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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Aktuelle Rezensionen

Tiroler Burgenbuch, Bd. 11: Nordtiroler Unterland

Gegründet von Oswald Trapp, fortgeführt von Magdalena Hörmann-Weingartner, hg. von Julia Hörmann-Thurn und Taxis unter Mitarbeit von Désirée Mangard, Bozen 2019, Athesia, 352 Seiten mit Abbildungen
Rezensiert von Enno Bünz
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 14.10.2020

Mit dem Erscheinen des elften Bandes des Tiroler Burgenbuches ist die Bearbeitung einer der reichsten und interessantesten Burgenlandschaften Europas erfolgreich abgeschlossen. Als Oswald Graf Trapp (1899-1988), der bis 1959 als Tiroler Landeskonservator wirkte, 1972 den ersten Band über den Vinschgau (2. Aufl. 1976) vorlegte, konnte niemand absehen, dass sich dieses Vorhaben über fast ein halbes Jahrhundert hinziehen und auf elf Bände anwachsen würde. Oswald Trapp bearbeitete selbst noch das Burggrafenamt (Band 2, 1973, 2. Aufl. 1976), das Wipptal (Band 3, 1974), das Eisacktal (Band 4, 1977), das Sarntal (Band 5, 1981), das mittlere Inntal (Band 6, 1982) und das Oberinntal mit Außerfern (Band 7, 1986), stützte sich dabei aber zunehmend auf Mitautoren, die ab dem sechsten Band in größerer Zahl in Erscheinung traten, unter ihnen Martin Bitschnau, der das Vorhaben bis zuletzt begleitet hat. Eine wichtige Stütze war für Graf Trapp die Tiroler Kunsthistorikerin Magdalena Hörmann-Weingartner (1935-2015), die mit Band 8 (Raum Bozen, 1989) die Verantwortung für das Buchprojekt übernahm und nach längerer Unterbrechung auch die Bände 9 (Pustertal, 2003) sowie 10 (Überetsch und Südtiroler Unterland, 2011) in Zusammenarbeit mit zahlreichen ausgewiesenen Fachleuten herausbringen konnte. Auch mit den Arbeiten an dem nun vorliegenden Band 11 hatte sie begonnen, der nun unter der Herausgeberschaft ihrer Tochter, der Historikerin Julia Hörmann-Thurn und Taxis, erschienen ist. Dass sich im Laufe einer so langwierigen Entstehungsgeschichte das Gesamtwerk in mancher Hinsicht gewandelt hat, steht außer Frage. Ich habe mich dazu in einer längeren Besprechungsmiszelle anlässlich des Erscheinens des neunten Bandes ausführlich geäußert (Burgenforschung als Aufgabe der Landesgeschichte, in: ZBLG 67, 2004, S. 35-45). Den zehnten Band habe ich in der ZBLG 78 (2015) S. 813 f. gewürdigt (dort hatte ich allerdings versehentlich behauptet, dass in dem abschließenden Band 11 neben dem Nordtiroler Unterland auch noch Osttirol zu behandeln wäre, doch sind die dortigen Burgen tatsächlich schon in Band 9 über das Pustertal erfasst worden). Ungeachtet mancher Qualitätsunterschiede zwischen den Bänden, die auch dem Umstand geschuldet sind, dass sich das Tiroler Burgenbuch nicht nur an den Fachmann mit seinen spezifischen Interessen, sondern auch an ein geschichtsinteressiertes und burgenbegeistertes Publikum richtet, ist festzuhalten, dass insgesamt eine umfassende Beschreibung des Burgenbestandes in Nord-, Ost- und Südtirol vorliegt. Die Einzelbeschreibungen der Objekte bieten nicht nur Zusammenstellungen alter Ansichten, Karten und Pläne, sondern umfangreiche Bilddokumentationen des erhaltenen Baubestandes, vor allem aber ausführliche Beschreibungen der Burgen aus historischer, kunsthistorischer und baugeschichtlicher Sicht. Die Untergliederung der Burgenartikel in Geschichte, Lage und Name sowie in Beschreibung bzw. Baugeschichte hat sich bewährt. Dieser multiperspektivische Zugriff auf die Burgen, der sich auch an den insgesamt 23 Autoren des vorliegenden Werkes ablesen lässt, zieht sich, wenn auch in unterschiedlicher Tiefenschärfe, durch sämtliche Bände des Gesamtwerkes. Archäologische Grabungen, Bauforschung und Archivrecherchen werden auch in Zukunft neue Erkenntnisse liefern, aber das vorliegende Burgenbuch wird dafür immer den Ausgangspunkt bilden. Dafür bietet auch der umfangreiche Anmerkungsapparat der Burgenartikel eine unverzichtbare Grundlage.

Der Abschlussband des Tiroler Burgenbuches ist aus der Sicht der bayerischen Landesgeschichte von besonderem Interesse, weil ein Großteil des Nordtiroler Unterlandes bis 1504 zum Herzogtum Bayern gehörte. Erst in Folge des Landshuter Erbfolgekrieges kamen die bayerischen Gerichte Rattenberg, Kufstein und Kitzbühel an das habsburgische Tirol. Im Gegensatz zu Kufstein und Rattenberg hat übrigens in Kitzbühel offenbar nie eine Burg bestanden, die als Amtssitz diente (S. 21 f.). Daneben spielte die Herrschaft des Erzstifts Salzburg im Zillertal und bis 1380/85 auch die des Hochstifts Regensburg im Brixental eine Rolle. Die herrschafts- und territorialpolitischen Veränderungen im Untersuchungsgebiet werden einleitend von der Herausgeberin skizziert, die darüber hinaus auch auf mehrere Klausen eingeht, die im Burgenbuch nicht als Einzelobjekte behandelt werden. Grundsätzlich ist nochmals darauf hinzuweisen, dass kleinere befestigte Adelssitze (Türme) und Ansitze hier wie in den früheren Bänden nicht berücksichtigt werden.

Die Geschichte der Burganlagen im Nordtiroler Unterland zeigt sehr anschaulich, wie die Burgen mit dem Beginn der Frühen Neuzeit an Bedeutung verloren. Nur wenige der 25 dokumentierten Anlagen haben diesen Funktionswandel überstanden und präsentieren sich bis heute als komplexe, gut erhaltene Anlagen, vor allem die im 16. Jahrhundert massiv ausgebaute Festung in Kufstein, das Renaissanceschloss der Fugger in Tratzberg oder als Adelsburgen Lichtwerth und Matzen. Mariastein mit seinem mächtigen Wohnturm wurde in der Frühneuzeit zur Wallfahrtsstätte umfunktioniert, auch Burg Thierberg ist bis heute ein Gnadenort, der noch von einem Einsiedler versorgt wird, Burg Itter hingegen wurde zwischen 1877 und 1902 historisierend um- und neugebaut, so dass von der mittelalterlichen Baugestalt nur noch wenig sichtbar ist. Von einigen Anlagen sind zumindest noch imposante Reste erhalten geblieben, beispielsweise von dem Adelssitz Freundsberg über Schwaz, Stammsitz der Herren von Frundsberg, von der komplexen Amtsburg Rattenberg oder von Burg Kropfsberg. Bei etlichen Anlagen hat der nachmittelalterliche Bedeutungsverlust aber dazu geführt, dass nur noch dürftige Reste sichtbar sind, wobei erschwerend hinzu kommt, dass sich die abgegangenen  Burgen auch in der archivalischen Überlieferung kaum greifen lassen. Die wenigsten Anlagen wurden bisher archäologisch untersucht, wie z. B. Erpfenstein bei Kirchdorf. Als einstige Höhlenburg ist die Anlage Herrenhauswand in der Gemeinde Schwendt erwähnenswert. Völlig abgegangen ist die Burg in Luech, die deshalb nur in der Einleitung (S. 21) erwähnt wird. Umfangreichen Burgenartikeln wie über Tratzberg, Rattenberg und Kufstein (jeweils 30 Druckseiten) stehen deshalb notgedrungen zahlreiche kurze Beiträge von ein bis zwei Druckseiten gegenüber. Aber das ist in einem Burgenbuch unvermeidlich, das nicht nur die Glanzstücke präsentiert, sondern die umfassende Dokumentation einer Burgenlandschaft bieten möchte.

Das Tiroler Burgenbuch liegt nun in elf Bänden mit 4098 Druckseiten vor, in denen 284 Burgen behandelt werden. Das Werk ist eine großartige Gesamtleistung, die nicht zuletzt darauf beruht, dass etliche Autoren sich über Jahrzehnte in den Dienst des Vorhabens gestellt haben, neue Herausgeber die Koordination übernahmen und der Verlag über den langen Zeitraum an dem Vorhaben festgehalten hat. Das Burgenbuch dokumentiert in eindrucksvoller Weise den geschichtlichen Reichtum des mittelalterlichen Tirol und wird hoffentlich dazu ermutigen, vergleichbare Grundlagenwerke für andere Landschaften zu bearbeiten. Für Tirol liegt hiermit ein Standardwerk der Landes-, Kultur- und Kunstgeschichte vollständig vor.