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Mareike Vennen

Das Aquarium. Praktiken, Techniken und Medien der Wissensproduktion (1840–1910)

Göttingen 2018, Wallstein, 423 Seiten mit 50 Abbildungen und 22 Farbtafeln, ISBN 978-3-8353-3252-2
Rezensiert von Michael Markert
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 11.09.2020

Wer hätte gedacht, dass sich am Aquarium so vorzüglich eine bürgerliche Wissensgeschichte verhandeln lässt? Mit ihren 14 Kurzgeschichten zur Etablierung des wassergefüllten Glaskastens im Wohnzimmer des 19. Jahrhunderts ist Mareike Vennen eine feinsinnige Lektüre gelungen. Das Buch ist eine kulturwissenschaftliche Erzählung auf hohem Sprachniveau voller in Nachbardisziplinen anschlussfähiger Inhalte, wenn auch mit gelegentlich fehlendem analytischem Tiefgang.

Wie der Untertitel verspricht, beschreibt Vennens Dissertation die Praktiken, Techniken und Medien der Wissensproduktion um und am Aquarium vom frühen 19. bis zum frühen 20. Jahrhundert, wobei der Schwerpunkt durchgängig auf den Praktiken liegt. So ist das gesamte von kurzer Einleitung und knappem Schluss geklammerte Werk in 14 Kapitel gegliedert, die nach Tätigkeiten wie „Stabilisieren“ oder „Einrichten“ benannt sind. Jedes widmet sich einem anderen der überraschend komplexen Teilaspekte früher Aquaristik: So handelt „Ins Bild bannen I“ von der lithografischen Fixierung subaquatischer Szenen aus dem Aquarium, konnte doch nur mit deren Hilfe das Geschehen unter der Wasseroberfläche genau und über längere Zeit beobachtet werden. „Mobilisieren II“ hingegen erzählt von der Herausforderung, lebende Tiere wie Fische oder Korallen vom Meer an ihre bürgerlichen Bestimmungsorte in zentraleuropäische Großstädte zu transportieren. Die römischen Ziffern I und II geben zugleich einen narrativen Kniff des Buches preis. Sieben Praktiken werden in einem ersten Teil für die Etablierung des Aquariums fruchtbar gemacht und dienen in einem zweiten Teil dazu, mit neuen Fallstudien zeitlich spätere Aspekte seiner Verbreitung und Differenzierung zu beleuchten.

Die sich in der Zweiteilung spiegelnde zeitliche Ordnung entspricht Vennen zufolge zwei einander ablösenden Aquarienkonzepten. In der Frühphase der Aquaristik wurde mit dem „balanced aquarium“ der Versuch unternommen, ein gewissermaßen ‚in Ruhe‘ befindliches, sich selbst erhaltendes System zu schaffen, in das von außen keine oder nur wenig Energie eingebracht wurde. Das spätere „circulated aquarium“ ist die uns auch heute vertrautere Variante – ein das Wasser bewegendes, filterndes und belüftendes und damit hochgradig aktives und pflegeintensives System. Wie Vennen gleich im ersten Kapitel des zweiten Teils zeigt, war dessen Erfolg maßgeblich von der Etablierung komplexer technischer Infrastrukturen für die Zirkulation von Luft und Wasser in Wohnräumen abhängig. Auf diese Weise griff das Aquarium in seine Umwelt ein – im Text ein Vorgeschmack auf die abschließenden Kapitel zur Rolle von Aquarien in der frühen Ökologie und als Analogie für die Analyse urbaner Lebensräume.

Handlungsmacht hat das Aquarium bei Vennen jedoch nur bedingt. Erzählt wird seine Geschichte als die der menschlichen Akteure, die mit ihm interagieren. Vennen nutzt dafür deren Selbstzeugnisse und produziert eine gelungene dichte Beschreibung, die eine ausgesprochen große Nähe zu den Akteuren erzeugt, allerdings eben dieser menschlichen Perspektive verhaftet bleibt. Im Sinne Giorgio Riellos [1] handelt es sich weder um eine „history of things“, die konkrete materielle Artefakte als Quelle nutzt, noch um eine Geschichtsschreibung, die die Autonomie vergangener Dingwelten als Teil einer fortbestehenden materiellen Kultur anerkennt. Es ist eine „history with things“, in der die Dinge – hier der komplexe Apparat des Aquariums – Hilfsmittel für eine Annäherung an den Untersuchungsgegenstand – hier die Praktiken der frühen Aquarianer – sind.

So innovativ also Anlage und Erzählweise von Vennens Aquariengeschichte auch sein mögen, methodisch bewegt sie sich damit in eher konventionellen Gewässern. Wenn die Verfasserin minutiös beschreibt, mit welchen Herausforderungen ihre Akteure bei der Fotografie von Unterwasserszenen zu kämpfen hatten und welche (vorrangig technischen) Lösungen sie dafür fanden, dann wünscht man sich eine Ergänzung der historischen Erfahrung um eine aktuelle Praxis im Umgang mit Aquariendingen, die vergleicht, in Beziehung setzt, reflektiert. Die in der Einleitung als Teil des eingesetzten Methodenensembles genannten material culture studies, für die eine materielle Kultur zwar historisierbar, aber eben nicht historisch ist, bleiben ohne das Aquarium als Quelle weitestgehend unsichtbar, das Aquarium wirkt also kaum auf die Akteure ein und verändert diese. In Vennens Dissertation scheint damit das von ihr nicht ohne Ironie auf die historische Situation der Aquarianer angewandte Konzept der „Reinigungsarbeit“ aus der Wissenschaftssoziologie Bruno Latours am Werk. Während sie ihre zentrale Hypothese einer Stabilisierung des Aquariums durch „materielle, epistemische und ästhetische Formen der ‚Reinigungsarbeit‘“ (22) also im Laufe des Buches ausdekliniert, führt ihre entsprechende Zurichtung in der Analyse zu hervorragend lesbaren und souverän vorgetragenen, aber eben auch glatten Geschichten, die für sich stehen können und sollen.

Vielleicht hat dies dazu beigetragen, dass der durch die Zweiteilung und Doppelung der Kapitelüberschriften nahegelegte Vergleich der beiden Entwicklungsphasen des Aquariums nur im kurzen Schluss und vorrangig für die sicherlich zentralen Wissensfiguren des „balanced aquarium“ und „circulated aquarium“ geführt und umfassend kontextualisiert wird. Deutlich wird darin das große analytische Potential, das in den dichten Erzählungen schlummert. Welche Relation etwa besteht zwischen litho- und fotografischer Dokumentation des Aquariums? Wie beeinflusst die Übersetzungsleistung zwischen Meer und heimischem Meerwasserbecken den Spielraum der späteren ökologischen Theoriebildung? Ist das Schauaquarium eine Fortsetzung der Salonkultur und inwiefern greift es auf andere Wissenskulturen und mediale Mechanismen zurück? Neben Vertreter*innen der Wissens- und Wissenschaftsgeschichte dürfte das Werk damit insbesondere solche der Stadt- und Bürgertumsgeschichte, der Tier-, Technik- und Mediengeschichte sowie der Bildwissenschaften begeistern. Wegen des Formats und der Stilsicherheit eignet sich das Buch auch hervorragend als anregende Bettlektüre, die manch überraschende Einsichten und Ideen verspricht.

Anmerkung

[1]  Giorgio Riello: Things that shape history: Material culture and historical narratives. In: Karen Harvey (Hg.): History and Material Culture. A Student’s Guide to Approaching Alternative Sources. New York, London 22017, S. 27–50.