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Aktuelle Rezensionen


Sandra Mauler/Elisabeth Waldhart/Jochen Bonz (Hg.)

POP

(bricolage. Innsbrucker Zeitschrift für Europäische Ethnologie 10), Innsbruck 2019, university press, 186 Seiten mit Abbildungen, ISBN 978-3-903187-60-3
Rezensiert von Maximilian Jablonowski
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 07.08.2020

In Innsbruck konnte im letzten Jahr ein Jubiläum gefeiert werden: Die zehnte Ausgabe der „bricolage. Innsbrucker Zeitschrift für Europäische Ethnologie“ ist erschienen. Im Vorwort erinnern zwei der Herausgeber*innen, Sandra Mauler und Elisabeth Waldhart, daran, dem Anspruch treu geblieben zu sein, mit „bricolage“ Studierenden des Faches erste Publikationsmöglichkeiten zu bieten und diese durch thematisch passende Beiträge von etablierten Fachvertreter*innen zu ergänzen. Die „bricolage“ dürfte somit eines der langlebigsten Publikationsorgane in der deutschsprachigen Fachlandschaft sein, die sich explizit an Studierende richten. Dafür herzliche Gratulation!

Auch die Jubiläumsausgabe zum Thema „Pop“ folgt ganz dieser erfolgreichen Tradition: Das Herzstück der Ausgabe bilden sechs studentische Beiträge, die alle auf Bachelorarbeiten beruhen, die im Rahmen eines zweisemestrigen Seminars zum empirischen Arbeiten in der Pop- und Fankulturforschung (WS 2014/15–SS 2015) unter der Leitung von Jochen Bonz am Innsbrucker Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie entstanden sind. Den Ton für die studentischen Aufsätze setzt eine Nachbemerkung von Jochen Bonz, der als dritter Herausgeber der „bricolage“ fungiert. In seinem Beitrag „Ethnografisches Feldforschen als Einbindung anderer und eigener Wahrnehmungen und Wahrnehmungsweisen in den Diskurs“ bündelt er seine bereits an verschiedenen Orten publizierten methodologischen Reflexionen zur ethnografischen Feldforschung in der Populärkulturforschung. Als Ausgangspunkt nimmt er das zeitintensive Verfassen von Feldforschungsnotizen, das er mit ethnopsychoanalytischen Begriffen als Verschriftlichung spontaner Assoziationen, die einen Zugang zum Unbewussten des*r Forscher*in ermöglicht, versteht. Von dort entwickelt und diskutiert er in Auseinandersetzung mit den britischen Cultural Studies und der Zürcher Schule der Ethnopsychoanalyse ein Verständnis ethnografischer Feldforschung, in dem die Irritation des forschenden Subjekts durch die Interaktion mit den anderen Subjekten im Feld die zentrale Erkenntnisquelle ist – die aber gleichzeitig in ihrer Offenheit und Unabgeschlossenheit auch eine große Herausforderung für die forschende Person darstellt. Die in Jochen Bonz’ Beitrag diskutierten Theorielinien finden sich in den studentischen Beiträgen wieder und lassen so die gemeinsamen Seminardiskussionen und deren Erprobung in den studentischen Forschungsarbeiten nachvollziehen.

Elisabeth Waldhart berichtet in ihrem Beitrag von ihrer Feldforschung zur Goa-Subkultur. Ihr Aufsatz zeichnet sich besonders durch die selbstreflexive Verwendung ihrer eigenen Feldforschungsnotizen aus, an denen sie ihre Irritation durch sowie gleichzeitige Faszination für die allgegenwärtige Bedeutung von Unsicherheit und Auflösung in der Goa-Szene für die Leser*innen nachvollziehbar machen kann. Hannah Kanz setzt sich mit der populären Buchreihe „A Song of Ice and Fire“ und deren noch populärerer Serienverfilmung „Game of Thrones“ auseinander. Sie analysiert, wie die unterschiedlichen medialen Formate Buch und TV-Serie an der Konstruktion von Leser*innenidentitäten mitwirken und kann damit nachzeichnen, welche Bedeutung traditionelle Wissenshierarchien und Wertzuschreibungen an Medien auch in populären Fankulturen haben. Elisabeth Summerauer unternimmt in ihrem Beitrag eine Gattungsanalyse von Fan Fiction auf der Website figment.com. Als spezifischen theoretischen Fokus wendet sie das klassische ethnologische Konzept des Gabentausches an und begründet es damit, dass die Produktion von Texten, Kritik und Anerkennung auf dieser Website ganz zentral auf Reziprozität zwischen Lesenden und Schreibenden beruht. Patrick Marksteiner analysiert am Beispiel der ‚Only 90s kids remember‘-Memes auf der Website 9gag Memes als Übergangsobjekte, die gegenwartsbezogene kreative Praktiken und nostalgisches Wissen aus der Kindheit vermitteln. Laura Weinfurter berichtet von ihrer Feldforschung zur Praxis des Dumpsterns oder Containerns, die sie trotz der Heterogenität und Offenheit der Akteur*innen als eine Gegenkultur versteht. In den Interviews mit mehreren Menschen, die regelmäßig containern, arbeitet sie heraus, welche Rolle sowohl ökonomische als auch ökologische Erwägungen spielen und wie sich daraus gemeinsame Werthaltungen ergeben. Eva Kirschner legt ihrem Aufsatz zur veganen Community ein Interview mit einer vegan lebenden Person zugrunde, an dem sie nicht nur den veganen Lebensstil zu verstehen versucht, sondern im Laufe des Forschungsprozesses auch ihre eigenen Vorannahmen reflektieren und überdenken muss. Ihr Beitrag zeigt, wie produktiv die Reflektion individueller Irritationen in der Gruppe für ethnografisches Verstehen sein können.

Die einzelnen Beiträge unterscheiden sich zwar darin, wie gut sie sich stilistisch von den Vorgaben einer Qualifikationsarbeit abheben können, bearbeiten aber allesamt interessante und relevante, gegenwartsbezogene Themenbereiche. Sie zeigen die thematische Breite und das Potential aktueller Populärkulturforschung, die im Fach in den letzten Jahren eine Neubelebung erfahren hat. Viele der Beiträge arbeiten mit klassischen Begriffen aus den britischen Cultural Studies, die für die Entwicklung der kulturwissenschaftlichen Fan- und Populärkulturforschung von großer Bedeutung gewesen sind. Die Studierenden zeigen in ihren Forschungen, an welchen Stellen diese Konzepte noch für die heutige Populärkulturforschung und für gegenwärtige Phänomene nutzbargemacht werden können, an welchen Stellen sie aber auch an ihre Grenzen kommen und der Anpassung bedürfen.

Das einzige irritierende Moment in der ansonsten sehr kurzweiligen Lektüre der Ausgabe war für mich der Hefttitel „Pop“, denn es gibt eigentlich nur zwei Beiträge, die sich mit Pop im engeren Sinne beschäftigen: Zum einen Simone Eggers Aufsatz zur ästhetischen Gesellschaftskritik in Beyoncés Album „Lemonade“, zum anderen die ansprechende Fotostrecke von Bianca Ludewig zu transmedialen Avantgarde-Festivals, an denen sich Musik, Kunst und Technologie verschränken. Die anderen Beiträge im Heft – ein Interview zum gegenwärtigen Stand der Populärkulturforschung im Fach, das Sandra Mauler mit Markus Tauschek führte, und der Aufsatz von Christoph Bareither zur vergemeinschaftenden Funktion von Emotionspraktiken – beschäftigen sich mit Populär- und Fankulturen, nicht mit Pop oder Popkultur. Diese Irritation wirft die (bereits verschiedentlich heftig diskutierte) Frage auf, ob Popkultur und Populärkultur wirklich fast synonym zu verwenden sind oder ob nicht eine genaue begriffliche Differenzierung angebrachter wäre. Es bleiben also viele weitere Fragen für die nächsten zehn Ausgaben der „bricolage“, denen ich viel Erfolg wünsche!