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Jana Eichmann

Konsum im Spiegel der Medien. Subjektbildung am Beispiel des Dokutainmentformats „Shopping Queen“

(Kulturen der Gesellschaft 34), Bielefeld 2018, transcript, 241 Seiten mit 1 Abbildung, ISBN 978-3-8376-4305-3
Rezensiert von Petra Schmidt
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 21.08.2020

Die von Jana Eichmann 2018 im transcript Verlag publizierte Dissertation im Fach Medienwissenschaften an der Universität Paderborn „Konsum im Spiegel der Medien. Subjektbildung am Beispiel des Dokutainmentformats ‚Shopping Queen‘“ untersucht die subjektbildenden Potenziale und Konsumthematisierungen in massenmedialen Unterhaltungsangeboten. Die Arbeit teilt sich in einen theoretischen und einen empirischen Block. Im ersten, theoretischen Teil nähert sich die Autorin ihrem Forschungsgegenstand − postmodernen Subjektbildungsprozessen − durch begriffliche und konzeptuelle Zugänge aus der Soziologie, insbesondere der Medien- und Konsumsoziologie, und den Cultural Studies auf deduktive Weise an. Der zweite, empirische Teil erläutert Methode und Analysekategorien und expliziert die entfalteten Subjektivierungstheorien am Gegenstand der Fernsehserie „Shopping Queen“. Im vorletzten Kapitel dieses Teils werden die Ergebnisse vorgestellt und die vielschichtigen Facetten konsumbasierter Subjektbildung reflektiert.

Im theoretischen Abschnitt erläutert Jana Eichmann zunächst Prozesse gegenwärtiger Subjektbildungen anhand von Theorien wie Ulrich Becks Individualisierungsthese, Michel Foucaults Gouvernementalitätsansatz und Ulrich Bröcklings Konzept des ‚Unternehmerischen Selbst‘. Hierbei setzt sie Subjektbildungsprozesse in Bezug zu gesellschaftlichen Veränderungen, wie den Zerfall von Normalbiografien und traditionellen Bindungen. Die durch diese Transformationen entstehenden entgrenzten Handlungsmöglichkeiten prägen, medial vermittelt, bei Individuen zunehmend Techniken aus, die auf Selbstfindung, Selbstgestaltung und eine Optimierung des Selbst abzielen. Anschließend setzt sich Eichmann auf theoretischer Ebene mit der Rezeption von Massenmedien und deren Auswirkungen auf Subjektbildungsprozesse auseinander. Die Autorin bezieht sich dabei auf Theoretiker der Cultural Studies wie Stuart Hall, John Fiske und David Morely und begreift die Rezeption von Medien als reziproken Prozess, bei dem sowohl Individuen von Medien beeinflusst werden, als auch umgekehrt Rezipient*innen „im Rahmen diverser kulturökonomischer Strömungen“ (58) auf massenmediale Unterhaltungsmedien einwirken. Die zentralen theoretischen Perspektiven entwickelt Eichmann in Anlehnung an den Soziologen Michael Makropoulos (Theorie der Massenkultur, 2008). Einerseits macht sie deutlich, dass Rezipient*innen durch die von Medien vermittelten Inhalte Handlungsmöglichkeiten (Kontingenz) und Potenziale zur Selbstentfaltung entwickeln – wobei die Adressat*innen die jeweiligen „Handlungsvorlagen“ nicht unhinterfragt annehmen, sondern reflektieren und mit Bedeutungen versehen (69). Andererseits stellt Eichmann heraus, dass massenmediale Unterhaltungsangebote Normalitätsvorstellungen im Hinblick auf Handlungsmöglichkeiten an ihre Empfänger*innen herantragen, die sie mit Begriffen Makropoulos’ als „kommunikative Normalisierung“ versteht. Diese veranlasst Subjekte dazu, sich in sogenannten „normalistischen symbolischen Landschaften“ zu verorten, die aus Normalitätsbereichen und Toleranzzonen sowie Normalitätsgrenzen und Zonen der Anomalität bestehen (78). Im Zuge zunehmender individueller Risiken im Rahmen von Subjektbildungsprozessen übernehmen diese Landschaften eine entlastende Funktion, da sie Handlungsorientierung vorgeben und gleichzeitig individuelle Selbstmanagementprozesse anstoßen (79).

Nach der Erläuterung ihres theoretischen Verständnisses von Medienrezeption blickt Eichmann auf Subjektbildungsprozesse im Kontext postmoderner Konsumpraxen, wofür sie konsumsoziologische (Subjektivierungs-)Theorien von Jean Baudrillard, Andreas Reckwitz und Dominik Schrage hinzuzieht, die Konsumpraktiken als individuelle Selbstmanagementtechnologien begreifen, durch die sich das Selbst entfalten und gesellschaftlich integrieren kann (218). Ziel oder auch Ideal dieses postmodernen, individualästhetischen Selbst ist es demzufolge, das Selbst mit Hilfe von erworbenen Konsumobjekten als „originär“ zu definieren sowie zu erreichen, von „außen“ als „authentisch“ anerkannt zu werden (219). Medien übernehmen bei der Annäherung an ein Ideal-Ich – der Soziologin Hannelore Bublitz zufolge – die Rolle von Begehrensproduzenten. Nach Bublitz stellen Medien Waren und Szenarien so dar, dass sie bei ihren Rezipient*innen zunächst einen Mangel im Hinblick auf ihr Ideal-Ich auslösen, der durch den Konsum der jeweilig angebotenen Waren kompensiert werden beziehungsweise (kurzweilig) befriedigt werden kann (115).

Nach den theoretischen Einführungen in die Bereiche Medienrezeption und Konsum verschränkt Eichmann diese miteinander und thematisiert die Inszenierungsweisen und Konsumpraktiken innerhalb von massenmedialen Unterhaltungsangeboten. Dabei interessiert sich die Autorin für die angebotenen Subjektvorlagen im Rahmen medialer Inszenierungen von konsumierenden Individuen und fragt, welche subjektivierenden Impulse Kandidatinnen in konsumorientierten Fernsehshows den Zuschauer*innen senden. Die Autorin argumentiert, dass die inszenierten Konsumpraxen der Kandidatinnen Subjektvorbilder eines „unternehmerischen Selbst“ (Bröckling) offerieren, die zunehmend wettbewerbsmäßige Selbstoptimierung, Leistungsmaximierung und unternehmerisches Handeln „bewerben“, mit dem Ziel, sich seinem individualästhetischen Ideal anzunähern. Reckwitz (Ästhetik und Gesellschaft, 2015) zufolge gelingt dies durch eine permanente Ausdifferenzierung und Weiterentwicklung des Selbst, wobei Waren und Dienstleistungen als individualästhetische Mittel der Selbstexpression fungieren (126).

Im empirischen Teil exemplifiziert die Autorin ihre theoretische Basis an der auf dem Privatsender VOX ausgestrahlten Sendung „Shopping Queen“. In der Sendung wetteifern fünf Frauen jeweils einen Tag lang darum, zu einem vorgegebenen Wochenthema und mit einem Budget von 500 Euro den besten Look der Woche einzukaufen, um mit dem Titel ‚Shopping Queen‘ ausgezeichnet zu werden. Bewertet werden die Styles dann von einem Modedesigner und Stilexperten sowie von den jeweils anderen Kandidatinnen. Eichmanns Datengrundlage sind fünf aufeinanderfolgende Episoden; sie untersucht diese hinsichtlich vorherrschender normativer Regulierungen (Spielregeln), Subjektivierungspraxen, (Konsum-)Diskursen, Verhaltensweisen in Bezug auf Konsumobjekte und Fremd- und Selbstführungstechniken als Mikrodiskurs (148). Zur Untersuchung der Diskurse zieht Eichmann die qualitative Inhaltsanalyse hinzu, das Filmmaterial analysiert sie auf der audio-visuellen Ebene nach Helmut Korte. Hierfür zerlegt sie die jeweilige Episode in ein „überschaubares Nacheinander“ filmischer Komponenten, filtert konsumrelevante Schlüsselszenen der Kandidatinnen heraus und bildet deduktiv übergeordnete Kategorien. Danach differenziert Eichmann induktiv Unterkategorien auf Grundlage ihres Datenmaterials aus und befragt die Episoden hinsichtlich der filmischen Inszenierung.

Als erstes Ergebnis in Bezug auf Subjektbildungsprozesse im Kontext von Medien und Konsum stellt die Autorin fest, dass das Format „Shopping Queen“ seinen Zuschauer*innen artifizielle Wirklichkeiten bietet, die sowohl unterhaltend als auch orientierungsstiftend auf Rezipient*innen wirken können, in dem ein fiktionales Einkaufsgeschehen (Budget, Wettbewerb, Style-Thema) innerhalb einer bestimmten (meist wohlbekannten) Alltagsrealität für die Zuschauer*innen und Kandidatinnen konstruiert wird. Des Weiteren arbeitet Eichmann heraus, dass das Arrangieren zwischen den Kontingenzbegrenzungen (z. B. Budget, Zeitlimit, Stilkritik des Designers) und den Kontingenzentgrenzungen (z. B. reichhaltiges Warenangebot, Erosion traditioneller Kleiderordnungen) eine Herausforderung für die Protagonistinnen darstellt. Die Verhandlung zwischen der „Wahlfreiheit“ und den „Spielregeln“ innerhalb des Formats „Shopping Queen“ wird vonseiten der Serienmacher*innen bzw. dem Stilexperten dann als gelungen dargestellt, wenn die Kandidatin das zusammengestellte Outfit innerhalb bestimmter Normalitätsspektren ausgewählt und ein „authentisches“ Passungsgefühl zwischen Outfit und Selbstexpression bei den Betrachter*innen hervorgerufen wird. Das zusammengestellte Outfit repräsentiert in diesem Zusammenhang die Fähigkeit zur individuellen Subjektbildung und zur Selbstinszenierung – was Eichmann als das eigentliche Konsumgut der Sendung interpretiert. Darüber hinaus identifiziert sie bei den Kandidateninnen ein Streben und Wetteifern nach einem „authentischen“ Look, was sich vor allem an den Auswahlkriterien der Kandidatinnen bei ihrer Suche nach dem perfekten Outfit ablesen lässt, die darin die steten Annäherungsversuche an ein imaginäres Ideal-Selbst ausdrücken. Diese subjektivierende Praxis der Kandidatinnen, die auch an die Zuschauer*innen appelliert, sich selbst zu optimieren, verortet die Autorin vor dem Hintergrund eines „Kreativitäts- und Kulturalisierungsdispositivs“ (Reckwitz), in dem das Selbst sich innerhalb eines zunehmenden Kampfes um Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit optimal und „authentisch“ präsentieren will und soll.

Trotz der Fülle an theoretischen Bezügen und der disziplinären Vielschichtigkeit schafft es Eichmann durch ihren prägnanten Schreibstil dem/der Leser*in Orientierung zu geben. Der theoretische Teil liefert nicht nur gut erklärte Einblicke in allgemeine Gesellschafts- und Subjekttheorien, sondern auch in medien- und konsumtheoretische Ansätze, die besonders empfehlenswert auch für Studierende sind. Durch eine kontinuierliche Bezugnahme auf die zentrale Fragestellung der Autorin, nämlich wie Medien und Konsum im Doppelpack gegenwärtig Subjektbildungsprozesse bewirken, wird der theoretische Zugang stets plausibel gemacht. Auch die theoretische Verschränkung der beiden Komponenten zeigt überzeugend, dass Konsuminszenierungen in Medien konsumbasierte Handlungsmöglichkeiten und- orientierungen an Rezipient*innen herantragen, die letztlich einer optimierten Selbstgestaltung dienen. Dadurch werden auch soziologische Konzepte der medien- und konsumbasierten Subjektbildung erweitert. Wie Rezipient*innen die Subjektbildung schlussendlich verhandeln, beantwortet die Analyse von Konsumpraxen der Kandidatinnen – allerdings nicht eine Rezeptionsanalyse der Zuschauer*innen. Denn die Teilnehmerinnen der Serie sind nicht nur Produzentinnen subjektivierender Handlungsimpulse, sondern durch den vorgegebenen Handlungsrahmen und die Konsumregeln des Serienformats auch Adressatinnen subjektivierender Impulse, deren Rezeption die Autorin anhand des filmischen Materials untersucht. An dieser Stelle wäre ein Blick hinter die Kulissen von „Shopping Queen“ interessant gewesen, um mehr über das Vorwissen der Kandidatinnen zu erfahren, z. B. über zuvor gesehene Sendungen, durch das möglicherweise Unsicherheiten kompensiert oder Vorlagen für das „richtige“ Konsumverhalten (z. B. Sprache, Freude, Genuss) adaptiert werden? Die Autorin arbeitet jedoch die medial kolportierten Subjektivierungspotenziale gekonnt heraus und regt zum Nachdenken darüber an, wie Individuen in Medien als „authentisch“ inszeniert werden und wie die Serienakteur*innen diese „Authentizität“ performen bzw. übersetzen und sich zu eigen machen wollen. Die aufschlussreiche Studie ist somit für Studierende und Wissenschaftler*innen der Medienwissenschaften, der (Konsum- und Medien-)Soziologie sowie der Empirischen Kulturwissenschaft ein Gewinn.