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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Anuschka Holste-Massoth

Ludwig II. Pfalzgraf bei Rhein und Herzog von Bayern. Felder fürstlichen Handelns im 13. Jahrhundert

(RANK 6), Ostfildern 2019, Jan Thorbecke Verlag, 349 Seiten
Rezensiert von Alois Schmid
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 14.10.2020

Zwischen den Anfängen der wittelsbachischen Herrschaft in Bayern ab 1180 und dem ersten Höhepunkt unter Ludwig dem Bayern (1314/28-1347) ist die lange Regierungszeit der Herzogsbrüder Ludwig II. (1253-1294) und Heinrich XIII. (1253-1290) zu sehr in den Schatten gedrängt worden. Ein Grund mag die Herrschaftsteilung von 1255 sein, die von der an Machtkategorien orientierten Geschichtsschreibung als vom Niedergang gekennzeichnete Zwischenepoche abgewertet wurde. Dadurch geriet sie ins Abseits. Aus diesem Grund bietet Sigmund Riezlers „Geschichte Baierns“ (Band II, 1880) die umfassendste Gesamtdarstellung, die noch in unserer Gegenwart mit Gewinn herangezogen wird.

Nun ist die Detailforschung natürlich in vielen Einzelheiten längst über dieses Grundwerk hinausgelangt. Sie konnte an vielen Punkten zeigen, dass Herzog Ludwig II. durchaus eigene Initiativen entwickelte und mit bemerkenswerten Ansätzen neue Wege beschritt. Er hat zur Begründung der Territorialstaaten im Heiligen Römischen Reich vielfältige Anstöße gegeben. Diese werden im Rahmen der bereits begonnenen Bearbeitung der »Regesten der Herzöge von Bayern« im Detail aufzudecken und vorzustellen sein. Doch wird die Bereitstellung des neuen Hilfsmittels angesichts der explosionsartig zunehmenden Quellenmaterialien noch Jahre erfordern.

Zur Ausarbeitung dieses Grundwerkes leistet die anzuzeigende, an der Universität Heidelberg angefertigte Dissertation eine wertvolle Hilfestellung. Das gilt für die zugrunde gelegte Quellenbasis wie deren Auswertung in gleicher Weise. Hier werden der heutige Wissensstand sowie die aktuellen Fragestellungen dokumentiert. Schon die Titelformulierung gibt eine ungewöhnliche Richtung vor. Sie lenkt den Blick auf die zwei von Ludwig als letztem während seiner gesamten Regierungszeit zusammen verwalteten Territorien und nimmt durch die Reihung eine Wertung vor. Ludwig II. wird hier im Gegensatz zur seit Johann Michael Söltl (Ludwig der Strenge, Herzog von Bayern – Pfalzgraf bei Rhein, 1857) üblichen Betrachtungsweise nicht in erster Linie als Herzog von Bayern gewürdigt. Zurecht macht sie deutlich, dass beide Herrschaftsräume in ihrer gegenseitigen Verflechtung betrachtet werden müssen und die übliche getrennte Behandlung durch die spätere Entwicklung vorgegeben und deswegen unangemessen ist. In diesem Sinne werden die beiden Aktionsräume in Territorien übergreifenden Sachzusammenhängen erörtert, die sich erst in zweiter Linie an der Zeitschiene ausrichten. Die untersuchten Handlungsfelder nehmen ihren Ausgang von Bildern in der Forschung und den Prämissen der familiären Situation. Sie führen über die administrativen Strukturen in Ämtern und Behörden, Städten und Klöstern zu Grundfragen des politischen Prozesses, der mit dem Blick auf den Rheinischen Bund, das Verhältnis zu den Erzbischöfen von Mainz und Köln, Herzog Heinrich XIII. von Niederbayern und König Ottokar II. von Böhmen an ergiebigen Einzelpunkten einer tiefbohrenden Analyse unterworfen wird.  In beabsichtigter Steigerung wird der Spannungsbogen zum Königtum im Heiligen Römischen Reich hingelenkt, das mit der Kurfrage für die Wittelsbacher zum Schlüsselereignis der Epoche führt. In diesem Bündel der Kernprobleme geht es der Verfasserin in akteurszentriertem Zugriff (S. 15) um die Bestimmung des Anteils des Wittelsbachers an der Gestaltung dieser großen Umbruchszeit der Reichsverfassung. Ohne Zweifel werden damit wesentliche Aspekte des politischen Lebens in Deutschland in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts erfasst und zentrale Themen der Reichsgeschichte angesprochen. Besondere Beachtung verdienen die Querverbindungen, die beide Territorien, etwa in der Verwaltungsgeschichte oder in der Städtepolitik, miteinander verknüpften. Die herkömmlicherweise stark in den Vordergrund gerückten moralischen Aspekte im Zusammenhang mit der ersten Ehe des Herzogs mit Maria von Brabant († 1256) werden nur am Rande gestreift; die hier nebensächliche Frage nach der Herkunft des Attributes „der Strenge“ (S. 45) bleibt weiter ungeklärt.

Die stark verfassungsgeschichtlich ausgerichteten Untersuchungen werden auf einem breiten Quellenfundament aufgebaut, das den Blick vor allem auf das zwischenzeitlich ermittelte Urkundenmaterial richtet. Es wird in Verbindung reichs- wie landesgeschichtlicher Methoden ausgewertet. Dabei findet sogar das kaum bekannte Kloster der Dominikanerinnen zu Pettendorf Beachtung, das für diesen Wittelsbacher von besonderer Bedeutung war (S. 126, 130). Hier wird nicht nur das einzige mittelalterliche Bildnis des Herzogs überliefert, als aussagekräftiger Baustein seiner Politik gegenüber der Reichsstadt Regensburg kommt ihm zudem eine bemerkenswerte herrschaftsgeschichtliche Bedeutung für die Entwicklung im Donaubogen zu. Die Untersuchungen ergeben ein überzeugendes Gesamtbild: Ludwig II. als Landesfürst, der wegweisende Beiträge zur Festigung der territorialstaatlichen Strukturen leistete. In Bayern wird das vor allem an den Beispielen der urbanen und monastischen Brennpunkte, München und Regensburg einerseits, Scheyern und Fürstenfeld andererseits, in der Pfalz an Heidelberg, Bacharach und Neustadt sowie Schönau und dem Augustinerkloster Heidelberg deutlich gemacht. Das Hauptproblem der Untersuchung ist natürlich die sachgerechte Verteilung der Akzente zwischen den beiden Herrschaftsräumen. Die numerische Auszählung der Urkunden und das Herzogsitinerar machen deutlich, dass der Schwerpunkt letztlich doch in Bayern lag. Vor allem hat der angesehenste aller Reichsfürsten nach seinem Tod im Heidelberger Schloss auf seinen Wunsch hin die letzte Ruhestätte im Kloster Fürstenfeld im westlichen Vorfeld des aufsteigenden München gefunden. In diesem campus principis sah er das eigentliche Zentrum seiner Herrschaft.

Die methodisch einwandfrei durchgeführte, übersichtlich aufgebaute, flüssig geschriebene, tadellos niedergelegte, ergebnisreiche Abhandlung bietet nicht die nach Söltl längst fällige zeitgemäße Biographie Ludwigs II., des Strengen, sondern die Untersuchung ins Zentrum führender Einzelaspekte seiner Herrschaft. Sie bereichert das Wissen um den Herzog und seine Umbruchsepoche in vielfacher Hinsicht. Vor allem regt die ungewöhnliche Schwerpunktsetzung zum Überdenken der überkommenen Sichtweise an. Sie  weckt den Wunsch nach einer Parallelarbeit über Herzog Ludwig XIII. von Niederbayern, der angesichts der herkömmlichen Präferenz für Oberbayern nach wie vor im Schatten Ludwigs II. steht.