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Nina Szogs

Football Fandom and Migration. An Ethnography of Transnational Practices and Narratives in Vienna and Istanbul

Basingstoke 2017, Palgrave Macmillan, XVII, 200 Seiten, ISBN 978-3-319-50943-3
Rezensiert von Sebastian Gietl
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 21.08.2020

Nina Szogs ist Europäische Ethnologin, ihre Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte sind u. a. Migration, Gender, Diversität und Sport in nationalen und internationalen Kontexten. Letzterem Bereich entstammt auch ihre kulturvergleichende Dissertation, welche im Kontext des von 2012 bis 2015 laufenden Forschungsprojektes „Free Football Research in an Enlarged Europe“ am Institut für Europäische Ethnologie in Wien entstanden ist.

Szogs legt ihr Forschungsfeld kulturvergleichend in zwei Ländern – in Österreich und der Türkei – oder genauer: in zwei Städten, nämlich in Wien und Istanbul, an. Dabei zeigt sich schnell, dass die Wahl Istanbuls das Projekt nicht gerade einfacher werden ließ, denn die Türkei als ein Land mit vielen Identitäten, Ethnien und Kulturen spiegelt sich nicht zuletzt auch in den jeweiligen Fußballclubs. Dabei reichen die Traditionen und ein Teil der Identitäten vieler Istanbuler Clubs in eine Zeit zurück, in der die Stadtgesellschaft noch multikulturell geprägt war. Die traditionsreichsten drei Vereine „Beșiktaș Istanbul“ (1903), „Fenerbahçe Istanbul“ (1907) und „Galatasaray Istanbul“ (1905) wurden allesamt zu Beginn des letzten Jahrhunderts gegen Ende des Osmanischen Reiches gegründet, als Istanbul noch mehrheitlich nichtmuslimisch geprägt war. Diese Vereine entstammten einer Gesellschaft, die ethnisch gesehen mehrheitlich türkisch, griechisch, armenisch und jüdisch (absteigend nach Zahlengröße sortiert) geprägt war. In der Entstehungszeit der Vereine waren diese Bevölkerungsteile durchaus in den damaligen „Fanszenen“ vertreten oder gar prägend für sie. Dies ist heute in diesem Maße zwar nicht mehr der Fall, doch ist diese Geschichte auch Teil der Identität dieser Vereine.

Um dem Phänomen „Fankulturen und Migration“ auf die Spur zu kommen, forschte die Autorin eineinhalb Jahre in Wien und Istanbul. Als Fußballfan und regelmäßiger Istanbulreisender darf ich festhalten, dass Nina Szogs bereits an dieser Stelle ein großes Lob gebührt, weil sie sich in gesellschaftlich schwierigen Zeiten in diese Stadt und deren Fanszenen vorgewagt hat – zumal als Frau.

Ihre Ethnografie ist sehr klar strukturiert und das Forschungssetting passt. Gleichzeitig arbeitet sie sich in hervorragender Art und Weise an den relevanten Forschungsdiskursen entlang, dekonstruiert fankulturelle Narrative und Performanzen, stellt Gender-Aspekte zur Diskussion und diskutiert den Zusammenhang zwischen „Fan-Sein“ und Migration. Insgesamt hat die Monografie lehrbuchartigen Tiefgang und ist eine absolute Bereicherung für die Fankulturforschung. Allerdings wird an wenigen Stellen dennoch der Blick der Außenstehenden deutlich und die wünschenswerte historische Tiefe wird in der Einschätzung der gesellschaftlichen und kulturellen Bedeutung der Vereine nicht zur Gänze erreicht, so dass sich kleinere, für das Gesamtergebnis jedoch irrelevante Ungenauigkeiten einschleichen.

Ein Schwerpunkt der Arbeit liegt auf der Politisierung der Fanszenen. Leider zeichnet sich hier phasenweise eine Pauschalierung ab, die es in dieser Weise vor dem Hintergrund der Heterogenität der Fanszenen und der Geschichte der Stadt wohl eher nicht gibt. Über das gesamte Buch hinweg rekurriert Szogs in ihren Fragestellungen immer wieder auf die Gezi-Park-Proteste im Jahr 2013. Ihr Blick und Forschungsansatz, der vorwiegend „Diaspora“-Fans, die mit ihren Familien in Wien leben, in den Fokus nimmt, ist äußerst spannend, birgt aber gerade in diesem Kontext – und vor der aktuellen politischen Situation in der Türkei – Probleme. Fußballfans in der Diaspora sind schwer zu kategorisieren. Da sind zum einen die islamistisch-konservativen Recep Tayyip Erdoğan-Anhänger, die in Österreich beinahe drei Viertel der türkischstämmigen Bevölkerung ausmachen. Selbst diese sind aber in sich uneins und schwer einzuordnen. Es gibt aber auch die rigoros säkularen Erdoğan-Gegner – und beide Fangruppen teilen ihre Leidenschaft für dieselben Vereine. Um der Politisierung der beiden Fangemeinden in der Diaspora nachzugehen, wählt Szogs lediglich eine Kneipe in Wien aus, was ein bisschen zu exemplarisch angelegt anmutet – zumal das Lokal vorwiegend von säkularen Türken besucht wird. Dadurch ergibt sich ein scheinbar eindeutiges Bild, das aber vermutlich trügt. Wäre die Wahl auf eine andere Kneipe gefallen, wäre das Ergebnis womöglich ein anderes. Eigene empirische Befunde etwa deuten darauf hin, dass sich die Fans in ihrem jeweiligen Verständnis als politische „Gegner“ nicht selten aus dem Weg gehen und eher eine andere Kneipe mit vermeintlich Gleichgesinnten aufsuchen, auch um Denunziationen zu entgehen.

Gleichzeitig geht die politische Dimension tatsächlich über „Gezi“ hinaus. „Gezi“ hat in der Türkei bzw. in Istanbul nicht den determinierenden Stellenwert, den es durch die massive kontrastive Berichterstattung seit 2013 in Deutschland hat. Der politische Wandel war und ist ein langsamer, schleichender Prozess. Darüber hinaus wird in diesem Bereich die kulturelle und ethnische Diversität der Türkei (Stichwort: Kurden-Problematik) vor dem Hintergrund eines national aufgeladenen, politisch seit Jahrzehnten tradierten monoethnischen „Türkentums“ übersehen. Dabei spielen weniger die in diesem Kontext inzwischen zu vernachlässigenden nichtmuslimischen Minderheiten eine Rolle als vielmehr die Kurden, die Szogs mehr in ihre Studie hätte einbinden sollen. Denn ein großer Teil der Fans sind Kurden;  viele sind in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nach Istanbul oder in den deutschsprachigen Raum migriert.

Da die Arbeit aber multiperspektivisch angelegt ist, handwerklich hervorragend gearbeitet ist und es sich um kein wirklich einfaches Forschungsfeld handelt, sind diese Einwände zu vernachlässigen. Die Studie an sich ist erfrischend originell und bereichert den Fachdiskurs zu Populärkulturen um eine tatsächlich europäisch-ethnologisch-vergleichende Publikation, wie wir sie selten finden und bei aller Namensdiskussionen im Fach doch viel häufiger sehen sollten. Ist es nicht das, was wir uns auf die Segel schreiben? Zu einer solchen Studie gehört aber auch fundierter historischer, sozialer und gesellschaftlicher Kontext. Nina Szogs ist das ganz hervorragend gelungen.