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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Aktuelle Rezensionen


Regina Göschl/Julia Paulus (Hg.)

Weimar im Westen. Republik der Gegensätze

Münster 2019, Aschendorff, 207 Seiten,  zahlreiche Abbildungen
Rezensiert von Michael Kißener
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 20.07.2020

Der anzuzeigende Sammelband ist im Zusammenhang mit der gleichnamigen Wanderausstellung der Landschaftsverbände Westfalen-Lippe und Rheinland entstanden, die das 100-jährige Bauhaus-Jubiläum veranlasst hat. Er zielt darauf ab, die Weimarer Republik als „eine Republik der Gegensätze“ zu begreifen, in der „politische Aufbrüche und soziale Fortschritte einher“ gingen „mit sozialen Konflikten und extremer Gewalt“ – so der Umschlagstext – und dies anhand von Beispielen aus dem Rheinland und Westfalen zu demonstrieren.

In 20, teils unter 10 Seiten langen Aufsätzen werden ohne Anspruch auf Vollständigkeit „Einblicke“ in diese Zusammenhänge vermittelt, die vier schon nach ihrer Überschrift stark kulturgeschichtlich inspirierten Kapiteln zugeteilt werden: „Gewalt und Sicherheit“, „Gesellschaft und Gemeinschaft“, „Avantgarde und Tradition“, „Stadt und Land“. Jedem Beitrag ist ein Bild mit „ikonischer Bedeutung“ vorangestellt, das den Ausgangspunkt des jeweiligen Aufsatzes bildet.

Im ersten Kapitel, in dem „entscheidende Rahmenentwicklungen“(S. 12) angesprochen werden, erklärt z.B. Wilfried Reininghaus, ausgehend von einem Bild selbstbewusst in die Kamera schauender Soldatenräte des VII. Armeekorps in Münster aus dem November 1918, die komplizierte Genese und Zusammensetzung dieser Räte, deren Ziel vielfach die Sicherstellung der Ernährung der Bevölkerung und die Garantie von Ruhe und Ordnung war. Reininghaus schafft es, in klarer, präziser Sprachführung einen anschaulichen Eindruck der heterogenen Organisationsstruktur dieser oft spontan entstandenen Räte zu vermitteln. Dabei verzichtet er wie alle anderen Beiträger weitgehend auf Annotierungen, nur das Wichtigste wird mit einer Anmerkung versehen, und im Anhang wird die dem Aufsatz zugrunde liegende Literatur aufgeführt.

Maike Schmidt blickt in ihrem kurzen Beitrag über „Berlin ist nicht Deutschland – Separatismus im besetzten Rheinland“ lobenswerterweise auch in den südlichen Teil der preußischen Rheinprovinz und fasst die seit Martin Schlemmers großer Arbeit über die Rheinstaatsbestrebungen nach dem Ersten Weltkrieg bekannten Tatsachen zusammen. Dabei erlaubt vermutlich die Kürze des Beitrages nicht jene Differenzierung und Absetzung von der traditionellen nationalen Perspektive auf den Separatismus, die Schlemmers Arbeit wohltuend auszeichnet.

Das zweite Kapitel, in dem „Antriebskräfte gesellschaftlicher Modernisierung“ (S. 13) wie Medien, Tourismus oder ein diversifiziertes Vereinswesen vorgestellt werden, fällt durch einen Aufsatz von Helmut Rönz zur Entwicklung des modernen Massensports auf. Er rekurriert auf ein Foto vom Turnfest in Köln 1928 und stellt anschaulich die rasante Entwicklung des Breitensports dar, der nun nicht nur Männer, sondern auch Frauen erfasste. Landesgeschichtlich höchst interessant sind die regionalen Schwerpunkte einzelner Sportarten. Dass der Fußball z.B. besonders im Ruhrgebiet beliebt war, ist eher schon bekannt, dass aber Handball bevorzugt im Bergischen Land und in Ostwestfalen gespielt wurde, wohl schon weniger. Zugleich hebt Rönz hervor, wie der Sport  segregiert betrieben wurde in konfessionell oder sozial getrennten Vereinen, die Milieustrukturen festigten.

Innovative wie retardierende Momente der gesellschaftlichen Entwicklung zeigt das Kapitel „Avantgarde und Tradition“ , in dem Julia Paulus etwa anhand regionaler Beispiele Aushandlungsprozesse von Männlichkeit wie Weiblichkeit problematisiert und zeigt, inwieweit ein neues Bild der Frau in der Weimarer Republik Raum greifen konnte.  

Im abschließenden Kapitel über „Stadt und Land“ wird der für Westfalen und das Rheinland in dieser Zeit sehr prägende und bisweilen auf engem Raum beobachtbare Gegensatz von Land und Stadt thematisiert. Hier zeigt z.B. Klaus Schultze in einem prägnanten Aufsatz, wie sich in einer „schleichenden Revolution“ durch allmählichen technischen Fortschritt nicht nur die Lebens- und Arbeitsbedingungen auf dem Land veränderten, sondern auch gesellschaftliche Zustände nach dem Ersten Weltkrieg fluide wurden.

Der Band besticht, auch wenn er längst nicht alle Themen anspricht, an die unter dem gewählten Titel zu denken wäre, durch seine kurzen, prägnanten Impulsbeiträge. Sie lassen sehr schnell erkennbar werden, dass die Weimarer Zeit nicht nur in den Großstädten ein beachtliches Innovationspotential freisetzte. Sie war zugleich durch etliche retardierende Momente gekennzeichnet und ist überdies für die Landesgeschichte ein spannendes Thema, das weiterer Forschung bedarf.