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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Aktuelle Rezensionen


Horazio González Cesteros/Piero Berni Millet

Roman Amphorae in Neuss. Augustan to Julio-Claudian Contexts

Mit einem Vorwort von Patrick Monsieur. Roman and Late Antique Mediterranean Pottery 12 (Verlag Archaeopress, Oxford 2018) 135 S., 191 Abb., 7 Tab., ISBN 978-1-78969-052-1
Rezensiert von Helga Sedlmayer
In: Bayerische Vorgeschichtsblätter
Erschienen am 20.07.2020

Novaesium/Neuss zählt zu den Schlüsselfundplätzen der römischen Okkupation entlang des Rheins. Das überlieferte Fundmaterial ist äußerst facettenreich und aufgrund der Quantität für die Region zwischen Rhein und Lippe von hoher statistischer Relevanz. Diese außergewöhnlichen Faktoren bedingen eine lange Forschungstradition in Neuss, die insbesondere durch die zahlreichen monografischen Vorlagen in der Reihe „Limesforschungen“ ihren Niederschlag fand.

Die vorliegende Publikation von Horacio Gonzáles Cesteros und Piero Berni Millet widmet sich erneut den Amphoren von Neuss der augusteischen bis claudischen Periode (im Untertitel etwas eigenwillig als „augustan to julio-claudian“ bezeichnet), wobei hier primär von vor-claudischen Funden auszugehen ist, zumal Funde aus der Zone des unter Claudius eingerichteten sog. Koenenlagers in die Studie nicht integriert wurden (S. 1 f.; 22 Anm. 15; 55 Anm. 24).

Mit der Publikation von Gonzáles Cesteros und Berni Millet wird innerhalb eines kurzen zeitlichen Intervalls von sieben Jahren der früheste Horizont römischer Amphoren aus Neuss einer neuerlichen intensiven Betrachtung unterzogen, nachdem sich nur wenige Jahre zuvor Andreas Wegert mit diesem Thema beschäftigt hatte (Wegert 2011). Unweigerlich sind hier Überschneidungen im dokumentierten Material gegeben, die aufgrund einer fehlenden Konkordanz (S. 5) für den Leser selten und, wenn überhaupt, nur mühevoll zu erfassen sind. Die aktuelle Studie ist als das Ergebnis einer kritischen Fundrevision zu verstehen, die jedoch nicht den für ein solches Unterfangen erforderlichen wissenschaftlichen Apparat beibringt. Für die Auswahl zeichnerisch dokumentierter Funde werden Inventarnummern nur im Falle der im epigraphischen Appendix erfassten Stücke angeführt (S. 76–117; vgl. Carreras/Berni 2015, 184–198).

Die Präsentation der Stempel, Graffiti und Pinselaufschriften ist zwar detailliert aufbereitet, doch ohne Verweis auf die von Wegert 2011, 59–80 Nr. 1–581 publizierten Katalognummern. So eruiert der Leser beider Publikationen erst bei sehr genauer Lektüre, dass das äußerst interessante Stück mit Gemmenstempel (S. 55 Abb. 9.1.1,1; 76 Nr. 12.1) Wegert 2011, 72 Taf. 10,367 entspricht, dieses dort aber ohne Dokumentation des Stempels abgebildet ist

Die wenigen Tituli picti sind von geringer Aussagekraft und in keinem Fall informativ hinsichtlich Gefäßinhalt oder genauer Datierung der Abfüllung (S. 111–113). Die 72 Graffiti wurden auf 14 % aller 523 Amphoren erfasst. Sie sind demnach als Indizien für eine Sekundärverwendung nicht allzu zahlreich, zugleich aber häufiger als auf den Amphoren des kurzzeitigen Lagers von Dangstetten mit 23 Individuen samt Ritzung, also 1 % der 2208 Amphoren (Ehmig 2010, Taf. 5–6, 8–9, 11, 13,15–16, 18, 21, 25, 29). Die Graffiti aus Neuss beschränken sich zumeist auf einfache Zahlzeichen, in den seltensten Fällen ist unmissverständlich ein Personenname lesbar (S. 24 mit Anm. 25; 92–111 Nr. 53–125). Ob Graffiti häufiger auf augusteischen oder tiberisch-(vor)claudischen Typen belegt sind, wird nicht thematisiert. Die erfassten Stempel wiederum sprengen den vorgegebenen chronologischen Rahmen der Publikation, da für Dressel 20 alle entsprechend markierten Exemplare des 1.–3. Jahrhunderts aufgenommen wurden (S. 21–23 Abb. 6.1.2).

Die fehlende Reflexion geleisteter Forschungsarbeit fällt bei der Behandlung der fabrics ins Gewicht. In Wegert 2011, 43–58 Farbtaf. A–H finden sich in guter drucktechnischer Qualität übersichtliche Abbildungen einer großen Auswahl von in Neuss angetroffenen Amphorenfabrikaten, die in einem „Referenzkatalog“ mit Inventarnummer aufgeschlüsselt sind. Es ist schade, dass auf diese wichtige Informationsquelle durch die Autoren keinerlei Bezug mittels eines Verweises genommen wird, sondern dass vielmehr die Behandlung der Fabrikate auf eine nicht objektivierbare verbale Beschreibung reduziert ist.

Beide Publikationen der frühen Amphoren aus Neuss, Wegert 2011 und die hier vorliegende von Gonzáles Cesteros und Berni Millet, haben jeweils das Fundmaterial aus dem Areal der Lagerplätze westlich des in claudischer Zeit eingerichteten sog. Koenenlagers zum Thema. Die Nomenklatur der Fundstellen divergiert in der von P. Monsieur verfassten „Préface“ (S. V f.) sowie in der „Introduction“ (S. 1–4), so spricht Monsieur in alter Tradition von „camp A–F“, während Gonzáles Cesteros und Berni Millet die Benennung „camp 1–6“ bevorzugen (S. 3 Tab. 1). Eine Konkordanz dieser unterschiedlichen Benennungen findet sich nicht, hier ist es erforderlich in Wegert 2011, Tab. 2 oder Gechter 2007, 207–213 nachzublättern. Für das Lager 6 liegt zudem ein Missverständnis in der Übersetzung vor, da S. 3 Tab. 1 von einem „Aux. Camp“ gesprochen wird, es sich tatsächlich aber um das sog. Annexlager handelt. Das Auxiliarkastell datiert in die mittlere Kaiserzeit (Gechter 2007, 210).

Die beiden Überblickspläne der militärischen Lager von Neuss wurden S. 2 f. Abb. 3.3–4 aus der älteren Literatur übernommen, ohne eine Konkordanz zur letztgültigen Nummerierung nach M. Gechter herzustellen. Für den außenstehenden Leser ist es anhand dieser Karten demnach völlig ungewiss, aus welchen Fundstellen das bearbeitete Material konkret stammt, was bei den komplexen Verhältnissen in Neuss mit vielfachen Veränderungen in der Ausdehnung der Lagerplätze während kurzer Zeit umso schwerer  wiegt.

Wer kein eingeweihter Neuss-Kenner ist, kann demnach nicht abschätzen, welche Fundbestände die Basis der vorliegenden Monografie bildeten. Die immer wiederkehrende Nennung des Depots von „Meckenheim“ (S. 5 ff.), in dem die Funde aufgenommen wurden, ist ebenfalls wenig hilfreich. Was einführend fehlt, ist eine detaillierte Kartierung der Fundplätze, aus denen das Material erfasst und analysiert wurde, sowie eine Quantifizierung des ausgewerteten Materials in Horizontalstratigrafie. Selbst wenn, wie die Autoren feststellen (S. 2), die mangelhafte Datenqualität der Befunde die bislang geübte exakte Zuweisung von Kontexten zu einzelnen Lagern nicht ratsam erscheinen lässt, wären hier mehr Transparenz und Diskussion der Problemfelder im Sinne einer taphonomischen Analyse notwendig.

Eine weitere methodische  Fragestellung  bildet wie immer beim Studium von Amphoren die Art der Zählweise bzw. Definition der Mindestindividuen. Die 523 NMI wurde nach den Vorgaben in Arcelin/ Tuffreau-Libre 1998 ermittelt (S. 20 Anm. 4). Nun ist dieses für  den Umgang mit keramischen Individuen unerlässliche Standardwerk zwar allgemein bekannt, doch letztlich zeigte es nur den Rahmen der Möglichkeiten in der Quantifizierung auf. Es  wäre  vorteilhafter gewesen, die von den Autoren angewandte Methode dem Leser im Detail näher zu bringen. Die Möglichkeiten bei der Erfassung von Amphoren sind vielschichtig, eine Objektivierung des analysierten Materials aber letztlich einfach zu erbringen. Dies zeigt letzthin S. Wyss in einer Fundvorlage aus Vindonissa; die dort publizierte Tabelle dokumentiert übersichtlich das behandelte Material in all seinen unterschiedlichen Erhaltungsbedingungen (Wyss  2013, 400 f. Abb. 323).

Da sich die Autoren kritisch mit den iulisch-(vor) claudischen Amphorenfunden aus Neuss befassen, irritiert die in vielfacher Wiederholung wiedergegebene Verbreitungskarte (S. 21 Abb. 6.0.1 ff.), die das römischen Imperium zur Zeit des Septimius Severus (mit Provinz Numidien und einer Verwechslung von Unter- und Oberpannonien) darstellt und demnach ein Bild fern des historischen Zeitrahmens der analysierten Funde vermittelt.

Diese auch aus einer kaum merklichen wissenschaftlichen Redaktion der Publikation resultierenden Mängel trüben etwas den Blick auf eine in weiten Zügen erfrischend kritische Diskussion „heißer Eisen“ der Amphorenforschung sowie kleiner, bislang unbekannter Highlights im Neusser Material. Man merkt der breiten Fülle an Argumentationsketten an, dass die Autoren aus einem reichen Erfahrungsschatz in der Bearbeitung von Amphoren schöpfen und vom Leser erwarten, dass dieser auf hohem Niveau den Gedankengängen und Hypothesen folgt. Da die Quellenangaben in den Fußnoten häufig nur summarisch ausfallen, wird es letzterem vielfach nicht leicht gemacht, das Rezipierte auf schnellem Weg nachzuschlagen.

Die von den Autoren erfassten 523 NMI verteilen sich, wie nicht anders zu erwarten, ungleichgewichtig zu Gunsten eines sehr hohen Anteils von 50 % hispanischer Produkte und einem ebenso bedeutsamen gallischer Provenienz (S. 20 Tab. 2). Bemerkenswert sind die fast 12 % italischer Amphoren, der Anteil von 16 % ost-mediterraner Amphoren repräsentiert laut den Autoren einen üblichen am Rhein (S. 54). Eine überblicksmäßige Quantifizierung der angelieferten Güter auf Basis von Wein/Fisch/Oliven und sonstigem wird von den Autoren nicht beigebracht, laut Wegert 2011, Tab. 11 ist eine Dominanz von Fischsaucen und Wein zu je zwei Drittel ersichtlich. Haben die offenen Fragen zu gewissen Transportgütern in Amphoren die Autoren dazu bewogen, von einer solchen prozentualen Darstellung der Warengattungen Abstand zu nehmen? Die Diskussion rund um den Inhalt von Haltern 70 wird jedenfalls mehrfach aufgegriffen und in eine komplexe Abfolge von defrutum zu Beginn und eingelegten Oliven zum Schluss der Produktionsphase zergliedert (S. 24 f.; 45). Demgegenüber wird der Inhalt von Dressel 6A vorbehaltlos als Wein angegeben (S. 64; vgl. Ehmig 2010, 97; 146).

Der Versuch einer Differenzierung der bearbeiteten Funde getrennt nach Leitformen einzelner Okkupationsphasen des Rhein-Lippe-Raums zwischen 20/15 v. und 40 n. Chr. wird nicht unternommen, „since we shun any separation of the material based on a theoretical system of occupational phases (…)“ (S. 20).

Unter dem hispanischen Hauptkontingent dominieren Amphoren für Olivenöl. Darunter findet sich eine des Typs Oberaden 83 mit roter Pinselaufschrift, deren grafische Dokumentation mit dem Foto keine volle Übereinstimmung aufweist; jedenfalls fragt man sich, was die rote (akzidentielle?) Marke am Henkelansatz bedeutet, auf die nicht eingegangen wird (S. 22 f. Abb. 6.1.10). Laut den Autoren (S. 22) ist die Ausformung dieser Amphore durchaus geeignet, eine Datierung vor 15/10 v. Chr. zu argumentieren. Ein vermutlich noch älteres Stück (S. 30 Abb. 6.2.1,1) wird durch eine Fischsaucenamphore hispanischer Provenienz des Typs Dressel 10 „archaïque“ repräsentiert (vgl. Laubenheimer/ Marlière 2010, 433). Warum das Vergleichsstück aus dem postcaesarischen Lager von La Chaussée-Tirancourt zwischen „60–40 BC“ eingeordnet wird (S. 30), bleibt unerklärt. Tatsächlich datiert die Befestigung von La Chaussée-Tirancourt allgemein zwischen 30–20 v. Chr. (Brunaux/ Fichtl/ Marchand 1990, 22 Abb. 18,1), der stratigrafische Kontext „US 185“ der Analogie zwischen 30–15 v. Chr. (Laubenheimer/ Marlière 2010, 433). Womit eine Zuordnung des Stücks aus Neuss in die Bestandszeit des Lagers 1 (Gechter 2007, 207) möglich erscheint. Die Fischsaucen wurden demnach schon früh mittels militärischer Fourage in die okkupierten Gebiete verbreitet, was in Neuss archäologisch primär durch Funde des Typs Dressel 7–11 (S. 20 Tab. 3: NMI 79) nachgewiesen ist: „From quantitative point of view, the Baetican fish amphorae ought to have been the main amphora import in Augustan and Tiberian times (…)“ (S. 30).

Hervorzuheben ist die Beobachtung von M. Vegas an einer einheitlichen Gruppe steilrandiger Reibschüsseln aus Neuss, dass diese ein Fabrikat gleich den baetischen Fischamphoren aufweisen (Vegas 1975, 41 Taf. 25,1–26,2: „die leicht grünstichige Ware einiger sandfarbener Schüsseln ist mit der der Saucenamphoren Oberaden Typ 80/81 zum Verwechseln ähnlich.“). Ob diese aus Lyon oder von weiter her stammten, bevor sie in das lokale Produktionsprogramm übernommen wurden, bleibt zu klären (vgl. Liesen 2006). Offenkundig ist, dass solche Mortarien bereits zu Beginn römischer Präsenz am Rhein ein Standardutensil im Marschgepäck der contubernia gebildet hatten, worauf die zahlreichen Funde aus Dangstetten hindeuten. Dort traten in 153 Kontexten Reibschüsseln auf, also in 13 % aller 1137 fundführenden (Fingerlin 1986 und 1998, Fundstellen 4, 6, 11, 14, 30, 42, 60, 76, 103, 129, 193, 208, 208/210, 233, 242, 244, 259, 263, 268, 272, 295, 300, 311–312, 314, 318, 332–333, 336, 344, 347, 356–357, 359, 361–362, 371, 384, 393, 397, 401–402, 404, 412, 424, 427, 446, 448–449, 471, 482–484, 489, 501, 503, 505, 511, 533–534,538, 542–545, 552, 559, 567, 575, 599; 604, 657, 694, 698,732, 751, 754, 757, 760, 766, 810, 833, 844C–D, 861, 867, 868, 874, 886, 890–892, 894–895, 901–902, 907–909, 925, 933–934, 936, 944, 955, 961, 963, 968, 970, 996, 1010, 1012, 1014, 1017, 1036, 1041–1042, 1045, 1048, 1063, 1080, 1084, 1086, 1105–1106, 1110, 1119, 1130, 1139, 1145, 1147, 1158–1160, 1162, 1170, 1174, 1181, 1197, 1220–1222, 1224, 1238, 1252, 1254–1255, 1267, 1293, 1295, 1330, 1334, 1357. – Zu Mortarien der contubernia: Groh/ Sedlmayer 2019, 82 f.). Interessant wäre die Behandlung der Frage, ob solche Reibschüsseln im Zuge der Amphoren-Belieferung die Militärplätze erreichten. Die starke Präsenz der Mortarien indiziert jedenfalls das Festhalten der Soldaten an mediterranen Speisegewohnheiten auf Expedition, woraus auch die Versorgung mit Fischsaucen resultierte, und nicht so sehr, worauf S. 122 mit Anm. 26 beharrt wird, aus dem vordringlichen Bedarf salzreichen Speisezusatzes. Dieser konnte mit der Lieferung von Salzfässern oder -säcken einfacher und effektiver gedeckt werden (vgl. z. B. die Fässer in Oberaden und Argentorate ohne Spundloch: Marlière 2002, 72; 81 Abb. 67,T172. T230).

Auch gallische Amphoren, speziell aus Lyon, dienten als Transportbehältnisse für Fischsaucen und es wurde die Theorie entwickelt, dass in diesem Handelszentrum Mittelmeerprodukte eine Neuabfüllung in lokal produzierte, für den weiteren Fluss- und Landtransport besser geeignete Gebinde erfuhren (S. 39; im Überblick Schimmer 2009, 54 f.). S. 41–44 setzten sich die Autoren sehr konkret mit dieser Fragestellung auseinander und stellen unterschiedliche Thesen zum Umschlagplatz an der Rhône zur Diskussion. Für sie ist eine Direktlieferung der baetischen Fischprodukte an den Rhein ohne Umschichtung aufgrund der zahlreichen Nachweise originaler hispanischer Gebinde in Neuss offenkundig  (S. 41–43). Dem kann hinsichtlich der hochsensiblen Produkte auf Fischbasis nur beigepflichtet werden, für die Amphoren oder kleinere Doppelhenkeltöpfe (Long/ Piton/ Djaoui 2009, 586–588 Abb. 16) als ideale Konserven dienten und einen Transport ohne zusätzliche gefährliche Oxidationsprozesse garantierten. In diesem Zusammenhang hatte Desbat 1991, 324 für die in Lyon abgefüllten Fischprodukte treffend geäußert „il paraît absurde de les avoir fait venir en amphores pour les transvaser dans d’autres amphores. Il n’est pas impossible non plus que ces produits proviennent du littoral gaulois“.

Auf S. 45 und 47 stellen die Autoren fest, dass Produkte aus Lyon (primär auf Basis von Fisch) einen Anteil von 10 % aller von ihnen analysierten Amphoren aus Neuss ausmachen, was angesichts der Nähe des Produktionszentrums an der Rhône zum Absatzmarkt am Rhein einen Wert unter der Erwartung ergibt. Der Stellenwert des Lyoner Marktes in der Versorgungsstruktur der Militärlager ist ein viel diskutiertes Thema, dass letztlich mit dem alleinigen Blick auf die Amphoren nicht zu beurteilen ist. Hier wäre ein Vergleich mit anderen Exportschlagern wie der Terra Sigillata im Detail notwendig; so zeigt allein schon der Blick auf die Zusammenstellung der in Neuss nachgewiesenen mittel- / süditalischen und Lyoner Sigillatahersteller, dass nur 20 % in Lyon, alle übrigen hingegen in Italien produzierten (OCK für Neuss: gestempelte NMI: 736 Mittel/ Süditalien, 224 Lyon; nachgewiesene Töpfer: 124 Mittel- / Süditalien, 31 Lyon).

Was das Neusser Material im Vergleich zu anderen militärischen Fundplätzen an Niederrhein und Lippe (Nijmegen, Oberaden, Haltern, Anreppen) so interessant macht, ist der relativ hohe 11 %-Anteil italischer, speziell adriatischer Amphoren (S. 64 f.). Hier ist im militärischen Milieu eine alleinige Vergleichbarkeit mit dem mittelaugusteischen Dangstetten zu konstatieren, wo wie in Neuss eine starke Präsenz von Dressel 6A- Amphoren aus dem Adriaraum vorliegt (S. 64 f.). Ganz anders ist dann die Situation im tiberischen Camp B von Oedenburg, wo hispanischer Import stark dominiert und sich italischer auf drei mittelitalische Weinamphoren beschränkt (Viroulet 2009, 178 f. Abb. 5.5).

Unter den Amphoren aus italischer (campanischer) Produktion aus Neuss wird S. 68 Abb. 10.2.3.2 ein ungewöhnliches Stück in knidischer Tradition hervorgehoben. Es könnte die Fertigung durch einen aus dem ostmediterranen Raum nach Italien gelangten figulus indizieren oder die Nachahmer-Ware eines italischen Produzent, der das Label eines Markenprodukts kopierte.

Stammen die nach Neuss gelangten italischen Amphorenlieferungen zum größeren Teil aus dem Adriaraum, so wurde die massive Zufuhr von Sigillaten hauptsächlich durch etrurische Werkstätten  gedeckt. An keinem anderen Fundplatz entlang des Rheins ist ein solcher Variantenreichtum aus unterschiedlichen italischen Fabrikationen wie in Neuss vorhanden (s. o.). Diese Dominanz italischer Sigillaten in Neuss gegenüber dem geringen Anteil aus Lyon macht deutlich, dass die Produktionen an der Rhône zu klein dimensioniert waren, um über einen längeren Zeitraum hinweg, die mit der Verstärkung der Truppenpräsenz entlang des Rheins auch stetig steigende Nachfrage durch nötigen Output zu befriedigen. Die Marktführer frührömischer Zeit, Massenproduzenten in Italien für Tafelgeschirr und auf der iberischen Halbinsel für Nahrungsmittel auf Basis von Oliven, Wein und Fisch, waren entlang des Rheins konkurrenzlos. Die Autoren hingegen vertreten den Standpunkt, dass die Heeresversorgung mit Wein primär durch gallische Produzenten gedeckt wurde (S. 69). Für die in diese Diskussion immer wieder eingebrachte Hypothese, dass bereits während der frührömischen Periode der Transport von Lebensmitteln in Fässern viel bedeutsamer als jener in Amphoren gewesen sei, ist aber zu betonen, dass für Neuss, anders als im Falle zahlreicher Nachweise entsprechender Gebinde im militärischen Kontext wie Oberaden, keine nennenswerten Evidenzen vorhanden sind (S. 121 wird das Fehlen von Fässern in den Neusser Lagern konstatiert; in Marlière 2002, 78 T195 ist ein nicht näher charakterisierter Fund angeführt).

Im Lebensmittelsektor heben sich von den hispanischen Massenprodukten einige exklusive ab, für die eine Kartierung interessant gewesen wäre, zumal argumentiert wird, dass solche Güter hohen Chargen vorbehalten gewesen seien (S. 61; 121). So hätte man gerne gewusst, ob einer dieser Nachweise aus dem Bereich des scamnum tribunorum (Gechter 2007, 209: Lager 5) stammt, bzw. ob anhand der Fundpräsenz überhaupt eine Aussage zur unmittelbaren Konsumation zu treffen ist. Die detaillierte horizontalstratigraphische Analyse der Amphorenfunde aus Dangstetten erbrachte jedenfalls für die von S. Martin-Kilcher aufgeworfene Frage, ob ostmediterraner Wein ebenda nur den Offizieren vorbehalten gewesen sei, keinerlei Hinweise auf eine spezielle Konsumation. Die archäologischen Reste der zugehörigen Weinbehälter waren vielmehr in weiten Teilen des Lagers gleichförmig verteilt (Ehmig 2010, 124–127). Dass keineswegs alle Weine des östlichen Mittelmeerraums Produkte des Hochpreissegments waren, sondern es sich aufgrund des Salzzusatzes auch um Getränke von medizinischer Bedeutung für die in den nördlichen Okkupationsgebieten stationierten Soldaten handelte, ist eine interessante, von den Autoren in die Diskussion eingebrachte Überlegung (S. 58; 61).

Als Quintessenz aus der Lektüre von Gonzáles Cesteros/ Berni Millet 2018 bleibt ein neuerlich wachgerufenes Interesse an dem in Hinblick auf Quantität wie auch Qualität außerordentlichen Fundmaterial aus Neuss. Angeregt wird ein neuerliches Reflektieren dauerhafter brennender Fragen der Amphorenforschung zur Art der Gebinde, Transportkapazität und möglicher Umschlagplätze. Die Erwartungshaltung hinsichtlich der angekündigten vertiefenden Publikation zu hispanischen Importnachweisen aus der Germania inferior (S. 118 f. Anm. 8) ist hoch. Viele der hier aufgeworfenen offenen Fragen nach Konkordanz mit bereits publiziertem Material, Quantifizierung, Horizontalstratigraphie und Taphonomie des Fundplatzes Novaesium / Neuss bieten Stoff für diese weitere Studie.

 

Literatur

Außer den im Literaturverzeichnis von Gonzáles Cesteros und Berni Millet genannten Veröffentlichungen werden hier folgende zitiert:

J. L. Brunaux/ S. Fichtl/ C. Marchand, Die Ausgrabungen am Haupttor des „Camp César“ bei La Chaussée-Tirancourt [Dept. Somme, Frankreich].Saalburg Jahrbuch 45, 1990, 5–23.

G. Fingerlin, Dangstetten I. Katalog der Funde (Fundstellen 1 bis 603). Forsch. und Ber. zur Vor- und Frühgesch. in Baden-Württemberg 22 (Stuttgart 1986).

G. Fingerlin, Dangstetten II. Katalog der Funde (Fundstellen 604 bis 1358). Forsch. und Ber. zur Vor- und Frühgesch. in Baden-Württemberg 69 (Stuttgart 1998).

S. Groh/ H. Sedlmayer, Regards sur la vie quotidienne en campement militaire. L’inventaire d’un contubernium de Favianis (Mautern an der Donau, Autriche). In: P. Ballet/ S. Lemaître/ I. Bertrand (Hrsg.), De la Gaule à l’orient méditerranéen. Fonctions et statuts des mobiliers archéologiques dans leur contexte (Rennes 2019) 81–89.

B. Liesen, Reibschalen aus der Colonia Ulpia Traiana. Xantener Berichte. Grabung – Forschung – Präsentation 14 (Mainz 2006) 193–212.

L. Long/ J. Piton/ D. Djaoui, Les céramiques communes des gisements du Rhône à Arles. Le faciès portuaire d’époque impériale. In: M. Pasqualini (Hrsg.), Les céramiques communes d’Italie et de Narbonnaise. Structures de production, typologies et contextes inédits IIe s. av. J.-C. – IIIe s. apr. J.-C. Collection du Centre Jean Bérard 30 (Neapel 2009) 569–614.

OCK = A. Oxé/ H. Comfort/ P. M. Kenrick, Corpus Vasorum Arretinorum. Antiquitas 3/41 (Bonn 2000).

B. Viroulet, La céramique des camps. In: M. Reddé (Hrsg.), Oedenburg. Fouilles françaises, allemandes et suisses à Bliesheim et Kunheim, Haut-Rhin, France. Les camps militaires julio-claudiens. Monographien des Römisch-Germanischen Zentralmuseums 79,1 (Mainz 2009) 169–230.

S. Wyss, Lebensmittelimporte für die Soldaten: Amphorenbestände innerhalb des Legionslagers von Vindonissa. In: J. Trumm/M. Flück, Am Südtor von Vindonissa. Die Steinbauten der Grabungen Windisch-Spillmannwiese 2003–2006 (V.003.1) im Süden des Legionslagers. Veröff. Ges. Pro Vindonissa 22 (Brugg 2013) 398–408.