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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Ingolf Bauer (†)/Thomas Schindler

Hafnergeschirr aus Altbayern

Neu bearbeitet und erweitert von Ingolf Bauer, zusammengestellt und ergänzt von Thomas Schindler (Kataloge des Bayerischen Nationalmuseums 15,1), 3., neu bearbeitete und erweiterte Auflage Berlin 2018, Deutscher Kunstverlag, 624 Seiten mit zahlreichen Farbabbildungen ISBN 978-3-422-07461-3
Rezensiert von Bärbel Kerkhoff-Hader
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 14.08.2020

„Hafnergeschirr aus Altbayern“ ist als Titel im Umfeld seiner sozialhistorischen Existenz eine dialektgeografische wie territorialgeschichtliche Referenz an den Gegenstand. Die Sammlung im Bayerischen Nationalmuseum, die hier vorgestellt wird, begrenzt sich jedoch nicht auf die ‚Hafnerware‘ aus Nieder- und Oberbayern sowie der Oberpfalz, sondern sie bildet gegenüber dem heute üblichen Sammelbegriff für diese drei Regierungsbezirke ältere territoriale Zusammenhänge und Handelsbeziehungen ab, denn unter diesem Vorzeichen ist auch ‚Hafnerware‘ aus Ober- und Niederösterreich, dem Salzburger Land, Kärnten, der Steiermark, Südtirol und Böhmen Teil des Sammlungsbestandes. Die auf Regionalität zielende Wortwahl hat den Anmutungscharakter gelebter Tradition im ‚Hafnerhandwerk‘, das in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts auslief. Sprachlich grenzt es sich nach Norden gegen das Handwerk der ‚Düppenmacher‘ oder ‚Pottbäcker‘ ab. Im laufenden Text des Kataloges aber ist ein Topf ein Topf und kein ‚Hafen‘, und aus einem „gfußts reindl“ des Hafners wird ein „flacher Henkeltopf auf drei Beinen“, denn hier steht die wissenschaftliche Klassifikation des Gegenstandes, wie sie im „Leitfaden der Keramikbeschreibung“ zur Vergleichbarkeit und überregionalen Verständlichkeit vorgeschlagen wurde, an erster Stelle [1]. Wo aber Belege bekannt sind, werden regional geprägte Begriffe des Handwerks genannt oder zur Untergliederung genutzt (z. B. s. o., 150). Der nach der Klassifikation Gefäßtyp „Schüssel“ war im Alltag der Verbraucher*innen nach seiner Funktion möglicherweise eine „Suppenschüssel“, außerhalb des Handwerks oder des alltäglichen Gebrauchs konnte dasselbe Objekt im Antiquitätenhandel oder anderen tertiären Orten in seiner Biografie zur „Bauernschüssel“ mutieren (171).

Fünf Jahrzehnte nach der 1968 von Paul Stieber im Bayerischen Nationalmuseum initiierten und mit der Assistenz von Ingolf Bauer installierten Ausstellung „Hafnergeschirr aus Bayern“, die für die Keramikforschung in Bayern wegweisend wurde, erschien 2018 die lang erwartete 3. Auflage des in Folge dieser Ausstellung erschienenen Bestandskatalogs „Hafnergeschirr aus Altbayern“ [2]. Nach der 1. Auflage von 1976 und der unveränderten 2. Auflage von 1980 behielt Ingolf Bauer über zweieinhalb Jahrzehnte bis zu seinem Tod im August 2006 die Überarbeitung und die Einarbeitung neuer Forschungsergebnisse im Blick [3]. Die Vorbereitung einer überarbeiteten Ausgabe dieses Standardwerkes der Keramikliteratur blieb jedoch unvollendet. Erst zehn Jahre später übernahm Thomas Schindler die nicht einfache Aufgabe, das Werk zum Druck zu bringen. Das vorliegende Ergebnis ist beeindruckend.

Der gewichtige Band umfasst 624 Seiten. Der Einführungs- und Erläuterungsteil enthält u. a. einen biografischen Abschnitt zur Person Ingolf Bauers, der seine enge Verbundenheit seit Schülertagen mit dem ‚Hafnergeschirr‘ Süddeutschlands und mit zwei Protagonisten der sich nach dem Zweiten Weltkrieg erneuernden Keramikforschung thematisiert, mit Erich Meyer-Heisig im Germanischen Nationalmuseum in den 1950er Jahren und mit Paul Stieber in den 1960er Jahren in München (I, 8–43, hier 19–22). Der Bestand an Objekten altbayerischer Herkunft im Bayerischen Nationalmuseum, der zunächst nach der Ausstellung von 1968 und noch einmal in den nachfolgenden Jahrzehnten erheblich angewachsen ist, wird dann im Hauptteil vorbildhaft vorgestellt. Er umfasst nicht weniger als 622 Nummern (II, 46–603). Den Abschluss bildet ein umfangreicher Anhang mit Literaturverzeichnis, eine Konkordanz von Katalog- und Inventarnummern, eine Liste mit den decodierten Abkürzungen, ein Ortsregister sowie Impressum und Bildnachweis (III, 606–624).

Der Fortschritt in der Forschung, der seit dem Erscheinen der früheren Auflagen 1976 und 1980 erreicht wurde, führte in der dritten Auflage von 2018 in vielen Punkten zur regionalen Neugliederung und zur Erweiterung des Katalogteiles von 451 auf 622 Objekte. Das brachte unweigerlich für die vergleichende Nutzung der Ausgaben nicht einfach zu überschauende Verwerfungen mit sich, wenngleich sie für den erreichten Forschungsstand folgerichtig sind. So erhöhte sich die Anzahl der katalogisierten Gefäße z. B. nicht nur und damit die fortlaufenden Katalognummern, sondern die Identität der im Katalog nach Regionen gegliederten Objekte ist zwischen den Auflagen nur über die Konkordanz von Katalog- und Inventarnummern zu verifizieren. Außerdem wurde die Kategorie ‚Altbayern‘ aufgelöst. Die Objekte konnten regional differenzierter (z. B. Oberbayern) zugewiesen werden. Andere räumliche Differenzierungen, wie die selbständigen Abschnitte der Regionalzuschreibungen Pfarrkirchen und Passau-Obernzell, sind nun unter dem Bezirk Rottal zu finden, neben dem nach wie vor als selbständige Töpferregion abgehandelten Kröning. Bei beiden Abschnitten steht jedoch bei den Objekten als Herkunft Niederbayern an 1. Stelle, gefolgt von der Zuschreibung Kröning oder Rottal. Gegebenenfalls schließen sich Orts- und im günstigsten Fall auch Werkstattzuschreibungen an. Das liest sich kompliziert und ist es auch, vor allem für nicht erfahrene Nutzer*innen dieses Kompendiums, denn es schließt sich dann noch eine explizite Gruppierung ‚Niederbayern‘ an. Auch anderes unterlag der Veränderung oder einem grundsätzlichen Eingriff. So blieb die Angabe differenzierter Messwerte erhalten, z. B. das prozentuale Verhältnis von Durchmesser zu Höhe, Volumen- und Gewichtsangaben, die auf die von Stieber angeregte Großzahlforschung mit abgeleiteten Kenngrößen in Diagrammen zurückgehen. Diagramme wie Erläuterungen wurden nicht in die 3. Auflage übernommen (vgl. 1. Aufl., 35–55). Weggefallen ist auch die in der 1. und 2. Auflage enthaltene große Übersichtskarte mit Produktionsorten, Rohstofflagern, Sekundärgewerben wie ‚Hafenbinder‘ u. a. Das ist bedauerlich, doch wäre sie bei dem Zugewinn an neuen Forschungsdaten und wahrscheinlich auf dem Stand von 1968 eher von historischem Wert. Eine neue Übersichtskarte zu erstellen wäre aber nicht nur aufwändig, sondern auch eine gesonderte Aufgabe gewesen [4].

Der Hauptteil ist, wie ausgeführt, nach Regionen gegliedert und im Inhaltsverzeichnis einsehbar, nicht so die weitere Untergliederung nach Gefäßtypen und ‑gruppen. Diese erschließt sich nur in der Eigenanalyse. Die regionalen Einführungen sind in der Charakterisierung (landschaftlich, sammlungsgeschichtlich etc.) aufschlussreich. Nach Gefäßtypen (Topf, Krug, Kanne) und gegebenenfalls spezifizierenden Untergruppen (Topf, Doppelhenkeltopf, Bügeltopf) folgen die einzelnen Gefäße meist mit näherer Charakterisierung, z. B. als „Bauchige Kanne“, auch wenn es nur sie gibt, hingegen „Bauchige Henkelflasche“ und „Zylindrische Henkelflasche“ mit einer weiteren Spezifizierung in der Form und „Bauchige Henkelflasche mit Ausguss“, was zugleich auf eine funktionale Variante hinweist. Die Beschreibung der 622 Gefäße folgt einer einheitlichen Gliederung: Gefäßaufbau, Scherbenfarbe und Oberflächenfarbe nach RAL (!), Brandhärte, Brandführung (z. B. reduzierend), Dekor. Es schließen sich Maßangaben an, die weit über die Regelerfassung hinausgehen (s. o. Großzahlforschung, Auswertung in Diagrammen). Auch der Erhaltungszustand ist festgehalten ebenso wie Abweichungen von der Norm durch spezifische Verwendungszwecke u. ä. m. Die Erwerbungsgeschichte und, wenn bekannt, die Biografie eines Gefäßes bis zu seiner Inventarisierung im Museum sind durchweg dankenswerterweise durch Thomas Schindler hinzugefügt worden. Ebenso werden vorangegangene Veröffentlichungen und die Nummern der Digitalisate angegeben. Die durchgehend neuen Farbaufnahmen der Gefäße vor lichtgrauem Hintergrund stammen von Thomas Brandel und sind in ihrer Brillanz wohl kaum zu übertreffen. Sie lassen feinste Beobachtungen zu. Mit der dritten Auflage ist ein Katalog gelungen, der wieder zu einem Standardwerk werden wird. Es lässt die beiden vorherigen Auflagen buchstäblich „alt aussehen“, aber sie bleiben für Fachkolleg*innen in forschungsgeschichtlicher Hinsicht von Nutzen.

Nun stellt sich während des Blätterns, Lesens und Vergleichens unweigerlich immer wieder die Frage: Was ist in den dreißig Jahren seit der 1. Auflage aus erster Hand, also von Ingolf Bauer bis 2006 an Änderungen eingebracht worden, und was ist aus zweiter Hand? Was geht auf die Redaktion und Überarbeitung durch Thomas Schindler nach einem Jahrzehnt des Stillstandes zurück? Thomas Schindler schreibt in der Einleitung: „Neben behutsamen redaktionellen Eingriffen, etwa die Angleichung des Textes an die neue Rechtschreibung, wurden manche Passagen zur besseren Lesbarkeit überabeitet.“ (11) Gelöste Datierungsfragen, nun mögliche Werkstattzuschreibungen sowie neue Literatur wurden ebenfalls eingearbeitet, ein Kapitel „Mittelalter“ vorangestellt. Die zwischenzeitlich bedeutsam gewordene Frage der Objektbiografien, ihrer Provenienz über gegebenenfalls mehrere Besitzverhältnisse bis in das Museumsdepot, wurde von Schindler eingebracht und präzise bearbeitet. Das ist ein großer Zugewinn (17). Von den weggefallenen Diagrammen u. a. war schon die Rede. Wer welche Entscheidungen, soweit nicht benannt oder zu erkennen ist, getroffen hat, ist eher wissenschaftsgeschichtlich als für den Katalog in 3. Auflage insgesamt relevant. Es ist ein Werk wie aus einem Guss. Ob bei der Nutzung als Arbeitsmittel oder beim Blättern durch das farbenfrohe und an Formen reiche Leistungsspektrum der ‚Hafner in Altbayern‘, es ist in höchstem Maße gewinnbringend.

Anmerkungen

[1] Ingolf Bauer, Werner Endres, Bärbel Kerkhoff-Hader, Robert Koch u. Hans-Georg Stephan: Leitfaden zur Keramikbeschreibung. Mittelalter – Neuzeit. Terminologie – Typologie – Technologie (Kataloge der Prähistorischen Staatssammlung, Beiheft 2). Kallmünz 1986 (2. Aufl. 1993, 3. Aufl. 2005).

[2] Gesondert ist erschienen Ingolf Bauer: Hafnergeschirr aus Franken (Kataloge des Bayerischen Nationalmuseums, Bd. 15,2). München 2004.

[3] Bärbel Kerkhoff-Hader: In Memoriam Honorarprofessor Dr. Ingolf Bauer. 1942–2006. In: Karla Roşka (Hg.): Keramische Oberflächen und ihre Gestaltung. Beiträge zum 39. Internationalen Hafnereisymposium des Arbeitskreises für Keramikforschung, Hermannstadt (RO) 2006. Sibiu 2007, S. 168–180 (mit Bibliografie von Gertraud Zull).

[4] Wie beispielsweise Bärbel Kerkhoff-Hader: Keramikproduktion 1600 bis 2000 (Geschichtlicher Atlas der Rheinlande, hg. v. Franz Irsigler, Beiheft XI/13 mit Karte). Bonn 2008.