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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Aktuelle Rezensionen


Irene Ziehe/Ulrich Hägele (Hg.)

Populäre Präsentationen. Fotografie und Film als Medien musealer Aneignungsprozesse

(Visuelle Kultur. Studien und Materialien 13), Münster/New York 2019, Waxmann, 256 Seiten mit Abbildungen, teils farbig, ISBN 978-3-8309-4034-0
Rezensiert von Thomas Overdick
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 21.08.2020

Fotografie und Film haben einen festen Platz in Ausstellungen und musealen Präsentationen. Ihre Gebrauchs- und Funktionsweisen reichen dabei vom Exponat als originales oder künstlerisches Objekt über die historische Quelle mit Beleg- und Anschauungswert bis hin zum illustrativen Medium als visuelles Narrativ. Die Kommission Fotografie der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde setzt sich seit 2001 mit der ethnografischen Fotografie, der Objekt gewordenen Alltagsfotografie, der künstlerisch intendierten Fotografie sowie Fragen der technischen Fotogeschichte und der (Alltags-)Kulturtechnik des Fotografierens auseinander. Ihre regelmäßig stattfindenden Tagungen sind in Tagungsbänden dokumentiert, die stets das aktuelle Spektrum des jeweiligen Forschungsstandes repräsentieren. Mit dem Band „Populäre Präsentationen“, herausgegeben von Irene Ziehe und Ulrich Hägele, legt die Kommission nun die Beiträge ihrer neunten Tagung vor, die sich im November 2018 im Museum für Fotografie Berlin dem Gebrauch von Foto und Film in der museologischen Vermittlung, der historischen und gegenwärtigen Nutzung visueller Medien in Ausstellungen sowie neueren museumspädagogischen Ansätzen widmete. Im Mittelpunkt der Tagung standen dabei die musealen Aneignungsprozesse, die Fotografie und Film den Betrachtenden eröffnen.

In seinem einleitenden Beitrag skizziert Ulrich Hägele die Entwicklung, die Fotografie und Film als Medien von und in Ausstellungen durchlaufen haben. Die Anfänge sind dabei schon in der Frühzeit der Fotografie zu finden, als das neue Medium im Wettstreit zwischen Positiv- und Negativ-Verfahren viel bestaunter Gegenstand der damaligen Welt- und Gewerbeausstellungen war. Als eigene Präsentationsform hat es sich dann mit der Entwicklung der künstlerischen Fotografie zwischen 1890 und 1920 herausgebildet, wobei die Bewegung der Amateur-Fotografie hier einen entscheidenden Anteil hatte. Ihre Entdeckung als Medium des Sammelns und Bewahrens durch die Volkskunde und Ethnologie und ihrer Museen wurde schon vielfach beschrieben. Doch erst die künstlerisch-visuellen Experimente der Neuen Sachlichkeit, des Dadaismus und des Bauhausʼ machten die Fotografie mittels Montage und in Kombination mit Typografie und Architektur zu einem räumlichen Medium der Präsentation, das bis heute die Ausstellungsgestaltung und Szenografie prägt. Der Beitrag schließt mit ein paar Beobachtungen zum Wandel, den die digitale Revolution nach 2000 auch im Medieneinsatz von Ausstellungen bewirkt hat.

Hägeles historischer Abriss bietet viele Bezugspunkte für die folgenden Beiträge. Während Nathalie Dimic die Rolle der Frau im noch neuen Berufsfeld der Fotografie des frühen 20 Jahrhunderts beleuchtet, geht Irene Ziehe am Beispiel der Landesanstalt für Volkheitskunde in Halle auf die „volkserzieherische Museumsarbeit“ in den 1920er und 1930er Jahren ein, wo mit Hilfe von Foto- und Filmaufnahmen eine völkische Ideologie vermeintlich dokumentarisch belegt und verfestigt werden sollte. Dass ethnografische Methoden der Fotografie auch heute noch Bedeutung für die museale Praxis haben, zeigen die Beiträge von Oliwia Murawska und Judith Schühle. Murawska präsentiert einen Werkstattbericht zu einem studentischen Forschungs- und Ausstellungsprojekt über die Kaschubei. Die fotografische Feldforschung des Projekts ist von dem multisensorischen Ethnografie-Verständnis der visuellen Anthropologie inspiriert und versteht die Fotografie als Instrument der Visualisierung, das nicht bloß dokumentiert, sondern auch Stimmungen in Stimmungsbildern einfangen kann. Auch Schühle knüpft an traditionelle visuelle Methoden der Volkskunde an, wenn sie den Wert der Fotografie als Vermittlungsmedium für das immaterielle Kulturerbe im Museum herausstellt. Ihre Betrachtung des Fotos als körperlich eingeschriebener Zeit- und Lebensweltausschnitt ist zwar nicht neu, aber eine bedenkenswerte Erinnerung an das fokussierte Narrativ, das das stille vom bewegten Bild unterscheidet. Die Frage, welche Wirkung Fotos in Ausstellungen tatsächlich haben können – ob informativ, aufklärerisch oder propagandistisch –, wirft Cornelia Brink in ihrem Beitrag über die Ausstellungen „Warschauer Ghetto“ und „Auschwitz Bilder und Dokumente“ auf, die zwischen 1963 und 1965 den Auschwitz-Prozess in Frankfurt begleiteten. Sie zeichnet die komplexe Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte der beiden Ausstellungen nach und zeigt damit die vielschichtigen Einflussfaktoren auf, die das Lesen von Fotografien so herausfordernd machen. Dies wird auch anhand der Reportagefotografie des Fotojournalisten Robert Lebeck aus dem Jahr 1968 deutlich, die Alexander Kraus einer Analyse unterzieht. Krausʼ präzise fotohistorische Analyse verdeutlicht, wie die „aktiv-gestaltende Kraft“ kanonisierter, ikonisierter Bilder hinterfragt und so neue Perspektiven auf die Zeitgeschichte eröffnet werden können – in diesem Fall auf das generationsprägende Jahr 1968.

Wie die museale Vermittlungsarbeit mit der Vieldeutigkeit und Kontextabhängigkeit der Fotografie umgehen und sich dabei auch die Entwicklungen der Digitalisierung zunutze macht kann, zeigen vier Beiträge aus der aktuellen Museumspraxis auf. Antje Akkermann und Sebastian Bollmann stellen in diesem Zusammenhang die digitalen Vermittlungsstrategien des Humboldt Forums vor, die in der Infragestellung von etablierten Deutungshoheiten und Machtstrukturen auf Methoden des Peer Learning und der partizipativen Produktion setzen (zum Beispiel geteilte Redaktionen, Participatory Video, Digital Storytelling). Wie dies konkret aussehen kann, zeigt Manfred Wichmann am Beispiel des Projekts „Mauer-Fotos“ auf, in dessen Rahmen historische Bilder von der Berliner Mauer als Open-Access-Angebot in einer Datenbank für eine externe Nutzung online gestellt werden. Auch hier wird die Absolutheit der kuratorischen Autorität in Frage gestellt, um partizipativ zu einem kritisch analytischen Umgang mit Bildquellen einzuladen. Karin Priem zeigt am Beispiel einer Ausstellung mit historischen Werksfotografien das Potential auf, das dialogisches Kuratieren auch offline für den Umgang mit fotografischen Bildern und den ihnen eingeschriebenen Erinnerungswert in Ausstellungen hat. Dass digitale Datenbanken nicht zuletzt auch in Ausstellungen neue Möglichkeiten vertiefender Informationsangebote eröffnen, wird in Andreas Seims Erfahrungsbericht aus dem Museum mechanischer Musikinstrumente in Bruchsal deutlich, wo Besucher*innen an Medienstationen „virtuelle Broschüren“ aufschlagen können, die vielschichtige Kombinationen von Themen und Materialien – insbesondere Texte, Bilder und Tondokumente – ermöglichen.

Die Montagetechnik multimedialer Verlinkung ist jedoch keine Neuerung der Digitalisierung, sondern wurde bereits, wie Hägele ja schon einleitend ausgeführt hat, in den 1920er Jahren als Ausstellungstechnik entwickelt, was in drei Beiträgen noch weiter vertieft wird. Jonas Kühne zeichnet anhand der Marshallplan-Ausstellung von 1950 die Transformation der gestalterischen Moderne beginnend mit dem Dadaismus und dem sowjetischen Konstruktivismus über die Gestaltungslehre des Bauhaus’ nach und zeigt dabei auf, wie die Fotomontagetechnik in Kunst, Propaganda und schließlich Reklame Einzug hielt. Ein eindrucksvolles Beispiel für einen mittels Montagetechnik gestalteten immersiven Ausstellungsraum ist die Ausstellung „Can Man Survive?“, mit der das American Museum of Natural History in New York 1969 für den Umweltschutz sensibilisieren wollte. Gisela Parak würdigt die experimentelle Verbindung von Ton, Fotografie und Film in der Ausstellung als Meilenstein der modernen Ausstellungskonzeption, die das fotografische Bild nicht bloß als illustratives und kontextualisierendes Medium nutzt, sondern dezidiert als Kommunikationsmittel versteht, um fotografische Diskursräume zu schaffen. Alexander Renz schließlich zeichnet die Entwicklung von Fotografie und Film als dramaturgische Mittel noch einmal für den Bereich der kulturhistorischen Museumsausstellungen nach, wo die didaktische Nüchternheit der „Frankfurter Schule“ der 1970er Jahre in den 1980ern sich langsam wieder der inszenierten, bühnenbildnerischen Gestaltung öffnete, um in den 1990er Jahren schließlich in der Immersion szenografisch durchdrungener Räume anzukommen.

Insgesamt bietet der vorliegende Band eine vielfältige Auseinandersetzung mit der Geschichte und Praxis von Fotografie und Film in Ausstellung und Museum. Eine Entdeckung sind die Verbindungslinien von der modernen Ausstellungsgestaltung zu den künstlerischen Montagetechniken der 1920er Jahre, die bis heute nichts von ihrer Wirkmächtigkeit verloren zu haben scheinen. Wünschenswert wäre gewesen, die Beiträge des Bandes klarer zu gliedern und die fotohistorischen Betrachtungen um methodologische Überlegungen der Szenografie zu erweitern und dabei auch mediale Rezeptionsmuster zu reflektieren. Dessen ungeachtet bietet der Band jedoch wie bereits die vorangegangenen Tagungsbände der Kommission Fotografie wieder einmal einen guten Überblick über den aktuellen Forschungsstand, dessen zahlreiche Perspektivstränge es lohnt, weiter zu verfolgen und zu vertiefen.