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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Aktuelle Rezensionen


Dorothée Goetze/Lena Oetzel (Hg.)

Warum Friedenschließen so schwer ist. Frühneuzeitliche Friedensfindung am Beispiel des Westfälischen Friedenskongresses

(Schriftenreihe zur Neueren Geschichte - Neue Folge 2), Münster 2019, Aschendorff, IX+ 457 Seiten
Rezensiert von Magnus Ressel
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 15.10.2020

Der Band versammelt die Beiträge einer Bonner Tagung von 2017 über den Westfälischen Friedenskongress. Auf etwas mehr als 450 Seiten finden sich 33 Aufsätze, davon drei längere Kommentare in fünf unterschiedlichen Abschnitten, und in einem sechsten Abschnitt noch fünf Texte zu einer im Rahmen der Tagung abgehaltenen Podiumsdiskussion.

In der Einleitung vermerken die Herausgeberinnen Dorothée Goetze und Lena Oetzel, dass es zwar relativ viele Forschungen zum Westfälischen Frieden im deutschsprachigen Raum gab und gibt, jedoch der Friedenskongress selten die ihm gebührende Aufmerksamkeit gefunden hat. Der traditionellen Betonung der politik- und ereignisgeschichtlichen Ebene stellen sie die titelgebende Frage entgegen, die sie vor allem mittels einer kulturgeschichtlichen Perspektive vertiefen wollen. Der Blick wird damit auf Diskurse, Praktiken, Zeremoniell, Kommunikation, Materialität und viele lebens- und alltagsweltliche Aspekte des Friedenskongresses als konkretem Prozess an spezifischen Orten, gestaltet durch Menschen beiderlei Geschlechts mit jeweils eigenen Schwächen, Stärken und Zielen, gerichtet. Die Perspektivumkehr wirkt gerade bei diesem Thema, das als Klassiker der frühneuzeitlichen Politikgeschichte gelten darf, besonders anregend.

Der erste Abschnitt mit dem Titel „(Inter-)nationale Meistererzählungen zum Westfälischen Frieden“ beleuchtet die wechselhafte Kommentierung des Friedens in den vergangenen Jahrhunderten. Sigrid Westphal zeigt vier verschiedene Rezeptionsphasen des Vertragswerks in Deutschland auf: eine Hochschätzung bis ins frühe 19., dann eine Abwertung bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts, seither eine erneute Aufwertung in der Bundesrepublik als europäischer Frieden und seit einiger Zeit eine vierte Phase, die die Lösungsfindung von 1648 eher in Bezug zu aktuellen Konfliktlagen betrachtet. Claire Gantet erörtert die Rezeption des Friedens in Frankreich, die über die Jahrhunderte diffuser und weniger intensiv als in Deutschland, aber letztlich ähnlich verlief – wenngleich in gewisser Weise spiegelverkehrt. Eine allgemein positive Einschätzung dominierte bis ins 19. Jahrhundert, dann wurde der Friede als Zerstückelung des Reiches und Triumph gegen die Habsburger gefeiert. Im 20. Jahrhundert geriet der Friede lange Zeit aufgrund von verschiedenen historiographischen Strömungen aus dem Blick und auch gegenwärtig ist die Forschung dazu eher wenig intensiv. Allerdings ist eine lebhafte Rezeption der Ergebnisse der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft in Frankreich zu vermerken. Alistair Malcolms Beitrag nimmt eine eher klassisch anmutende Perspektive ein und konzentriert sich auf die Darstellung der wesentlichen Züge in den Verhandlungen zwischen Spanien und Frankreich nach dem Westfälischen Frieden bis zum Abschluss des Pyrenäenfriedens. Martin Hårdstedt beleuchtet die Erinnerungskultur des Friedens in Schweden. Erst nach 1720 setzte diese mit dem Verlust der schwedischen Großmachtstellung ein und diente seither als eine Art von nostalgischem Surrogat. Seit den 1950er Jahren wurde dies wiederum kritisiert und die Verherrlichung des Friedens als Triumph des Staates Schweden relativiert. Irena Kozmanová zeigt die Aversionen auf, denen sich Holland und dessen politische Vertreter in der niederländischen Republik nach Unterzeichnung des von anderen Provinzen heftig abgelehnten Westfälischen Friedens ausgesetzt sahen. Um 1650 führte dies zu einem politischen Wandel, seit die Holländer stärker auf die Wünsche ihrer Partner in der Republik eingingen. Benjamin de Carvalho und Jorg Kustermans entlarven die Meistererzählung des „Westphalian system“ als eine „convenient ontology“ der Politikwissenschaften, die aber den historischen Realitäten des 17. Jahrhunderts kaum entspricht.

Der zweite Abschnitt mit dem Titel „Die Grundlage der Bewertungshorizonte – (un)gelesene Quellen zum westfälischen Friedenskongress“ nimmt bislang kaum bekannte Quellen zum Friedenskongress in den Blick oder nutzt die einschlägigen Editionen in ungewohnter Weise. Jonas Bechtold betrachtet die zeitgenössische Presse, die die Verhandlungen begleitete und durch ihre Berichterstattung beeinflusste und selbst wiederum für eine Art von Öffentlichkeitspolitik durch die Diplomaten genutzt wurde. Tobias Tenhaef erläutert die Vorteile, aber auch die Probleme, die bei der Retrodigitalisierung der Editionen der Acta Pacis Westphalicae (APW) aufgetreten sind und welche neuen Nutzungsmöglichkeiten sich nun ergeben. Sandra Müller zeigt die Möglichkeiten einer Analyse der APW aus Sicht der Germanistik, die teilweise infolge editorischer Vereinheitlichungen eingeschränkt sind, aber in vielen Aspekten recht umfassend erscheinen. Elisabeth Natour beleuchtet den Einsatz von Musik bei verschiedenen diplomatischen oder internationalen festlichen Anlässen zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Auch aufgrund eingehender theoretischer Ausführungen hat man den Eindruck, dass hier der Forschung ein besonders reichhaltiges Feld eröffnet wird.

Der dritte Abschnitt „Frühneuzeitliche Gesandte zwischen Verhandlungen und Alltagsleben“ fokussiert auf die Diplomaten selbst. Ralf-Peter Fuchs’ Kommentar fördert Potentiale einer vertieften Erforschung des Kongresses mittels eines heuristisch geschärften Kommunikationsbegriffes zutage. Marcel Mallon beschreibt die Plünderung von Mainz nach der schwedischen Eroberung im Dezember 1631 und betont dabei das relativ geordnete Vorgehen und das Bemühen der Schweden um die Wahrung einer gewissen Angemessenheit – was nach Gustav Adolfs Tod wohl eher nicht mehr der Fall war. Markus Laufs stellt die niederländischen „Guten Dienste“, also die diplomatische Vermittlung zwischen Frankreich und Spanien seit 1646, vor. Das Vorherrschen von Mündlichkeit und Geheimhaltung bedingte deren Flexibilität und relativ hohe Erfolgsaussichten, da hier Kompromisslinien wohl leichter als bei der stärker schriftlichen Kommunikation über die offiziellen Mediatoren ausgelotet werden konnten. Maria-Elisabeth Brunert nimmt in ihrem Beitrag Diplomatengattinnen in den Blick. Trotz einer schwierigen Quellenlage, teilweise durch Editionsgrundsätze bedingt, gelingt es ihr, Fälle von Interventionen dieser Gattinnen herauszuarbeiten, die eine unterschätzte diplomatische Praktik beleuchten. Alexander Schoenen zeigt in seinem theoretisch fundierten Beitrag das Spannungsverhältnis von Formalität und Informalität auf, in dem sich die Diplomaten bewegen mussten und zu welchen Gelegenheiten dies die Verhandlungen behinderte oder auch erleichterte. Guido Braun präsentiert die zwei Kongressstädte als von den Diplomaten anfangs eher unerfreulich wahrgenommene Orte (und teilweise Objekte) des Kongresses mit den vielen entsprechenden Problemen, aber auch Möglichkeiten für die Stadtgesellschaft. Magnus Ulrich Ferber bringt in seinem Beitrag die These vor, dass die Gemeinschaft der Diplomaten im Laufe der Jahre eine eigene Art von Friedenspartei geworden war, die den Frieden mit einiger Eigenmacht mit durchzusetzen in der Lage war. Auch in den folgenden Jahren konnte diese Gruppe der „Westfalen“ einige bedeutende Weichen in der Reichspolitik stellen. Clemens Peck analysiert das von Sigmund von Birken in Szene gesetzte allegorische Friedensspiel, das 1649 anlässlich der Verhandlungen des Nürnberger Exekutionstags aufgeführt wurde. Er kann vielfältige Nuancen und Symboliken aufzeigen, die Bezüge zur gegenwärtigen Lage aufweisen und diese wohl auch zu beeinflussen suchten. Dagmar Freist hebt in ihrem Kommentar die Möglichkeiten einer praxeologischen Perspektivierung der Friedensverhandlungen insbesondere in Bezug zum umgebenden städtischen Raum hervor.

Der vierte Abschnitt mit dem Titel „Werte, Normen und Diskurse als Denkrahmen frühneuzeitlicher Friedensverhandlungen“ beginnt mit einem Kommentar Hillard von Thiessens. Er lotet die Bedeutung von Werten und Normen für Friedensverhandlungen aus und betont Normenkonflikte der europäischen Fürstengesellschaft, die sich hier widerspiegeln. Volker Arnke beleuchtet die Bezüge zwischen der zeitgenössischen rechtlichen Betrachtung von Krieg und Frieden im sich ausbildenden Völkerrecht und dem Dreißigjährigen Krieg, wobei der Friede mit der Fortdauer des Krieges stärker in den Mittelpunkt der einschlägigen Abhandlungen rückte. Lena Oetzel stellt den zeitgenössischen Krankheitsdiskurs dar und setzt diesen in Bezug zu den Krankheiten, unter denen die Diplomaten am Kongress litten – und teilweise für Verhandlungszwecke nutzten. Es gelingt ihr dabei, ein reichhaltiges Kaleidoskop an Aspekten und Operationalisierungen von Krankheiten der Diplomaten herauszuarbeiten. Dorothée Goetze untersucht Korruption und deren Wahrnehmung beim Friedenskongress vor dem Hintergrund der derzeitigen Forschungsdebatten um Patronage und Klientelismus. Sie kann dabei die Grenze von akzeptierten und als korrupt gebrandmarkten Verehrungs- und Geschenkpraktiken im diplomatischen Umgang feinfühlig bestimmen und deren Abhängigkeit von vielen Faktoren, beispielsweise der Bedeutung des jeweiligen Reichsstands, aufzeigen.

Der fünfte Abschnitt mit dem Titel „Populärwissenschaftliche Zugänge als Multiplikatoren in die Öffentlichkeit“ fällt inhaltlich deutlich anders als die ersten vier aus. Nils Jörn schreibt recht unterhaltsam, aber auch bedrückend über die wohl verallgemeinerbaren Schwierigkeiten des Stadtarchivs Wismar in Zeiten scharfer Sparzwänge und deren teilweise Abmilderung durch einen besonders aktiven Archivverein, der einiges an bürgergesellschaftlichem Engagement zu aktivieren vermag. Joachim Krüger zeigt die Probleme auf, Frieden – im Gegensatz zu Krieg – im Museum auszustellen und gibt Beispiele aus der Ausstellungspraxis zum Dreißigjährigen Krieg. Jonas Bechtold, Jochen Hermel und Christoph Kaltscheuer erörtern die Möglichkeiten und Grenzen einer digitalen Tagungskommunikation im Prinzipiellen und konkret am Beispiel der dem Sammelband zugrundeliegenden Bonner Tagung. Michael Wilcke schreibt über seine Erfahrungen als Autor historischer Romane zur Frühen Neuzeit und insbesondere dem Dreißigjährigen Krieg und verdeutlicht bemerkenswerte Aspekte dieses Genres, so erfolgsbedingende Kriterien bezüglich Plot, Epoche und narrativer Elemente.

Der sechste und letzte Abschnitt bietet eine Dokumentation der Podiumsdiskussion über die „Aktualität frühneuzeitlicher Friedenskongresse“ zwischen Michael Kaiser, Christoph Kampmann, Patrick Milton und Michael Rohrschneider unter der Moderation von Anuschka Tischer. Diese wird einerseits durch Markus Laufs und Marcel Mallon zusammengefasst und andererseits stellt noch einmal jeder der Diskutanten auf einigen Seiten die jeweiligen grundsätzlichen Ansichten dar. Der Tenor ist, dass die Westfälischen Verhandlungen zwar keine Blaupause zur Lösung gegenwärtiger Konflikte bieten, dennoch einiges an Anschauungsmaterial bereithalten und strukturelle Probleme sowie Möglichkeiten zu deren Überwindung aufzeigen. Eine Liste der Tagungsteilnehmer und ein Personenregister runden den Band ab.

Zusammenfassend kann man nach der Lektüre des Buches feststellen: Die Forschungen zum Westfälischen Friedenskongress wurden in einem produktiven Sinne vom „cultural turn“ erfasst. Gerade bei diesem Thema, bei dem vormals eine deutlich politikgeschichtlich-chronologische Darstellung und Analyse vorherrschte, fördert die Beschreitung ungewohnter Pfade anregende und unerwartete Aspekte und Erkenntnisse zutage. Der Band setzt einen wichtigen Markstein zu einer neuen Perspektivierung des Westfälischen Friedenskongresses.