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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Aktuelle Rezensionen


Franz Josef Freiherr von der Heydte (Hg.)

Wendepunkt 1918. Chancen und Rollenfindung im Adel

München 2020, Utz, 139 Seiten, 7 Abbildungen
Rezensiert von Dieter J. Weiß
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 14.10.2020

Adelsforschung hat seit einiger Zeit wieder Konjunktur, nachdem die Beschäftigung mit dieser Elitengruppe bei einer dem Zeitgeist verpflichteten sozialgeschichtlichen Ausrichtung der Geschichtswissenschaft lange Zeit als verpönt galt. Über nur genealogische Interessen hinaus ist in den letzten Jahren ein stärkeres Interesse an der historischen Entwicklung dieses Standes bis ins 20. Jahrhundert mit vielfältigen neuen Methoden festzustellen. 100 Jahre nach der Revolution von 1918 bemühte sich die „Genossenschaft der katholischen Edelleute in Bayern e.V.“ bei einer Tagung am 3. November 2018 in der Abtei Seligenthal bei Landshut um die Selbstvergewisserung ihres Standes und seine veränderte Rolle im modernen Staat. Ihr Präsident und Herausgeber des Bandes, Franz Josef Freiherr von der Heydte, begründet dies mit der Notwendigkeit der Bewahrung des historischen Gedächtnisses zur Identitätswahrung. Zu Recht betont er die Beteiligung vieler Adeliger am Nachdenken über Europa, das lange von der Vorstellung vom christlichen Abendland geprägt war.

Reinhard Heydenreuter erarbeitet erstmals eine Überblicksdarstellung zur Geschichte der Genossenschaft katholischer Edelleute in Bayern. Dabei stützt er sich neben Literatur für einzelne Fragen auf archivalische Quellen und ediert zentrale Quellenstellen, doch betont er selbst, dass das Thema weiterhin ein „wünschenswertes Forschungsvorhaben“ bilde. Angestoßen von einem Treffen auf Schloss Köfering am 10. August 1875 von dediziert katholischen und konservativen Adeligen, darunter mehreren Reichsräten, wurde die Genossenschaft mitten im Kulturkampf am 21. Mai 1876 im Münchener Palais Preysing gegründet. Zum ersten Präsidenten wurde Johann Konrad Graf von Preysing gewählt. Einflussreiche Mitglieder waren Georg Arbogast Freiherr von Franckenstein, Georg Freiherr von Hertling, Karl Fürst zu Löwenstein und Maximilian Freiherr von Soden-Frauenhofen, von denen Verbindungslinien zur Zentrumsfraktion des Reichstags, den Katholikentagen und der im gleichen Jahr gegründeten Görresgesellschaft liefen. Von Anfang an hatte die Genossenschaft eine soziale Komponente, die auch auf den Einfluss des Mainzer Bischofs Wilhelm Emmanuel Freiherr von Ketteler zurückgeht. Nach dem Einschnitt der Revolution verstärkten sich restaurative Ziele, die Genossenschaft bemühte sich um die Aufrechterhaltung des adeligen Status. Ihre Mitglieder engagierten sich beim Verein für den gebundenen Grundbesitz in Bayern, der über seine Mitglieder eine Art Nachfolgeorgan der Kammer der Reichsräte bildete, und dem Bayerischen Heimat- und Königsbund. Entsprechend scharf war die Trennungslinie zum Nationalsozialismus, im Widerstand engagierte Adelige waren von Verfolgung betroffen. Heydenreuter beendet seine instruktive Darstellung 1955 mit dem Tod Kronprinz Rupprechts von Bayern, der mit dem Schwinden der Hoffnungen auf eine Restauration der Monarchie einen Einschnitt brachte. Die Tugenden Treue und Beharrlichkeit behielten freilich weiter ihre Bedeutung. Ergänzt werden sollte noch der Hinweis auf die wichtige Biographie Georg Arbogast von Franckensteins „Karl Otmar von Aretin, Franckenstein. Eine politische Karriere zwischen Bismarck und Ludwig II.“ (Stuttgart 2003).

Der anschließende Beitrag von Vanessa Conze setzt in der Nachkriegszeit nach 1945 ein und öffnet den Blick in die europäische Weite. Besonders der katholische Adel hatte sich über alle Grenzen des Nationalismus seinen Zusammenhalt bewahrt, woraus nun politische Initiativen wie der Ausbau der Paneuropa-Bewegung erwuchsen, um ein vereinigtes Europa auf christlicher Grundlage zu bilden. Der Begriff Abendland stand hier im Mittelpunkt. Mit dem Engagement des vormaligen österreichischen Thronprätendenten Erzherzog Otto gewann der Europagedanke weitere Attraktivität für den katholischen Adel.

Marita Krauss lenkt den Blick abschließend zurück auf Bayern und stellt die provokante Frage, ob der bayerische Adel im 19. und 20. Jahrhundert sich auf einem Weg der Verbürgerlichung befand. Sie versucht den bayerischen Adel zu definieren und betont seine regionale und ständische Vielfalt noch im 19. Jahrhundert. Als wesentliche Merkmale macht sie Traditionsbewußtsein, Habitus, Grundbesitz und Bedeutung der Familie aus. In der Landwirtschaft nahmen Adelige, wie auch König Ludwig III. in Leutstetten, viele Modernisierungen vor und bauten Musterbetriebe auf. Sie beleuchtet auch die freilich stark unterschiedlichen Vermögensverhältnisse. Abschließend betont sie die Bedeutung der anhaltenden öffentlichen Präsenz des Hauses Bayern für das Selbstverständnis wie die Wahrnehmung des Adels.

Neben einer umfassenden Darstellung zur politischen Bedeutung der Genossenschaft der katholischen Edelleute mit Schwerpunkten im Königreich wie in der Weimarer Republik sollten auch ihre Verbindungen zum Königlichen Hausritterorden vom Hl. Georg wie zu anderen Institutionen des katholischen Milieus weiter untersucht werden. Der vorliegende Band bietet dazu eine Grundlage und wertvolle Anregungen.