Aktuelle Rezensionen
Hans-Ulrich Voß/Nils Müller-Scheeßel (Hg.)
Archäologie zwischen den Römern und Barbaren. Zur Datierung und Verbreitung römischer Metallarbeiten des 2. und 3. Jahrhunderts n. Chr. im Reich und im Barbaricum – ausgewählte Beispiele (Gefäße, Fibeln, Bestandteile militärischer Ausrüstung, Kleingerät, Münzen), Internationales Kolloquium Frankfurt am Main, 19.–22. März 2009
Römisch-Germanische Kommission des Deutschen Archäologischen Instituts gemeinsam mit der Goethe-Universität Frankfurt a. M., Institut für Archäologische Wissenschaften, Abteilung II, Archäologie und Geschichte der römischen Provinzen sowie Hilfswissenschaften der Altertumskunde. (Kolloquium zur Vor- und Frühgeschichte 22, 1–2), Bonn 2016 (Dr. Rudolf Habelt GmbH), Bd. 1 XXII, 587 S., Bd. 2 IX, 423 S., 539 Abb., 52 Tab., ISBN 978-3-7749-4064Rezensiert von Marie-Hélène Lindner
In: Bayerische Vorgeschichtsblätter
Erschienen am 21.07.2020
Vom 19.–22. März 2009 fand in Frankfurt am Main ein Kolloquium statt, das aus der „Idee einer Zwischenbilanz der Arbeiten am Editionsvorhaben ‚Corpus der römischen Funde im europäischen Barbaricum‘“ (Vorwort, XI) resultierte. Die zu besprechende Publikation mit insgesamt 60 Beiträgen zur Archäologie zwischen Römern und Barbaren ist das Ergebnis dieses Kolloquiums [1]. Zur Strukturierung des interdisziplinären und internationalen Forschungsvorhabens formuliert Hans-Ulrich Voß zunächst die zu behandelnden Fragestellungen sowohl für die Vertreter der germanischen Frühgeschichte als auch für diejenigen der Provinzialrömischen Archäologie (S. XI–XIII).
Auf das Vorwort von H.-U. Voß folgt – nach Auflistung des Tagungsprogrammes (S. XVI–XVIII) und der abgekürzt zitierten Literatur (S. XIV–XXII) – die Einführungsansprache zum Auftakt des Kolloquiums von Siegmar von Schnurbein (S. 3–4). Als Ziele des Kolloquiums sieht S. v. Schnurbein die Vorstellung neuer Ergebnisse zur Grundlagenforschung und den überregionalen Vergleich derselben (S. 4). Eine Gegenüberstellung soll über die Grenzen des Römischen Reiches hinweg, aber auch innerhalb des Barbaricums erfolgen. Die Betrachtung von Fundspektren innerhalb des Römischen Reiches nennt S. v. Schnurbein den methodischen Kern der Tagung, um den Fragen nach dem Weg der Gegenstände über die Grenzen näher zu kommen.
Um sich diesem anzunähern, wurden das Kolloquium und somit auch der hier zu besprechende Band in einen einleitenden Teil und fünf verschiedene Themenkomplexe aufgeteilt, die jeder eine wichtige Fundgattung widerspiegeln.
Den Auftakt des einleitenden Abschnitts bestreitet Matthias Becker mit seinem Vergleich von „Metallgefäße[n] aus Siedlungsfunden Mitteldeutschlands mit den Fundspektren der Brand- und Körpergräber – Methodische Anmerkungen zur Fundüberlieferung, Chronologie und Befundstrukturen“ (S. 5–24). In diesem liefert er eine chronologische, kultur- und wirtschaftsgeschichtliche Interpretation anhand der von ihm erstellen Verbreitungskarten für Hemmoorer Eimer, Halbdeckelbecken und ovale Tabletts.
Michael Erdrich fasst mit seinem Beitrag den Kenntnisstand der „Römische[n] Keramik beiderseits der Grenzen“ (S. 25–47) innerhalb einer zeitlichen (beginnend mit den augusteischen Germanenoffensiven bis in das 4. Jahrhundert n. Chr.) und räumlichen (Regionen des europäischen Barbaricums, die jenseits der Provinzgrenzen Britanniens, Nieder- und Obergermanien, Raetien, Noricum und Pannonien liegen) Beschränkung kritisch zusammen. Er betont, dass sein „Beitrag keine erschöpfende Darstellung des Phänomens, Römische Keramik im europäischen Barbaricum‘ darstellt“, sondern möchte insbesondere auf methodische Probleme hinweisen und neue Perspektiven aufzeigen (S. 26). Im methodischen Fokus stehen die Analyse des Formenspektrums und die Untersuchung nach der Funktion der Gefäße (S. 27). Auf den Seiten 31–34 zeigt er auf, dass in der 1. Hälfte des 1. Jahrhunderts n. Chr. nur wenige römische Importfunde zu fassen sind und schlussfolgert, dass kaum „wirtschaftliche Ausstrahlungskraft des Militärs während einer Okkupationsphase auf die unterworfene einheimische Bevölkerung“ vorhanden war (S. 34). Einen weiteren Fokus legt er auf die Importzusammensetzung sowie auf die Frage nach den Initiatoren, die die Auswahl bestimmen (S. 27. 38). Hier schlägt er bereits erste Antworten vor. So wird im schottischen Hillfort Traprain Law deutlich, dass vor allem die Abnehmer eine Selektion des „Warenkorbes“ vornehmen (S. 38). Auf Seite 39 plädiert er dafür, dass die Einzeldisziplinen ihre Synergien bündeln und zusammen die Herausforderung angehen sollten, um ein übergreifendes Bild der Wechselwirkungen zwischen den Regionen innerhalb und außerhalb des Römischen Reiches zeichnen zu können. Abschließend stellt M. Erdrich fest, dass trotz des landschaftlich und kulturell heterogenen Raumes eine homogene Fundzusammenstellung vorliegt, die in zwei Schüben erfolgte (S. 44): Der erste Importschub ist von 160/170 – vor Ende des 2. Jahrhunderts zu beobachten. Der zweite, vom Umfang her deutlich geringer, beginnt Mitte des 3. Jahrhunderts und endet deutlich vor Ende des 3. Jahrhunderts (S. 45).
In ihrem Artikel (S. 49–92) beleuchtet Nina Schücker die „Reliefsigillaten im europäischen Barbaricum“. Mit viel Kartenmaterial, das im Zuge ihrer Dissertation erstellt wurde, veranschaulicht sie die Chronologie des Sigillataimports in das europäische Barbaricum (S. 67–70). Italische Sigillaten erreichten den betrachteten Raum nur als Einzelstücke. Südgallische Ware ist häufiger belegt, in ihrer geographischen Streuung gleicht sie derjenigen der mittelgallischen Sigillaten. Im 2. und 3. Jahrhundert n. Chr. lassen sich Sigillaten in einer höheren Quantität nachweisen. Dennoch kommt N. Schücker aufgrund der relativ kleinen Fundmenge zu dem Schluss, dass es keinen gelenkten Vertrieb durch die römische (Militär-)Verwaltung oder einen von merkantilem Interesse bestimmten Ex- bzw. Import gegeben haben kann (S. 79). Aufschlussreich ist ihre auf den Analysen basierende Beobachtung, dass vor allem die Gefäßformen übernommen wurden, die am meisten mit einheimischen Speisegewohnheiten korrespondierten (S. 71). Abschließend stellt sie fest, dass die Verbreitung der Terra Sigillata zum einen überregionale Kommunikationsachsen wie den Hellweg oder die Bernsteinstraße nachzeichnet, und zum anderen die grenzüberschreitende sowie die innergermanische Mobilität belegt (S. 92).
Auch Jan Schuster beschäftigt sich in seinem Artikeln „Die Gräber von Lübsow (Lubieszewo)“ mit der Frage nach den Gründen der Verteilung bestimmter Gefäßtypen (S. 93–106). In den älterkaiserzeitlichen Prunkbestattungen kamen Artefakte aus zwei Kulturkreisen zum Vorschein: Sehr aufwändige Metallgefäßsätze römischer Herkunft bilden gemeinsam mit speziellen einheimischen Gegenständen „schematisiert wirkende Gefäßbeigaben“, die sich nach J. Schuster nicht mit einer Übernahme antiker Symposiumssitten durch die germanischen Eliten erklären lassen (S. 95).
Den Themenkomplex „Münzen“ beginnt Holger Komnick mit einem Vergleich von Bronzemünzen aus Fundorten, die an Rhein und Donau gelegen sind (S. 109–128). Dieser zeigt die regionalen Unterschiede in der Zusammensetzung des Kleingeldaufkommens auf und belegt einen divergenten Zufluss im Osten und Westen (S. 128). H. Komnick meint, dass ein ähnliches Ergebnis auch für das Barbaricum zu erwarten sei.
Die weiteren Titel sind Materialauswertungen aus Dänemark (Helle W. Horsnæs, S. 129–135), Schlesien (Renata Ciołek, S. 137–147), Slowakei (Eva Kolníková, S. 149–159) und dem Karpatenbecken (Péter Prohászka, S. 161–173). Allen Analysen gleich ist die Beobachtung, dass der Münzfluss vor allem ab Mitte des 3. Jahrhunderts n. Chr. intensiver wird (S. 131. 147. 155. 173).
Der folgende Themenkomplex „Bronzegefäße“ stellt mit 15 Artikeln den zweitumfangreichsten dar. Den Auftakt macht Joachim Gorecki mit seiner Zusammenfassung zu „Römischen Metallgefäßspektren aus ausgewählten militärischen Fundkomplexen diesseits und jenseits von Rhein und Donau von der Zeit der späten Republik bis zum Beginn des 2. Jahrhunderts n. Chr. (S. 177–214). Nach einer ausführlichen Untersuchung des Bronzegefäßspektrums innerhalb des Römischen Imperiums vergleicht J. Gorecki diesen knapp mit demjenigen im Barbaricum (S. 203–205). Die Zusammensetzung ist jenseits der römischen Grenzen stark beschränkt und weist sehr viel weniger Formen auf. Interessant ist die den beiden Regionen gemeinsame starke Präsenz von Eimern und Kasserollen, mit denen hier vermutlich die Standardausrüstung des römischen Militärs zu fassen ist.
In seiner Untersuchung zu den „Buntmetallgefäße[n] der mittleren Kaiserzeit zwischen Rhein und Pyrenäen. Ein Forschungsüberblick“ (S. 215–228) fasst Martin Luik drei Zeitabschnitte für die Herstellung (Anfang/ Mitte 2. Jahrhundert; hauptsächlich im 2. Jahrhundert; ab zweite Hälfte 2. Jahrhundert/ spätes 2. Jahrhundert) (S. 216) und arbeitet Unterschiede in der Gefäß-Stempelung zwischen gallischen und italischen Werkstätten heraus (S. 222). Zudem postuliert er, dass Bronzewerkstätten häufig in enger räumlicher und zeitlicher Verbindung mit weiterem Handwerk arbeiteten – insbesondere mit der Eisenverarbeitung und Keramikproduktion (S. 224).
Zwei zeitliche Zäsuren werden von Ulla Lund Hansen in ihrem Artikel über „Kasserollen und Kelle- / Sieb- Garnituren als Indikatoren für Einsicht in den Übergang von der Älteren zur Jüngeren Römischen Kaiserzeit im Barbaricum“ diskutiert (S. 229–244). Ein Bruch ist gegen Mitte des 2. Jahrhunderts, ein weiterer ca. Mitte des 3. Jahrhunderts zu verzeichnen (S. 231); beide scheinen aus dem Wandel des barbarischen Trinkverhaltens und einer damit zusammenhängenden Kontakterweiterung zu resultieren (S. 238. 242).
In ihrem Beitrag „Versunken im Rhein – Typenspektrum der ‚Beutehorte‘ im Vergleich“ (S. 245–260) ziehen Richard Petrovszky und Helmut Bernhard anhand von Beute- und Hortfunden Schlüsse auf die Plünderungsgebiete und -wege germanischer Gruppen. Hierbei dienten vor allem die Funde, die bei der Kiesgewinnung in den Altrheinarmen zwischen Karlsruhe und Mannheim zutage gefördert wurden, als Basis der Auswertung. Aufgrund der präzisen Kartierung der Fundstücke ist unter anderem ein genauer Rheinverlauf in großen Teilen nachzuvollziehen (S. 245).
Die polykulturelle Siedlung von Zohor (Bez. Malacky), ein germanischer Fürstensitz in der Westslowakei, zeugt mit einem hohen Anteil an provinzialrömischer Keramik (S. 261) von einem regen Austausch in dem Zeitraum vom 1.–4. Jahrhundert n. Chr. (K. Elschek, S. 261–269). Die Fundstelle liegt an der Bernsteinstraße, die die March entlangführt. Aufgrund des ausgedehnten Handels zwischen Römern und Germanen sowie mehrerer römischer Bauten ordnet K. Elschek die Siedlung der „Zone der ‚sekundären Romanisierung‘ der sogenannten ‚Dritten Zone zwischen der römischen Provinz und dem Barbarikum‘“ nach Bouzek/ Ondřejová [2] zu (S. 264). Einen intensiven Kontakt mit dem Römischen Reich und ausgeprägte Handelsbeziehungen zeigt auch das Königsgrab von Mušov in Mähren (Jaroslav Tejral, S. 271–307). Man kann es, J. Tejral folgend, ferner als Impulsgeber für eine Neugestaltung der fürstlichen oder königlichen Prunkausstattungen der jüngerkaiserzeitlichen „Fürstengräber“ sehen (S. 298). Aufgrund einer Neubewertung des Inventars setzt J. Tejral das Grab zeitlich in die 2. Hälfte des 2. Jahrhunderts.
In ihrem Beitrag „Romano-British Enamelled Vessels from a Female Grave from Jartypory, Eastern Poland“ (S. 309–320) demonstrieren Jacek Andrzejowski und Tomasz Rakowski die Dimensionen des antiken Handelsnetzes. In dem geschlossenen Grabkontext von Jartypory, die Bestattung wird in die Phasen C1b–C2 der spätrömischen Phase, somit in das 3. Jahrhundert n. Chr. datiert, konnte ein emailliertes Bronzebehältnis geborgen werden. Dieses war sekundär aus zwei Zwillingsbechern, die ursprünglich im 2. Jahrhundert im Römischen Britannien hergestellt wurden, zusammengesetzt (S. 318).
Im Zuge seiner Analyse zu der Bronzekanne E 125 vom Gräberfeld Czarnówko (S. 321–331) stellt Andrzej Kasprzak die Einteilung der Importwellen von J. Wielowiejski derjenigen von R. Wołągiewicz gegenüber und resümiert, dass die Unterteilungen beider Systeme gut korrespondieren (S. 327).
Die beiden folgenden Beiträge behandeln die importierten provinzialrömischen Gefäßausstattungen von sogenannten Prunk- und Fürstengräbern in Wrocław-Zakrzów und Krakovany-Stráže (Dieter Quast, S. 333–344) sowie Neudorf-Bornstein (Angelika Abegg- Wigg, S. 345–359).
In seiner Untersuchung des rhein-weser-germanischen Gräberfeldes Leverkusen-Rheindorf zeigt Klaus Frank (S. 361–378) nicht nur Kontakte zum Römischen Reich, sondern insbesondere enge überregionale, innergermanische Verbindungen auf (S. 373). Die Ausstattung des als Fallbeispiel gewählten Grabes 80 reiht sich in Gräber ein, „die in weit voneinander entfernten Räumen innerhalb der germanisch besiedelten Gebiete angetroffen wurden und eindrucksvoll gleichartige Vorstellungen und Wertesysteme innerhalb dieses Gefüges belegen“.
Mit ihrem Vergleich von römischen Bronzegefäßspektren in Noricum mit dem angrenzenden Barbaricum (S. 379–397) kommt Helga Sedlmayer zu dem Schluss, dass die Typenzusammensetzung der Grabbeigaben der beiden Regionen stark voneinander abweicht (S. 392). Sie betont des Weiteren, dass „das fast völlige Fehlen von Bronzegefäßen des mittleren 2. bis 3. Jahrhundert in germanischen Siedlungen als deutliches Unterscheidungskriterium von der Fundsituation in Noricum“ zu sehen ist (S. 390).
Auch in Mähren (Tschechien) kommen römische Bronzegefäße vorwiegend in Brandgräberfeldern oder in einzelnen Brandgräbern vor, wie Jan Jílek in seinem Artikel schreibt (S. 399–418).
Eduard Krekovič (S. 419–422) postuliert anhand seiner Untersuchungen zu den römischen Bronzegefäßen in der Slowakei, dass der Import dieser Fundgattung vor allem in die Machtzentren strömte, im Gegensatz zu dem Import von Keramik oder Fibeln (S. 419). 60 % der 500 Gefäße bzw. Fragmente stammen aus den drei größten Brandgäberfeldern. Leider fehlt es dem Artikel an Referenzen und Literatur, die die Thesen des Autors bekräftigen könnten.
In seinen Überlegungen zu bronzenem Wasch- und Badegeschirr jenseits der Provinzgrenzen Dacia und Moesia Inferior (S. 423–432) kommt Alexandru Popa zu dem Schluss, dass das bronzene Waschgeschirr aus dem Römischen Reich in derselben Funktion im Barbaricum genutzt wurde (S. 432). Zudem lassen die Untersuchungen eine enge Verbindung zwischen dem Abbruch der Importe mit der Entstehung der Provinz Dakien erkennen und deuten somit vermutlich auf die Einstellung des Kontaktes der Römer mit den jenseits des Dakisch-Untermoesischen Limes siedelnden Barbaren hin (S. 430).
Die Kategorie „Fibeln“ umfasst insgesamt neun Beiträge. Astrid Böhme-Schönberger (S. 435–451) und Magdalena Mączyńska (S. 453–463) befassen sich mit Emailscheibenfibeln und Kniefibeln mit halbrunder Kopfplatte. Eine gemeinsame Beobachtung ist, dass Kniefibeln am Obergermanisch-Raetischen Limes gewöhnlich eine Spiralkonstruktion mit unterer Sehne aufweisen, während sie im norisch-pannonischen Raum hauptsächlich mit oberer Sehne aufkommen (S. 451. 459).
Anhand von „Römischen Fibeln aus Gräbern und Siedlungen des 1.–3. Jahrhunderts in Böhmen“ erarbeitet Eduard Droberjar eine Fibeltypologie und Chronologie der Römischen Kaiserzeit in Böhmen (S. 495–510).
Mit der seit Langem in der Forschung diskutierten Frage nach der Herkunft der raetischen Provinzbevölkerung (S. 521) beschäftigt sich Salvatore Ortisi (S. 521– 527). Einer möglichen Lösung nähert er sich mit der Untersuchung von Fibeln des mittleren Donauraums und der Form Almgren 86 im mittelkaiserzeitlichen Raetien. Das Spektrum der auftretenden Fibelformen spiegelt die Komplexität der Bevölkerungsgenese wider. Hinter diesem Spektrum sieht S. Ortisi „Personen, die ursprünglich aus den Kontaktzonen zwischen den Römern und Germanen an der mittleren und wohl auch unteren Donau stammten und die während oder nach den Markomannenkriegen im westlichen Noricum und östlichen Raetien angesiedelt wurden“.
In seinem ausführlichen Beitrag „Zu Scharnierarmfibeln und verwandten Formen beiderseits des spätantiken Limes“ (S. 529–579) zeichnet Thomas Schierl das Bild eines weitreichenden Netzwerkes germanischer Eliten Ende des 3. bis ins 4. Jahrhundert n. Chr. Leserfreundlich und seine Thesen untermauernd sind die Verbreitungskarte und die Fundlisten für die Fibel- formen.
Das Thema „Fibeln“ und der erste Teil des Kolloquiumsbandes schließen mit einer Abhandlung über Bestandteile der Frauentracht aus der Dnepr Region im frühen Mittelalter (Vlasta Ye. Rodinkova, S. 581–587).
Teil II wird mit dem Oberthema „Gürtel und Militaria“, das sich aus acht Beiträgen zusammensetzt, er- öffnet.
Einführend gibt Eckhard Deschler-Erb eine Zusammenfassung der Gürtelmoden aus den Nordwestprovin- zen in den unterschiedlichen Perioden (S. 591–601).
Die Problematik, die Renata Madyda-Legutko bei dieser Fundgattung im mitteleuropäischen Barbaricum feststellt (S. 603–623), besteht darin, dass häufig keine eindeutige Unterscheidung zwischen im Barbaricum nach römischem Vorbild produzierten Gürtelteilen und solchen vorgenommen werden kann, die unzweifelhaft römischer Herkunft sind.
"Römische Gurt- und Gürtelbestandteile in skandinavischen Votivplätzen mit Heeresausrüstungen" (Andreas Rau, S. 625–647) lassen sich hingegen gut von denen barbarischer Provenienz unterscheiden (S. 646).
A. Rau weist jedoch auf die eindeutige Selektion der Importe bezüglich der Funktion hin. Er schlussfolgert zudem, dass sich höhergestellte Persönlichkeiten in einheimischen Ausrüstungsobjekten widerspiegeln und die „römische[n] Gurte/ Gürtel zumindest im 3. Jahrhundert bis auf wenige Ausnahmen eher den Status erreichbarer Standardware einnehmen“.
In der Diskussion von Xenia Pauli Jensen (S. 649– 662) über vier Ideen [3], wie und warum römische Militärausrüstung in das heutige Dänemark gelangt ist, wird, basierend auf ihrer Untersuchung zu den römischen Militaria der Waffendeponierung in Vimose (Funen), abermals die Komplexität der Interaktion zwischen Römern und den germanischen Stämmen deutlich (S. 662). Die Korrelation des Kontaktes zwischen den Kulturen resultiert nicht nur in Imitation und Transformation von Sachgütern, sondern auch im Transfer von Ideen und Technologien.
Dem Fundplatz Thorsberger Moor sind drei Beiträge in „Gürtel und Militaria“ gewidmet. In „Ein germanischer Helm aus dem Thorsberger Moor“ verdeutlicht Suzana Matešić die Notwendigkeit der Überprüfung älterer Rekonstruktionsvorschläge mit modernen Methoden (S. 664–682).
Ruth Blankenfeldts Bearbeitung der „Figürlich verzierte[n] Metallarbeiten aus dem Thorsberger Moorfund“ (S. 683–685) bestätigt A. Raus These, dass sich germanische Eliten in Skandinavien im 3. Jahrhundert n. Chr. vorwiegend durch germanische Symbole identifizieren (S. 691). Ein überregionaler Vergleich scheint auf ein einheitliches Motivkontingent und die Vorgabe bestimmter Symbole, vermutlich als „überregionaler Erkennungswert“, hinzudeuten.
Die Pferdegeschirre aus dem Thorsberger Moorfund (Nina Lau, S. 697–709) zeigen die Verbindung zwischen germanischem und römischem Pferdegeschirr sowohl in der Älteren als auch in der Jüngeren Römischen Kaiserzeit. „In der Jüngeren Römischen Kaiserzeit liegen Pferdegeschirre mit der bei Kleinfunden dieser Zeit zu beobachtenden Vermischung provinzialrömischer und germanischer Formen vor“ (S. 709).
Das vierte Oberthema abschließend weist Hans-Ulrich Voß in seinem Beitrag „Beschlagteile vorwiegend militärischer Verwendung im mitteleuropäischen Barbaricum zwischen Rhein und Oder – Formenspektrum und Fundkontext“ (S. 711–733) auf die Problematik der regional differierenden Forschungsstände hin. Diese stellt sich für ihn „neu und in bisher nicht gekannter Schärfe“, aufgrund der regional begrenzten Metalldetektorprospektionen, die zu einer Verzerrung der Verbreitungskarten führen (S. 725). Wie für Kniefibeln in sarmatischen Skelettgräbern (M. Mączyńska, S. 461) oder Gürtelbeschläge und Zwiebelknopffibeln (Th. Schierl, S. 551) bereits dargelegt, wird auch hier festgestellt, dass sich römische Gürtelteile und Beschläge weniger in Waffengräbern als in Frauen- und Kindergräbern finden lassen (S. 732). Als Ausnahme gelten die Balteusschließen.
Der größte und zugleich letzte Themenkomplex „Kleinfunde, Verschiedenes“ setzt sich aus insgesamt 19 Beiträgen zusammen.
Auf die Artikel über Haushaltsgegenstände wie „Römische Kästchen, Truhen, Möbelteile und Schlüssel aus der Slowakei“ (Erik Hrnčiarik, S. 737–741) und dem römischen Import von Kästchen mit Metallbeschlägen, Bronzeschüsseln und Spiegeln in das sarmatische Barbaricum im Karpatenbecken (Zsuzsanna Bene/ Eszter Istvánovits/ Valéria Kulcsár, S. 743–760) folgen erstmals in diesem Kolloquiumsband Abhandlungen über das britannische Barbaricum. Fraser Hunter (S. 761–769) berichtet aus „schottischer Perspektive” und sieht in den „barbarisch-römischen“ Relationen auf der Insel starke Parallelen zum Kontinent, wie beispielsweise die Nutzung römischer Güter als Statussymbole, Kontakte zu den Eliten, den späten 2. Jahrhundert-Horizont von Denarhorten sowie die spätrömischen Hacksilberfunde (S. 761). Währenddessen sieht Lindsay Allason-Jones (S. 771–776) nördlich der Hadrianischen Mauer das Hauptinteresse eher im Material als Ressource für die Weiterverarbeitung (S. 776).
Doina Benea beschränkt sich in ihrem Beitrag „Werkstätten für Buntmetallverarbeitung in der Provinz Dakien“ (S. 778–792), bis auf eine Karte, die auch Bronzeverarbeitungswerkstätten abbildet (S. 778 Abb. 1), auf die Untersuchung von emaillierten Bronzen im römischen Dakien. Basierend auf diesen Analysen sind vier sichere Produktionszentren zu nennen: Tibiscum, Ilişua, Buciumi und Porolissum.
In „Aktuelle Forschungen zu Landeplätzen und Ufermärkten der Römischen Kaiserzeit im nordwestdeutschen Küstengebiet“ (S. 793–809) beleuchten Hauke Jöns und Kai Mückenberger die Fragen nach der Organisation des Warenaustauschs im Raum nördlich des Limes und den „Akteuren sowie Profiteuren dieses Austauschs“ (S. 793). Anhand der zwei Fundplätze Bentumersiel, einem Stapelplatz, und Elsfleth-Hogenkamp, einem Lande- und Marktplatz, verdeutlichen sie den Einfluss der lokalen Eliten, die in benachbart gelegenen Siedlungen ansässig waren (S. 806).
Mit ihrem Beitrag „Das Fundspektrum römischer Sachgüter der Siedlung Jakuszowice, Gde. Kazimierza Wielka, Woiw. Świętokrzyskie“ (S. 807–815) veranschaulicht Judyta Rodzińska-Nowak die Bedeutung von Jakuszowice. Die Quantität und Vielseitigkeit der Funde zeugen von der wirtschaftlichen und politischen Rolle der Siedlung.
Jacqueline Klemets Forschung zur „Buntmetallverarbeitung von einer kaiserzeitlichen Ansiedlung in Neunheiligen, Unstrut-Hainich-Kreis“ (S. 817–838) zeigt, dass mit der Kombination aus systematischer Fundaufarbeitung und metallurgischen Untersuchungen detaillierte Informationen aus Lesefundensembles erarbeitet werden können und gibt „wertvolle Einblicke in die Arbeitsweise und Technologie der einheimischen Metallverarbeitung“ (S. 835). Spannend ist die Erkenntnis, dass das zu recycelnde Altmetall selektiv, je nach zu fertigendem Objekt, verwendet wurde (S. 827).
Zwei Beiträge behandeln den Fundplatz Erfurt-Frienstedt, eine bedeutende germanische Siedlung der jüngeren Kaiserzeit im Thüringer Becken. Christoph G. Schmidt (S. 839–844) sieht das Spektrum der römischen Buntmetallobjekte als indirekten Beleg für eine gezielte Bronzeverarbeitung vor Ort (S. 843) und unterteilt deren Import in zwei Phasen: Die erste setzte vermutlich mit den militärischen Auseinandersetzungen um die Zeit der Markomannenkriege ein; Römische Militaria und Fibeln datieren fast ausschließlich in diese Zeit. Die zweite Phase, von zivilerem Charakter, datiert C. G. Schmidt in Stufe C2 – nach Abbruch der ersten Importwelle – bis in die 270er Jahre. Jan Bemmann bespricht mit „Eine[r] provinzialrömische[n] (?) anthropomorphe[n] Keramikfigur aus einer jüngerkaiserzeitlichen Siedlung im Thüringer Becken“ (S. 845–854) einen interessanten Einzelfund aus Frienstedt, der für die Vielfältigkeit und tiefe Durchdringung der römisch-germanischen/ germanisch-römischen Beziehungen spricht (S. 851).
Eine sehr detaillierte Zusammenfassung gibt Alois Stuppner von den „Fundspektren römischer Metallsachgüter in Niederösterreich“ (S. 855–885). Diese zeigen sich in der Zeit nach den Markomannenkriegen am mannigfaltigsten (S. 885).
Der Import der norditalischen glasierten Skyphoi und Kantharoi in der Südwestslowakei fand in zwei Importwellen statt und zeigt somit eine Erneuerung oder Kontinuität der traditionellen Handelskontakte dieser Region mit Italien auf. (S. 887–909). Die erste Welle setzte Titus Kolník in die Zeit des regnum Vannianum, also in Stufe B1, vor die Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. Einen zweiten Importzustrom datiert er in Stufe B2b (S. 901).
Bei dem Versuch einer Rekonstruktion der „Verkehrsverbindungen zwischen Pannonien und dem Barbaricum‘ im Spiegel römischer Funde“ (S. 911– 924) stützt sich Dénes Gabler auf die Kombination der schriftlichen Quellen, epigraphischer Denkmäler und vor allem der römischen Importgegenstände (S. 911). Die Straßen, die aufgezählt werden, sicherten den Fernhandel zwischen den Römern und Sarmaten sowie den nördlich von ihnen lebenden Völkern (S. 923).
In ihrem Beitrag belegt Klára Kuzmová anhand der importieren Sigillatagefäße die intensiven römisch- germanischen Handelsbeziehungen im Vorland des nordpannonischen Limes (S. 925–931). Für deren Distribution in das Barbaricum spielten die Militäranlagen der Limeszone eine entscheidende Rolle (S. 930).
Die römischen Importe im Ermland (Adam Cieśliński/ Renata Ciołek, S. 933–944) spiegeln mit den Metall- und Glasgefäßen gewellter Bronzeeimer Typ E 44 und 48, Kelle- / Siebgarnitur E 161 sowie den Glasbechern E 189 und E 209 einen regen Kontakt ins Rheinland wider. Diese Fundtypen bilden die Leitformen der sogenannten dänischen Importwelle nach R. Wołągiewicz und sind in den Phasen B2 / C1, C1a und hauptsächlich in Phase C1b vertreten (S. 938).
Mit dem römischen Importfundspektrum der Ukraine beschäftigen sich die folgenden zwei Artikel (Michail Ljubičev, S. 945–953; Boris Magomedov, S. 956–964). Besonders zahlreich sind die römischen Münzen mit einer Anzahl von 30.000 (S. 955) vertreten, davon entfallen 6.300 auf die Ostukraine (S. 950). Für die Černjachov- und der Wielbark-Kultur legt B. Magomedow ein Fundortverzeichnis der römischen Metallsachgüter vor (S. 957–961).
Nach einem Vergleich der Kleinfund- und Münzspektren germanischer Vorlandsiedlungen in Mainfranken, insbesondere Gaukönigshofen, mit denen von Fundplätzen aus dem gegenüberliegenden Limesgebiet resümiert Bernd Steidl, dass „die Germanen in allen Lebensbereichen an ihrer angestammten Lebensweise festhielten“ (S. 965–976).
Den Abschluss des Oberthemas „Kleinfunde, Verschiedenes“ und des Gesamtwerkes bildet Thomas Grane mit „Some remarks from the northern Barbaricum on Roman finds and their significance“ (S. 977–985). Er hebt stark die Bedeutung des „Corpus der römischen Funde im europäischen Barbaricum“ und seine Hoffnung, dass mit diesem überregionale Vergleiche, auch mit dem skandinavischen Material, erleichtert werden, hervor (S. 977).
Römische Importstücke im Barbaricum, ihre zeitliche Entwicklung sowie geographische Ausdehnung und Variabilität spielen spätestens seit Hans Jürgen Eggers [4] eine große Rolle in der Vor- und Frühgeschichtlichen sowie Provinzialrömischen Archäologie. Die vorliegende Publikation führt deutlich vor Augen, wie sich die Erforschung des „Barbaricums“ seit den 1950er Jahren entwickelt hat und welchen Fragestellungen in der Zukunft intensiver nachgegangen werden sollte. Diese Zwischenbilanz des „Corpus der römischen Funde im europäischen Barbaricum“ (CRFB) liefert viele neue Materialgrundlagen sowie Impulse und veranschaulicht die Komplexität der antiken gesellschaftlichen Verhältnisse. Dass nicht nur ein Modell [5] zur Erklärung der komplexen kulturellen Kontakte herangezogen werden kann, machen beispielsweise Inschriften aus Aquincum, die auf die Tätigkeit von, in diesem Falle sarmatischen und germanischen Übersetzern hinweisen (S. 918) oder die Fundstellen Bentumersiel und Elsfleth-Hogenkamp (S. 806) deutlich. Im Falle der Inschriften ist von einer Steuerung von römischer Seite auszugehen. Die beiden genannten Fundplätze hingegen zeigen eindeutig einen Einfluss der lokalen germanischen Elite.
Die Beiträge des Kolloquiumsbandes erweitern die Grundlagenforschung im Barbaricum und im Nordwesten des Römischen Reichs erheblich, ziehen partiell bereits Vergleiche und sind maßgeblich für die zukünftige Forschung der Archäologie zwischen Römern und Germanen. Mit gutem Kartenmaterial, zahlreichen Abbildungen, vielen Fundlisten und den Zusammenfassungen eines jeden Artikels in Deutsch und Englisch gestaltet sich die inhaltsreiche Publikation sehr leserfreundlich.
Das umfangreiche Editionsvorhaben CRFB, einschließlich der hier vorgelegten Zwischenbilanz, leistet einen wertvollen Beitrag für die provinzialrömische Archäologie und die germanische Vor- und Frühgeschichte, wofür den Organisatoren/ Herausgebern und Autoren sehr zu danken ist.
[1] Bereits 2017 wurde eine Rezension zum vorliegenden Band publiziert: Vl. Vorsik. In: Památky Archeologické, 108 (2017).
[2] J. Bouzek/ I. Ondřejová, „Třetí zóna“ mezi Římem a Barbarikem při nořicko-pannoneskem limitu. Arch. Rozhledy 42, 1991, 22–35.
[3] Die verschiedenen traditionellen Ideen: Heimkehrende Veteranen, Siegesopfer, diplomatische Geschenke und Handel.
[4] H. J. Eggers, Der römische Import im freien Germanien. Atlas Urgesch. 1 (Hamburg 1951).
[5] Vgl. bspw. J. Kunow, Der römische Import in der Germania Libera bis zu den Markomannenkriegen. Studien zu Bronze- und Glasgefäßen. Göttinger Schr. Vor- und Frühgeschichte 21 (Neumünster 1983); U. Lund Hansen, Römischer Import im Norden, Warenaustausch zwischen dem Römischen Reich und dem freien Germanien während der Kaiserzeit unter besonderer Berücksichtigung Nordeuropas. Nordiske Fortids- minder Serie B, 10 (Kopenhagen 1987).