Aktuelle Rezensionen
Elisabeth Fendl/Klaus Mohr (Hg.)
Heimatgeschichten. Aus den Sammlungen des Sudetendeutschen Museums
(Schriftenreihe des Sudetendeutschen Museums 1), München 2018, Volk, 200 Seiten mit zahlreichen Farbabbildungen, ISBN 978-3-86222-272-8Rezensiert von Marketa Spiritova
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 14.08.2020
Die an einen Ausstellungskatalog erinnernde Publikation „Heimatgeschichten“, von Elisabeth Fendl und Klaus Mohr herausgegeben, ist nicht nur ein sehr informatives, sondern zugleich auch ein sehr schönes Buch, dessen Texte und Bilder man gerne liest beziehungsweise betrachtet. Es stellt 50 Exponate aus den Sammlungen des Sudetendeutschen Museums in München vor. Dabei handelt es sich um eine Auswahl aus ca. 25 000 Objekten, die zuvor in anderen Museumsdepots lagerten, in Heimatstuben ausgestellt waren oder sich in Privatbesitz befanden und die nun, bedingt durch den „Generationenwechsel innerhalb der Gruppe der Heimatvertriebenen“ und die „Schließung von sudetendeutschen Heimatstuben und -museen“ (18) ins Sudetendeutsche Museum in München überführt wurden.
Es mag kein Zufall sein, dass das erste gezeigte Objekt die allegorische Landkarte „Europa Regina“ aus dem 16. Jahrhundert ist und das letzte das Pop-Art Bild „Der Heilige Nepomuk“ von Walter Gaudnek. Böhmen als Region in der Mitte Europas, als wichtiger Knotenpunkt wirtschaftlichen und kulturellen Austauschs über nationale Landesgrenzen hinweg mit den Sudetendeutschen oft in der Rolle der „europäische[n] Brückenbauer“ (25), kommt in vielen der vorgestellten Exponate zum Tragen. Es sind zumeist repräsentative, gut erhaltene Objekte aus drei Jahrhunderten, die in „Heimatgeschichten“ vorgestellt werden: dekorative, wertvolle Möbel wie Kabinettschränke, Wallfahrtsandenken, bildliche Darstellungen von Hochzeitszügen und Trachten, Handwerkskünste wie das Spitzenklöppeln, Musikinstrumente, Porzellan- und Glasgeschirr, technisches Gerät, Fahnen und Abzeichen. Die Objekte werden nicht nur sehr anschaulich beschrieben, sondern auch die notwendigen Zusammenhänge, das heißt (wenn bekannt) Entstehung, Geschichte und Funktion – ihre ‚Biografie‘ – werden dargestellt, quellenkritisch betrachtet und kenntnisreich weiter kontextualisiert. Man erfährt aus diesem kleinen Katalog ebenso viel über religiöse Praktiken, Bräuche und Feste, Trachten und (Kunst-)Handwerk, Produktionsbedingungen (etwa in der Glas- und Möbelherstellung) und Handelsbeziehungen, wie über Stadt-Land-Unterschiede, Geschlechterrollen und regionale Identitäts- und Heimatbezüge. Hier hätte man sich allerdings an einigen Stellen einen kritischeren Blick auf den Heimatbegriff sowie die nur angedeuteten oder vermuteten sozialen Problemlagen gewünscht, die manchen Objekten eingeschrieben sind (etwa in Bezug auf Rollenbilder, soziale Unterschiede, die entlang ethnischer Grenzen verliefen, oder kolonialisierende Perspektiven). Es sind ausgesprochen schön anzuschauende Exponate und das Sudetendeutsche Museum kann sich glücklich schätzen, sie in ihrem Sammlungsbestand zu haben. Doch besonders interessant werden die Ausführungen zu jenen Objekten, die weniger repräsentativ im dekorativen, pompösen Sinne sind, sondern die auf – auch beschwerliche, mit Leid verbundene – Alltage schließen lassen, wie zum Beispiel der Lederhelm eines Zwangsarbeiters in St. Joachimsthal/Jáchymov.
Das Buch macht Lust darauf, diese (und weitere, hier nicht ausgewählte) Exponate hoffentlich im bald auch für Besucher*innen öffnenden Sudetendeutschen Museum ‚live‘ zu betrachten.