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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Aktuelle Rezensionen


Philip Steiner

Die Landstände in Steiermark, Kärnten und Krain und die josephinischen Reformen. Bedrohungskommunikation angesichts konkurrierender Ordnungsvorstellungen (1789-1792)

Münster 2017, Aschendorff, 608 Seiten
Rezensiert von Gabriele Greindl
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 14.10.2020

Mit seiner kenntnisreichen, ausführlichen und kompetenten Dissertation von 2015 zur Frage der Kommunikation zwischen verschiedenen Ebenen von Herrschaftsträgern in Umbruchszeiten, hier konkret am Ende des Alten Reiches, als die Akteure des politischen Geschehens in ihrer bisherigen Sicherheit ins Schwanken gerieten, widmet sich Philip Steiner in seiner an der Tübinger Universität im Sonderforschungsbereich „Bedrohte Ordnungen“ geförderten Studie dem Umfeld der vielfältigen Reformen Kaiser Josephs II. (1741-1790).  Im Teilprojekt „Josephinismus, katholische Kirche und landständischer Adel. Bedrohungskonstellationen in Innerösterreich“ entstand 2014 auch die mehrfach ausgezeichnete Habilitation von Márta Fata, die sich mit dem ungarischen Teil der Monarchie in dieser Zeitspanne befasst. 

Das Interesse, das die Geschichte der Landstände derzeit wieder erweckt, ist verbunden mit einem tiefen Interesse an den Akteuren der landständisch-herrschaftlichen Kommunikation, die in dieser dualen Herrschaftsstruktur miteinander verhandelten. Personen unterschiedlichster Herkunft, vom Bauern bis zum Kronrat, konnten über die verschiedenen landständischen Gremien, auch über die Organe der landesherrlichen Zentralen, ob in Wien oder Klagenfurt, Graz oder Laibach, zusammen die notwendigen Änderungen der staatlich-herrschaftlichen Strukturen am Ende des Alten Reiches, in Zeiten „fragiler Ordnung“, wie Steiner es nennt, zunächst benennen, dann Lösungen suchen und ausarbeiten. Wie Philip Steiner zeigen kann, verschoben sich dabei in der letzten Phase des „Aufgeklärten Absolutismus“ die politischen Gewichte wieder zugunsten der Stände in den innerösterreichischen Kernlanden, deren Autonomie unter Maria Theresia ((1717-1780) und auch zunächst ihrem Sohn Joseph II. stark beschnitten worden war. Dass die Stände der Steiermark, von Kärnten und Krain, es zu Wege brachten, dass die im April 1785 erlassene „Steuer- und Urbarialregulierung“ (Steiner, Abschnitt III, S. 155-249) wieder zurückgenommen wurde (1790), zeigt die Verschiebung der Gewichte deutlich. Freilich war dies nicht nur dem Verhandlungsgeschick der Stände und ihrer Vertreter geschuldet oder der Toleranz der Wiener Akteure, sondern auch dem Regierungswechsel, vor allem dem neuen Kaiser Leopold II. (1747/ Ks. 1790-1792). Dieser hatte als Großherzog der Toskana, der habsburgischen Sekundogenitur, dort einen Musterstaat der Aufklärung geschaffen, hatte „im Gegensatz zu seinem Vorgänger [auf dem Kaiserthron] durchaus über ein Gespür für die ständischen Traditionen, Gepflogenheiten und Kommunikationspraktiken verfügt“ (S. 249). Als Joseph II. im Februar 1790 verstarb und die Wahl des Erzherzogs Leopold von Habsburg-Lothringen in die Wege geleitet wurde, schloss dieser noch im Juli 1790 zunächst mit der „Reichenbacher Konvention“ einen Ausgleich mit Preußen, was ihm die Wahl zum Kaiser überhaupt ermöglichte. Das Motto auf seiner im Oktober 1790 geprägten Krönungsmünze „pietate et concordia“ benennt sein Bemühen um Ausgleich im Rahmen der alten Ordnung. Ganz in diesem Sinne eines Ausgleichs erfolgte schon vor der Kaiserkrönung die vorsichtige Rücknahme aller allzu vehementen Neuerungen seines Vorgängers.

Schon im März 1790, ein halbes Jahr vor der Kaiserwahl, hatten die Krainer Stände den designierten Kaiser gebeten, „dem Ungeheuer … den Kopf zu zertreten“ (S. 222-228), sprich die Steuer- und Urbarialgesetze zurückzunehmen. Leopold setzte relativ bald, am 22. März, das innerösterreichische Gubernium darüber in Kenntnis, „dass die Steuerregulierungshofkommission aufgehoben werde und das Steuergeschäft nun zukünftig den Länderstellen selbst übertragen werden sollte“ (S. 229). Damit war ein Kernanliegen der Stände erfüllt worden; gemäß der jahrhundertealten Tradition lag die Steuererhebung nun wieder in den Händen der Landstände.

Leopold hatte zudem mit der symbolträchtigen Rückgabe des steirischen Herzogshutes, den Joseph II. nach Wien hatte bringen lassen, eine stabilere Bindung zwischen der Zentrale und den Ländern Innerösterreichs geschaffen. „Siegend über Neid und Tücke“ (S. 251-254) hielten die steirischen Deputierten mit dem Herzogshut im Mai 1790 ihren Wiedereinzug im Grazer Landständegebäude. Nun allerdings kam die Bedrohung der Stände von anderer Seite – aus der Feder des Hofkommissärs Kajetan von Auersperg, dessen Konzept zur Entlastung der innerösterreichischen Bauern letztlich zu so schweren Unruhen führte, dass er von „todtschlagen und abbrennen“ (Kap. V, S. 277-332) sprach. Die Entlastung der Bauern beschnitt Rechte und Einnahmen der adeligen und kirchlichen Grundherren und erst die Hofverordnung vom 17. Dezember 1790 konnte „ein Einverständniß mit beidseitiger Zufriedenheit zu Stande bringen“ (S. 327). All dies zeigt die Fragilität der Situation, die allgemeine Unsicherheit in dieser letzten Phase des Reiches. Philip Steiners großes Verdienst ist es zweifellos, mit seiner Studie diese Reformversuche der verschiedenen Seiten, der übergeordneten Behörden, der Bauern, auch der oft noch halb-autonomen, mächtigen Adeligen in ihren Herrschaften – etwas, was es in Bayern seit der Mitte des 16. Jahrhunderts nicht mehr gab – sorgfältig aufgeschlüsselt zu haben. Der Autor lässt die Akteure nicht nur in einer Vielzahl von Quellenzitaten selbst zu Wort kommen, sondern er zeigt die vielfältigen, schwierigen persönlichen und strukturellen Verflechtungen. Zusätzlich gibt er seinen Lesern mit einem über 3300 umfassenden Fußnotenapparat noch jede Menge zusätzlicher Hintergrundinformation; eine wunderbare Option zum Weiterarbeiten, für grundlegende Studien zu den einzelnen Personen des Geschehens. Wie auch in der Arbeit von Dieter Wunder von 2016 zu den hessischen Ständen des 18. Jahrhunderts, zeigt sich auch hier ein fulminanter Detailreichtum, der – zusammen mit den älteren prosopographischen Studien – eine Fülle an Einzelwissen bietet, das in einer Datenbank bestens zusammengefasst werden könnte.

Gerade in Zeiten, die von einem Bedrohungsgefühl geprägt sind, in Zeiten einer daher notwendigen „Bedrohungskommunikation“, hing [und hängt] sehr viel vom Geschick der Handelnden ab; Philip Steiner liefert für seinen Zeitraum hierzu fundierte Quellenstudien und eine sorgfältige Interpretation des politischen Arbeitens, die das Agieren in solch „fragilen Ordnungen“ erfahrbar machen. Die dringende Notwendigkeit von Reformen in den habsburgischen Territorien war seit Mitte des Jahrhunderts unübersehbar, auch schon Maria Theresia hatte nach dem Frieden von Aachen 1748 grundlegende Änderungen in Angriff genommen. Gleichwohl hatte sich ein halbes Jahrhundert später die Situation deutlich geändert, geprägt von der Aufklärung, neuen naturwissenschaftlichen Methoden, und zudem im Schatten der in Frankreich immer virulenter werdenden Bauernunruhen, dann noch der Loslösung der 13 britischen Kolonien in Nordamerika, war die alte Ordnung, die alte Welt, zutiefst erschüttert.

Die sieben Großkapitel, in die Philip Steiner seine Studie einteilt, beginnen mit „Methodik und Josephinismus“ (S. 39-58), in dem der Autor grundlegende Überlegungen zum Begriff Josephinismus vorbringt, sodann leitet er über zu einem Abschnitt mit dem Thema „Der Österreichische Erbfolgekrieg und die josephinischen Reformen unter Maria Theresia und Joseph II. (1740-1789)“, also die Militärreform nach dem Siebenjährigen Krieg, die Justizreformen der Kaiserin, aber auch die Pläne und das Wirken des Kaisersohns zu Lebzeiten seiner Mutter. Wie im ganzen Buch lässt auch hier die Ausführlichkeit der Fußnoten noch tiefer in die Materie eintauchen (S. 59-153). Im dritten Kapitel, übertitelt „Die Josephinische Steuer- und Urbarialregulierung und die Bedrohungskommunikation der innerösterreichischen Landstände (1789-1790)“ (S. 155-249), zeigt Steiner mit großer Akribie die Argumentationsketten und Auseinandersetzungen innerhalb dieses dualen Herrschaftssytems auf. Eine ungeheure Fülle von Details, immer rückgebunden in den größeren Zusammenhang, lässt diese Kommunikation deutlich werden – und die in ihrem Zusammenhang erläuterten Einzeldokumente zur Gubernialregierung, zur Steuerregulierung, zu den Eigentums- und Rechtsverhältnissen zeigen das schwere politische Ringen deutlich. Das vierte Kapitel beschäftigt sich mit einer ständischen Erfolgsgeschichte, der Rückführung des alten steirischen Herzoghutes nach Graz 1790 (S. 251-276), ein Kapitel, das einen tiefen Einblick in die zeremoniellen Abläufe der Landstände bringt. Der nächste Abschnitt, Kapitel V., trägt die programmatische Überschrift „Todtschlagen und Abbrennen: Die innerösterreichischen Bauernunruhen nach der Abschaffung der josephinischen Steuer- und Urbarialregulierung 1790) (S. 277-331) und macht die Gleichzeitigkeit der Ereignisse deutlich – 1790 wird der alte Herzogshut triumphal nach Graz gebracht, im gleichen Jahr rebellieren die grundherrschaftlichen Untertanen besonders in Krain, aber auch in der Steiermark. Von einer militärischen Intervention wie in Niederösterreich wurde in Innerösterreich abgesehen – die starke Position der Landstände ließ dies nicht angeraten scheinen.

Nach dem Ableben Kaiser Josephs II. entspannte sich die Lage, Leopold II., dessen „oberste Maxime [es war], sich so schnell wie möglich von der umstrittenen Politik seines Bruders zu distanzieren“ (S. 333), leitete eine grundlegende Verfassungsdiskussion ein. Umfangreiche Gutachten, Erläuterungen und Delegationen gingen zwischen Wien und den Kernländern hin und her. Man bemühte sich dringend um einen Ausgleich – hatte doch die Französische Revolution schon längst Funken geschlagen. So kann Steiner das letzte Kapitel überschreiben: „Die Bedrohungskommunikation um die Restauration der alten ständischen Verfassungen in Steiermark, Kärnten und Krain (1790-1792)“ (S. 333-514), bevor er diese absolut lesenswerte Studie mit einer langen, ausführlichen Erläuterung seines „Forschungsergebnis[ses]“ (S. 515-568) abschließt.

Ein ausführliches Quellenverzeichnis und eine umfangreiche Bibliographie runden diesen Band in bester Weise ab; diese sollen aber, wegen der Fülle der Titel, nicht den genauen Blick in die ausführlichen Fußnoten ersetzen.