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Markus Prummer

Quattuor novissima. Die Ikonografie der Vier letzten Dinge

Berlin 2019, Logos, IV, 507 Seiten, ISBN 978-3-8325-4843-8
Rezensiert von Walter Pötzl
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 11.09.2020

Tod, Gericht, Himmel und Hölle werden in der Dogmatik als die Vier letzten Dinge zusammengefasst. Der im Plural verwendete Superlativ „novissima“ der Vulgata (Ecclesiasticus 7,40) ist die Übersetzung des griechischen Wortes „ta eschata“ (Plural, deutsch im Singular: das Ende). Das deutsche Substantiv Dinge wird dem nicht gerecht. Die „Katholische Dogmatik“ (Leo Scheffczyk u. Anton Ziegenaus) gab ihrem achten und letzten Band den Titel „Eschatologie“ (1996).

Der Kunsthistoriker Markus Prummer, der an der Universität Augsburg durch Dorothea und Peter Diemer geprägt wurde, der aber auch in die Kirchengeschichte und die mittelalterliche Geschichte eingestiegen ist und dessen nun vorgelegte Dissertation von Wolfgang Augustyn betreut wurde, legte einen Katalog mit 108 Nummern an, in dem die Objekte ausführlich beschrieben werden (289‑442). Neben den üblichen Angaben enthält er jeweils auch einen Abschnitt über die Forschung zum Objekt und über dessen Ikonografie. Die Bilder muss man aus dem Internet herunterladen. Der Katalog bildet die Materialgrundlage für diese Arbeit. Das älteste Objekt stammt aus einem Pergamentcodex mit kolorierten, um 1031/32 entstandenen Federzeichnungen aus der Benediktiner-Abtei Hyde in Winchester (K 16), das jüngste aus einer 1605 geschaffenen Kupferstichfolge des Augsburgers Alexander Mair (K 80). Die Chronologie beginnt erst mit K 15, da die vorangehenden Nummern dem „Cordiale“ als dem wichtigsten literarischen Dokument gewidmet sind. Sie ist auch nicht, wie die Nr. 80 als jüngstes Zeugnis (unter 108 Nummern) zeigt, streng nach der Folge der Jahreszahlen aufgebaut, sondern berücksichtigt auch andere Merkmale, wie z. B. die Grabkapellen Nrn. 19–21 oder die Stundenbücher Nrn. 51–54, da die Folge nach dem Haupttext der Arbeit geordnet ist. Etwa gleich stark sind Objekte aus Italien, Frankreich und Deutschland vertreten, die im 16. Jahrhundert durch die Kupferstiche aus Antwerpen eingeholt werden. Werke aus England und Dänemark sind deutlich weniger. Fresken und Wandgemälde, vor allem auf Friedhöfen (wie dem Camposanto Trionfo della Morte in Pisa, Nr. 20, oder dem Trionfo della Morte in Santa Croce in Florenz, Nr. 30) oder in Grabkapellen (wie in Bozen bei der Dominikanerkirche, Nr. 28) übertreffen zahlenmäßig die Tafelbilder. Unter den Werken der Buchmalerei befinden sich das bedeutende Stundenbuch der Katharina von Kleve (Nr. 52) oder das Bedford-Stundenbuch (Nr. 54). Zahlreich sind die Holzschnitte, meist in Inkunabeln, und dann die Kupferstiche. Ausnahmecharakter haben das Gunhildenkreuz aus Walrosszahn (Nr. 15) und ein Buntglasfenster in der Kathedrale von Bourges (Nr. 22). Hildegard von Bingen (Nr. 27) findet sich als Autorin unter anderen Autoren mit berühmten Namen wie Jan van Eyck (Nr. 40), Lucas Cranach d. Ä. (Nr. 58), Hieronymus Bosch (Nr. 66), Petrus Canisius (Nr. 91), Jörg Breu d. J. (Nr. 95) und Crispin van den Broeck (Nrn. 101–105).

Der Erbauungstraktat „Cordiale de quatuor novissimis“, den Gerhard van Vliederhoven gegen Ende des 14. Jahrhunderts verfasste, entspricht der Geistigkeit und Spiritualität der Devotio moderna. Die vier Kapitel der Novissima über Tod, Gericht, Hölle und Himmel sollen die Leser anhalten, zukünftig Sünden zu vermeiden. Im 15. und frühen 16. Jahrhundert wurde der Traktat in viele Volkssprachen übersetzt und gedruckt und mitunter auch mit Holzschnitten versehen. Marieluise Dusch (De veer Utersten, 1975) verwies auf 222 lateinische und volkssprachliche Handschriften und für den Zeitraum von 1471 bis 1500 auf 73 Drucke, von denen 17 mit Holzschnitten ausgestattet sind (16). Eine Übernahme der Ergebnisse, aus denen die regionale Verbreitung, z. B. für Süddeutschland aufscheint, wäre hier angebracht gewesen. Aus der Verbreitung eines Werkes geht in der Regel hervor, welche Bedeutung man ihm wo zugemessen hat. Markus Prummer führt im Katalog neben der lateinischen Fassung, eine mitteldeutsche aus Köln, drei niederländische, eine französische, eine englische, drei spanische und eine katalanische und eine deutsche an (K 1–12). Anton Sorg in Augsburg brachte 1480/81 das „Buechlin von dem Sterbenden Menschen“, eine freie deutsche Übersetzung, heraus (4°, 96 Bl., 23cm x 13cm, Gesamtkatalog der Wiegendrucke [GW] M25595, K 11), die bisher in der Forschung noch nicht behandelt worden war. Der erste Holzschnitt leitet mit der Sterbestunde ein: Ein Mönch reicht die Sterbekerze, ein Engel fliegt in den Raum, um die nackte Seele in Kindergestalt in Empfang zu nehmen [1]. In der Todesdarstellung stehen die benannten Figuren von Absolon, Sampson, Salomon und Alexander d. Gr. an der Längsseite eines offenen Sarges. Im Jüngsten Gericht scheidet Christus mit der erhobenen Rechten und der nach unten weisenden Linken die Auferstandenen, die unten in zwei Erdschächten stehen. Lilie und Schwert umgeben Christi Haupt. Johannes Ev. (l) und Petrus (r) flankieren den Weltenrichter. Unten geleitet Petrus die unbekleideten Seelen in das durch Wellenlinien angedeutete Paradies, während ein bocksbeiniger Teufel die nackten Verdammten mit einem Stock in das lodernde Feuer des Höllenrachens treibt. In der Hölle quälen Teufel die Verdammten mit verschiedenen Methoden. Im Himmel hat sich die gekrönte betende Maria zur Dreifaltigkeit gesellt. Damit sind die quattuor novissima markiert.

Das Kapitel über das „Cordiale“ wirkt thematisch wie eine eigentliche Einleitung. Im zweiten Kapitel werden die zentralen theologischen und lehramtlichen Schriftquellen vorgestellt (29–67), wobei der Kreis thematisch durch einen Abschnitt über das Fegefeuer erweitert wird, in den Prummer auch die Kritik Arnold Angenendts an Jacques le Goff einbringt (62 ff.). Es ist ein großer Pluspunkt dieser Arbeit, dass die Objekte, mit denen sich der Kunsthistoriker befasst, von der Theologie her erläutert werden. Stilistische Betrachtungsweisen allein könnten ihnen hier nicht gerecht werden.

Bevor sich der Autor mit der Ikonografie des Todes in der mittelalterlichen Kunst befasst (79–100), an die er auch die Legende von den drei Lebenden und den drei Toten anreiht, geht er auf die jüdische und christliche Apokalyptik und die mittelalterlichen Jenseitsreisen ein (68–78). Das Kapitel über die Ikonografie des Partikulargerichts, d. h. des Gerichts über den Einzelnen im Vergleich zum Universalgericht, nimmt auch die Lazarusparabel auf (112 f.) [2]. Von Gewicht ist die alte, im 15. Jahrhundert häufige Dormitio Mariae. Auf den älteren Bildern nimmt Christus Marias Seele in Gestalt eines kleinen Kindes in Empfang (noch 1398 am Nordportal des Eichstätter Domes). Gegen Ende des 15. Jahrhunderts bereichert sich die Szene mit Elementen der Sterbeliturgie, mit Kerze, Vorlesebüchern, Weihwasser und Weihrauch [3]. Klaus Schreiner sieht den Marientod „als Anweisung zu richtigem Sterben“ und setzt ihn darum parallel zu den Artes moriendi [4]. Im Verlaufe der frühen Barockzeit verliert der Marientod zugunsten der Himmelfahrt Mariaes (dogmatisch richtig: Aufnahme) an Bedeutung, die der triumphalen Inszenierung wegen mehr der Epoche entsprach. Als neues Sterbe-Trostbild entsteht der Tod des hl. Joseph, an dessen Seite Christus steht.

Das Fegefeuer gehört ursprünglich nicht zu den quattuor novissima. Die Vorstellung von einem Purgatorium hatte sich zur Zeit der Abfassung des „Cordiales“ noch nicht hinreichend gefestigt. Innovationsprozesse konnten im Mittelalter sehr lange dauern. Der Autor der bei Anton Sorg 1480/81 erschienenen Ausgabe geht nur in der Vorrede kurz darauf ein (201). Die Illustration einer zu Beginn des 13. Jahrhunderts entstandenen Bible moralisée zeigt in einem getrennten Medaillon Hölle und Fegefeuer. Die Seelen in den drei Etagen des Fegefeuerturms stehen unterschiedlich hoch im Wasser: in der tiefsten Etage steht ihnen das Wasser bis zum Hals, in der mittleren bis zur Achsel, in der obersten bis zum Nabel. Die Skala steigert sich von der Pein bis zur Hoffnung (K 17). Das berühmte Stundenbuch der Katharina von Kleve (K 52) bringt zwei Fegefeuer-Darstellungen. Der Fegefeuerrachen unterscheidet sich kaum vom Höllenrachen. Im ersten Bild knien drei arme Seelen in den Flammen an einem niedrigen Tisch, ein Engel bringt Brotlaibe, ein deutlicher Unterschied zur Hölle. Im zweiten Bild geleitet ein Engel eine von fünf Seelen aus dem aufgerissenen Fegefeuerschlund in einen paradiesisch anmutenden Garten.

Am häufigsten von den quattuor novissima wird das Weltgericht dargestellt. Eine späte Zusammenführung aller vier Elemente bietet Hieronymus Bosch in den Eckmedaillons der sogenannten Todsündentafel (K 66). Das Sterbelager ist eine Erweiterung der entsprechenden Bilder in der Ars moriendi. Den Weltenrichter begleitet die Deësis. Die Qualen der Hölle sind den sieben Todsünden zugeordnet [5]. Michael geleitet die Seligen zum Himmel (Paradies), an dessen Pforte sie Petrus willkommen heißt. Vor leuchtendem Goldhintergrund erwartet sie Christus.

Die umfangreiche Arbeit, in die viel hineingepackt wurde und zu der auch die beiden Bildreihen im Internet gehören, lässt sich dadurch etwas leichter überblicken, dass mehrere Überblicke bzw. Zusammenfassungen eingefügt wurden und dass sie mit Schlussbetrachtungen endet.

Anmerkungen

[1] Johann Schobser nahm den Holzschnitt 1490 auch in den Band „Versechung leib sele, ere vnd guot“ (GW M50190) , ein medizinisches und pastorales Kompendium zur Versorgung Sterbender, auf, dessen Erstausgabe im Jahr zuvor bei Peter Wagner in Nürnberg erschienen war. S. Günter Hägele u. Melanie Thierbach (Hg.): Augsburg macht Druck. Die Anfänge des Buchdrucks in einer Metropole des 15. Jahrhunderts. Augsburg 2017, Nr. 36.

[2] Dazu Dietz-Rüdiger Moser u. Stephanie Tegeler: Der arme Lazarus. In: Rolf Wilhelm Brednich u. a. (Hg.): Enzyklopädie des Märchens, Bd. 8. Berlin 1996, Sp. 807–809.

[3] Vgl. Leopold Kretzenbacher: Sterbekerze und Palmzweig-Ritual beim „Marientod“. Zum Apokryphen in Wort und Bild bei der koimësis, dormitio, assumptio der Gottesmutter zwischen Byzanz und dem mittelalterlichen Westen. Wien 1999.

[4] Klaus Schreiner: Maria. Jungfrau, Mutter, Herrscherin. München 1994, S. 465–490, besonders 474 ff. Dort eine Abbildung einer Alabasterskulptur des 15. Jahrhunderts im Louvre, auf der Maria zugunsten des Gestorbenen auf die Seelenwaage drückt.

[5] Markus Prummer: Die sieben Todsünden in der Kunst: Genese bis in die Moderne. Ein ikonografischer Überblick über die sieben Todsünden. In: Melanie Thierbach (Hg.): Die sieben Todsünden. Petersberg 2016, S. 32–61.