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Jens Adam

Ordnungen des Nationalen und die geteilte Welt. Zur Praxis Auswärtiger Kulturpolitik als Konfliktprävention

(Edition Politik 60), Bielefeld 2018, transcript, 303 Seiten mit Grafiken, ISBN 978-3-8376-4262-9
Rezensiert von Alexandra Schwell
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 07.08.2020

Eine lange, überaus akkurat aufgestellte Reihe weißer Gartenstühle vor städtischer Kulisse ziert das Titelbild von Jens Adams im Jahr 2018 erschienener Dissertation „Ordnungen des Nationalen und die geteilte Welt. Zur Praxis Auswärtiger Kulturpolitik als Konfliktprävention“. Das Bild ist in dunkelrotes Licht getaucht, Menschen sind, bis auf ein etwas verloren wirkendes Mädchen zwischen den Stuhlreihen und ein paar wenige Spaziergänger in weiter Ferne, kaum auszumachen. Die Szenerie wirkt gespenstisch. Es handelt sich um die Gedenkfeierlichkeiten zum 20. Jahrestag der Belagerung Sarajevos im Jahr 2012; jeder der Stühle steht für einen Toten.

Bereits das Titelbild lässt ahnen, dass Jens Adam mit seiner Forschung vermintes Gelände betritt: Deutsche Auswärtige Kulturpolitik hat in jüngerer Zeit einen Paradigmenwechsel erfahren und zielt mittlerweile darauf ab, neben den althergebrachten Feldern der deutschen Sprachförderung und der Vermittlung eines „modernen“ Deutschlandbildes, nun auch in regionale und nationale Konfliktfelder eingreifen zu wollen. Dass dies ein heikles Unterfangen ist, das zum einen der deutschen Geschichte, zum anderen postkolonialen und globalen Hierarchien und Asymmetrien geschuldet ist, und die Akteur*innen der deutschen Auswärtigen Kulturpolitik vor Herausforderungen stellt, liegt auf der Hand. Erhobene Zeigefinger und Ethnozentrismus werden vor Ort wenig geschätzt.

Jens Adam verfolgt die Zielsetzung der Auswärtigen Kulturpolitik als Konfliktprävention von ihrer Formulierung entlang ihrer Genealogie bis hin zur Umsetzung in zwei Konfliktregionen: seine Feldforschung führt in die Goethe-Institute in Ramallah im Westjordanland und in Sarajevo in Bosnien. Seine Quellen sind Dokumente, offizielle Verlautbarungen, kulturpolitische Konferenzen und Veranstaltungen und vor allem, und dies macht den Reiz des Buches aus, umfassende qualitative Interviews mit Mitarbeiter*innen von Goethe-Instituten, Diplomat*innen und Kulturschaffenden sowie teilnehmende Beobachtungen. Auf diese Weise sucht Adam das Politikfeld „Auswärtige Kulturpolitik“ durch eine historisch verortete, multiperspektivische und multi-sited Forschung für die Analyse greifbar zu machen. Mit seinem Fokus auf die kulturanthropologische Politikfeldanalyse schließt das Buch an die „Anthropology of Policy“ an, die von Autor*innen wie Chris Shore und Susan Wright maßgeblich mitgeprägt wurde und mit der sich der Autor bereits im gemeinsam mit Asta Vonderau herausgegebenen Band „Formationen des Politischen“ (transcript-Verlag 2014) beschäftigt hat.

Die, zumal ethnografisch angelegte, Untersuchung eines Feldes, das sich derart heterogen gestaltet, über Jahrzehnte hinweg erstreckt, eine Multitude von Bezügen, Imaginationen und Ideen aufweist und nicht zuletzt Akteur*innen verbindet, die sich zum großen Teil nie begegnen werden, stellt Ethnograf*innen vor beträchtliche Herausforderungen. Jens Adam begegnet dieser Herausforderung, indem er sich zum einen den „Mechanismen der Übersetzung von politischen Zielvorstellungen in Arbeitsweisen, Programmschwerpunkte[n] und Projektformate[n]“ (8) widmet und zum anderen danach fragt, wie sich diese Praxis der Übersetzung im Alltag der Akteur*innen vor Ort gestaltet. Der Blick auf die diskursive Formation „Auswärtige Kulturpolitik als Konfliktprävention“ als translokaler und kollektiver Wissensarbeit wird durch die Frage nach der Übersetzung in Alltagspraxis ergänzt und damit in Relation gesetzt. Es geht um „Prozesse und Praxen des Zusammenfügens von Zielvorstellungen, Wissensbeständen, Ressourcen, infrastrukturellen Arrangements, lokalen und institutionellen Kontexten zu einer nationalstaatlichen Politik, die im globalen Rahmen operiert und auf translokale Vernetzungen ausgerichtet ist“ (16).

Das Buch ist in vier Oberkapitel gegliedert. Kapitel I führt in die theoretischen Grundlagen ein und erläutert die Motivation zur Forschung im Feld der Auswärtigen Kulturpolitik. In den empirischen Kapiteln II und III untersucht Adam zum einen im Anschluss an Chris Shore und Susan Wright die imaginäre Dimension der Auswärtigen Kulturpolitik und spürt zum anderen in einer multi-sited ethnography den Schlüsselmetaphern des politischen Narrativs in ihren Wirkungsfeldern in Berlin, Ramallah, Sarajevo, aber auch in Dokumenten und Verlautbarungen nach. Dabei steht in Kapitel II die offizielle Auswärtige Kulturpolitik im Zentrum, und dies ist durchaus wörtlich als Zentrum zu verstehen, in dem Vorstellungen und Politiken formuliert werden. Anhand zweier kulturpolitischer Veranstaltungen sowie von Regierungsdokumenten seit den 1970er Jahren analysiert Adam die Narrative, Genealogien, Argumentationen und diskursiven Konstanzen bzw. Verschiebungen der imaginären Dimension des Politikfeldes und ihren Zusammenhang mit der Formierung einer spezifischen policy community. Dabei steht auch stets die Frage im Raum, was eigentlich Kultur, vielmehr: was deutsche Kultur ist, und wie Kultur sich zu Volk verhält – eine Frage, die nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund der deutschen Teilung durchaus Brisanz hatte und hat.

Der Autor arbeitet im Anschluss an die Arbeiten von u. a. Irene Götz und Beate Binder akribisch heraus, wie Nationalkultur inszeniert, diskursiv geformt und in Politiken gegossen wird, hin zur Vorstellung einer integrativen Nationalkultur, die jedoch stets das Nationale als unhinterfragbares Apriori setzt. Er zeigt, dass die Vermittlung eines modernen Deutschlandbildes nicht nur zentral für das Politikfeld Auswärtige Kulturarbeit und die policy community ist, sondern dass diese Setzung des Nationalen als einer Selbstverständlichkeit sich gerade in der Vermittlungsarbeit zeigt, wo Kulturmittler*innen aus einem spezifischen Repertoire schöpfen und damit das „Deutsche“ lebendig machen bzw. halten.

Gegen diese allzu weichgespülte Inszenierung des Nationalen argumentiert Jens Adam: „die Gewalt- und Ausgrenzungsgeschichte ist dem Konzept der Nationalkultur so elementar eingeschrieben, dass sie, aus meiner Perspektive, den zentralen Ausgangspunkt der Reflexionen über zeitgemäße Beschreibungsmuster für Zugehörigkeiten und Ordnungsmodelle für internationalen Kulturaustausch darstellen müsste“ (121). Zugleich begreift er Auswärtige Kulturpolitik mit Penelope Harvey als „Technologie des Nationalen“, um die Beziehungen zwischen Infrastrukturen und Wissensordnungen in den Blick nehmen zu können.

Kapitel III stellt vor dem Hintergrund der Vorstellungen und Zielsetzungen einer deutschen Auswärtigen Kulturpolitik als Konfliktprävention die Frage nach der praktischen Bedeutung für die alltägliche Arbeitspraxis von Kulturmittlern in Ramallah und Sarajevo. Dies darzustellen gelingt ihm, indem er „kulturpolitische Vermittlung als eine Wissensarbeit“ (147) begreift, die Übersetzung herzustellen versucht und translokale Praxis- und Übersetzungsfelder als Analysemodell heranzieht. Als Faktoren, die „kulturpolitische Übersetzungs- und Vermittlungsarbeit formen“, identifiziert Adam (1) Interventionen in den lokalen Kontext, (2) Interventionen, die Mobilisierungen politischer Konzepte oder Zukunftsvisionen beinhalten sowie (3) Komplikationen, Alltagsprobleme oder Reibungen beim Kontakt von Projekten mit konkreten Realitäten vor Ort (156).

Als theoretische Fundierung dienen Jens Adam in erster Linie zwei Modelle: Zum einen bezieht er sich auf Richard Rottenburgs Konzept der „Übersetzungsketten, durch die Ideen, Ressourcen, Modelle oder Narrative innerhalb des Politikbereichs translokal zirkulieren“ (19–20). Mithilfe dieses Modells lassen sich Asymmetrien herausarbeiten, die das Verhältnis zwischen Kulturmittler*innen, Auswärtigem Amt und weiteren Macht- und Kontextfaktoren sowie Bedeutungsverschiebungen der im Feld relevanten Begriffe prägen. Zum zweiten entwickelt Jens Adam ein eigenes „Modell der translokalen Praxis- und Übersetzungsfelder […], um Wissensarbeit zugleich situieren und differenzieren zu können“ (20). Kapitel III identifiziert auf der Basis der ethnografischen Forschung vier Strategien kulturpolitischer Übersetzung bei Kulturmittler*innen: Strategien des Verortens, des Verankerns, zur Schaffung von Anschlüssen und des Verknüpfens.

Das abschließende Kapitel IV fasst die Ergebnisse der Forschung zusammen und bietet einen Ausblick auf Potenziale der Kosmopolitisierung einer Auswärtigen Kulturpolitik als Konfliktprävention. Jens Adam identifiziert vier Mikro-Dynamiken (284–285): (1) Konfliktprävention sowie Förderung der Menschenrechte forderten etablierte Ordnungen des Nationalen heraus und lenkten den Blick auf die geteilte Welt, (2) Europäisierung flexibilisiere Vorstellungen von Grenzen und Differenzen und fokussiere vorrangig auf Verflechtungen, (3) der Fokus auf Alltage und Konflikte vor Ort stelle eine Kulturpolitik in Frage, die sich vor allem um die Herstellung von Deutschlandbezügen drehe und (4) damit zugleich nach der Anschlussfähigkeit von Konzepten wie „Deutschlandbezüge“ frage. Schlussendlich, so Adams Plädoyer, müsse kulturpolitischer Diskurs und Praxis als Konfliktprävention bedeuten, „eben die Vorstellung einer gemeinsamen Zugehörigkeit zu ein und derselben Welt zugleich zu ihrem Ausgangspunkt und ihrem Zielhorizont zu nehmen“ (286).

Jens Adam ist mit „Ordnungen des Nationalen und die geteilte Welt“ eine dichte Studie gelungen, die ein von der deutschsprachigen Kulturanthropologie bislang eher vernachlässigtes Feld sehr präzise ausleuchtet. Dies gelingt aufgrund seiner fokussierten konzeptuellen Vorgehensweise und seines analytischen Blicks auf die reichhaltige Ethnografie. Diese ethnografischen Daten weiß Adam gewinnbringend zu analysieren, ohne dabei in die Falle zu tappen, sein Material um seiner selbst willen einzubringen. Dies ist gut gelungen und strukturiert den Text entlang des roten Fadens, den Jens Adam zu keinem Zeitpunkt aus den Augen verliert. Die abschließenden Bemerkungen der Rezensentin betreffen entsprechend nicht die Pflicht, sondern die Kür. Insbesondere der erste Teil des Buches ist stark theoretisch und wenig zugänglich verfasst. Aber auch im zweiten Teil, der sich konkreter auf Feldforschungen in Ramallah und Sarajevo stützt, bleibt die Sprache häufig distanziert, ethnografische Beobachtungen werden mit Spiegelstrichen gereiht und damit zwar zielgerichtet auf das Argument fokussiert, jedoch zugleich desweilen auch von ihrer Verankerung in der Lebenswelt und dem Alltag der Akteur*innen distanziert. Die Rezensentin hätte sich entsprechend gewünscht, dass die praktische Bedeutung all der Zwänge, Beschränkungen, Atmosphären, Strategien und Praktiken der Akteur*innen in Ramallah und Sarajevo häufiger durch längere ethnografische Vignetten exemplifiziert würde. Besonders gut gelingt dies bei der detaillierten Darstellung der Kontroverse um die palästinensische Soap Matabb, die „Lindenstraße in Ramallah“ (157–160), anhand derer Adam zeigt, wie Faktoren, Machtverhältnisse, Aushandlungen, Reibungen, Asymmetrien auf so vielfältige und von den Akteur*innen kaum überblickbare Weise zusammenkommen, sodass ein vermeintlich „belangloses“ populärkulturelles Medium wie eine Soap Opera plötzlich zum Inbegriff regionaler, historischer und postkolonialer Spannungen sowie Selbst- und Fremdbilder wird und sämtliche Versuche, alles richtig machen zu wollen, von Vornherein zum Scheitern verurteilt zu sein scheinen. Es sind besonders diese dichten Beschreibungen, die ebenso wie das Titelbild aus Sarajevo den Leser*innen die Dilemmata, Zwänge und multiplen Situiertheiten deutscher Auswärtiger Kulturpolitik und Kulturmittler*innen in Konfliktregionen vor Augen führen, denen sich Jens Adams kritische und überaus informierte Studie widmet.