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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Fabian Pius Huber

„Mut zu prächtigen Dingen“. Die Theatinerkirche in München

Lindenberg/Allgäu 2019, Josef Fink Verlag, 440 Seiten, 268 Abbildungen
Rezensiert von Rainald Becker
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 07.10.2020

Wenn von Münchens italienischem Charme die Rede ist, dann trifft dieses Attribut wohl am ehesten auf die Theatinerkirche am Odeonsplatz zu. Zusammen mit der Frauenkirche, dem Alten Peter, der Jesuiten- und Ludwigskirche bestimmt sie die Skyline der bayerischen Landeshauptstadt. Gerade in St. Adelheid und Kajetan – so lautet das Patrozinium der Theaterkirche – gibt sich München als Vorort von monumentaler katholischer Sakralarchitektur zu erkennen. Von bezwingender Eleganz, zeigt der Bau die ganze Prachtentfaltung des tridentinischen Barockkatholizismus. Dabei wird eine Qualität sichtbar, wie sie in Deutschland sonst nur selten anzutreffen ist. Die Hof- und Votivkirche, eine Stiftung der aus Turin stammenden Kurfürstin Henriette Adelaide von Savoyen (1636-1676) und ihres Ehemanns Ferdinand Maria von Bayern (1636-1679), symbolisiert das entschiedene Bekenntnis der Wittelsbacher zum katholischen Glauben – neben der Jesuitenkirche St. Michael. Da der Sakralbau bis zur Säkularisation von 1803 auch den aus Italien kommenden Theatinern, einer Gemeinschaft von Regularkanonikern, auch als Klosterkirche diente, repräsentiert er zudem die engen Verbindungen Bayerns mit der Apenninenhalbinsel. Als Dynastengrablege verkörperte er darüber hinaus den Anspruch der Wittelsbacher, in Europas katholischer Société des Princes eine hervorgehobene Rolle zu spielen – gewissermaßen auf Augenhöhe mit den Habsburgern, Bourbonen oder Piemontesen. Nach eigenem Bekunden von Ferdinand Maria sollte sich in dem Monument jener „Mut zu prächtigen Dingen“ (S. 16) manifestieren, mit dem das kurfürstliche Paar seine Dankbarkeit für den zunächst ausgebliebenen, dann um so reicheren Nachwuchs und seine Treue zur römischen Kirche vor aller Welt zu bezeugen gedachte.

Fabian Pius Huber gelingt es mit seiner bei Hans W. Hubert und Peter Stephan in Freiburg verfassten Dissertation, diese vielfältigen Aspekte in einer breit angelegten Monographie systematisch zu bündeln. Damit ist das wichtige Thema erstmals methodisch durchgreifend abgehandelt – weit über den bisherigen Forschungsstand hinaus, wie ihn etwa Roswitha von Bary 1987 in ihrer Biographie zu Henriette Adelaide skizziert hatte. Denn so bedeutsam die Theatinerkirche für Bayerns Geschichte und Münchens Stadtbild auch sein mag; eine moderne, zugleich mit allen klassischen Mitteln der kunst- und kulturgeschichtlichen Analyse arbeitende Gesamtdarstellung hat sie noch nicht gefunden. Daher besteht der spezifische Wert der Studie bereits darin, dieses grundsätzliche Manko beseitigt zu haben. Dabei stützt sich die Untersuchung auf ein sorgfältig erschlossenes Quellenfundament. Zu den benutzten Beständen zählen vor allem Dokumente aus dem Bayerischen Hauptstaatsarchiv, hier einerseits aus behördlicher Überlieferung Korrespondenzen, Baupläne, Hofkammerakten und Rechnungen, andererseits die Klosterdiarien der mit dem Kirchenbau von Anfang an befassten Theatinermönche, darunter die besonders ergiebigen Notizen von Antonio Spinelli (1630-1706), Henriette Adelaides langjährigem Beichtvater und Berater. Verwendung finden aber auch Quellen italienischer Provenienz, in erster Linie biographisches Material zu dem ersten Architekten der Kirche, Agostino Barelli (1627-1697) aus Bologna, ferner Überlieferung aus dem Generalatsarchiv der Theatiner in Rom. Im Zugriff auf dieses denkbar breite Quellenpanorama ergeben sich markante Korrekturen gegenüber dem bisherigen Kenntnisstand. Sie betreffen die Chronologie der von 1662 bis 1768/70 reichenden Baugeschichte, aber auch die Frage nach dem Einfluss, den einzelne Baumeister auf die architektonische Genese nahmen.

Um zwei besonders relevante Ergebnisse herauszugreifen: So erscheint Barelli und dessen an zeitgenössischen Bologneser Beispielen geschulter Stil von überragender Bedeutung gewesen zu sein – neben der vom Kurfürsten persönlich als Vorbild ins Spiel gebrachten römischen Theatinerkirche Sant’Andrea della Valle. Demgegenüber ist die Rolle der späteren Baumeister zu relativieren, vor allem jene des Münchner Hofarchitekten Enrico Zuccalli (1642-1724) und selbst jene von François Cuvilliès d. Ä. (1695-1768). Bei der Vollendung der Kirchenfassade im späten 18. Jahrhundert hielt sich Cuvilliès offenbar streng an Barellis Entwürfe aus dem 17. Jahrhundert, wenn auch mit einigen Konzessionen an den berühmten goût classique der Franzosen. Insgesamt vertritt die Theatinerkirche den Typus der „überkuppelten Saalkirche mit Abseiten auf kreuzförmigen Grundriss“ (S. 376). Sie ist keinesfalls als Wandpfeilerkirche anzusprechen. Im Unterschied zu diesem sonst in Süddeutschland vorherrschenden, aus Konstruktionsprinzipien der Spätgotik abgeleiteten Typus wurden hier Tendenzen wirksam, die für die Sakralkunst der Theatiner und der mit ihnen verwandten Regularkanonikerorden, etwa der Barnabiten, prägend sind. Dazu gehört insbesondere die Ausrichtung des Kirchenschiffs auf den zentral hervorgehobenen Sakramentsaltar im Vorderfeld des Hochchors, hinter dem erst der Kanonikerchor mit seinem Kirchengestühl zu liegen kommt. Der Plan verwirklichte somit Ideen, wie sie vor allem der Mailänder Erzbischof Carlo Borromeo (1538-1584) für den Kirchenbau in der Lombardei propagiert hatte.

Daher kann die heute gefundene Lösung der Altarzone mit Volksaltar und dahinter fast verstecktem Tabernakel – sie ist ein Ergebnis der Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg und historisch uninformierter liturgischer Reformversuche im Vorfeld des Zweiten Vatikanums – kaum überzeugen. Ursprünglich erhob sich hier ein freistehender Tempiettoaltar, räumlich von dem Hochaltarretabel und dem darunter liegenden Psallierchor der Regularkanoniker abgesetzt. Vom Psallierchor war der Altar durch eine Art Lettner mit Durchgängen und flankierenden Evangelistenstatuen in Lebensgröße abgetrennt. Wie Huber luzide nachweisen kann, handelte es sich dabei um die originale Altaranordnung aus dem späten 17. Jahrhundert (S. 300ff.). Nach der 2017 abgeschlossenen Kirchenrestaurierung präsentiert sich dieses Arrangement teilweise wieder im Urzustand. Unbedingt zu wünschen wäre, dass der zerstörte Tabernakelaltar in seiner überlieferten, zuletzt 1930 wiederhergestellten und durch Fotografien gut dokumentierten Form zurückkehren würde.

Hubers Monographie erweitert in beachtlicher Weise unser bisheriges Bild von der Münchner Sakrallandschaft im Barock – am paradigmatischen Fall der manchmal zur sehr im Schatten der Jesuiten stehenden Theatiner und ihrer Klosterkirche. Der Autor tut dies nicht nur in höchst instruktiver wissenschaftlicher Dokumentation und Argumentation. Mit der Forschungserkenntnis verbindet sich darüber hinaus ein ästhetisches Bildervergnügen der besonderen Art. Der durchgängig farbig illustrierte Band bietet spektakuläre Architekturfotografie. Insbesondere besticht er mit Innenansichten, die der normale Betrachter aus der Ferne seiner Kirchenbank kaum jemals erhaschen könnte. Der Reichtum der weißen, nach Comasker Manier gefertigten Stuckaturen – mit ihrer Fülle an figurativen und vegetabilen Elementen – lässt sich im Buch aus nächster Nähe meditativ erfassen. Mit ihrer äußerst repräsentativen, geradezu bibliophilen Aufmachung versteht sich die Monographie ihrem Gegenstand – der Theatinerkirche als Ort von repraesentatio Maiestatis und repraesentatio Dei – kongenial anzunähern.