Aktuelle Rezensionen
Carl I. Hammer
Huosiland. A Small Country in Carolingian Europe
(Archaeopress Publishing LT D, Oxford 2018), VIII S. und 250 S., ISBN 978-1-78491-3; 978-1-78491-760-9 (kostenloses e-PDF online)Rezensiert von Janine Fries-Knoblach
In: Bayerische Vorgeschichtsblätter
Erschienen am 21.07.2020
Die vorliegende Arbeit basiert auf einer Studienarbeit der 1970er Jahre, die der in Pittsburgh, PA (USA), ansässige Verf., ein B. A. Absolvent von Amherst College, MA (USA), und Doktor der Universität von Toronto (CDN), nach einem Berufsleben in der Wirtschaft im Ruhestand wieder aufgegriffen und zu einer im Selbstverlag gedruckten Monographie ausgebaut hat (S. III–V; zu zahlreichen weiteren Publikationen des Verf. S. 83 f.; 86). Diese besteht aus einem ersten Teil, der sich den Strukturen und Gemeinschaften von „Huosiland“ in der Zeit von ca. 750–850 widmet (S. 1–51) und einem zweiten Teil, welcher der „Erkundung“ der Quellen anhand ausgewählter Beispiele (S. 53–78) gewidmet ist. Der dritte Teil enthält eine kommentierte Bibliographie (S. 79–87), der vierte englische Übersetzungen der fast 350 verwendeten lateinischen Originaltexte (S. 89–238), die Verf. selbst während seines Berufslebens anfertigte, um der Geschichtsforschung verbunden zu bleiben (S. IV), und für die Publikation überarbeitet hat (S. VI). Der Band schließt mit einem Ortsnamensregister zu den übersetzten Dokumenten (mit über 250 Einträgen: S. 33), einer schematischen Landkarte sowie Stammbäumen und Diagrammen zu drei komplexen Urkundengruppen (S. 239–249).
In der Einleitung stellt Verf. sein Untersuchungsgebiet als imaginiertes, da aus der Literatur rekonstruiertes und nicht territorial gemeintes Land dar, für dessen Erforschung er vor allem Dokumente des ältesten Freisinger Traditionsbuchs, des sog. Cozroh-Codex in eigenen Übersetzungen heranzieht (S. I). Nach kurzen Einblicken in seine Ausbildung und Motivation (S. II) werden Besonderheiten geklärt, insbesondere Personen- und Ortsnamen, die Übersetzung von servus mit Sklave und der – mutmaßlich karolingischen – Ämter comes mit Sheriff = „shire reeve“ = Vogt bzw. advocatus mit steward = Verwalter sowie der Verzicht auf „footnotes“, womit Zitate von Sekundärliteratur gemeint sind (S. III–VI).
Der erste Teil gliedert sich in die Einleitung, die Frage nach „Huosiland“, Herrschaft und Autorität, Kirche und Frömmigkeit, Wirtschaft und Gesellschaft sowie weitere Betrachtungen. Zunächst geht es um die Einrichtung und Struktur der frühmittelalterlichen Kirche in Bayern und die Sonderstellung der Diözese Freising durch ihre reichen Textzeugnisse dank Bischof Hitto (S. 1–3) und dem Zufall der Überlieferung. Bei den dokumentierten Vorgängen sei im Lauf der Zeit eine Verschiebung von Schenkungen hin zu Tauschgeschäften festzustellen (S. 4). Das Untersuchungsgebiet reicht zwischen Lech und Isar von der Donau bis zum Alpenfuß mit einem Kerngebiet zwischen Amper und Glonn (S. 5). Der nächste Abschnitt behandelt die Genealogiae im Allgemeinen und die Sippe der Huosi im Besonderen (S. 7–14), deren Spuren sich mit dem Disput um Tandern 849 verlieren, auch wenn noch im 11. Jahrhundert der Begriff „pagus Hosi“ vorkam (S. 11; 13). Hierbei weist Hammer zu Recht auf die noch fehlende Erblichkeit frühmittelalterlichen Adels hin (S. 9), die sich erst allmählich vom 5.–8. Jahrhundert im Zuge eines auch archäologisch greifbaren „Nobilifizierungsprozesses“ (Burzler 2000) ausprägte. Herrschaft und Autorität des Einzelnen hingen von Wohlstand, Amt und Gunst des Herrschers ab, der in Bayern seit dem Vertrag von Verdun 843 Ludwig der Deutsche war (S. 14 f.). Hof- und Gerichtstage konnten Bayern als Ganzes betreffen oder nur bestimmte Regionen, wobei innerhalb des Untersuchungsgebietes Unterschiede festzustellen sind, die als Zeichen eines sog. Adelspagus im Süden und Südwesten gedeutet werden (S. 19; 21 f.; vgl. auch Haas-Gebhard 2016, 117 zum Überwiegen von Adelsterritorien im Westen und herzoglichem Gebiet im Osten). Bereits vor Herzog Tassilos Absetzung im Jahr 788 gab es karolingische Amtsleute in Bayern und Hinweise auf eine Verbindung der Huosi mit den Karolingern (S. 20). Die breit gegründete Macht der Kirche wurde bei regelmäßigen Synoden zwischen zahlreichen Amtsträgern koordiniert (S. 24; 27). Besondere Bedeutung kam unter den geschätzten 100 Kirchen des Untersuchungsgebiets den sog. Eigenkirchen zu (S. 8; 32 f.; 56). Vermächtnisse erfolgten oft an Heilige als die eigentlichen Eigentümer von Kirchenbesitz (S. 38). Anschaulich erklärt ist die in den Urkunden aufscheinende, oft nur geringe Schnittmenge zwischen dem gesamten Besitz eines Schenkenden und der ganzen Fläche einer Siedlung (S. 40; 46). Es folgen Ausführungen zu Naturalwirtschaft und Gutshöfen, deren Personal bis zu mehreren Hundert Personen umfassen konnte und zum Teil innerhalb der Güter mobil war (bis S. 45). Daneben weist Verf. auf Metallgewinnung, Mühlen, Wässerwiesen, Alm- und Waldwirtschaft sowie Salzproduktion hin (S. 40; 48 f.). Aus seinen Darlegungen folgert Hammer, dass „great landed proprietors in Huosiland would have ruled … in relative independence from royal authority“. Die andere bedeutende Macht sei der beständig reisende Bischof von Freising gewesen, dem im Zentrum des Untersuchungsgebietes nicht einmal Klöster Konkurrenz gemacht hätten (S. 50 f.), eine Lücke die sich wohl durch Altomünster (vor 760) und Ilmmünster (2. Hälfte 8. Jahrhundert) schließen lässt (Liebhart 1999; Sage/ Dannheimer 1988, 301 Abb. 199).
Der zweite Teil enthält sechs Beispiele von Urkunden(gruppen), nämlich die des Moatbert zu Zolling, von Erchanheri, dem Priester, Alting betreffend, des Reginhart über Fischen, der „Huosi homelands“ Sulzemoos und Landsberied, des Piligrim zu Allershausen sowie der vier Frauen Cotania, Engilsnot, Deota und Hiltimari. Die Urkunde Moatberts (TF 1) von 743/744 ist das älteste, aber nicht das zuerst kopierte Dokument, anhand dessen Hammer den Aufbau typischer Urkunden erklärt (S. 53–57). Es folgen Erläuterungen zur Datumsangabe sowie zu Zeugen, z. B. dass die Mindestzahl von sechs oft weit übertroffen werde und das Zupfen der Zeugen an den Ohren an den mündlich-akustischen Ursprung der Übereinkünfte erinnere (S. 57 f.). In Krisenzeiten konnte Übereignung an die Kirche mit nachfolgendem Nießbrauch vor Enteignung durch Gegner schützen (S. 58).
Der zweite Abschnitt ist der siebenteiligen Pankarte TF 200 vom 8.1.810 gewidmet, die eine Rekonstruktion des zugrundeliegenden Kopiervorgangs in der Schreibstube erlaubt (S. 61). Sich ergebende Widersprüche verdeutlichen, dass redundante Dokumente nicht unbedingt zu mehr Klarheit der Aussage führen (S. 63). Beispiel drei zeigt eine andere Art zusammengehöriger Dokumente, nämlich solche in lückenloser Anordnung wie bei TF 133–138 und TF 180–189 aus dem späten 8. / frühen 9. Jahrhundert zu Schenkungen am Südostende des Ammersees an Kloster Schleedorf (S. 65).
Im vierten Abschnitt geht es um das Kerngebiet der Huosi um 850, das auch Krah (2018, 1) als solches gelten lässt und wo bei Sulzemoos und Landsberied Transaktionen stattfinden (S. 67–70).
Beispiel fünf behandelt eine weitere Pankarte TF 547, eine Schenkung 827 an Freising durch eine Erben- gemeinschaft um Piligrim, einen advocatus des Freisinger Bischofs (S. 72).
Den Abschluss von Teil 2 bilden Schenkungen frommer Frauen des 8. Jahrhunderts, die z. B. dem Bistum übertragene Güter oder Eigenkirchen zur Nutzung erhalten konnten und in Verbrüderungsbüchern in Erscheinung treten (S. 75–78).
Problematisch an Hammers kenntnisreicher und gut lesbarer Darstellung ist, dass die Teile 1 und 2 keine Zitate von Sekundärliteratur enthalten. Dies begründet Verf. damit, dass er den Leser „fully focused on the primary documents“ halten wolle (S. VII). Zweifellos steigt so die Lesbarkeit, gerade auch für Laien, jedoch diskreditiert sich eine Untersuchung damit nach kontinental-europäischer Vorstellung als populär- oder gar unwissenschaftlich. Im anglo-amerikanischen Raum, wo diese Art des Narrativs mehr Tradition und dann v. a. durch das (hohe) wissenschaftliche Renommee ihres Verfassers Gewicht hat, mag diese Art der Darstellung noch angehen, im deutschen Wissenschaftsraum vergibt der Text damit von vornherein seine Chance auf akademische Anerkennung und Benutzbarkeit.
Der dritte Teil des Buches ist eine kommentierte Bibliographie, deren Layout maximal unübersichtlich ist und dringend optischer Strukturierung bedurft hätte. Nicht einmal der Beginn der einzelnen Absätze wie „Part 1/1“ (S. 81) hebt sich in irgendeiner Weise aus dem Fließtext heraus. Insgesamt scheint die Zahl der konsultierten Werke für ein so umfangreiches Thema eher überschaubar, wenn man sie etwa mit der entsprechenden Bibliographie der Bayerischen Landesbibliothek (https://www.bayerische-landesbibliothek-online.de/cozrohbibliographie) vergleicht.
Der vierte Teil mit den Übersetzungen beginnt mit „miscellaneous documents“, darunter Auszüge der Lex Baiwariorum (S. 89 f.) und der Brevium exempla (S. 90–92, erstaunlicherweise nicht so bezeichnet), eine Urkunde Ludwigs des Deutschen sowie einige Traditionen aus Mondsee, Passau, Regensburg und Schäftlarn (S. 92–94). Der Hauptteil mit „Freising deeds“ enthält rund die Hälfte der über 700 Texte der ab 824 von Cozroh und anderen Schreibern kopierten Traditionsnotizen der Jahre 744–848 (vgl. www.bayerische-landesbibliothek-online.de/cozroh), und zwar diejenigen, die sich auf „Huosiland“ beziehen (S. 4). Die Qualität der Übersetzungen ist in der Masse schwer abzuschätzen. Testweise wurden von Rez. die MGH-Fassung der Brevium exempla (Boretius 1883, 250–256) mit Hammers Text parallel gelesen. Dabei ergab sich, dass diese Übersetzung die Erläuterungen der deutschen Edition berücksichtigt und praktisch fehlerfrei ist, wenn man von Petitessen wie der Vertauschung von „gilded and embossed“ gegenüber „sculptus et deauratus“ (Boretius 1883, 251 Z. 7 f.), der Übersetzung von „sagena“ mit „fish trap“ statt des erwarteten Fischernetzes (Boretius 1883, 252 Z. 9), dem Tippfehler „wife on each“ statt „of each“ (S. 91 vorletzte Zeile) oder der Einfügung von „yearly“ (S. 91 letzte Zeile) absieht. Wenn die übrigen Übersetzungen ebenso zuverlässig sind, kann der Benutzer zufrieden sein.
Bemerkenswert ist das häufige Vorkommen von Frauen (S. V, 3, 10, 14, 17, 36–39, 44 f., 47, 53 f., 56, 62, 66, 69 f., 72 f., 75), was Hammer abgesehen von Abs. 2/6 nicht speziell würdigt und zudem unter den Vorbehalt der manchmal schwierigen Erkennbarkeit weiblicher Namen stellt (S. V). Es gibt freie Frauen (z. B. S. 54) bis hin zur Oberschicht (S. 66 f. „imperial aristocracy“), die als Schenkende auftreten, aber auch viele Unfreie (z. B. S. 45; 75), die quasi als „Sachen“ mit den Gütern veräußert werden und dabei noch hinter ihren männlichen Kollegen rangieren (S. V; 75). Persönliche Verbundenheit zwischen Mann und Frau greifen wir mit einer Frau, die von ihrem Gatten rechtlich bessergestellt wird als gesetzlich vorgeschrieben (S. 56), oder einem angesehenen Verwalter, der für seine unfreie Halbschwester sorgt (S. 75). Rompilgerinnen sind ebenso bezeugt (S. 37) wie Giftmischerinnen (S. 39). Als Anhängerinnen einer besonderen frühmittelalterlichen Lebensform treten religiös orientierte Frauen ohne Klosterzugehörigkeit auf (S. 36 f.; 62; 74–77). Zeugen hingegen sind fast immer männlich (S. V).
Inhaltlich kann Rez. als Vor- und Frühgeschichtlerin vor allem archäologische Aussagen kommentieren und ergänzen. Die gleich zu Beginn getätigte Feststellung „No structures from the early Middle Ages remain“ (S. III), kann so pauschal nicht gelten. Bei den vielfältigen Resten profaner Holzarchitektur in ländlichen Siedlungen (kursorisch S. 40 f.; 85), auch in „Huosiland“ (Fries-Knoblach 2006, Katnr. 5; 10; 24; 25) handelte es sich keineswegs um „unimpressive wooden structures“ (S. 50), wie Texte und Grabungsbefunde gleichermaßen zeigen (Fries-Knoblach 2006, 344 f.; 348; 350 Abb. 3). Auch Sakralbauten des 7.–8. Jahrhunderts. sind im Untersuchungsgebiet hinlänglich bekannt. Einerseits gibt es Holz- oder Steinkirchen wie in Herrsching, Kr. Starnberg (kursorisch S. 65 f.; 69, keine zugehörige Literatur), Vohburg a. d. Donau, Kr. Pfaffenhofen a. d. Ilm, oder München-Aubing (Wintergerst 2006, 263; Codreanu-Windauer 2003, 460; 465; 469–471; 2010, 207 f.).
Andererseits kennt man Klosterbauten wie das hölzerne Cenobium von St. Ulrich und Afra, Stadt Augsburg (Dannheimer 1996, 43–45; 2003, 179; 181 f.), die aufwändig dekorierte Steinkirche mit singulärem ostalpinem Drei- Apsiden-Chor von Kloster Sandau, Kr. Landsberg am Lech (Dannheimer 2003, 57–106; 146–148; dazu schon der von Hammer S. 85 gelistete Beitrag Haas-Gebhard 2002, 158 f.) und die beiden Steinkirchen auf der Insel Wörth im Staffelsee (Haas-Gebhard 1999; 2000; 2002, 158 f.; Meier 2009, 117). Frühe, wenn auch dürftige Befunde sind auch von Freising-Weihenstephan und Klais- Scharnitz (Holz) sowie Benediktbeuern (Stein) bekannt (Winghart 1993/94; Dannheimer 1996, 46; Codreanu-Windauer 2003, 468; 473 f.). Die vermeintliche Armut an Reihengräberfeldern im Untersuchungsgebiet (S. 5) traf schon früher so generell nicht zu (z. B. Menke 1988, 71 Abb. 36) und hat sich seither noch weiter verringert (z. B. Babucke 1997, 259 Abb. 275 für den Raum zwischen Lech und Paar). Tatsächlich schlecht bezeugt ist nur die 1. Hälfte des 6. Jahrhunderts (Rettner 2004, 258), und fundleer bzw. -arm sind die großen Niedermoore an Amper, Isar und Donau (Dachauer/ Erdinger / Freisinger Moos, Donaumoos), die erst in der Neuzeit erschlossen wurden, sowie die Dauergrünland-, Wald- und Moorgebiete am Alpenrand.
Wenn auch das tertiäre Hügelland wenig römische Besiedlung zeigt (Matešić / Sommer 2015, 19), war das Untersuchungsgebiet keineswegs „largely devoid of Roman institutions and structures“ (S. 50). Dies erweisen zahlreiche Grab- und Lesefunde sowie Villae rusticae (allg. Czysz 2006, 213 Abb. 42; 223 Abb. 65) vom einfachen Holztyp (z. B. Bloier 2011, 69–75 Abb. 4; 7 vgl. weitere Beiträge ebd. 85–93; 113–116; 156–161; 193–195) über normale Steinanlagen (Witschel 2000; Flügel 2012; https:/ / vici.org/ vici / 32218 / ?lang=de) bis hin zur allerhöchsten Ausstattungsklasse in Augsburg-Stadtbergen (Czysz u. a. 1995, 517 f., zugegebenermaßen knapp westlich des Lech). Dass das Untersuchungsgebiet in römischer Zeit keine Städte besessen habe (S. 39; 49), stimmt ebenso wenig angesichts der bis weit ins 5. Jahrhundert flächig besiedelten (Rettner 2002, 539) Provinzhauptstadt Augsburg und Kleinstädten mit Be- funden von Straßen, Streifenhäusern, Hypokaustbauten, Forum, Tempel, öffentlichem Bad, Grabbauten etc. z. B. in Schwabmünchen/ Rapa, Kr. Augsburg, Gauting/ Bratananium, Lkr. Starnberg, Denklingen-Epfach/ Abodiacum, Lkr. Landsberg am Lech, Mertingen-Burghöfe/ Summuntorium, Lkr. Donau-Ries, oder Manching-Oberstimm, Lkr. Pfaffenhofen a. d. Ilm (https://www2.rgzm.de/Transformation/Raetia/RaetienVici/TransformationRvici.htm, 1 f.; 4 f.; 7; 9).
Auch im Frühmittelalter war das kleine, abgelegene Regensburg (Herzogssitz seit 630/80: Rettner 2002, 542) mitnichten die einzige „echte“ Stadt Altbayerns (S. 39). Mindestens das seit ca. 600 wieder als Bischofssitz fungierende Augsburg (Päffgen 2016, 209; Rettner 2002, 540–542; 2004, 268; 270; Fries-Knoblach 2010, 361 f.), das wohl bis ins späte 7. Jahrhundert Hauptstadt blieb (Haas-Gebhard 2016, 115 f.), aber auch Salzburg und Passau sind hinzuzuzählen. Damit zusammenhängend, aber nur am Rande erwähnt und ebenso unterschätzt ist die bis ins 7. Jahrhundert wichtige und bis ins 10. Jahrhundert nachweisbare Bevölkerungsgruppe der Romanen (kursorisch S. 2; 58). Hammer hält den Ostteil der früheren Raetia Secunda in den ersten nachrömischen Jahrhunderten für „relatively empty landscape“ (S. 5). Dieser durch veränderte Grabsitten und Siedlungsgewohnheiten vorgetäuschte Eindruck wurde durch Studien Rettners relativiert (Rettner 2002, 540; 2004, 256–260; 2006). Dies passt zusammen mit dem Reichtum an romanisch-germanischen Ortsnamen im Norden und romanischen Ortsnamen im Süden von „Huosiland“ (Rettner 2004, 263). Auch Pollendiagramme zeigen, außer an und in den Alpen, eine kontinuierliche Besiedlung an (Haas-Gebhard 2016, 67).
Unverständlich bleibt die Auswahl der kartierten Plätze auf der Landkarte (S. 243). Nicht nur die zwei wichtigen „Huosiorte“ Jesenwang und Landsberiet fehlen (vgl. Krah 2018, 2), sondern auch bedeutende Plätze mit 7–10 Nennungen in den übersetzten Urkunden wie Allershausen, Ampermoching, Bachern, Feldmoching, Nörting oder (Hohen)Bercha bzw. Dachau als moderne Stadt, die dem Betrachter zur geographischen Orientierung hätte dienen können. Andererseits sind Orte ohne zugehörige Dokumente oder allgemeine Bekanntheit wie Langenpettenbach oder Wallgau enthalten. Schmerzlich vermisst man den Verlauf von Amper und Glonn, auf die im Text häufiger rekurriert wird, während Paar und Ammer vorhanden sind. Unerklärt bleiben die Kürzel (H), (Au) und (S) hinter vielen Ortsnamen. Auch die Klöster Thierhaupten (Störmer/ Dannheimer 1988, 307), Epfach-Lorenzberg (Päffgen 2016, 301) sowie Weihenstephan, Altomünster und Ilmmünster (s. o.) sucht man vergeblich. Während die riesige Beischrift „Bishopric Freising“ Raum für die Kartierung wichtiger Plätze raubt, und die nicht behandelte „Bishopric Regensburg“ vorhanden ist, findet man keinen entsprechenden Eintrag für die Bistümer Augsburg, Säben und Salzburg (Hartmann/ Dopsch 1988, 323 Abb. 215), deren Grenzverlauf zudem unklar bleibt. Durch einen bloßen Blick ins Internet (z. B. www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Datei:Karte_Kirchenprovinz_Salzburg.jpg) hätte die Karte zudem, wie von Krah (2018, 3) zu Recht gefordert, an den frühmittelalterlichen Grenzverlauf angenähert werden können.
Hinsichtlich der Redaktion ist fast nichts zu beanstanden, von wenigen Brüchen im Satzbau, die der langjährigen Entstehung des Textes geschuldet sein dürften, einigen Inkonsistenzen und Tippfehlern, wiederum vor allem in Teil 3, sowie der nicht aufgelösten Abkürzung VSWG = Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte (S. 86) abgesehen.
In Summe scheint es mir nicht angebracht, dem Werk wie Krah (2018) jeglichen Nutzen abzusprechen. Natürlich ist immer das Studium des Originals eines Textes vorzuziehen, aber nicht nur im englischsprachigen Universitätsbetrieb reicht ein knappes und verschultes Bachelorstudium (oft nur als Sprungbrett in eine profitable Quereinsteigerkarriere) meist nicht aus, um eine flüssige Lektüre nachantiken Lateins zu erzielen, aber vielleicht wenigstens das parallele Lesen von Original und Übersetzung. Auch im deutschen Sprachraum ist der Verlust an aktiver und passiver Beherrschung des Lateinischen binnen der letzten 100 Jahre offensichtlich (vgl. z. B. die abiturvorbereitenden Schulbücher Fritzsche 1918 mit Lobe/ Zitzl 2014) und somit ein Bedarf an Übersetzungen gegeben. Diese hier hat zudem den Vorteil, dass die Quellen in eine Art Rahmenhandlung eingebettet sind, die aufzeigt, wie man damit argumentieren kann. Interessierte wie Archäologen oder Heimatforscher können über das Ortsregister Quellen zu ihrem Untersuchungsgebiet finden, sich zügig über den Inhalt von Dokumenten orientieren und dann gezielt für die zweckdienlichen die lateinische Edition heranziehen. Der griffige Titel „Huosiland“ mag wissenschaftlich verfehlt sein (Krah 2018, 1 f.), weckt aber womöglich das Interesse heutiger Bewohner für die ferne Epoche (vgl. Mader 2011), deren archäologische Zeugnisse in Museen viel präsenter sind als ihre fragilen und nur selten zu sehenden schriftlichen Relikte. Vielleicht gaben Überlegungen wie diese den Ausschlag, dass z. B. die Münchener Universitätsbibliothek Hammers Buch einer doppelten Anschaffung wert befunden hat.
Literatur
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M. Bloier, Ländliche Besiedlung zur Römerzeit und Typologie der villae rusticae. In: A. R. Bräunling/ J. A. Haidn/ K.-J. Notz (Hrsg.), Archäologie im Dachauer Land 2008–2010. Aktionen, Berichte und Forschungsergebnisse des Archäologischen Vereins für Stadt und Landkreis Dachau e. V. (Dachau 2011) 61–84.
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Witschel 2000
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