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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Leonie Beiersdorf/G. Ulrich Großmann/Pia Müller-Tamm (Hg.)

Licht und Leinwand. Fotografie und Malerei im 19. Jahrhundert

Berlin/München 2019, Deutscher Kunstverlag, 288 Seiten mit Abbildungen, ISBN 978-3-422-97984-0
Rezensiert von Birgit Speckle
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 24.07.2020

Der opulent und hochwertig ausgestattete Ausstellungsbegleitband und -katalog erschien anlässlich der Ausstellung „Licht und Leinwand“ in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe im Jahr 2019. Verändert und durch eigene Bestände erweitert folgte sie der gleichnamigen Schau im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg. In zehn Kapiteln beleuchtet der Band eine entscheidende Zeitenwende im 19. Jahrhundert, als die Vertreter der klassischen Malerei auf die Pioniere der neu entwickelten Fotografie trafen. Diese „brisante Umbruchphase“ (9) war geprägt von spannungsgeladenen Dialogen, von Konkurrenzdenken und von neuen künstlerischen Möglichkeiten.

Leonie Beiersdorf zeigt dies am Beispiel Franz von Lenbachs, der seinen Bismarck-Portraits zwar fotografische Vorlagen zu Grunde legte, diese Tatsache jedoch „diskret“ (15) behandelte. Beim Publikum wie bei Kunstkritikern wurde das „mechanische Verfahren“ misstrauisch beäugt. Maler wiederum stellten Fotografien in den „Dienst […] an den höheren Bildkünsten“ (15). Es sollte dauern, bis die Fotografie sich als eigene Kunstform etabliert hatte. Der Katalog knüpft an Perspektiven an, die sich seit den späten 1960er Jahren entwickelt haben: Das „Verständnis von der prinzipiellen Verschiedenheit von Fotografie und Malerei“ ermöglicht es, „Referenzen und Reverenzen“ (22) der beiden Techniken zu untersuchen.

Die „Landschaft als Souvenir“ ist Beiersdorfs Thema in einem zweiten Beitrag. Mit den massenhaft hergestellten Fotografien ging das bekannte Phänomen der Stereotypisierung einher, sowie eine „Homogenisierung des Blicks“ (113). Der Blick auf die Landschaft durch die Linse erbrachte zudem erste Versuche, „das Kulturerbe photographisch zu dokumentieren“ (115). Architekturaufnahmen wurden nun für bautechnische Vermessungszwecke genutzt [1].

Um den gestalterischen Aspekt von Fotografie und Malerei geht es der Autorin bei der Frage nach dem „Spiel mit der Unschärfe in Malerei und Fotografie im ausgehenden 19. Jahrhundert“. Mitte der 1880er Jahre begannen ehrgeizige Amateurfotografen mit Experimenten. Studienobjekte waren dabei Kunstwerke, die kalkulierte Unschärfen verwendeten – eine Herausforderung für die Fotografie. Die Anfänge der Kunstfotografie führten bereits damals zur „institutionelle[n] Einbindung der Fotografie in führende Museen und in den Kunsthandel“ (234).

Barbara Oettl greift die Frage nach der „Fähigkeit des Künstlers“ auf, „die Wirklichkeit realitätsgetreu abzubilden“ (33). Der Fotografie wird in der Mitte des 19. Jahrhunderts allenfalls die Rolle einer Vermittlerin zugestanden, unfähig zum Idealismus oder zur Illusion. Oettl zeigt, wie 150 Jahre später moderne Fotokünstler genau mit der Glaubwürdigkeit und der angeblichen Vermittlung von Wahrheit spielen.

Portraits aus der Mitte des 20. Jahrhunderts stehen im Zentrum von Yasmin Doosrys Beitrag. Portraits waren damals und bis zur Jahrhundertwende eine Möglichkeit, sich bei Freunden, Bekannten und Verwandten in Erinnerung zu halten und nach dem Tod in Erinnerung zu bleiben. Miniaturmalerei, großformatige Gemälde, Kupferstich und Lithografie, Daguerreotypie und Kalotypie lagen miteinander im Wettstreit. Der Philosoph Arthur Schopenhauer steuerte diesen Prozess mit großer Aufmerksamkeit: 29 Mal saß er von 1842 bis 1859 in Frankfurt Fotografen Modell. Dabei blieb er der traditionellen Auffassung verhaftet: Schopenhauer verlangte von der Malerei „die Spiegelung seines eigentlichen Wesens“, von der Fotografie „ein wahres Abbild seines Äußeren“ (63).

Ines Rödl lotet das Verhältnis von Malerei und Fotografie am Beispiel der Aktikonografie aus: Gustave Courbet und Eugène Delacroix provozierten Empörung mit ihren Aktgemälden, die nach fotografischen Vorlagen gearbeitet und entsprechend lebensnah und frei von mythologischer Verbrämung waren. Kritisch weist Rödl auf den „Objektcharakter des Modells“ der erwerbsmäßig hergestellten Fotoerotika hin. Dargestellt waren (und sind) stets Frauen, die dem „männlichen Zugriff“ (91) ungeschützt ausgeliefert sind. Die vergleichsweise junge massenhafte Verfügbarkeit solcher Darstellungen im weltweiten Netz wird nicht angesprochen. Sie erscheinen vor dem Hintergrund von Rödls Ausführungen jedoch als logische Konsequenz eines Weges, der sich bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurückverfolgen lässt.

Mit der Chronofotografie gelang es, die Jahrhunderte alte Tradition der Pferdemalerei zu revolutionieren: Weil der Bewegungsablauf eines Pferdes im Galopp nachvollzogen werden konnte, stellten sich zahlreiche malerische Darstellungen als anatomisch falsch heraus. Rödl zeigt in ihren Forschungen zur „Chronofotografie und ihre[n] Auswirkungen“, dass es sich auch bei ihnen „lediglich [um] eine Version der Realität, die [damals] noch immer von einem gewollten Narrativ geprägt war“ (215), handelt.

Zum Umgang mit der „Vergangenheit in Fotografie und Malerei im 19. Jahrhundert“ untersucht Rödl Festzüge und Künstlerfeste mit so genannten lebenden Bildern. Diese Anlässe wurden massenhaft in fotografischen Kostümportraits festgehalten. Sie dienten als Werbung für die dargestellten Personen und für die Fotoateliers. Dabei griffen die Fotografen, mangels eigener Ikonografie, auf die zeitgenössische Genre- und Historienmalerei zurück. Problematisch war dabei, dass bei der Fotografie der Umgang mit diesen Stoffen „schlimmstenfalls […] die Unzulänglichkeiten der Realität“ (142) enthüllte, da eine künstlerische Umsetzung wie in der Malerei nicht möglich war.

Für Blumenbilder dienten Fotografien einerseits als Vorlagen, andererseits experimentierten die Fotografen mit eigenen künstlerischen Ansätzen. Sebastian Borkhardt hebt hervor, dass gerade bei diesem Genre die fehlende Farbigkeit der Fotos ein Problem darstellte. Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts gelang den Brüdern Auguste und Louis Lumière die Entwicklung der ersten Farbfotografien: Dennoch blieb es bei der Anlehnung an die Ikonografie der Malerei. Schwarz-Weiß jedoch war nun nicht mehr Notwendigkeit, sondern eine Option.

Zwei Abschnitte befassen sich explizit mit der Sicht der Künstler selbst: Ein Auszug aus der Zeitschrift „Gut Licht!“ von 1896 präsentiert Ergebnisse einer Umfrage zum Verhältnis von Fotografie und Malerei. Der Aufsatz von Franziska Kunze berichtet vom „künstlerischen Selbstverständnis“ mit „Pinsel und Fotoapparat“. Er endet mit einem Selbstbildnis Joseph Byrons von 1899, bei dem er die Kamera mit ausgestreckten Armen von sich weghält. Kunze bemerkt treffend, dass Byron „damit unwissentlich einem Phänomen Vorschub [leistete], das im 21. Jahrhundert zu einem der beliebtesten Ausdrucksmittel einer ganzen Generation werden sollte“ (260).

Damit schließt „Licht und Leinwand“ mit einem Ausblick ins 21. Jahrhundert, wie er auch im üppigen, exzellent aufbereiteten Bildmaterial und in den einzelnen Textbeiträgen immer wieder aufscheint. Gerade dadurch erschließt sich die Bedeutung der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als einer gewaltigen Umbruchphase (auch) in der Kunst. Dieser Tatsache wird der Band auf spannende, unterhaltsame und vielschichtige Weise gerecht. „Licht und Leinwand“ macht neugierig auf weitere Forschungen: Kaum angesprochen ist das Verhältnis der Geschlechter im Diskurs um Malerei und Fotografie des 19. Jahrhunderts. Gab es neben den „Malweibern“ [2] im Untersuchungszeitraum Fotografinnen und ist hier ein Umgang mit Malerei und Fotografie zu beobachten, der sich möglicherweise von demjenigen der männlichen Kollegen unterscheidet? Ein weiteres Thema sind Aufbewahrungs- und Präsentationstechniken, die mit dem Medium Fotografie einhergingen. Machten die aufwändig hergestellten Alben für Fotografien im Visitformat den gemalten Miniaturbildern Konkurrenz oder wurden hier neue Bedürfnisse angesprochen und mithin ein ganz neuer Markt erschlossen? Der hier besprochene Band versammelt kenntnisreiche Ansätze zum Verhältnis von Fotografie und Malerei im 19. Jahrhundert und lädt zu weiteren Forschungen ein.

Anmerkungen

[1] Die aufwändige Herstellung von Architekturaufnahmen in Italien schildert Christoph Poschenrieder unterhaltsam in seinem Roman „Das Sandkorn“ (Zürich 2015).

[2] Vgl. z. B. Kathrin Umbach u. Helga Gutbrod (Hg.): Die Malweiber von Paris. Deutsche Künstlerinnen im Aufbruch (Ausstellungskatalog). Berlin 2015.