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Elisabeth Söllner
Phänomen Designmuseum. Eine Museografie über Die Neue Sammlung in der Pinakothek der Moderne München
(Bayerische Studien zur Museumsgeschichte 4), Berlin/München 2018, Deutscher Kunstverlag, 170 Seiten mit 14 Farbabbildungen, ISBN 978-3-422-07462-0Rezensiert von Thomas Schindler
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 28.08.2020
Elisabeth Söllners Dissertation erscheint als vierter Band der Reihe „Bayerische Studien zur Museumsgeschichte“, die von der Landesstelle für die nichtstaatlichen Museen in Bayern herausgegeben wird. Als museografischer „Rundumblick“ auf „Die Neue Sammlung“ angelegt, war es Söllners „exemplarische Herangehens- und Untersuchungsweise“, die für eine Aufnahme des Werks in die genannte Reihe gesprochen haben, so Astrid Pellengahr, die damalige Leiterin der Landesstelle in ihrem Geleitwort (6 f.). Burkhart Lauterbach hebt in seinem Geleitwort als Doktorvater von Elisabeth Söllner die „kulturwissenschaftliche Pionierarbeit“ der Autorin besonders hervor (8). Die Messlatte hängt also hoch und die Lektüre des Bandes verspricht entsprechend großen Erkenntnisgewinn.
Dem inhaltlichen Teil stellt die Verfasserin mit „Vom Befremden“ (11 ff.) einen sehr persönlich gehaltenen Kommentar voran, in dem sie ihre eigenen Verständnisdefizite und das damit verbundene Unbehagen als wissenschaftlich versierte Museumsbesuchende in Bezug zum Forschungsgegenstand „Designmuseum“ setzt. Aus ihren eigenen Erfahrungen leitet sie nun folgerichtig die für sie relevanten Forschungsfragen ab. Nach dieser knappen, aber für das Verständnis der folgenden Ausführungen wichtigen Einführung erläutert Söllner im ersten Kapitel „Ein Designmuseum als kulturwissenschaftliches Forschungsfeld“ (14 ff.) den methodischen Aufbau ihrer Forschungsarbeit, deren Design, wenn man so möchte. Elisabeth Söllner hat sich vorgenommen „basierend auf einer museografisch angelegten Untersuchung, die musealen Produkte und Funktionen der Neuen Sammlung in München zu beschreiben und zu analysieren“ (138). Ihr ist bewusst, dass die Ergebnisse ihrer Forschung nicht ohne weiteres auf andere Institutionen anwendbar sind, dennoch betont sie ihren Anspruch eine Art methodische Blaupause zur Beforschung anderer Museen und Museumstypen angelegt zu haben.
Darauf folgt das sehr umfangreiche Kapitel „II. Das Zeit- und Raumgefüge der Neuen Sammlung“ (40 ff.), worin sich die Autorin in chronologischer Abfolge den Strukturbildungsprozessen und Meilensteinen der Institutionengeschichte zuwendet. Dabei gelingt ihr das Kunststück, aus all den Jahreszahlen, Personen und Ereignissen ein für Lesende sehr anschauliches und dabei präzises Gesamtbild zu entwickeln. Ein aus meiner Sicht nicht gering zu wertender Mangel ist die sehr geringe Anzahl an Illustrationen, um Söllners mitunter sehr plastische Formulierungen noch besser nachvollziehen zu können. Einzige Ausnahme sind in diesem Unterkapitel eine Innen- und eine Außenaufnahme des heutigen Münchener Museums. Nur warum hat sie sich ausgerechnet für diese Aufnahmen entschieden? Da im folgenden Kapitel gerade ästhetischen Gesichtspunkten im Hinblick auf aktuelle Objektauswahl, Präsentationsansätze etc. in Söllners Argumentationen große Bedeutung zukommt, wäre es etwa hier durchaus legitim gewesen visuell zu unterstützen (z. B. durch historische Abbildungen als Kontrastfolien aktueller Ausstellungskonzepte).
In Kapitel „III. Alltag in der Neuen Sammlung“ (75 ff.) widmet sich Elisabeth Söllner den „regelmäßigen Tätigkeiten“ (75), wobei sie klarmacht, auf „ausgewählte, zentrale Tätigkeiten […], die als Kristallisationspunkte für die Analyse der ‚museum messages‘ gesehen […] werden“ (ebd.), abzuheben. Aus ihrer Sicht sind dies „die Unternehmenskultur“, „die Prozesse der Erweiterung des Sammlungsbestandes“ und die „Konzeption und Gestaltung der Dauerausstellung“ (ebd.). Ziel des Kapitels ist die Beschreibung der durch die Musealisierung bzw. Neukontextualisierung der Objekte neu entstehenden Narrative und deren Nutzbarmachung im Ausstellungs- bzw. Vermittlungszusammenhang. Ihre theoretisch fundierte Herangehensweise an diesen Themenkomplex ist besonders aufschlussreich, weil sich die Autorin nicht scheut, auch seit langem kontrovers diskutierte Topoi in ihre Argumentation einzubeziehen; so widmet sie sich etwa den „Dingbedeutsamkeiten“, der Bedeutung von „Aura“ und „Authentizität“ von Objekten usw.
In „IV. Konstitutive Elemente der Museumarbeit“ (120 ff.) führt Elisabeth Söllner die Ergebnisse der vorangegangenen Kapitel zusammen. Sie möchte damit vor allem die Legitimation der geschilderten musealen Repräsentationen vor dem vierfach facettierten Hintergrund des Museumskonzepts, der Disziplinarität, dem „Netzwerk der gegenseitigen Anerkennung“ (128) und den „Aufgaben, Funktionen und Konventionen der Neuen Sammlung“ (129) beleuchten.
Die Autorin knüpft mit Kapitel „V. Design ‚Museum Messages‘ der Neuen Sammlung – Zusammenfassung“ (138 ff.) an ihre vorangegangenen Analyse(n) an. Sie resümiert, ästhetische Geschichtspunkte bei der Produktgestaltung seien relevant hinsichtlich deren grundsätzlicher Akzeptanz, worauf – mit vergleichend-kunsthistorischer, subjektiv-kuratorischer Perspektive – hinzuweisen („ästhetische Bildung mit einem nicht emanzipatorischen Ansatz“, 146) das Hauptvermittlungsziel der Neuen Sammlung sei. Dabei gehe es in diesem Museum im Wesentlichen im doppelten Wortsinn mehr um die Oberflächen der Exponate und nicht um deren subkutane Bedeutungsebenen. Die Dokumentation des Zusammenhangs von Form und Funktion erfolge hinter den Kulissen, um im Bild zu bleiben, zwar nach gängigen musealen Standards, doch blieben technische oder auch materialbedingte Gesichtspunkte für Besuchende weitgehend ausgeblendet.
Mit „VI. ‚Future Talks‘ – Über die Zukunft der Designmuseen“ (148 ff.) beschließt Elisabeth Söllner den inhaltlichen Teil ihrer Arbeit. Hierin geht sie der Frage nach, wie sich das „Konzept des Museums in Zukunft weiterentwickeln könnte, um den gesellschaftlichen Ansprüchen und den Veränderungen der Alltagsgegenstände zu entsprechen“ (148). Ihrer Meinung nach läge eine vielversprechende Neuperspektivierung mit den – derzeit in diesem Museum bewusst weitgehend ausgeblendeten – Objektbiografien vor. Hierunter fallen Söllner zufolge etwa Schilderungen von Designprozessen, Materialversuchsreihen, aber auch Narrative zu Ge- und Verbrauch, zu ethischen und sozialen Aspekten sowie die Darstellung ökologischer Motive designter Gegenstände. Mit der Berücksichtigung solcher Themen wäre potentiell eine anders geartete, in jedem Fall geweitete Ausrichtung der Sammeltätigkeit und damit eine Vervielfachung der institutioneneigenen Blickrichtungen verbunden – nicht zuletzt hinsichtlich der Legitimation des Designmuseums als gesellschaftlichem Kulturakteur, „um es nicht obsolet werden zu lassen“ (149), wie Söllner angesichts immer wieder aufs Neue angestoßener Diskussionen befürchtet. Es folgen noch der Quellenüberblick und ein umfangreiches Literaturverzeichnis.
Der vorliegende Band ist aus mehreren Gründen zur Lektüre nicht nur für Freund*innen von Design respektive Designmuseen zu empfehlen. Denn Elisabeth Söllner schafft es, eine durchaus als exemplarisch zu wertende Museografie auf hohem methodischem Niveau und unter Berücksichtigung der aktuell gängigen Forschungsliteratur zu erarbeiten. Auf diesem Weg gelingt es ihr tatsächlich, statt ‚nur‘ eine historische Übersichtsdarstellung verfasst zu haben, einen an aktuellen kulturwissenschaftlichen Diskursen orientierten, prägnanten Diskursbeitrag geleistet zu haben. Dass ihre Museografie dabei nicht zu einer, wenn auch potentiell deutlich dichteren Beschreibung und damit spezifischeren Ethnografie des ‚Biotops‘ Designmuseum geriet, verdient zusätzlich große Anerkennung.