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Aktuelle Rezensionen


Hans Jürgen Wulff/Michael Fischer (Hg.)

Musik gehört dazu. Der österreichisch-deutsche Schlagerfilm 1950–1965

(Populäre Kultur und Musik 24), Münster/New York 2019, Waxmann, 239 Seiten mit Abbildungen, ISBN 978-3-8309-3965-8
Rezensiert von Patrick Pollmer
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 21.08.2020

Der zu besprechende Band widmet sich einem Filmgenre, das bisher kaum Gegenstand kulturwissenschaftlicher Analysen war: dem Schlagerfilm. Bereits im Editorial wird darauf verwiesen, dass dies ein disziplinübergreifender Blindfleck ist, wenn es heißt, dass „die BRD-Filmproduktion der Zeit vor dem neuen deutschen Film eine noch kaum erforschte Phase deutscher Filmgeschichte“ (7) sei. Schlagerfilme sind hiervon nicht auszunehmen, denn es ist vollkommen richtig, wenn im Band behauptet wird, es sei bisher bei einer „einzigen größeren Untersuchung zum Schlagerfilm“ (21) geblieben – nämlich der medienwissenschaftlichen Dissertation „Wenn die Musik spielt… Der deutsche Schlagerfilm der 1950er bis 1970er Jahre“ aus dem Jahr 2012 von Daniela Schulz. Das von Michael Fischer und Hans Jürgen Wulff herausgegebene Sammelwerk nähert sich mit seinen 15 Beiträgen also durchaus einer empfindlichen Forschungslücke im Bereich der populären Unterhaltungskulturen.

Schlagerfilme im „diskursiven und sozialhistorischen Zusammenhang der Zeit“ (7) zu fassen, wird einleitend zum Anliegen des Bandes erklärt. Dahinter verbirgt sich eine Bandbreite an Ansätzen, die teils motivgeschichtlich argumentieren, (tradierte) Erzählformen in den Blick nehmen oder anhand der Liedtexte, Performanzen sowie Handlungsstränge soziokulturelle Prozesse der 1950er und 1960er Jahre thematisieren. Neben werkimmanenten Aspekten widmen sich einige Beiträge auch verstärkt produktionsgeschichtlichen Rahmungen und der Rezeption durch zeitgenössische Filmbeobachter.

Am Beispiel der Graf-Bobby-Filme nähern sich Caroline Amann und Hans Jürgen Wulff der konstatierten Hybridität des Schlagerfilms. Hierbei wird deutlich, dass durchaus Rückgriffe auf ältere Theater- und Musikfilmtraditionen gemacht werden. Die beiden Autor_innen heben hervor, in den untersuchten, durchaus komödiantischen Filmen sei „[d]as wichtigste Medium des Lachenmachens […] das Sprachliche“ (27). Dabei wird nicht übersehen, dass durch das Entlehnen diverser Figurentypen und Schauspielstile anderer Genres der „körperlich wie musikalisch artikulierte[n] Exzessivität des Ausdrucks“ (25) eine ebenso große Rolle zukommt.

Der Beitrag von Stefanie Mathilde Frank nimmt „die vielschichtigen Anknüpfungs- und Wandlungsprozesse im Unterhaltungsfilm“ (31) in den Blick. Am Beispiel dreier Remakes werden sowohl Filmhandlungen, Inszenierungsformen sowie die Produktions- und Rezeptionsweisen thematisiert. Frank stellt hierbei neben einem „zunehmend offensivere[n] Nebeneinander verschiedener musikalischer Stile und Schlager“ (48) auch eine „ungezwungene Körperlichkeit“ (48) fest. Anhand ihres Samples kommt die Autorin zu der Erkenntnis, dass es zu einem „grundlegende[n] Wandel der Musik im Publikumskino“ (48) in den 1950er Jahre gekommen sei. Dies sei letztlich auch auf (medien-)ökonomische Prozesse und Unterhaltungselektronik zurückzuführen, die letztlich zu einer zunehmenden Pluralisierung der Unterhaltungsangebote beitrugen.

Weitere Aufsätze nähern sich dem Phänomen Schlagerfilm auf einer eher motivanalytischen Ebene, um gesellschaftliche Semantiken zu dechiffrieren. Réka Gulyás widmet ihre Analyse den im Schlagerfilm dargebotenen Ungarnbildern. Stereotypisierte Beständigkeiten zwischen den Operettenfilmen der 1930er und 1940er Jahre und den späteren Schlagerfilmen sieht sie insbesondere bei den „Elemente[n] der Ungarninszenierung“ (68). Diese seien jedoch bei den späteren Filmproduktionen dekontextualisiert und dienten dem Publikum lediglich als Setting, „in das sie ihre affektiven Phantasien und Wunschenergien hineinfließen lassen konnten“ (69). Geografisch ähnlich orientiert sich Lucian Schiwietz, der nach den Funktionen südosteuropäischer Musik in Heimatfilmen der Nachkriegszeit fragt. Hans Jürgen Wulff nähert sich in seiner Diskursanalyse der sozialen Spezifik der Musikverwendung und  ‑präferenz anhand des Filmes „Hoch droben auf dem Berg“ (BRD 1957). Insbesondere anhand von Soundscapes werden soziale Differenzierungen getroffen und inszeniert. Der Mitherausgeber fasst dabei die urban bis international stilisierte Schlagermusik jedoch nicht als Gegenpol zu einer regionalen Volksmusik auf. Vielmehr hätten sich „die beiden Sphären  in der Argumentation des Films längst einander angenähert“ (93), was Wulff mitunter als Signum der Zeit betrachtet, in welcher sich „die Transformation zur Populärkultur […] längst vollzogen“ (94) habe. Weitere Kongruenzen zwischen gesellschaftlichen Transformationsprozessen und Sehnsuchtsvorstellungen im Schlagerfilm legt Gabriele Vogt mit ihren Ausführungen zur Italienreise als Filmmotiv exemplarisch dar. Schließlich liefert Michael Fischer eine weitere mentalitätsgeschichtlich informierte Motivanalyse, in der neben neuen Formen der Vermarktung auch „generationale, soziale und ästhetische Konflikte“ (126) und die Herausbildung neuer jugendkultureller Habitusformen am Beispiel eines Peter-Kraus-Films als gesellschaftliche Tiefentexte freigelegt werden.

Mit der Thematik der Geschlechterrollen und ‑beziehungen setzen sich gleich drei Beiträge auseinander. Detlef Arlt und Hans Jürgen Wulff zeichnen nach, wie in einem Graf-Bobby-Film der weibliche Körper einerseits in ökonomische Kontexte gesetzt wurde und andererseits – vor allem mit Bezug auf die Sexualität – in ein „repressive[s] wie restriktive[s] Geschlechterrollensystem der 1950er“ (134) integriert war. Am Beispiel von „Die süßesten Früchte“ (BRD 1953/54) skizziert Theresa Georgen die gezeigte Mode als „Medium der Phantasien und des Begehrens kleinbürgerlicher Wünsche“ (207) sowie als Indikator sich wandelnder Formen der Weiblichkeit. Bei Elisabeta Fabricis Beitrag, der sich sehr nah an der Filmhandlung bewegt und die „dramaturgische Strategie der Mehrfachpaarung“ (193) zum Thema hat, werden Geschlechterrollen mitunter auch knapp thematisiert.

Martin Lücke und Klaus Nathaus setzen sich mit der hinter den Schlagerfilmen stehenden Industrie auseinander, wobei besonders der Ansatz des Letzteren überzeugt. In seinem englischsprachigen Beitrag zeigt er eindrucksvoll auf, welche Beziehungen und Netzwerke zwischen verschiedenen Akteuren der Musik- und Filmindustrie bestanden. Darüber hinaus wird deutlich, wo sich Handlungsmacht bündelte und wie Produktionsentscheidungen gefällt wurden. Kommerzialität spielt insbesondere auch im Beitrag von Bernd Hoffmann eine Rolle, der sich diskursanalytisch der Jazzpublizistik und deren Argumentationsweisen sowie Abgrenzungsstrategien zum Schlager widmet.

Der Band schließt mit einem weiteren Aufsatz von Hans Jürgen Wulff. Hier skizziert er in gewohnt komplexer und weitsichtiger Art und Weise einige methodologische Überlegungen zur (Un)Möglichkeit einer filmwissenschaftlichen Werkanalyse des Schlagerfilms „Mädchen mit schwachem Gedächtnis“ (BRD 1956) und schließt seine „diskursive Analyse“ (222) mit einem Unbehagen an der Tragkraft bestehender Beschreibungskategorien der klassischen Werkanalyse.

Was bleibt von diesem Sammelband? Wenngleich vorab im Editorial schon größere Verbindunglinien skizziert werden, hätte dem Band dennoch eine Bündelung der Erkenntnisse in einem separierten Kapitel gut getan. Beispielsweise scheint das Thema Körperlichkeit eine für die gesamte Bandbreite des Genres relevante Dimension zu sein, welche als zentraler Bedeutungsträger für die Kommunikation von soziokulturellen Differenzierungen fungiert.

Dies nur als kleiner Wunsch, der wohl das Format Sammelband im Allgemeinen betrifft und jenes oft noch einmal aufwerten würde. Schließlich liefert das vorliegende Werk Beiträge zum Verständnis eines bisher wenig beachteten Genres. Dabei ist es mehr als nur eine anregende Lektüre für Schlagerfilminteressierte, denn die enthaltenen Aufsätze liefern zeitgeschichtliche Einblicke weit über den engeren Fokus des Sammelwerks hinaus – und dies auf eine besonders anschauliche Art und Weise. Besonders beim Studium des Fußnotenapparats in Wulffs Beiträgen wird außerdem immer wieder deutlich: Im Bereich des Schlagerfilmes sind die Forschungsperspektiven längst nicht erschöpft. Vielmehr werden im Rahmen dieser Annäherung an eine bislang klaffende Forschungslücke zugleich mögliche Blaupausen für künftige Analysen präsentiert.