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Bianca Ludewig

Utopie und Apokalypse in der Popmusik. Gabber und Breakcore in Berlin

(Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Ethnologie der Universität Wien 47), Wien 2018, Verlag des Instituts für Europäische Ethnologie, 300 Seiten mit Abbildungen, ISBN 978-3-902029-32-4
Rezensiert von Anja Schwanhäußer
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 14.08.2020

Eine Studie zu Gesellschaft, Musik und Stadt beginnt heutzutage mit Gentrifizierung. Bereits 1973 hat Raymond Williams in „The Country and the City“ die dahinterliegende, immer wiederkehrende, ursprünglich pastorale Erzählung analysiert: Zerstörung einer lokalen Gemeinschaft, Verdrängung des ‚kleinen Mannes‘ und Indifferenz gegenüber etablierten Gewohnheiten. Im Berlin des Jahres 2019 sind die Vokabeln neoliberaler Stadtumbau, Verdrängung und Kommodifizierung von Musik und Erleben. Die Berliner Gabber-Szene, um die es in dieser Studie geht, ist ein Resonanzraum dieser Entwicklung. In einer ästhetisch sanitarisierten Umwelt sehnt sie sich nach apokalyptischen Sounds, „to going mental and getting fucked up“ (30). Diese Sounds werden aber letztlich, wie die Autorin Bianca Ludewig unter Bezugnahme auf Franz Liebl und Thomas Düllo richtig schreibt, kommerziell einverleibt. Ihre Studie, als Masterarbeit eingereicht, trägt den Titel „Utopie und Apokalypse in der Popmusik. Gabber und Breakcore in Berlin.“

Die Autorin (die nebenbei als DJane arbeitet) verwendet die Methode des „Sampelns“, das heißt, sie schreibt, wie ein*e DJ*ane Platten auflegt. Hierdurch kann sie vielfältigen Bezügen zwischen Musik, Politik und Szene nachgehen. Auch werden archetypische Begriffe wie „Apokalypse“ und „Terror“ mit Material aus spezifischen lokalen Kontexten in Beziehung gesetzt. Diese Methode stößt jedoch an ihre Grenzen, wenn es zur interessantesten Frage des Buches kommt: Wie kommt das Politische in den Klang?

Der Gabber-Rhythmus entstand, so die Legende, weil in Großbritannien „Free Festivals“ (101), auf denen ein repetitiver Rhythmus (Techno) gespielt wurde, verboten wurden, weshalb man dazu überging, nicht repetitive, unordentliche Rhythmen zu erzeugen. In Holland war Gabber ein populäres Genre, „Volksmusik“ (267). Die Klientel entstammte unterbürgerlichen Schichten und der unteren Mittelschicht. An den Rändern der Szene existierten rechtsextreme Subszenen, die unter dem Namen „Lonsdale Gabber Youth“ firmierten. Heutzutage ist die Szene am Verschwinden.

Das ehrbare Ziel der Studie ist es, die Berliner Gabber- und Breakcore-Geschichte überhaupt erst sichtbar zu machen. Denn zum Zeitpunkt der Erhebung 2011 gab es noch kein öffentliches Wissen über einen Musikstil, dem ein Hautgout anhaftete („Igitt-Label“, 13). Ludewigs Arbeit steht damit in der volkskundlichen Tradition des Sammelns und Dokumentierens von Daten, die nur oral existieren. Und sie lässt einen Macher aus der Szene partizipieren, der das Nachwort verfassen darf.

Außerdem versucht die Studie, „die sonischen Qualitäten der Musik ins Zentrum einer kulturwissenschaftlichen Untersuchung“ zu stellen, so Jens Wietschorke im Vorwort (7). Damit folgt die Arbeit einem Ansatz, der seit etwa zehn Jahren unter der Überschrift „sonic turn“ diskutiert wird. Dabei gehe es darum, so Ludewig, „die sozial-politischen Potenziale in der Popmusik aufzuzeigen “ (26). Hier bezieht sich die Autorin berechtigterweise auf Paul Gilroys „Black Atlantic“ (1993), wo Sound untrennbar mit Kolonialismus, Verschleppung und Versklavung verknüpft ist. Nicht zuletzt geht es darum, was Apokalypse und Utopie im Kontext von Popmusik bedeuten, vor dem Hintergrund, dass es in den Jahren 2011/12, in denen die Erhebung stattfand, einen weltweiten „Apokalypse-Boom“ (42) gab, weil der Maya-Kalender endete.

Bianca Ludewig hat Leidenschaft für ihr Thema und hat über den Erhebungszeitraum hinaus Kontakt zur Szene gehalten. In ihrem Kernstück, dem Kapitel über Berlin, vereint sie dicht und anschaulich die Stimmen der wichtigsten Gabber-Protagonisten der Stadt aus der Hochzeit dieses Sounds (die Protagonisten sind durchweg männlich, wie die Autorin selbstkritisch anmerkt). Sie dokumentiert die geradezu mystische Bedeutung, die der Club Bunker in den 1990er Jahren in Berlin Mitte für die Beteiligten hatte (ein Laden „mit Charakter“, 191) und skizziert ausführlich die politischen Kämpfe, die jahrelang im Umfeld der „Fuckparade“-Straßenproteste stattfanden. Besonders interessant ist es zu erfahren, dass es in der Szene selbst eine lebendige Auseinandersetzung mit rechtsextremer Gesinnung gab. Eine Szene, die auf der Ebene des Stils Terror inszenierte, war nach innen, im Umgangston, zivilisiert und differenziert. Die nicht-rechtsradikalen Macher*innen aus der Szene, die bei weitem in der Überzahl waren, rangen um eine Haltung gegenüber Personen mit rechtsextremer Gesinnung, wie es sie unter den männlichen Ordnern und Mithelfern der Fuckparade gab und auch im Umfeld des Bunkers. Die Studie dokumentiert die Kampagne der Fuckparade gegen rechts und macht zugleich deutlich, dass eine einheitliche Position alles andere als einfach war. Denn eine Szene ist mehr als ein punktuelles Ereignis, sie ist eine kulturelle Einheit, wie fragmentiert auch immer, die aus gewachsenen Strukturen, geteilten Geschichten und persönlichen Freundschaften besteht. Der DJ moog_t (Thomas Rupp), einer der Hauptorganisatoren der Fuckparade, ist nicht der einzige, der für Dialog plädierte, wofür er wiederum von Ultra Linken aus dem Hausprojekt „Köpi“ anderthalb Stunden „gegrillt“ wurde (239). Über diese Streitereien zersplitterte die Szene, sodass sich moog_t heute wie im Film „Das Leben des Brian“ fühlt, „mit den verschiedenen politischen Grüppchen und Untergrüppchen“ (246). Leider wird das Thema Humor nur am Rande erwähnt.

Das Material gibt auch eine Idee davon, dass die Widerborstigkeit translokaler Musikstile in ihrer lokalen Eigenart liegt: im Jargon, Vokabular und in regionaler Referenz, etwa wenn im alternativen Kulturzentrum Tacheles die „Asselkalypse“ (207) gefeiert wird, wenn mit obligatorischer „Berliner Schnauze“ über „Weichcore-Arschlöcher“ (197) hergezogen wird und wenn nicht unerwähnt bleibt, dass vor dem Tanzen „ein Döner in der Friedrichstraße“ (190) konsumiert wird.

Das Berlin-Kapitel schürt die Neugier, welche Bezüge es zwischen den Konflikten der Szene und ihrem Sound gibt. Doch bleibt Ludewig beim Sampeln: Eine singuläre Hörerfahrung (ihre eigene) wird ohne Bezug zum vorher Gesagten in die Studie montiert. Es fehlen auch atmosphärische Beschreibungen aus den besuchten Clubs, die ein Gefühl dafür vermittelt hätten, wie der Sound zur Aufführung kommt. Gleichermaßen hängt die Fotostrecke in der Luft. Diese zeigt Aufnahmen von T-Shirt-Parolen auf der Fuckparade – die Personen von hinten fotografiert – sowie Flyer. Die Slogans nehmen teilweise auf eine rechte Gesinnung Bezug. Sie rufen geradezu danach, zu den Aussagen der Interviewpartner in Beziehung gesetzt zu werden. Hierdurch hätte die These vom Politischen des Sounds konkretisiert werden können.

Die Autorin zieht sich ins Ästhetische zurück und zeigt dabei eine Vorliebe für martialische Ausdrucksweisen (Drums wie „Bombeneinschläge“ bzw. „Maschinengewehrfeuer“, „apokalyptisches Klanggewitter“, „sonisch apokalyptisches Waffenarsenal“, 265, 268). Gewalt bleibt weitestgehend eine Metapher. Dabei beweist ihr eigenes Material, dass das Sonische mit Krieg und Gewalt „da draußen“ in Beziehung steht: über den Camouflage-Stil und die Bomberjacken, über die Liebhaberei für Militaria bis hin zur Überzeugung, dass die Verhältnisse nur durch Gewalt verändert werden können. Diese Tatsachen werden mit Interviewzitaten belegt und es ist die Leistung der Studie, diese – auch in ihrer Nähe zur rechtsextremen Gesinnung – zu präsentieren.  Doch es werden keine Schlüsse daraus gezogen. Am Ende befindet die Autorin entgegen ihrer Eingangsthese: „das Sonische ist weder rechts noch links“ (268). Warum geht die Autorin nicht kritischer mit dem Material um?

Hat eine rechtsextreme Haltung einen spezifischen Klang? Man muss das verneinen, weil Personen verschiedener politischer Orientierungen dem Gabber-Sound anhängen. Wie wird aber dennoch das Politische Teil der Hörerfahrung? Diese Frage kann mit Sampeln nicht beantwortet werden, denn hierfür müssen die Bilder und Mythen analysiert werden, die die komplexen und widersprüchlichen Erfahrungen der Beteiligten kondensieren.

Im Fazit unterläuft der Autorin ein Fehler. Es besteht aus einem weiteren Sample, hier reproduziert Ludewig Thesen Steve Goodmans, der in den Sound-Studies mit dem Buch „Sonic Warfare. Sound, Affect, and the Ecology of Fear“ (2010) bekannt wurde, in Großbritannien ein renommiertes Dub-Label betreibt und Anhänger des Akzelerationismus (269) ist. Was Ludewig unkommentiert lässt ist, dass der Akzelerationismus in Teilen rechtsextrem ist. Goodman selbst ist zwar kein rechter Denker, doch gibt es Verbindungen zu Nick Land, der ebenfalls dem Akzelerationismus anhängt. Land hat sich in seinen Schriften in den letzten Jahren rassistisch geäußert und ist Inspirationsquelle für die Alt-Right-Bewegung. Beide gehörten dem inzwischen aufgelösten inoffiziellen Netzwerk „Cybernetic Research Unit“ (CCRU) an, das Ludewig ebenfalls erwähnt (269). Eingangs verteidigt die Autorin das Sampeln: „Aber ich finde es wichtig, dass die LeserInnen auch selber Gedanken entwickeln.“ (10) Um sich selber Gedanken machen zu können, bedarf es aber solcher Einordnungen.

Die Leistung der Studie ist es, das Feld von Musik, Szene und Stadt durch eine kleine ‚oral history‘ dicht und gut beschrieben darzustellen. Es wird deutlich, dass Musikszenen geeignete Felder sind, um die Verbindung von Sound, Gesellschaft und Stadt zu untersuchen, weil die Szene selbst reflexiv diese Bezüge herstellt. Aus der Studie geht außerdem hervor, dass Themen und Begriffe des linken Politik-Aktivismus der vergangenen 20 Jahre, wie zum Beispiel das Thema Gentrifizierung, pop-apokalyptische Qualitäten haben und dadurch an rechtsextreme Ideologien anschließbar sind. Eine Grauzone, die unbedingt mehr erforscht werden sollte. Diese schillernde Studie zählt somit zu einer der interessantesten unter den publizierten Abschlussarbeiten der vergangenen Jahre.