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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Aktuelle Rezensionen


Wolfgang Wüst (Hg.) unter Mitarbeit von Marina Heller

Historische Kriminalitätsforschung in landesgeschichtlicher Perspektive. Fallstudien aus Bayern und seinen Nachbarländern 1500–1800. Referate der Tagung vom 14. bis 16. Oktober 2015 in Wildbad Kreuth

(Franconia. Beihefte zum Jahrbuch für fränkische Landesforschung 9), Erlangen/Stegaurach 2017, Zentralinstitut für Regionenforschung, Sektion Franken/Wissenschaftlicher Kommissionsverlag, 359 Seiten mit Abbildungen, teils farbig, ISBN 978-3-940049-23-0
Rezensiert von Reinhard Heydenreuter
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 28.08.2020

Der gewichtige, von Wolfgang Wüst unter Mitarbeit von Marina Heller herausgegebene Tagungsband versammelt im Wesentlichen Referate, die vom 14. bis 16. Oktober 2015 bei der Hanns-Seidel Stiftung im traditionsreichen (leider nun geschlossenen) Tagungshaus in Wildbad Kreuth gehalten wurden. Er stellt ein dichtes und unverzichtbares Kompendium zur Strafrechtsgeschichte vor allem Bayerns dar. Dabei konzentrieren sich die Arbeiten in erster Linie auf die später im Königreich Bayern aufgegangenen Territorien. Zu nennen ist hier etwa neben dem Kurfürstentum Bayern das Hochstift Augsburg, die Territorien des Schwäbischen Reichskreises, das Hochstift Bamberg, das geistliche Kurfürstentum Mainz, die Herrschaft Schwarzenberg oder die fränkischen Reichsstädte Nürnberg und Rothenburg. Flankiert werden diese Untersuchungen durch Beispiele aus den Hansestädten Hamburg, Bremen und Lübeck, aus dem Habsburger Reich und der Eidgenossenschaft. Der zeitliche Schwerpunkt liegt im 17. und 18. Jahrhundert. Alle Beiträge halten sich dank ihrer Quellennähe weitgehend von den in der Strafrechtsgeschichte verbreiteten Spekulationen und theoretischen Erörterungen frei.

Kriminalitätsforschung ist deswegen ein schwieriges Feld, weil es sich im Spannungsfeld der von den Jurist*innen für sich beanspruchten Rechtsgeschichte und der von den Historiker*innen für sich beanspruchten Kulturgeschichte befindet. Dem Forschungsbereich Kriminalitätsgeschichte ist diese Konkurrenz zwischen Rechtshistoriker*innen und Historiker*innen außerordentlich zugutegekommen, vor allem auch deswegen, weil die Behandlung der Themen durch die jeweiligen Disziplinen typische Defizite ausweist: Den Historiker*innen fällt das Verständnis der Rechtstexte (Römisches Recht) und des jeweiligen Verfahrens schwer und man meidet entsprechende Quellen (so wie man auch die seit der Frühen Neuzeit so zahlreichen und ergiebigen Quellen der Steuer- und Finanzverwaltung vernachlässigt). Die Rechtshistoriker*innen auf der anderen Seite, die als Jurist*innen keine Ausbildung in hilfswissenschaftlichen Methoden haben, tun sich in der Regel sehr schwer mit dem Entziffern von Archivalien, also mit den wichtigen Verfahrensunterlagen. Sie verlassen sich daher viel zu sehr auf gedruckte Gesetzestexte oder juristische Kommentare.

Obwohl bei den Autorinnen und Autoren des Tagungsbandes die Juristen die Minderheit darstellen (Markus Hirte und Michael Johannes Pils; Karl Härter und Gerhard Ammerer sind „halbe“ Juristen), berücksichtigte die Tagung doch immer auch die Geschichte der Rechtsnormen: Viele Referate befassen sich beispielsweise eingehend mit der Polizeigesetzgebung im Alten Reich. Die großen Strafrechtskodifikationen des 17. und 18. Jahrhunderts blieben allerdings (leider) weitgehend ausgeklammert. Das Ergebnis kann sich trotzdem sehen lassen: Wie in keiner bisher vorliegenden Strafrechtsgeschichte Deutschlands oder Bayerns fasst dieser Band den derzeitigen Stand der Kriminalitätsforschung – aus historischer Sicht – zusammen. Besonderer Dank gilt dafür den Herausgeber*innen.

Einleitend versucht Gerd Schwerhoff einen Überblick über den Stand der deutschen „historischen“ Kriminalitätsforschung zu geben. Da sich Schwerhoff auf die „Entdeckung“ der Kriminalitätsgeschichte durch die historische Forschung beschränkt, ist für ihn die Kriminalitätsgeschichte ein „verspäteter Forschungszweig“, der in Deutschland – wie offensichtlich in der Geschichtswissenschaft bei den verschiedenen kulturwissenschaftlichen Themen üblich – erst nach angelsächsischen oder französischen Vorbildern Fuß gefasst hat. Das führt dann wohl dazu, wie Schwerhoffs Bücherliste zeigt, dass es in der Kriminalitätsforschung „zur unabdingbaren Voraussetzung“ wurde, das deutsche Kriminalitätsgeschehen mit dem angelsächsischen zu vergleichen. Die Ausführungen Schwerhoffs sind von einer unbegründeten Zurückhaltung gegenüber den (schon ins 19. Jahrhundert zurückgehenden) Arbeiten der Rechtshistoriker geprägt. Im Übrigen ist bei dem „verspäteten Forschungszweig“ der historischen Kriminalitätsforschung eine deutliche Vernachlässigung des wichtigen Materials zu beobachten, das Historiker*innen (meistens Archivare) im Bereich der Verwaltungsgeschichte angesammelt haben. Auch die Beschäftigung mit strafrechtlichen und strafprozessualen Normen und Kodifikationen mit Ausnahme der Polizeigesetzgebung scheuen Neuzeithistoriker*innen unserer Tage mehr als nötig: Sie ersetzten daher juristische Begriffe etwa des mittelalterlichen und neuzeitlichen Strafverfahrens gerne durch eigene frei erfundene Begriffe, die meistens der Soziologie entlehnt sind.

Zu den Beiträgen im Einzelnen: Den Reigen der überregionalen Referate eröffnet der gewichtige Aufsatz von Karl Härter („Grenzübergreifende Kriminalität von Vaganten und Räuberbanden – interterritoriale Strafverfolgung und Landessicherheit im Alten Reich [1648–1806]“). Härter hat sich als Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Europäische Rechtsgeschichte in Frankfurt am Main vor allem um die Polizeigesetzgebung verdient gemacht. In seinem Referat behandelt er das Thema Grenzen und ihre Durchlässigkeit – ein Thema, das für die Strafrechtspflege bis ins 19. Jahrhundert von größter Wichtigkeit war und es auch in der modernen Geschichtsschreibung ist. Angesichts der Kleinräumigkeit des Alten Reichs spielt grenzüberschreitende Kriminalität eine wichtige Rolle, vor allem die Kriminalität von Vaganten und organisierten Banden sowie – viel zu wenig erforscht – der Schmuggel. Der Aufsatz von Härter basiert auf dessen eigenen Vorarbeiten zur Strafrechtspflege im Kurfürstentum und Erzstift Mainz. Die zahllosen Mandate und Polizeiordnungen der Territorien im Alten Reich, an deren Aufarbeitung und Publikation Härter führend tätig war, liefern neben den Mainzer Archivalien die erforderliche Quellenbasis für seinen Aufsatz. Große Verdienste hat sich in dieser Hinsicht auch der Organisator dieser Tagung Wolfgang Wüst mit seinen und seiner Schüler Arbeiten und Quelleneditionen zu den Reichskreisen und den Polizeiordnungen erworben. Die Forschungen von Härter und Wüst markieren die von Schwerhoff angesprochene „Rückkehr der Normen“ in der Kriminalitätsforschung. Bei Wüst als gelerntem Archivar kommt noch eine exzellente Kenntnis der Quellen hinzu.

Die zwei Referate von Wolfgang Wüst („Arbeitsstrafen – die Rolle der Zucht- und Arbeitshäuser in Süddeutschland“) und Dirk Brietzke („Arbeitszwang und Disziplinierung. Die Zucht- und Arbeitshäuser in den Städten Hamburg, Bremen und Lübeck im 17. und 18. Jahrhundert“) machen deutlich, dass es sich bei den Zucht- und Arbeitshäusern, die von englischen und niederländischen Vorbildern angeregt wurden und seit dem 18. Jahrhundert in allen größeren Territorien des Alten Reichs bestanden, nicht um Gefängnisse und Zuchthäuser im heutigen Sinn handelte, sondern vor allem um Einrichtungen, die arbeitsfähigen „starken“ Bettler*innen zu disziplinieren. Seit dem 16. Jahrhundert begann man bekanntlich den „Müßiggang“ mehr und mehr zu kriminalisieren. Den erheblichen Geldaufwand, den diese Zucht- und Arbeitshäuser erforderten, rechtfertigte man mit deren wirtschaftlichem Nutzen, der sich freilich nirgends belegen lässt.

Eine nützliche Zusammenfassung der bisherigen Forschungen zum Hexereidelikt liefert der Beitrag des am Rothenburger Kriminalmuseum tätigen Rechtshistorikers und ehemaligen Rechtsanwalts Markus Hirte („Hexereidelikt und Hexenprozess“). Er schildert auf der Basis eigener Forschungen ausführlich die Genese des Hexereidelikts. Bei seiner Darstellung der Hexenverfolgungen der Frühen Neuzeit kann sich Hirte auf die Ergebnisse der Hexenforschung der letzten Jahre stützen: Vor allem macht er klar, dass es weltliche Juristen waren, die Hexenprozesse betrieben und nicht „sinistre misogyne Kleriker“. Leider ist es bis heute üblich, der Kirche die Schuld an den Hexenverfolgungen des 16. und 17. Jahrhunderts zuzuschieben. Abschließend verweist Hirte darauf, dass in der Reichsstadt Rothenburg eine ähnlich gemäßigte Haltung gegenüber den Hexenverfolgungen wie in der Reichsstadt Nürnberg zu verzeichnen war. Der Artikel gehört zum Besten, was in der letzten Zeit zusammenfassend über Hexenprozesse geschrieben wurde. Er ist weit entfernt von der aus der Zeit des Kulturkampfs stammenden und so viel Unheil stiftenden Geschichte der Hexenprozesse in Bayern von Sigmund Riezler (1896), die leider Friedrich Merzbacher bei der Neuherausgabe (1983) mit einem ebenso irreführenden Vorwort versehen hat.

In der Sektion Altbayern und Schwaben berichtet die aus Finnland stammende Historikerin Satu Lidman über ein Thema, das bis heute die Kriminologen beschäftigt: Die unter Alkoholeinfluss begangene Straftat („Alkohol und Gewalt: Strafpraxis und Regelungen im frühneuzeitlichen Bayern“). Vor allem seit dem 16. Jahrhundert spielt der Alkohol bei den Straftaten im Alten Reich eine geradezu beherrschende Rolle. Das war offensichtlich bei den europäischen Nachbarn nicht in gleicher Weise so, da diese den Deutschen gerne als „Saufteufel“ charakterisierten, der sich dem Branntwein verschrieben hatte. Zu prüfen wäre, ob die Vorliebe der Deutschen für „harte“ Getränke seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts nicht zuletzt auch auf die massive Erhöhung der Getränkesteuer (Aufschlag) auf Wein und schließlich Bier zurückzuführen ist. Satu Lidman, die sich vor allem an Münchner Quellen um 1600 orientiert, erkennt sehr richtig, welche quasi religiöse Bedeutung der Kampf der damaligen Obrigkeit gegen den Alkohol, gegen das übermäßige Trinken („Volltrinken“) und Zutrinken hatte. Die Angst der Obrigkeit vor der Bestrafung durch Gott, der Krankheit, Hungersnot und Türken ins Land schickt, findet sich fast in jedem Polizeimandat, das sich gegen die damals virulent werdenden – vorher fast unbekannten – Laster der Untertanen richtete (Trunkenheit und die darauf resultierenden Gotteslästerungen und Sittlichkeitsdelikte, Ketzerei). Die von Lidman angeführten strengen Regelungen des Wirtshausbesuchs in München sowie die Schandstrafen für Trunkenheit sind Anzeichen für den obrigkeitlichen Kampf gegen die Trunkenheit, der in München unter den Augen des Herzogs und Kurfürsten zum Unwillen des Stadtrats besonders rigoros geführt wurde. Hingewiesen sei noch auf die zahlreichen Schandstrafen, die man in München gegenüber Betrunkenen, Gotteslästerern, „Rumorern“, Rauflustigen oder Verschwendern einsetzte. Da ist etwa eine „Betrunkenentafel“, das Ausstellen vor der Kirche, das Einschlagen in die Kette (Springer) oder das öffentliche Gassenkehren zu nennen; besonders hartnäckige Fälle verurteilte man zur Schanzarbeit oder schickte sie zu einem „katholischen“ Regiment in den Türkenkrieg nach Ungarn.

Stefan Breit berichtet von der Adelsherrschaft Hohenaschau, die südlich des Chiemsees in den Bergen (in der heutigen Gemeinde Aschau) im ehemaligen Herzogtum und Kurfürstentum Bayern lag. Nicht zuletzt dank Stefan Breit darf die Gemeinde Aschau im Chiemgau (Landkreis Rosenheim) für sich in Anspruch nehmen, dass ihre Geschichte durch zahlreiche von der Gemeinde unterstützte Veröffentlichungen so detailliert aufgearbeitet ist, dass man in Deutschland ähnliches suchen muss. Die Besonderheit an der Kriminalitätsgeschichte von Hohenaschau ist nicht nur die gute archivalische Überlieferung, sondern auch die Tatsache, dass der Inhaber der an der Grenze zu Tirol liegenden Herrschaft auch den Blutbann besaß, also auch hinrichten durfte, was innerhalb des bayerischen Fürstentums (im Unterschied zu Österreich) eine Seltenheit war. Freilich musste sich der Herrschaftsinhaber die Blutgerichtsbarkeit mit dem Landesherrn teilen. Die Hinrichtung mit dem Schwert stand der Herrschaft, die Hinrichtung mit dem Galgen dem Landesherrn zu. Das führte dazu, dass man zur Hinrichtung durch das Schwert „begnadigte“, damit der Verurteilte nicht ausgeliefert werden musste. Eine Besonderheit des Verfahrens war die Beteiligung von Schöffen, die es beispielsweise in Oberbayern (Beseitigung der Urteiler 1346) nicht gab.

Mit den „Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit in Schwaben“ befasst sich der Beitrag von Gerhard Fritz und zwar für die Zeit von 1648 bis 1806. Er referiert dabei vor allem Ergebnisse seiner Habilitationsschrift von 2002, bei der es um die öffentliche Sicherheit in Südwestdeutschland geht. Er schildert die Maßnahmen der Obrigkeit, um dem herumstreifenden „Gesindel“ Herr zu werden und verweist darauf, dass die seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts üblichen Streifen auf einen Reichsabschied des Jahres 1555 zurückgehen. Umfangreich erörtert wird die Tätigkeit des Schwäbischen Reichskreises im Bereich der Sicherheitspolitik. Bei den Kreistagen, auf denen fast immer die öffentliche Sicherheit diskutiert wurde, war das Herzogtum Württemberg tonangebend. In der Kreisordnung von 1563, die wahrscheinlich auf Herzog Christoph von Württemberg (1550–1568) zurückgeht, werden zur Aufrechterhaltung des Landfriedens Streifen zu Fuß und zu Pferd angeordnet. Diese den gesamten Kreis umfassende Streiforganisation sei bis zum 30-jährigen Krieg wirksam gewesen; erst im 18. Jahrhundert sei man wieder in ähnlicher Weise aktiv gewesen. Fritz schildert nun, wer im 17. und 18. Jahrhundert auf kommunaler, territorialer und überregionaler Ebene für die Sicherheit der Untertanen zuständig war. Mehr und mehr wurde seit Ende des 18. Jahrhunderts im Herzogtum Württemberg mit der Durchführung von Streifen statt Bürger- und Bauernmilizen das Militär betraut. Ein nützlicher Nebeneffekt der von den Württemberger Ständen stark bekämpften Einführung eines stehenden Heeres, das die Herzöge seit 1673 aufstellten. Auch das Forstpersonal galt neben dem Militär als besonders geeignet, die nicht ungefährlichen Streifen durchzuführen, deren Wirksamkeit durch den Widerstand oder die Nachlässigkeit kleinerer Kreisstände begrenzt war. Die Streifen durch Hatschiere und Husaren, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zur festen Einrichtung in Württemberg wurden, stießen im Übrigen nicht unbedingt auf das Wohlwollen der Bevölkerung, die vor allem bei deren Einquartierung zu leiden hatte. Aus diesen festen Streifen entwickelte sich später dann eine feste Polizeitruppe, die Gendarmerie.

Neben den staatlichen Streifen haben sich im Schwäbischen Kreis auch private Unternehmer, die so genannten „Kriminalisten“, an der Verbrechensbekämpfung beteiligt. Es handelt sich dabei um von der Aufklärung geprägte Amtleute, wie den württembergischen Oberamtmann Georg Jakob Schäffer von Sulz (1745–1814), oder auch um kleinere Territorialherren, wie den Grafen Franz Ludwig Schenk von Castell (1736–1821). Diese „Kriminalisten“ verfassten nicht nur Diebes- und Räuberlisten, sondern fahndeten auch selbständig nach Räubern. Der von seinen adeligen Standesgenossen beargwöhnte geschäftstüchtige und baufreudige „Malefizschenk“ Graf Schenk von Castell errichtete in seiner Herrschaft Dischingen (heute Oberdischingen im Landkreis Ehingen) nicht nur 1767 ein eigenes Kanzleigebäude für seine Verwaltung, sondern später auch noch eine Fronfeste und eine Hinrichtungsstätte. Beide stellte er Interessenten gegen Bezahlung zur Verfügung. Die Tätigkeit dieser gut vernetzten „Kriminalisten“, die es so in anderen Gebieten des Alten Reichs nicht gab, wäre der Mühe der Forscher wert.

Michael Johannes Pils, seines Zeichens Rechtsanwalt für Arbeitsrecht, der eine grundlegende Dissertation über die Geschichte der Brandstiftung bei Christoph Becker in Augsburg geschrieben hat (Die rechtsgeschichtliche Entwicklung der Brandstiftung. Ein Beitrag zum Umgang mit Gefahren, Berlin 2010), schildert in „Ein Fall von Brandstiftung in Schwaben und seine historische Einordnung“ am Beispiel der 1802 in Schwabmünchen (das damals noch zum Hochstift Augsburg, wenig später zum Kurfürstentum Bayern gehörte) hingerichteten Brandstifterin Maria Franziska Frank die im Alten Reich übliche Vorgehensweise der Obrigkeit bei Brandstiftung. Pils geht dabei auf die Besonderheiten des Falles ein (die wichtigsten Quellen sind dankenswerterweise abgedruckt) und versucht zu ergründen, was die Delinquentin dazu bewog, die Strohdächer ihres Heimatdorfes in Brand zu setzen ohne die konkrete Absicht, eine Person zu verletzten. Für Volkskundler*innen interessant ist dabei die Tatsache, dass Strohdächer damals die Norm waren und dass sie im Lauf der folgenden Jahrzehnte aus Brandschutzgründen und aus Kostengründen (obligatorische Brandschutzversicherung) durch Dachziegel ersetzt wurden. In dem von Pils geschilderten Delikt spielte der Alkoholmissbrauch – wie bei vielen der anderen auf der Tagung geschilderten Einzelfälle – offensichtlich wieder einmal eine tragende Rolle. Trotz eines Geständnisses und obwohl niemand zu Schaden gekommen war, wurde die Täterin auf der Grundlage des im Hochstift Augsburg angewandten Artikels 125 der Constitutio Criminalis von 1532 („Die boshaften überwundenen Brenner sollen mit dem Feuer vom Leben zum Tod gerichtet werden“) hingerichtet, wobei man strafmildernd die Verbrennung (spiegelnde Strafe) erst nach der Hinrichtung durch das Schwert vornahm. Eingehend befasst sich Pils dann mit der Entwicklung des Brandstiftungsdelikts im Römischen Recht, wie es in Deutschland rezipiert wurde. Zahlreiche Dissertationen an den juristischen Fakultäten Europas haben sich seit dem Mittelalter mit diesem bis heute hart bestraften und viel diskutierten Delikt befasst. Die rechtlichen Diskussionen stützen sich vor allem auf die Schriften des Glossators Bartolus von Sassoferrato (1313–1357) zum Brandstiftungsdelikt und dessen Bestrafung.

Die Ausführungen von Pils werfen einen Blick in die Ausbildung und die Gedankengänge der damaligen Juristen. Der Kriminalitätsforschung schreibt er damit ins Stammbuch, dass es am Römischen Recht geschulte Juristen waren, die in den Zentralbehörden die Todesurteile sprachen. Deren Lieblingsautor war im Übrigen der italienische Jurist Prospero Farinaccio (1554–1618), der 1597 in Frankfurt einen berühmten lateinischen Strafrechtskommentar publizierte. Für Historiker*innen stellen die Ausführungen von Pils zum römischen Recht eine schwere Kost dar; sie eignen sich aber hervorragend für alle, die sich mit der Rezeption des römischen Rechts in Deutschland vertraut machen möchten.

Den Reigen der Beiträge, die sich mit Franken befassen, eröffnet der derzeit wohl beste Kenner der fränkischen Geschichte, der oberfränkische Bezirksheimatpfleger Günther Dippold.  In seinem Beitrag „Diebe im frühneuzeitlichen Franken“ betont er die Notwendigkeit, sich nicht ausschließlich mit den strafverfolgenden Obrigkeiten und dem Strafverfahren, sondern mehr mit den Biografien der Täter*innen selbst zu befassen. Er beschränkt sich dabei im Wesentlichen auf das Hochstift Bamberg und die Zeit um 1600. Sein besonderes Augenmerk widmet er der Kleinkriminalität. Wie auch sonst bei der Kriminalitätsforschung stellt sich hier die Quellenfrage, da ja, wie Dippold betont, Strafakten des 16. bis 18. Jahrhundert spätestens in den Archiven des 19. Jahrhunderts in die Papiermühle wanderten. Für seine Biografien stand dem Autor jedoch ausnahmsweise eine aussagekräftige Quelle zur Verfügung, nämlich die Protokolle der so genannten Malefizkommission der fürstbischöflichen Regierung sowie sonstige Protokolle, die sich mit Straftaten im Fürstbistum Bamberg beschäftigen. Rechtsgrundlage für die entsprechenden Maßnahmen und Verurteilungen waren auch im Hochstift Bamberg entsprechende Mandate, aus denen man ablesen kann, dass sich um 1600 im Unterschied zu früher die Lage für „starke“ Bettler*innen sehr verschlechtert hat: Der Müßiggang wurde kriminalisiert. In den von Dippold vorgestellten Biografien von Delinquent*innen, die in der Regel als Dieb*innen und Räuber am Galgen endeten oder gnadenweise mit dem Schwert hingerichtet wurden, wird die traurige Lebenswelt der Kleinkriminellen dargestellt, die auch bei kleineren Diebstählen, insbesondere im Wiederholungsfall, mit der Todesstrafe rechnen mussten. Bei Dippold erfahren wir auch viel über Hehler*innen und Hintermänner der Kriminellen und auch darüber, wo Bettler*innen und Diebe Unterschlupf gefunden haben. Es waren meist Dörfer, wo der Arm der Obrigkeit nicht oder selten hinreichte und wo man sich auch nicht gegen das „Gesindel“ wehren konnte.

Der Historiker Christof Paulus stellt in seinem Beitrag „Mord und Totschlag in der Herrschaft Schwarzenberg? Eine erste Auswertung der Centenalprotokollserie“ eine bis vor kurzem nicht zugängliche Quelle vor, nämlich die Protokolle über die Hochgerichtsfälle (seit etwa 1600), die der auf Schloss Schwarzenberg über Scheinfeld (heute Landkreis Neustadt an der Aisch in Mittelfranken) sitzende Zentgraf zusammen mit dem in Scheinfeld tagenden Zentgericht geführt hat. Diese Protokolle sind ein Teil des umfangreichen Urkunden- und Aktenmaterials, das 1944 kriegsbedingt von Schloss Schwarzenberg über Scheinfeld nach Böhmen ausgelagert worden ist, und das 2011 wieder nach Franken zurückkam und nun im Staatsarchiv Nürnberg liegt. Die Centenalprotokolle wurden bisher nicht ausgewertet und Paulus gibt uns nun einen ersten Einblick in dieses ergiebige Quellenmaterial: Er schildert an ausgewählten Beispielen aus dem Ende des 17. Jahrhunderts die Strafpraxis in Hochgerichtsfällen in der Herrschaft Schwarzenberg und kommt dabei dankenswerterweise auf den Kindsmord zu sprechen, der in der Strafrechtsgeschichte eine zentrale Stellung hat, aber in den anderen Referaten der Tagung nicht auftaucht. In einem kursorischen Überblick versucht er die sonstigen in der Herrschaft behandelten Fälle zu systematisieren und kommt zum Ergebnis, dass die Todesstrafe eher selten zur Anwendung kam. Die bis ins 17. Jahrhundert üblichen und häufigen Schandstrafen seien im 18. Jahrhundert kaum mehr anzutreffen. Paulus liefert so eine kurze Geschichte der Strafrechtspflege in der Herrschaft Schwarzenberg, wo man sich nicht selten auch – die Zentgerichte waren Schöffengerichte – der juristischen Kompetenz der Reichsstadt Nürnberg versicherte. Eine Verzögerung (aber wohl auch Humanisierung) der Strafverfahren in der Herrschaft war durch die Tatsache bedingt, dass die bei Todesurteilen in letzter Instanz entscheidenden Herren der Herrschaft Schwarzenberg, die 1671 in den Fürstenrang aufstiegen, sich seit dem 17. Jahrhundert nur noch in Wien und Böhmen aufhielten, wo sie bekanntlich einen riesigen Landbesitz erwarben und Karriere machten.

Der Archivar Daniel Burger beschäftigt sich in „Waldfrevel, Schwarzbau, Gewalt und Beleidigung vor den Nürnberger Forstgerichten und dem Zeidelgericht Feucht“ mit Archivquellen der Reichsstadt Nürnberg, die im Staatsarchiv Nürnberg liegen. Es handelt sich dabei um die Überlieferung der so genannten zwei Waldämter Lorenzi und Sebaldi, die Nürnbergs umfangreiche (nach den zwei Hauptkirchen rechts und links der Pegnitz benannten) Reichswälder zu verwalten hatten (und gleichzeitig auch als Niedergerichte tätig waren) sowie um die Überlieferung des „kaiserlich befreiten Zeidelgerichts“ (Zeidler = Imker) in Feucht. Aus den Reichswäldern bezogen die Nürnberger Bürger und Untertanen ihr Bauholz, die Waldstreu, ihre Holzkohle und ihren Honig. Rechtsgrundlage für die von den drei genannten Gerichten angeordneten Strafmaßnahmen waren die Nürnberger Waldordnungen, die den Reichswald betreffenden Mandate, aber auch die allgemeinen zahlreichen Nürnberger Strafgesetze. Zu strafen waren vor allem Beleidigungen, Körperverletzungen, Missbrauch von Waldrechten durch übermäßigen Holzeinschlag für ungenehmigte Bauten oder ungenehmigte Öfen oder sonstige Verstöße gegen die Waldordnung. Hochgerichtsfälle (Malefizsachen) wurden von den sonstigen Nürnberger Gerichten abgestraft.

Die Sonderstellung der Nürnberger Forstgerichte und des Zeidelgerichts zu Feucht beruhen auf alten kaiserlichen Privilegien. Gegen ihre Entscheidungen war keine Appellation möglich. Alle drei Gerichte waren Schöffengerichte. Rechtshistorisch von Interesse ist das für Nürnberg typische so genannte Rügeverfahren, dem wir auch beim Zeidelgericht in Feucht begegnen. Bemerkenswert ist auch, dass bei den Waldgerichten die Klage von den vor Ort tätigen Waldamtsknechten, quasi als Vertreter des öffentlichen Interesses, eingebracht wurde.

Burger macht deutlich, dass die Niedergerichtsfälle von der Kriminalitätsforschung bisher vor allem auch deswegen vernachlässigt wurden, weil die breite Überlieferung nicht überschaubar ist. So liegen etwa im Staatsarchiv Nürnberg allein für das 18. Jahrhundert mehrere hundert Einzelfallakten zum Thema „Fornikation“ (Leichtfertigkeit), die seit dem Jahr 1806 nie mehr geöffnet wurden. Aber selbst bei den Hochgerichtsfällen, mit denen sich die Kriminalitätsgeschichte (mit deutlicher Überbewertung des Hexereidelikts) vorwiegend beschäftigt, gibt es wichtige Quellengruppen, die noch der Bearbeitung harren. Für die Reichsstadt Nürnberg (wie auch für andere Reichsstädte) sind es beispielsweise die Achtbücher.

Mit den fränkischen Diebeslisten des 18. Jahrhunderts befasst sich Marina Heller („Kriminalität und Strafverfolgung: Die Quelle der fränkischen Diebeslisten aus dem 18. Jahrhundert“). Sie erörtert einleitend die Frage, seit wann die Lebensweise der Fahrenden (Vaganten) und der Bettler*innen erstmals kriminalisiert wurde und verweist dabei auf das Traktat „Liber Vagatorum“ von 1510, das den Müßiggang als schuldhaftes Verhalten hinstellt: Es warnt vor den so genannten „starken Bettlern“, die im Unterschied zu den schwachen und bedürftigen Bettler*innen einer ordentlichen Arbeit nachkommen könnten. Der Beitrag verweist auf die für das 18. Jahrhundert vermutete große Zahl von „Unbehausten“, angeblich ein Viertel der Bevölkerung in Altbayern! Etwa bis 10 % der Bevölkerung sei dann zu den Bettler*innen und Vagant*innen zu zählen. Diese rekrutieren sich nach Heller aus den Unterschichten der Bevölkerung, die als Bedienstete (Mägde, Knechte) auf den Höfen tätig waren. Auch Tagelöhner oder Handwerker oder „Kleinhäusler“ auf dem Land, die in so genannten „Bloßhäusl“ wohnten, also keinen eigenen oder nur wenig bebaubaren Grund oder Vieh besaßen und somit auf Nebenverdienst angewiesen waren, gehören nach Heller zu den Gefährdeten.

Dazu ist anzumerken, dass es nicht zulässig ist, Knechte und Mägde (dazu zählen im Übrigen auch die sonstigen Familienmitglieder, wenn sie keinen eigenen Grundbesitz hatten) und sonstige Bedienstete, die ja die Mehrzahl der ländlichen Bevölkerung ausmachten, zu den „Unbehausten“ zu zählen. Wie inzwischen in zahlreichen Arbeiten – vor allem auch von rechtshistorischer Seite – nachgewiesen wurde, war die Rechtsstellung der Bediensteten im 18. Jahrhundert keineswegs schlecht, auch wenn Dienstboten bis weit ins 19. Jahrhundert einem diskriminierenden Sonderrecht unterstanden. Das 18. Jahrhundert ist voll von Klagen, dass die Bauern zu wenig Arbeitskräfte hätten. Hingewiesen sei auch darauf, dass die Abschaffung der zahllosen Feiertage am Ende des 18. Jahrhunderts in den katholischen Gebieten vorwiegend wirtschaftlich motiviert war: Die „müßiggehenden“ Knechte und Mägde, denen es zu gut ging, sollten mehr arbeiten! Von allzu sehr leidenden Unterschichten oder allzu viel „Unbehausten“ kann also nicht ausgegangen werden. Interessant wäre auch zu wissen, wo die „Unbehausten“ eigentlich „behaust“ waren. In Feld und Wald haben die „Unbehausten“ sicher nicht (etwa im Winter) übernachtet. Hier wäre eine präzise Arbeit über „Winkelherbergen“, die ja in den Archivalien immer wieder auftauchen, wünschenswert.

Marina Heller schildert dann die Polizeiordnungen und Strafpatente zur Bekämpfung von Bettler*innen und fahrendem Volk und verweist vor allem auf die Polizeiordnung des fränkischen Kreises von 1572. Diese ist wahrscheinlich von der in dem Referat von Gerhard Fritz erwähnten Kreisordnung des Schwäbischen Reichskreises von 1563 angeregt worden. Im Wesentlichen wiederholt die Polizeiordnung des fränkischen Kreises aber den Inhalt der seit 1530 in periodischen Abständen publizierten Reichspolizeiordnungen.

Die Strafandrohungen für das „Bettelgesindel“ wurden in den fränkischen Territorien – wie auch in anderen deutschen Territorien – seit dem Ende des 16. Jahrhunderts immer schärfer. Beim ersten Aufgreifen waren Prügel samt Ausweisung fällig, beim zweiten Mal die Brandmarkung („F.C.“ für den Fränkischen Kreis, meistens auf den Rücken) oder das Abschneiden der Schwurfinger und wenn man Delinquent*innen zum dritten Mal im Land (im Fränkischen Kreis?) antraf, die Todesstrafe. Für das 18. Jahrhundert waren dies natürlich martialische Strafandrohungen: In der Praxis hat man sich vielfach mit Zwangsarbeit oder Verschickung in ein Arbeitshaus begnügt. Um sich vom „Bettelgesindel“, dem man alle möglichen Schandtaten zutraute, zu befreien, veranstalteten die Territorien und die Reichskreise so genannte „Streifen“, die auch in den anderen Referaten dieser Tagung immer wiederkehren.

Bei den von Marina Heller vorgestellten Diebeslisten, die vielfach literarische Qualität haben, handelt es sich natürlich nicht um eine Auflistung von Bettler*innen und Vagant*innen, sondern um die Auflistung von flüchtigen oder gesuchten Verbrecher*innen oder Verdächtigen (Mörder*innen, Räuber, Dieb*innen, Betrüger*innen, „Hochstapler“). Viele dieser Verdächtigen gehörten zu gut organisierten Banden. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang die „Posträubereien“, die seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts bis ins 19. Jahrhundert die Öffentlichkeit beschäftigt haben. Die von Heller vorgestellten Diebeslisten (beginnend mit einer Ansbacher Diebesliste von 1712) und Steckbriefe wurden fast ausnahmslos von den einzelnen Territorien (hier: Brandenburg Ansbach, Hochstift Eichstätt, Herzogtum Württemberg, Reichsstadt Nürnberg, Hochstift Würzburg) des Schwäbischen und Fränkischen Reichskreises angefertigt und beruhten vor allem auf Verhören, die im Zuge von Strafverfahren durchgeführt wurden, also auf Angaben von dann später zum Tode verurteilten Delinquent*innen. Die Listen wurden an die Nachbarterritorien versandt. Wirkungsvoll waren sie vor allem dann, wenn für die Ergreifung von Täter*innen Belohnungen ausgesetzt waren.

Sabine Wüst porträtiert in ihrem Beitrag „Meister Franz – Henker aus ‚Leidenschaft‘“ den durch sein Tagebuch wohl am besten dokumentierten „Henker“ des Alten Reichs, den Nürnberger Scharfrichter Franz Schmidt. Das Tagebuch von Schmidt, der nach seiner Ruhestandversetzung 1618 und der (für einen ehemaligen Scharfrichter erforderlichen) kaiserlichen Restitution seiner Ehre 1624 in Nürnberg ein Haus kaufte und als Arzt arbeitete, verzeichnet 700 Kriminalfälle aus Nürnberg und Bamberg. Solche Hinweise auf Kriminalfälle sind selten, da die Archivalien zu Strafrechtsfällen meist als erledigt galten und als irrelevant vernichtet wurden (anders bei Zivilverfahren, die man wegen möglicher späterer Ansprüche in der Regel länger verwahrte). Deswegen bringt uns Sabine Wüst auch eine jüngst entdeckte verwandte Liste von Hingerichteten aus Regensburg (um 1600) zur Kenntnis. Die Biografie des Scharfrichters Franz Schmidt und eine genaue Bearbeitung seines Tagebuchs sind laut Sabine Wüst ein Forschungsdesiderat. Wie spannend Meister Franz, im Stil der damaligen Einblattdrucke, schreibt, demonstriert sie an einigen Beispielen, die sie durch die parallelen Belege aus den Nürnberger Gerichtsbüchern und durch Zeichnungen in der Chronik des Gastwirts Wolf Neubauer ergänzt.

Der Salzburger Historiker und Jurist Gerhard Ammerer, der schon 2003 das Standardwerk „Heimat Straße. Vaganten im Österreich des Ancien Régime“ publiziert hat, befasst sich in seinem Referat „Obrigkeitliche Maßnahmen und gerichtliche Verfolgung von Vagierenden im Habsburgerreich des 18. Jahrhunderts“ ebenfalls mit der Frage, inwieweit die herumziehenden Bettler als Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und des Eigentums der Untertanen angesehen wurden. Auch Ammerer vertritt wie vorher schon andere auf dieser Tagung die Meinung, dass die Häufung der obrigkeitlichen Maßnahmen nicht unbedingt etwas mit der tatsächlichen Zunahme an Kriminalität und Armut zu tun hatte, sondern dass die obrigkeitlichen Maßnahmen (Bettelordnungen, Fahndungsaufrufe, Diebeslisten, Streifen, Schübe) durchaus auch mit einer gewandelten Sicht der Obrigkeit zu tun hat, die die entsprechenden Betroffenen nicht mehr nur als Sicherheitsrisiko oder als Müßiggänger (Müßiggang als Ursprung aller Laster) ansahen, sondern auch als Produkt ihrer Umwelt „als Folge soziökonomischer Strukturdefizite“. Es seien nicht zuletzt höhere Steuern und Grundabgaben, sowie schlechte Arbeitsmarktbedingungen, die viele Leute ruinierten und zu Bettler*innen und Dieb*innen machten. Solche Argumente würden sich auch in die Urteilsbegründungen der Kriminalgerichte des 18. Jahrhunderts einschleichen. Es sei das Verdienst der aufgeklärten österreichischen Verwaltung unter Kaiser Joseph II., dass nun mehr und mehr auch der Fürsorgegedanke bei der Verbrechensbekämpfung eine Rolle spielte. Fürsorge des Staates im 18. Jahrhundert bedeutete freilich auch mehr oder weniger zwangsweise Erziehung der Untertanen zur „Industrie“, also zum Fleiß, nicht zuletzt mit Hilfe von Zucht- und Arbeitshäusern. Ausgebaut wurden in dieser Zeit auch die Armeninstitute und die Waisenhäuser.

Was in Österreich wie in anderen Territorien des Deutschen Reiches seit dem 16. Jahrhundert gut funktionierte, war die Produktion einschlägiger Gesetze, insbesondere von Bettelpatenten, die im 18. Jahrhundert rasend zunahm. Unter Maria Theresia wurden zwischen 1750 und 1755 allein 15 Patente zur Bettelbekämpfung und zum Armenwesen erlassen. Trauriger Höhepunkt der legislativen Bemühungen war die Aufnahme des „ungestümen“ Bettelns als politisches Verbrechen in das Strafgesetzbuch Joseph II. (1787). Der Flut an Patenten und Gesetzen, die sich mit dem Armen- und Bettelwesen befassen, lässt sich eine entsprechende Behördenorganisation an die Seite stellen. Die rastlose Schaffung von neuen Hofkommissionen, die für die öffentliche Sicherheit und Ordnung und die Armenfürsorge zuständig waren, ist typisch für das 18. Jahrhundert im Erzherzogtum Österreich. Zu den von diesen Kommissionen produzierten Drucksachen gehören vor allem auch Steckbriefe und Diebeslisten (Jaunerlisten). Auch diese sind im Übrigen, das sei hier auch mit Blick auf die anderen Referate angemerkt, keine Erfindung des 17. Jahrhunderts, sondern finden sich schon gedruckt im 16. Jahrhundert, ungedruckt im 15. Jahrhundert. In Österreich nehmen sie seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gewaltig zu und haben vor allem dann einen beträchtlichen Umfang, wenn man Fahndungslisten der benachbarten Territorien mit abdruckt. Bei den Personenbeschreibungen auf den Diebeslisten und Steckbriefen fallen die vielen Hinweise auf körperliche Strafverstümmlungen auf, vor allem durch Brandmarkung oder Verstümmelung der Schwurfinger. Eine der augenfälligsten Maßnahmen der zuständigen Zentralbehörden zur Verbrechensbekämpfung waren in Österreich wie auch in anderen Territorien seit dem 17. Jahrhundert die so genannten Streifen, die von den Unterbehörden regelmäßig oder bei besonderen Anlässen durchgeführt wurden. Die damit bezweckte „Reinigung des Landes vom Gesindel“ scheiterte jedoch in der Regel am Unwillen der lokalen Behörden, die den Aufwand und die Kosten scheuten.

Interessante Hinweise finden sich bei Ammerer zur Abschiebepraxis in Österreich: Bettler*innen und Vagant*innen wurden meistens von Linz aus nach Bayern (Ried im Innviertel) abgeschoben. In Bayern transportierte man dann die Vagant*innen an die Grenzen zum Fränkischen oder Schwäbischen Reichskreis. Interessant wäre auch hier, wo die Abgeschobenen (das gilt auch für die im Strafverfahren Ausgewiesenen) schließlich gelandet sind, wenn sie nicht wieder heimlich zurückkehrten. Erst Ende des 18. Jahrhunderts schien man sich in Österreich von der Sinnlosigkeit der Abschiebung überzeugt zu haben und ging dazu über, nur noch Vagabundierende aus dem Ausland abzuschieben. Damit folgte man einer im Kurfürstentum Bayern bereits nach 1648 üblichen Praxis.

Abschließend befasst sich der Autor noch ausführlich mit den im österreichischen Strafverfahren des 18. Jahrhunderts üblichen Strafen. Warum bei der Landesverweisung nicht die grundlegende Arbeit von Ilse Reiter „Ausgewiesen, abgeschoben. Eine Geschichte des Ausweisungsrechts in Österreich vom ausgehenden 18. bis ins 20. Jahrhundert“ (2000) herangezogen wurde, lässt sich nicht nachvollziehen, zeigt aber, wie bei vielen der Referate, dass man die rein rechtshistorischen Arbeiten offensichtlich kaum berücksichtigt.

Ländliche Feste und Gaststätten als vom Alkohol befeuerte Schauplätze von Straftaten behandelt für die Schweiz Fabian Brändle („Ehre, Messer und ‚der starke Früe‘ – Wirtshäuser und die Kirmes als Orte physischer Gewalt und Kriminalität in der Schweiz, 1500–1840“). Dass das Wirtshaus und der Alkohol auch in Deutschland bei den Delikten des Totschlags, der Körperverletzung und der Beleidigung seit der Frühen Neuzeit eine herausragende Rolle spielten, hat schon der Beitrag von Satu Lidman gezeigt. Brändle betont in seinem für die Sozialgeschichte des Dorfes wichtigen Aufsatz vor allem die Rolle der aggressiven Jugendbanden (Knabenschaften), die vor allem auch in der Nacht tätig waren und die wahre Kriege zwischen Dorf und Dorf ausfochten. Begünstigt wurden die Raufereien durch den religiösen Gegensatz in der Herrschaft Toggenburg des Stifts St. Gallen, aus denen Brändle seine Beispiele bringt. Insgesamt war es nach seiner Meinung im Europa des 18. Jahrhundert nicht ungefährlich ein Wirtshaus zu betreten, besonders Wirtshäuser, die von den Unterschichten frequentiert wurden („Pinten“, Winkelherbergen). Die Obrigkeit (hier die fürstäbtliche Regierung von St. Gallen) hatte ein besonderes Aufmerken auf Leute, die allzu viel in Wirtshäusern verkehrten: Als „liederliche Leute“ waren sie von vorneherein als unzuverlässige Untertanen abgestempelt, die ihre Familien vernachlässigten, ihr Geld in Alkohol umsetzten, im Wirtshaus fluchten und beleidigten. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass im 18. Jahrhundert offensichtlich in der Schweiz und im Alten Reich das Fluchen in den katholischen Gebieten nicht mehr so drakonisch bestraft worden ist wie im 16. und 17. Jahrhundert. Gotteslästerung und Fluchen (mit der Nennung der Dreifaltigkeit oder von Heiligen) galt deswegen als eine besonders verwerfliche und gegen die öffentliche Sicherheit gerichtete Straftat (so im Kurfürstentum Bayern), weil der Fluchende durch seine Beleidigung Gottes dessen Rache provozierte. Damit konnte man sowohl die ‚Plagen‘ der Zeit (Krankheiten, Hunger, „Türkengefahr“) den Untertanen in die Schuhe schieben als auch das Durchgreifen der Obrigkeit durch die neuen Polizeimandate rechtfertigen.

Das Buch bietet eine fast erschöpfende Auflistung und Erörterung der bis heute erschienenen Literatur zur Kriminalitätsforschung. Weniger Berücksichtigung fand die umfangreiche rechtshistorische Literatur, die ja schon seit dem 19. Jahrhundert umfangreiches Material liefert. So neu ist die Beschäftigung mit der Kriminalität nämlich nicht, wie der Tagungsband glauben macht. Dass man sich in der Forschung seit neuestem mit Begeisterung auf die Unzahl der gedruckten Mandate und Polizeiordnungen des 17. und 18. Jahrhunderts stürzt und sie zu Recht wieder ans Tageslicht holt, darf freilich nicht davon ablenken, dass vieles schon im 15. Jahrhundert seinen Anfang hat. Insgesamt macht der Tagungsband deutlich, dass es im Bereich der Kriminalitätsforschung noch viele Forschungslücken gibt und damit lohnende und notwendige Forschungsaufgaben. Der Band gibt dazu die geeigneten Hinweise. Wegen seiner vielfältigen Überblicksdarstellungen gehört der Band zum Besten, was derzeit im Bereich Kriminalitätsgeschichte auf dem Markt ist.