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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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German Penzholz

Beliebt und gefürchtet. Die bayerischen Landräte im Dritten Reich

Baden-Baden 2016, Nomos, 740 Seiten
Rezensiert von Paul Hoser
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 23.07.2020

Die Landräte in Bayern, die während des Nationalsozialismus als Teil des exekutiven Apparats nach innen eine nicht zu unterschätzende Rolle für die Stabilität und das Funktionieren von dessen Herrschaft spielten, wurden bisher als Gegenstand der historischen Forschung weitgehend vernachlässigt. Am Anfang der Arbeit stehen die Ergebnisse einer eigens erstellten Statistik, die querschnittartig für den 9. März 1933 und den 31. August 1939 die persönlichen Daten der bayerischen Landräte auswertet. Fast 30 % stammten aus Familien, in denen der Vater höherer Beamter gewesen war. Nimmt man die Beamten niedrigerer Ebene dazu, waren es rund 51 %. Aus kleinbürgerlichen Familien kamen 44 %. Sie konnten zwar unter der Herrschaft des Nationalsozialismus verstärkt aufsteigen. Kein einziger aber kam aus der Arbeiterschicht. Da der Referendardienst ohne Bezahlung absolviert werden musste, war Wohlhabenheit im Hintergrund die Voraussetzung.

Bereits unter der Ministerpräsidentschaft Gustav von Kahrs wurden Juden von dem Amt eines Landrats ausdrücklich ausgeschlossen. Zwar war die Mehrheit der untersuchten Landräte katholisch, zeichnete sich aber im Sinne eines formalen Neutralitätsideals nicht durch besondere Verwurzelung im katholischen Milieu aus. Fast alle hatten ein juristisches Studium als Voraussetzung. Eine Bevorzugung bei Beförderungen dank der Angehörigkeit zu studentischen Verbindungen ließ sich nicht nachweisen.

In der Zeit der Weimarer Republik wurde die Bezahlung geringer. Eine Reduzierung der Bezirksämter verringerte überdies die Chance, Amtsvorstand zu werden. Auch der Kompetenzbereich der Bezirksamtmänner war geschmälert, da in der Weimarer Zeit die Bezirks- (heute Kreis-)tage als Organ der Selbstverwaltung entstanden waren, gegenüber denen der Bezirksamtmann nur noch eine beratende Funktion hatte. 1933 lag ihr Durchschnittsalter bei 54 Jahren, was eindeutig eine Überalterung bedeutete. Vor 1933 war kein Einziger Mitglied der NSDAP. Sie waren oft sogar Hassfiguren für die Nationalsozialisten, da sie die Verbotspolitik des bayerischen Innenministers Stützel auszuführen hatten.

Als am 9. März 1933 die Nationalsozialisten viele Rathäuser besetzten, begnügten die Chefs der Bezirksämter sich mit formellem Protest, da von oben keine Anweisung für diesen Fall ergangen war.

Nur 21 schlossen sich schon im März 1933 der NSDAP an. Das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums gab keine Grundlage für Entlassungen unerwünschter Amtsvorstände ab. Es waren nur Versetzungen an andere Bezirksämter oder in den inneren Dienst als möglich. Nur relativ wenige konnten vorzeitig in den Ruhestand abgedrängt werden. Insgesamt setzten 1933 für rund 31 % Veränderungen ein.

Doch konnte man auch auf den Großteil der übrigen eingespielten Beamten nicht verzichten. Sie verhinderten, dass lokale Stellen der NSDAP oder ihrer Nebenorganisationen durch Willkür ein allgemeines Chaos anrichteten. Des Öfteren war es allerdings schwer, Aktionen eines lokalen Mobs, in die die SA verwickelt war, unter Kontrolle zu bekommen.

Die Bezirksamtmänner konnten im Allgemeinen auch Übergriffe der in Bayern eingesetzten SA-Sonderkommissare abwehren. Diese verloren ihr wichtigstes Recht, die Verhängung von Schutzhaft, schon am 23. Mai 1933 wieder. Allerdings waren die Leiter der Bezirksämter immer wieder verunsichert, weil sie nicht wussten, ob Aktionen nur auf Eigenmächtigkeiten der Sonderkommissare zurückgingen, oder ob sie sich auch mit dem Willen des Innenministeriums abspielten. Schwierigkeiten ergaben sich auch für ihr Aufsichtsrecht über die Kommunen, falls dort ein Bürgermeister gleichzeitig Kreisleiter war und willkürlich vorging. Meist waren aber die Kreisleiter zur Zusammenarbeit mit den Bezirksämtern bereit. Bis zu einem gewissen Maß war die Macht der Bezirksamtmänner auch größer geworden, da die Bezirkstage praktisch keine Rolle mehr spielten. Zum Verdruss vieler Kreisleiter waren sie einstweilen auch noch die wichtigsten lokalen Repräsentanten. Die Kreisleiter konnten zwar über sie politische Beurteilungen abgeben, die aber für Beförderungen oder Versetzungen meist keine Rolle spielten. Die Parteistellen erreichten nie eine weitgehende Kontrolle. Ihrerseits waren die Bezirksamtmänner (seit 1939 Landräte) sehr anpassungsbereit und traten schließlich fast alle der Partei bei. Dagegen gingen wenige zur SA und nur sehr wenige gehörten ehrenamtlich der SS an. Zwischen 1937 und 1939 kam ein Schub von neuen Landräten ins Amt, die ein Durchschnittsalter von 43 Jahren aufwiesen. Unter ihnen befanden sich eine Reihe engagierter Nationalsozialisten.

Die Beamtenstellen in der inneren Verwaltung waren noch immer nicht besonders attraktiv, da die Aufstiegsmöglichkeiten gering waren. An die Stelle der Großen juristischen Staatsprüfung in Bayern trat schließlich eine reichseinheitliche Prüfung, zu deren Inhalten auch die nationalsozialistische Ideologie gehörte. Dennoch verschlechterte sich das Ausbildungsniveau nicht grundsätzlich.

Die geplante Landkreisreform unterblieb nach Kriegsausbruch auf Befehl Hitlers. Sie hätte die Stellen für Landräte weiter verringert, wäre mit Sicherheit aber auch auf allgemeinen örtlichen Widerstand gestoßen.

Auf dem Land waren die Landräte weiter die oberste Polizeibehörde. Trotz der Zentralisierung der Polizei handelten Gendarmerie und Gestapo selten, ohne sie einzubeziehen. Damit waren sie auch in das Verfolgungssystem der Nationalsozialisten eingebunden. Hemmungen zeigten sie dabei nur, wenn es die katholische Kirche betraf. Bei Anträgen auf Verhängung von Schutzhaft, die von der Gestapo genehmigt werden mussten, folgten sie meist den Vorschlägen der Gendarmerie. Gemeinsam mit der Gestapo waren sie auch für Strafmaßnahmen gegen Zwangsarbeiter zuständig. Die ältere Generation der Landräte war zwar nach dem Eindruck des Verfassers nicht vom Rassenantisemitismus der Partei durchdrungen, allerdings keineswegs frei von der allgemeinen Voreingenommenheit gegen Juden. In den Landratsämtern wurden die Listen zusammengestellt, ohne die eine Deportation nicht möglich gewesen wäre.

Im Krieg wurden bei den Landratsämtern die für die Produktion der Lebensmittel zuständigen Ernährungsämter A eingerichtet, deren Personal die Kreisbauernschaften stellten, außerdem die für die Verteilung zuständigen Ernährungsämter B. Gegenüber den neuen Problemen der Betreuung und Versorgung von Bombengeschädigten, Evakuierten und Flüchtlingen bei gleichzeitiger Reduzierung des Verwaltungspersonals erwiesen sich die Ämter zunehmend hilflos. 33 Landratsstellen wurden im Krieg neu besetzt. Zwar war nationalsozialistische Aktivität aus der Zeit vor 1933 förderlich, die juristische Qualifikation aber noch immer unverzichtbar.

Im Gefolge der Besatzung wurde über fast alle Landräte von den Amerikanern der automatische Arrest verhängt. Doch auch fast alle wurden dann problemlos entnazifiziert. 1946 wurde das Amt zu einem Wahlamt. Einige wenige wurden sogar wiedergewählt. Die große Mehrheit derer, die noch nicht im Pensionsalter waren, gelangten wieder in den Staatsdienst. Durchweg sahen sie sich als korrekte Beamte, die nur ihre Pflicht getan und an den Verbrechen des Nationalsozialismus keinen Anteil gehabt hatten. Vom Holocaust wollten sie sämtlich nichts gewusst haben.

Das Buch hat vor allem als Nachschlagewerk wirklichen Wert. Claudia Roths Buch über die Kreisleiter der NSDAP informiert über die Machthaber der Partei auf regionaler Ebene, die Arbeit von Penzholz ergänzend über die Repräsentanten der staatlichen Herrschaft. Es fehlt nur noch eine Arbeit mit einer Zusammenstellung des Wirkens der Bürgermeister der kreisunmittelbaren Städte, die der Aufsicht der Landräte nicht unterstellt waren. Nützlich an der Arbeit sind auch die Informationen über Laufbahndetails und der Exkurs über die juristische Staatsprüfung in Bayern.

Als Quellen dienten in erster Linie die Personalakten und die Spruchkammerakten. Über den Aussagewert der Personalakten hätte man sich eine kritische Betrachtung gewünscht. Falsch ist die Angabe auf S. 34, im Staatsarchiv München seien alle Spruchkammerakten bereits digital verzeichnet. Dies ist bisher gerade einmal für sieben Spruchkammerbezirke der Fall. Natürlich ist es vom Aufwand her nicht machbar, systematisch die Vielzahl von Kommunalarchiven zu durchforsten. Auch bei den Akten der Landratsämter dürfte man auf Grenzen stoßen. Diese erscheinen bei Penzholz zwar detailliert in der Übersicht der benutzten Archivalien zum Teil für einzelne Landratsämter, zum Teil nur summarisch. Eine Begründung, nach welchen Gesichtspunkten er sie ausgewertet hat, gibt der Autor nicht. Deren Überlieferung ist lückenhaft, vieles wurde vor Kriegsende bewusst vernichtet. Dennoch enthalten sie, wenn auch unvollständig, einen besonders wertvollen Bestand, nämlich die Monats- und Halbmonatsberichte der Landratsämter an die Regierungspräsidenten. Im Band I von „Bayern in der NS-Zeit“ finden sich für Oberbayern viele Zitate daraus. Penzholz hat diese Berichte ignoriert und führt nicht einmal den genannten Quellenband an, ein unverständliches Versäumnis, da gerade diese Quellen für das Handeln und für die die Mentalität der Landräte grundlegend sind. Einen ersten Überblick darüber, wer wo Landrat war, kann man auch dem bis 1942 jährlich erschienenen Bayerischen Jahrbuch entnehmen, das Penzholz offenbar entgangen ist. Die Landräte, die im Krieg nur noch kommissarisch neu bestellt wurden, erwähnt er nicht einmal.

Penzholz bestätigt noch einmal die Tatsache, dass die Landräte durchaus ihren eigenen Machtspielraum gegenüber den Kreisleitern wahren konnten. Ihre Bereitschaft zum Opportunismus, ihre Ablehnung, nach dem Krieg ihr Handeln in Frage zu stellen und ihre Rückkehr in den Staatsdienst sind generelle Erscheinungen, die für die Beamtenschaft allgemein galten. Ganz neu sind diese Erkenntnisse nicht.

Unerfreulich sind zahlreiche Grammatikfehler und stilistische Ausrutscher in der Darstellung. Hingewiesen sei noch darauf, dass diejenigen, die nicht 149 € aufwenden wollen, das Buch auch online lesen können, falls sie den entsprechenden Zugang zum OPAC der Bayerischen Staatbibliothek haben.