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Georg Koch

Funde und Fiktionen. Urgeschichte im deutschen und britischen Fernsehen seit den 1950er Jahren

(Medien und Gesellschaftswandel im 20. Jahrhundert 11), Göttingen 2019, Wallstein, 376 Seiten mit 16 Abbildungen, ISBN 978-3-8353-3421-2
Rezensiert von Monika Weiß
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 24.07.2020

Das Fernsehen ist von je her ein auf Bilder angewiesenes Medium. Geht es um die Vermittlung von historischen Themen, ist das oft ein Problem, denn die wenigen Quellen etwa der Urgeschichte liefern solche nur marginal. Trotzdem scheut sich das Fernsehen nicht, in verschiedenen (semi-)dokumentarischen Formaten audiovisuell den Alltag der frühen Menschheit zu rekonstruieren, dar- und nachzustellen. Auf welches Wissen, auf welche Bildlichkeit und auf welche Inszenierungsmittel greifen die Produktionen dabei zurück? Hier setzt die Untersuchung von Georg Koch an. Sie beschäftigt sich mit der Inszenierung urgeschichtlicher Themen zwischen wissenschaftlichen Erkenntnissen und der Logik des Filmischen im britischen und deutschen Fernsehen seit den 1950er Jahren. Die Publikation basiert auf Kochs Dissertation, die im internationalen Verbundprojekt „Living History“ am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam entstand und im Gros kulturwissenschaftlich zu verorten ist. Koch, der Geschichte, Informatik und Public History studierte, gelingt es, zwei Perspektiven auf die Popularisierung von archäologischen Themen miteinander zu verbinden: erstens ist die Wissenschaft angewiesen auf ‚Fiktionen‘, um ihre Erkenntnisse dem breiten Publikum zu vermitteln, zweitens benötigen Film und Fernsehen die wissenschaftlichen ‚Funde‘, um ihre Inszenierungen zu authentisieren. Er geht davon aus, dass „Prähistorische Forschung und Massenmedien voneinander abhängige Wissenssysteme sind, die […] kontinuierlich aufeinander Einfluss nehmen.“ Seine These ist, „dass sich in den Produktionen das urgeschichtliche Wissen der unterschiedlichen Akteure aus den sich überschneidenden Sphären der Wissenschaft und der Medien verschränkt, immer wieder neu verhandelt und jeweils in die Gegenwart eingelesen wird. […] Gleichzeitig wird hier ein Raum für die Darstellung von Emotionen eröffnet, die in die urgeschichtliche Lebenswelt eingelesen werden.“ (19) Unter dieser Prämisse sind die Besonderheiten der jeweiligen Jahrzehnte, in denen die untersuchten Fernsehsendungen entstanden sind, analytisch berücksichtigt.

Das Buch umfasst neben Einleitung und Schluss drei argumentativ-analytische Kapitel. Das erste davon ist überschrieben mit „Bewegte Urgeschichte in Deutschland und Großbritannien bis 1970“ (31) und fokussiert Fernsehdokumentationen seit den 1950er Jahren. Aufgezeigt wird, dass sich archäologische Themen im deutschen Fernsehen der Zeit kaum finden und wenn, dann stets ohne eine explizite Deutung des Vergangenen. In britischen Geschichtsformaten hingegen ist die Urgeschichte regelmäßiges und beliebtes Thema auf Produktions- wie auch auf Rezeptionsseite. Dies erklärt sich durch die nationalen Eigenheiten: in Großbritannien durch eine gewisse Unbeschwertheit in der populären Wissenschaftskultur und der Archäologie als allgemeine bildungsbürgerliche Unterhaltungs- und Freizeitbeschäftigung. In Deutschland hingegen sind die ersten Fernsehjahrzehnte geprägt durch den problematischen Umgang der Nationalsozialisten mit urgeschichtlichen Themen, die filmisch stets im völkisch-nationalen Sinn ausgelegt wurden.

Der darauffolgende Teil beschäftigt sich mit der „Emanzipation des Fernsehens von der Wissenschaft“ (99). Hier stehen Fernsehdokumentationen im Fokus, die ab 1970 und bis in die 1990er Jahre hinein entstanden sind. Koch kommt für diesen Zeitraum zu dem Schluss, dass sich ein Wissenschaftsjournalismus herausbildet, der als Bindeglied zwischen Öffentlichkeit und Archäologie als wissenschaftlichem Fach fungiert. So wechseln die Archäolog_innen von der Moderation der Sendungen hin zur Kommentierung. Journalist_innen übernehmen parallel dazu die Moderator_innen-Rollen. Gleichzeitig weitet sich die Diskrepanz zwischen Wissenschaft und medialer Darstellung, denn während die Forschung immer komplexer wird und sich eine große Lückenhaftigkeit der Befunde zeigt, setzen die fernsehdokumentarischen Darstellungen weiterhin auf einfache Antworten, Deutungs- und Erzählmuster. So zeigt Koch auf, dass die mediale Archäologie vor allem emotionale Geschichten erzählt und auch in der Entstehung immer weniger auf Fachwissen aus der Wissenschaft zurückgegriffen wird. Urgeschichte soll, wie die anderen Themen des Fernsehens auch, vor allem Zuschauer_innen emotional packen und damit an das Programm binden.

Das letzte der drei analytischen Kapitel behandelt Dokumentationen von 1990 bis 2010 und ist treffend mit „Urgeschichte jenseits der Wissenschaft“ (149) betitelt. Über die Analysen der von Koch wohl gewählten Fernsehformate zeigt sich, dass bei der Inszenierung urgeschichtlicher Themen weniger wissenschaftliche denn televisuelle Erzähllogiken maßgebend sind. Geschichte wird im Fernsehen emotional erzählt, vorherrschende Strategien dabei sind Visualisierung, Dramatisierung, Personalisierung, Narrativierung und Authentifizierung. Koch spricht gar von einer televisuellen „Paläo-Poesie“ (193). Anders als bei den frühen Formaten sind es seit den 1990er Jahren vor allem menschliche Schicksale, die über Spielszenen und Reenactments vom urgeschichtlichen Alltag erzählen. Fernsehdokumentationen inszenieren also eigene ‚Fiktionen‘, die sich nicht direkt aus den archäologischen ‚Funden‘ erschließen lassen, die aber auch nicht als explizit unrichtig bezeichnet werden können. Die populären Interpretationen der Urgeschichte richten sich daher eher an gegenwärtig allgemein gültigen Annahmen darüber aus, wie es damals gewesen ist. Koch erklärt, Fernsehdokumentationen „verbinden Vergangenheit und Gegenwart in eine auf die Zukunft gerichtete Erzählung, weisen auf Handlungsoptionen hin, lassen wissenschaftliche und allgemeingesellschaftliche Fragen und Antworten verschmelzen und bieten anschlussfähige Identifizierungsmöglichkeiten“ (308).

Die gewonnenen Erkenntnisse, die im vorliegenden Buch präsentiert werden, beziehen sich nicht auf die aus fachwissenschaftlicher Perspektive richtige Darstellung von prähistorischen bzw. archäologischen Themen. Vielmehr geht es darum, dass Geschichtsinterpretation und Geschichtsschreibung außerhalb des Fachdiskurses immer auch eine kulturelle Praxis darstellen, die deutlich stärker in die Öffentlichkeit ausstrahlt, als es fachwissenschaftlicher Diskurs je vermag. Somit verweisen die Analysen eben auch auf die Schwierigkeiten der filmischen Aufbereitung von Urgeschichte. Koch gelingt eine Auseinandersetzung mit Geschichtsdarstellung, die sich gewissermaßen zwischen den Wissenschaften bewegt, aber vor allem aus medienwissenschaftlicher Sicht gewinnbringende Ergebnisse liefert. So zeigt er erstens auf, wie das Fernsehen dazu beiträgt, welche „Vergangenheitsdeutungen über populäre Darstellungsformen ihren Weg in die Öffentlichkeit“ (33) finden – und dass dies immer auch eng mit derjenigen Zeit zusammenhängt, in der die jeweiligen Dokumentationen entstehen. Zweitens wird deutlich, dass auch die Fachwissenschaft sich den Logiken der Medien anzunähern hat, wenn sie ihre Themen überhaupt öffentlichkeitswirksam präsentiert haben will.

Die detailreichen und tiefgehenden Einzelanalysen, der interkulturelle Vergleich britischer und deutscher Produktionspraktiken sowie die zeitlich breit aufgestellte Untersuchung von verschiedenen, im Kern dokumentarischen Formaten des Fernsehens seit den 1950er Jahren beweisen eine umfassende und fundierte Erarbeitung der Materie und führen nicht zuletzt zu einer durchweg interessanten Lektüre.