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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Aktuelle Rezensionen


Daniel Hess/Markus Prummer (Hg.)

Helden, Märtyrer, Heilige. Wege ins Paradies. Begleitband zur Ausstellung im Germanischen Nationalmuseum, 11. April 2019 bis 4. Oktober 2020

(Ausstellungskataloge des Germanischen Nationalmuseums), Nürnberg 2019, Verlag des Germanischen Nationalmuseums, 140 Seiten mit zahlreichen Farbabbildungen, ISBN 978-3-946217-18-3
Rezensiert von Walter Pötzl
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 04.09.2020

Den Anstoß zu dieser Ausstellung im Germanischen Nationalmuseum gaben die Planungen zur Neukonzeption der Dauerausstellung zum Spätmittelalter. Die Ausstellung begann am 11. April 2019 und soll bis zum 4. Oktober 2020 gezeigt werden. Das Konzept geht auf Markus Prummer zurück, der durch seine von Wolfgang Augustyn betreute Dissertation über die Ikonografie der Vier letzten Dinge [1] und das Studium der mittelalterlichen Geschichte sowie der Kirchengeschichte geradezu prädestiniert war.

In der Bildwelt und im Alltag des Mittelalters war das Leben Christi und seiner Heiligen allgegenwärtig. Bei der Transferierung von den Kirchen in das Museum sind die Kunstwerke „von Kult- zu Kunstobjekten transformiert worden“. „In Anlehnung an die ‚Heldenreise‘ erschließt die Ausstellung nicht nur das spätmittelalterliche Verständnis vom christlichen Lebensweg neu, sondern wirft auch Fragen nach gegenwärtigen Werten, Vorbildern und Jenseitskonzepten auf.“ (G. Ulrich Großmann)

Die Welt des hier dargestellten späten Mittelalters endete nicht in den Jahren um 1500, sondern dauerte vielfach bis weit ins vorige Jahrhundert hinein an und existiert heute nur noch vereinzelt (wie z. B. im Blasiussegen). Die Frage 183 zum Atlas der deutschen Volkskunde z. B. wollte in den 1930er Jahren wissen, welche Heiligen man um günstige Witterung, um Sonnenschein oder um Regen, gegen Feuer oder um Heilung von Krankheiten bei Pferden oder beim Rindvieh anrief. Das umfangreiche Material fand Eingang in mehrere Karten [2]. Insgesamt bestand ein breites Netz von Patronaten der Heiligen für bestimmte Krankheiten, das meist in der Legende, mitunter auch in den Attributen wurzelte. Der medizinische Fortschritt und das entwickelte Versicherungswesen trugen dazu bei, dass diese Patronate fast verschwanden [3].

Das Konzept der Ausstellung geht neue und ungewöhnliche Wege. Es basiert auf dem Modell der Heldenreise des amerikanischen Mythologen Joseph Cambell, der eine gleichbleibende Struktur in Sagen und Legenden verschiedener Kulturen und Zeiten feststellte – Bibel und Koran inbegriffen (8 ff.). Nach einem Prolog „Die christliche Heilsgeschichte auf einen Blick“, die durch die Rosenkranztafel aus der Werkstatt von Veit Stoß illustriert wird, werden die Kunstwerke in drei Sektionen präsentiert: 1. „Die Heldenreise Christi“ (Markus Prummer); 2. „Märtyrer – Imitatoren Christi“ (Frank Matthias Kammel) und 3. „Heilige – Schutz, Beistand und Vorbild“ (Daniel Hess).

Die Heldenreise Christi ist nach der Vorgeschichte bestimmt durch die Stationen Berufung (Taufe), Bewährung (Versuchung), Gefährdung (Einzug in Jerusalem), Entscheidung (Ölberg), Aufopferung (Kreuzigung), Niederlage (Kreuzabnahme) und Triumph (Auferstehung und Himmelfahrt). Die Stationen zeigen, dass sich nicht das gesamte Leben Jesu in eine Heldenreise einreihen lässt. Zwischen Bewährung und Versuchung fehlt das umfangreiche öffentliche Wirken Jesu. Die Höhepunkte stellen Passion und Kreuzigungstod und die leibliche Auferstehung Christi dar. Die Geburt, von der kein Bild gebracht wird, hat mehr den Charakter einer Vorgeschichte. Markus Prummer argumentiert versiert theologisch. Den Übergang zur zweiten Sektion bildet das Bild aus dem Epitaph für Ursula Haller, das den Schmerzensmann im Kreis von Heiligen zeigt (19).

Die zweite Sektion wird eingeleitet durch ein drastisches Passionsbild der Kreuzaufladung (20). Frank Matthias Kammel stellt dann elf Objekte vor (Stephanus, Laurentius, die Jünglinge im Feuerofen, Johannesschüssel, der Bethlehemitische Kindermord, Sebastian, Veit, Katharina, Columba, Marter der Zehntausend und Ursula) und schließt mit einer vermutlich aus Petershausen stammenden Legendentafel mit 16 Feldern (32). Mit guten Gründen vermutet er, dass die Zusammenstellung der 25 verschiedenen Heiligen auf den Reliquienschatz des Stiftes zurückgeht und dass, nachdem der Legende der hl. Agatha in 6 Feldern gedacht wird, ein Agathaaltar eine wichtige Rolle spielte. Für diese Vermutung gibt es gute Gründe, doch einschlägige Kultzeugnisse wie Dedikationsberichte (mit Reliquienverzeichnissen) und Kalendare finden in der Kunstgeschichte kaum Beachtung [4]. Was über die Heiligen gesagt wird, und das gilt auch für die nächste Sektion, wird quellenmäßig nicht belegt und gilt offensichtlich als allgemeines Lexikonwissen. Dabei befindet sich gerade Nürnberg in einer beneidenswerten Lage, denn hier entstand gegen Ende des 14. Jahrhunderts das in Deutschland am weitesten verbreitete Legendenwerk „Der Heiligen Leben“, das jetzt in einer zweibändigen kritischen Ausgabe vorliegt [5].

Das Modell der Heldenreise wirkt mitunter noch bei den Märtyrern, aber kaum bei den Bekennern. Daniel Hess interpretiert zunächst als Schutzengel-Beispiel die Gruppe von Veit Stoß „Der Erzengel Raphael und der junge Tobias“, um dann mit drei markanten Bildern fortzufahren: Der Votivtafel des Stephan Praun I von 1511 (35), den hll. Marinus und Theklanus, zu denen sich Hilfsbedürftige gewandt haben (s. Stange mit Votivgaben) und noch wenden (36), und einer Schutzmantelmadonna (37). Ihnen sollte sich als aussagekräftiges Bild für kultisches Geschehen das Blutwunder des hl. Bernhardin (40) anschließen. Des Weiteren werden in dieser Sektion vorgestellt: der hl. Georg (41 f.), die hl. Elisabeth (43 f.), der hl. Nikolaus (45; nicht einer der Vierzehn hl. Nothelfer, wenigstens nicht in der bekanntesten, der Frankentaler Reihe), der hl. Christophorus, die Beichte Karls d. Gr. (47) und Jakobus als Pilger (48).

Im Epilog „Am Ende aller Zeiten ‑ der Weg ins Paradies“ (Markus Prummer) vermisst man zunächst einen Holzschnitt zur „Ars moriendi“ (107 ff.). Unter der Überschrift „Vorrat für das Seelenheil“ erscheint die Gregoriusmesse mit der Ablassverheißung (49). Drei Darstellungen des Jüngsten Gerichts (50, Fragment; 51, 52) schließen den Epilog ab, bei dem Prummer aus seiner Dissertation schöpfen konnte.

In Struktur und Gestaltung hebt sich dieser Ausstellungskatalog von den meisten anderen ab. Die Exponate werden in einen größeren Textzusammenhang gestellt, Literatur wird am Ende der Sektionen in Kurzform genannt, ebenso im Verzeichnis der Exponate (127 ff.), zu denen nur die wichtigsten Angaben geliefert werden. Das Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur (131 ff.) ist relativ knappgehalten, sodass man das eine oder andere vermisst, wie z. B. den 2015 von Enno Bünz und Hartmut Kühne herausgegebenen Begleitband „Alltag und Frömmigkeit am Vorabend der Reformation in Mitteldeutschland“ zur Ausstellung „Umsonst ist der Tod“.

Anmerkungen

[1] Siehe auch die Rezension der Dissertation im vorliegenden Jahrbuchband.

[2] Matthias Zender: VII. Volkstümliche Heiligenverehrung. Karten N.F. 9–12 (Fr. 183). In: Ders. (Hg.): Atlas der deutschen Volkskunde, Erläuterungen Bd. 1: zu den Karten N.F. 1‑36. Marburg 1959, S. 153–232.

[3] Am zähesten hielt sich das Patronat des hl. Antonius v. Padua als Wiederbringer verlorener Gegenstände. Vor etwa 30 Jahren z. B. sagte mir eine ältere Dame bei einer Führung in der St. Vitus-Kirche in Steinekirch (Landkreis Augsburg) ein Verslein in Gebetsform auf, das ehedem von Kindern, die vom Bettnässen bedroht waren, aufgesagt wurde. Dieses Patronat erwuchs aus dem Attribut des Heiligen, einem Kessel (im Begleitband Abb. 27), von dem auf den Nachttopf verwiesen wurde.

[4] Walter Pötzl: Die Verehrung der 14 Nothelfer vor 1400. In: Jahrbuch für Volkskunde (Görres-Gesellschaft) 23 (2000), S. 157–186, hier 158–161 (Das breite Spektrum der Kultzeugnisse); Ders.: Die Anfänge und die ersten Jahrhunderte der Verehrung des Hl. Leonhard in Deutschland. In: Manfred Seifert u. Winfried Helm (Hg.): Recht und Religion im Alltagsleben. Perspektiven der Kulturforschung. Festschrift für Walter Hartinger zum 65. Geburtstag. Passau 2005, S. 259–282; Ders.: Nikolaus von Myra: Von Theophanu bis Bari. Die Anfänge der Nikolaus-Verehrung in den deutschen Bistümer. In: Heidrun Alzheimer, Michael Imhof u. Ulrich Wirz (Hg.): Religion, Kultur, Geschichte. Beiträge zur historischen Kulturforschung vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Festschrift für Klaus Guth zum 80. Geburtstag. Petersberg 2015, S. 46–62. Wichtige Quellen für das Bistum Bamberg und damit für Nürnberg sind gut aufgearbeitet: Wilhelm Deinhardt: Dedicationes Bambergenses. Weihenotizen und ‑urkunden aus dem mittelalterlichen Bistum Bamberg. Freiburg im Breisgau 1936; Adolf Lagemann: Der Festkalender des Bistums Bamberg im Mittelalter. Entwicklung und Anwendung. In: Bericht des Historischen Vereins Bamberg 103 (1967), S. 9–264.

[5] Margit Brand u. a. (Hg.): Der Heiligen Leben. Bd. I: Der Sommerteil (Texte und Textgeschichte 44). Tübingen 1996; Dies. u. a. (Hg.): Der Heiligen Leben. Bd. II: Der Winterteil (Texte und Textgeschichte 51). Tübingen 2004.