld

(Beiträge zur Volkskultur in Nordwestdeutschland 129), Münster/New York 2018, Waxmann, 211 Seiten mit zahlreichen Abbildungen, teils farbig, ISBN 978-3-8309-3915-3
Rezensiert von Georg Waldemer
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 17.07.2020

Im Unterschied zu Bayern, wo die Gründung von Freilichtmuseen erst Mitte der 1950er Jahre einsetzte und damit im Kern als zivilisationskritische Reaktion auf Effekte der massiven Mechanisierung in der Landwirtschaft und auf andere Phänomene eines starken Modernisierungsschubs in der Zeit des sogenannten Wirtschaftswunders interpretiert werden kann, beginnt die Geschichte dieses Museumstyps in Norddeutschland bereits in den Jahren um 1900. Dort hat die Gründung des weltweit ersten Museums dieses Typs – Skansen bei Stockholm im Jahr 1891 – früh Nachahmung gefunden und in einem spezifischen Setting seine Besonderheiten entwickelt.

Der vorliegende Band, in dem elf der insgesamt 22 Beiträge einer 2017 veranstalteten Fachtagung zusammengefasst sind, thematisiert einzelne Aspekte daraus von der Frühzeit bis in die 1970er Jahre. Berücksichtigt wurden dabei nicht alleine die großen regionalen Freilichtmuseen wie Cloppenburg oder Detmold, sondern auch die auf lokaler Basis fußenden Bauernhaus-Museen bzw. „Museums- und Heimathäuser“ (9) sowie eine 1997 gestartete ehrenamtliche Initiative von in-situ Erschließungen in Warendorf, woraus auch die wenig gebräuchliche Formulierung „Musealisierte Häuser“ im Titel zu erklären ist.

Bautypologisch stehen im Zentrum regionalspezifische, sogenannte niederdeutsche oder „nordwestdeutsche Hallenhäuser, also jener Haustyp, […] an dem sich die Freilichtmuseumsidee in Deutschland zuerst erprobte“ (8) und typische Funktionsbauten wie Speicher oder Windmühlen. Tagungsort war das 1917 eröffnete „BauernhausMuseum Bielefeld“, dessen Leiter Lutz Volmer den vorliegenden Band herausgegeben und mit einem zusammenfassenden Vorwort versehen hat.

Den Auftakt, so auch im Rahmen der Tagung, bildet eine kritische Auseinandersetzung Fred Kaspars, lange Jahre in der westfälischen Denkmalpflege tätig, mit den Friktionen, die aus den unterschiedlichen Positionen und Zielstellungen von amtlicher Denkmalpflege und Freilichtmuseen erwachsen sind und geraume Zeit das wechselseitige Verhältnis belastet haben. Dies war besonders in den 1970er Jahren der Fall, in denen nun auch die Denkmalpflege sich der Zeugnisse ländlicher Bautraditionen annahm und sich gegenüber den Freilichtmuseen bei ihren Bemühungen um die „Rettung“ baulicher Zeugnisse in einer vermeintlichen Konkurrenzsituation sah. Kaspar kann im Übrigen auf eine fachlich bedeutsame Publikation unter seiner Herausgeberschaft verweisen, in der umfassend das Thema „Transferierung“ untersucht wurde; deren Ergebnis: Transferierungen waren gerade im ländlichen Raum durchaus historische Praxis. Insoweit bedarf der in der Denkmalpflege lange ahistorisch absolut gesetzte „Ortsbezug“ der jeweils näheren Prüfung. Der Autor identifiziert auf beiden Seiten Vorurteile und unreflektierte Eigenwahrnehmung und plädiert nachdrücklich für das gegenseitige Verständnis struktureller Unterschiede. Der Rezensent erlaubt sich hier die Anmerkung, dass in Bayern, wo die Leitung des ersten mit wissenschaftlichem Anspruch gegründeten Freilichtmuseums (Glentleiten) in die Hände eines vormaligen praktischen Denkmalpflegers [!] gelegt wurde, das anfänglich gespannte Verhältnis zwischen Denkmalpflege und Freilichtmuseen heute als sehr konstruktiv und sachbezogen zu bewerten ist.

Besondere Beachtung verdienen im vorliegenden Band hinsichtlich der Frage nach den ideologischen Grundlagen der Freilicht- und Bauernhausbewegung die Beiträge von Nils Kagel und Florian Böings (zum Museum Ostenfelder Bauernhaus, Husum), Michael Schimek (Museumsdorf Cloppenburg) und Thomas Spohn (zu Projekten im Amt Rahden), in denen die jeweiligen engen Bezüge zur politischen Situation herausgearbeitet werden. Im Falle des unweit der Grenze zu Dänemark gelegenen Husum, dem ersten Freilichtmuseumsprojekt in Deutschland überhaupt – in den Worten der Zeit ein „ächt vaterländisches Unternehmen“ (77) –, stellen die Autoren die Konkurrenzsituation bei den Einwerbungen mit den zeitgleichen Bemühungen des Dänischen Nationalmuseums auf deutscher Seite für das Freiluftmuseum Lyngby dar, dessen Konzept auf den damals populären ethnografischen Deutungsmustern basierte. Adriaan de Jong, Autor des ideologiekritischen Bandes „Die Dirigenten der Erinnerung“ (2007), hatte diesen Vorgang überspitzt mit „deutsch-dänischer Bauernhofkrieg“ tituliert (44).

Die ebenfalls einer eingehenderen Betrachtung zu unterziehenden Einflüsse von frühem Heimatschutz und Heimatpflege kommen in den Beiträgen von Robert Gahde und Sebastian Möllers (zum Freilichtmuseum in Stade) sowie v.a. von Wolfgang Dörfler (zum Freilichtmuseum Speckenbüttel, Bremerhaven) zur Sprache.

Michael Schimek, der mit seiner Darstellung auch auf intensive Vorarbeiten von Uwe Meiners aufbauen kann, macht deutlich, dass der Museumsgründer Heinrich Ottenjann bei der erstmals als Dorf komponierten Anlage in Cloppenburg zwar in mancherlei Hinsicht propagandistischen Vorstellungen des politischen Regimes entgegenkam, im Kern aber seine fachlich fundierten Ziele konsequent verfolgte. Schimek sieht Ottenjanns Konzept eher „romantisch-mystifizierend als rassistisch-biologistisch“ geprägt (123).

Thomas Spohn leuchtet in seinem Beitrag die konzeptuellen wie organisatorischen Zusammenhänge zwischen staatlichen Stellen und Wissenschaft differenziert aus. Beim Projekt einer Musealisierung des Anwesens Rohlfing 61 spielten die im Dritten Reich entwickelten Konzepte von „Urkundhof“ (nach damaligen Standards rekonstruierend musealisiert), „Beispielhof“ (als Vergleichsbeispiel nach zeitgemäßen Ansprüchen neugebaut) und „Pflegehof“ (nach denkmalpflegerischen Kriterien den aktuellen Bedürfnissen angepasst) eine zentrale Rolle. Die vergleichende Gegenüberstellung von „Urkundhof“ und „Beispielhof“ im genannten Vorhaben wirkte übrigens als didaktisches Prinzip allem Anschein nach bis in die Anfänge der Planungen zum westfälischen Freilichtmuseum Detmold fort.

Der Genese dieses Freilichtmuseums widmet sich eingehend Heinrich Stiewe. Er macht die fachliche Einbindung der zentralen Figur Josef Schepers in ein kulturwissenschaftliches Umfeld deutlich, das stark von den kulturräumlichen Forschungsansätzen der 1920er Jahre geprägt wurde. Bemerkenswert erscheint auch der bei Schepers erkennbare, stark formalästhetische Anspruch bei der Positionierung der Bauten unter Einbeziehung des naturräumlichen Umfeldes, eine stabile Konstante seit den frühen Jahren des Heimatschutzes.

Den Umgang mit der Bausubstanz im Einzelnen, insbesondere die Manipulationen im Zuge der Herstellung der „Präparate“, als die man die Bauten in Freilichtmuseen insbesondere in der Frühzeit dieses Museumstyps bezeichnen kann, wie auch die mehr oder weniger plausiblen Arrangements der verschiedenen Gebäudetypen auf einem Museumsgelände, hat eine Reihe von Autoren im Blick, so nachzulesen in den Beiträgen von Kagel/Böings, Dörfler, Hans Joachim Turner (zum Heimatmuseum Wilsede), Schimek, Spohn und Ralf Vogeding (zum Kreismuseum Syke).

Dabei ist für die frühen Jahre fast regelmäßig das Fehlen ausführlicher Dokumentationen zu bedauern, das sich allerdings zum einen aus den angestrebten, „bereinigten“, Ursprungszuständen gemäß typologischer Schemata erklären lässt, andererseits aber auch aus der oftmals nicht professionellen, ehrenamtlichen Initiative. In dieser Hinsicht bildete das Projekt eines Freilichtmuseums in Stade (Beitrag Gahde/Möllers) im Jahr 1913 eine bemerkenswerte Ausnahme: Stark betrieben vom damaligen Bürgermeister Jürgens wurde für die Oberleitung der Architekt Emil Högg gewonnen, Lehrstuhlinhaber an der Technischen Universität Dresden. Ihm ist die für die damalige Zeit ungewöhnlich detaillierte Dokumentation des Baubestandes sowie die sorgfältige Translozierung zu verdanken – allerdings unterblieb auch hier, wie auch sonst regelmäßig, die entsprechend präzise Erfassung der überkommenen Ausstattung. Zudem war die Zeit noch nicht reif für eine Dokumentation dekorativer Anstriche oder gar stratigrafischer Analysen von Putzen und Fassungen.

Das Augenmerk lag auf dem auch die Gesamterscheinung der Bauten beherrschenden Gefüge, bei dessen Struktur gelegentlich nachgeholfen wurde, um idealtypische Ergebnisse zu erreichen. So kam es zu nachträglich erzwungener Symmetrie in der Grundrissanlage, wo eigentlich Asymmetrie herrschte und zu Rückbauten der Feuerungs- bzw. Heizungsanlage auf einen vermuteten Ursprungszustand. Regelmäßig lief es auf die mehr oder weniger plausible Rekonstruktion des offenen Herdes im Flett [die den sogenannten Kammerfachen, die ebensowenig von Rückbauten verschont blieben, vorgelagerte Zone] hinaus. Ein von Dörfler vorgelegtes Zitat aus dem Jahr 1911 fasst die zugrunde liegende emotionale Aufladung dieser Zone bei Architekten, Volkskundlern und Laien wie folgt zusammen: „Die gemütliche Dönz [gute Stube], die trauliche Ecke im Flett und des Herdfeuers Glanz und Glut laden zum längeren Verweilen. Rücken wir dann alle Stühle um das Feuer und der Herdzauber packt uns.“ (62) Schließlich nahm man Abweichungen vom Originalbestand auch in Kauf, um funktionalen Erfordernissen zu genügen: Einige der Projekte (so in Stade, Bremerhaven) waren dazu angelegt, breiter angelegte kulturhistorische Sammlungen, oft auch vorgeschichtliche Funde aufzunehmen, in andere Bauten integrierte man Veranstaltungsräume oder eine Museumswärterwohnung, wofür die eigentlich geschlossenen Traufwände im Wirtschaftsbereich der „Diele“ nun durchfenstert wurden (Kreismuseum Syke). In jüngerer Vergangenheit gelang es im Zuge intensiver bauarchäologischer Nachuntersuchungen in den Museen von Bremerhaven, Wilsede, Cloppenburg und Detmold zahlreiche beim Wiederaufbau der Idealtypik geschuldete bauliche Eingriffe aufzudecken und damit einhergehend ein klareres Bild vom authentischen Bestand zu gewinnen.

Eines der zentralen Interessen der Tagungsveranstalter richtete sich auf Herkunft und Prägung der Akteure. So fällt auf, dass die Mehrzahl und vor allem die frühesten Projekte – das bereits genannte Stade ausgenommen – auf der Grundlage privater oder ehrenamtlicher Initiativen in Gang kamen. Unübersehbar ist dabei die führende Rolle von Lehrkräften: 14 Personen dieser Berufssparte werden namentlich in den Beiträgen genannt. Mit ihnen verbindet sich nicht alleine der volkspädagogische Impetus in den Projekten, sondern auch ihre quasi berufsmäßig bestimmte Rolle als Vermittler von Ideen des Heimatschutzes, nachdem ab den frühen Jahren des 20. Jahrhunderts auch Bildungsbehörden die kulturreformerischen Ziele adaptiert hatten. Die spätere bereitwillige Integration des Heimatschutzes in den nationalsozialistischen Propagandaapparat ist dabei allerdings nicht zu vergessen.

Den Abschluss des Bandes macht die Vorstellung des „Dezentralen Stadtmuseums Warendorf“, ein ehrenamtlich realisiertes Besichtigungsangebot von sechs Gebäuden unterschiedlichster Funktion sowie der ehemaligen Wallanlage der Kleinstadt. Ein Museumsgebäude mit ständiger Ausstellung existiert offenkundig nicht. Neben den dargestellten Einschränkungen im Betrieb, insbesondere hinsichtlich der Öffnungszeiten, macht es nachdenklich, von mittlerweile „tausenden“ angesammelten Artefakten zu lesen, für die geeignete Lagerräume zu beschaffen wären. Auch in Warendorf wird man nicht umhinkönnen, geeignete Strukturen zu schaffen, die einen dauerhaften Museumsbetrieb mit allen damit zusammenhängenden Erfordernissen sichern.

Der besprochene Band bildet durch die zahlreichen Informationen und neueren Forschungsergebnisse, vornehmlich bezogen auf den Norden der Republik, einen wichtigen Baustein zu einer Geschichte der Freilicht-Museologie in Deutschland. Er zeichnet in der detailreichen Analyse von lokalgeschichtlichen bis hin zu heute als Landesmuseen firmierenden Einrichtungen nach, dass sich insbesondere in der Verfolgung bautypologischer Fragestellungen eine Tradition bis in die 1970er Jahre hielt. Erst durch die Impulse moderner bauarchäologischer Forschung einerseits und stärker auf den Lebensvollzug und damit auf sozialgeschichtliche Aspekte orientierte Vermittlungsbestrebungen andererseits zeichnete sich seit den 1980er Jahren eine deutliche Veränderung ab. Diese Entwicklung blieb nicht auf den Norden beschränkt, mit zeitlichem Versatz ließe sie sich in vergleichbarer Weise im Süden nachzeichnen.