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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Alois Schmid

Johannes Aventinus (1477-1534). Werdegang – Werke – Wirkung. Eine Biographie

Regensburg 2019, Schnell + Steiner, 288 Seiten
Rezensiert von Dieter J. Weiß
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 15.10.2020

Johannes Turmair wurde am 4. Juli 1477 in Abensberg als Sohn einer Gastwirtsfamilie geboren, bekannt ist er unter dem von ihm gewählten Humanistennamen Aventinus. Seit Andreas Felix von Oefele gilt er als der Vater der bayerischen Geschichte und Geschichtsschreibung – Historiae nostrae Parens. In der Epoche des Königreichs Bayern erfuhr er einen Höhepunkt an Wertschätzung und noch in unserer Gegenwart beeinflusst er das Geschichtsbild. Deshalb ist es um so unverständlicher, dass bis auf zwei biographischen Studien von Theodor Wiedemann und Wilhelm Dittmar aus dem 19. Jahrhundert keine moderne, umfassende Biographie zu ihm vorlag. Alois Schmid hat sich bereits 1977 zum 500. Geburtstag Aventins mit seinem Werk und seiner historischen Methode befaßt und ihm seitdem immer wieder Einzelstudien gewidmet. Die vorliegende große Monographie ist aber weit mehr als eine Synthese; sie stellt eine auf der Grundlage umfassender Archiv- und Handschriftenstudien in zahlreichen bayerischen und europäischen Archiven und Bibliotheken (darunter Basel, Budapest, London, Rom, Paris, Straßburg) erarbeitete Gesamtdarstellung zur Biographie, zum umfangreiche Œuvre und zur Wirkungsgeschichte Aventins dar.

Schmid wählt als Ausgangspunkt seiner Darstellung die „Zeitenwende“ um 1500, in die Aventin hineingeboren wurde. Für diese Epoche gibt er anschließend einen Überblick zu Land und Leuten im Herzogtum Bayern. Bis heute wird unser Bild davon von Aventin geprägt. Besonders geht er dabei auf die Reichsherrschaft Abensberg ein. Im dritten Kapitel stellt er die Biographie unter der Überschrift „ein Gelehrtenleben“ vor. Der junge Johannes dürfte seine erste Ausbildung bei den Karmeliten seiner Heimatstadt erfahren haben, 1495 immatrikulierte er sich an der bayerischen Landesuniversität Ingolstadt. Hier traf er auf bedeutende humanistische Gelehrte wie Konrad Celtis, den er als „deutschen Homer“ verehrte und dem er nach Wien folgen sollte, um in dessen Kreis weitere Humanisten kennenzulernen. Er setzte seine Studien in Krakau und Paris fort, für den Sohn eines Weinwirts ohne kirchliche Pfründen sicher nicht selbstverständlich. 1504 kehrte der graduierte Akademiker nach Bayern zurück, wo er zeitweilig an der Universität Ingolstadt und als Prinzenerzieher am Münchener Hof wirkte. Seine eigentliche Berufung erreichte er 1517 mit der Ernennung zum bayerischen Landeshistoriographen. In bester Humanistenmanier ging er sofort auf systematische Quellensuche in den bayerischen Klöstern, dazwischen wertete er die Funde im heimatlichen Abensberg aus. Er schuf sein umfangreiches historiographisches Werk als einzelner Gelehrter ohne jede institutionelle Anbindung, gestützt allein auf seine Quellenabschriften und seine private Bibliothek. Zwischen 1517 und 1528 verfaßte er seine Hauptwerke im Dienst der Herzöge Wilhelms IV. und Ludwigs X. Die letzten Lebensjahre Aventins waren überschattet von seiner kurze Inhaftierung 1528 wegen Neigungen zum Protestantismus, seinem Umzug in die Reichsstadt Regensburg und einer wohl wenig glücklichen Ehe sowie durch Finanzsorgen. Größere Anerkennungen blieben dem 1533 Verstorbenen zu Lebzeiten versagt.

Im Anschluß wendet sich Schmid den Werken Aventins zu, von pädagogischen Schriften für seine Schüler, über kleinere historische Abhandlungen, die Annales ducum Boioariae und die volkssprachige Baierische Chronik bis hin zur nur bis zur Einleitung gediehenen Germania illustrata. Dazu sind jeweils die Handschriften und Drucke nachgewiesen und präzise Inhaltsangaben gegeben. Die Würdigung des historiographischen Schaffens folgt in einem Kapitel zum Geschichtsforscher, in das auch die bayerischen Vorläufer und der italienische Humanismus als Voraussetzungen für Aventin einbezogen werden. Schmid geht den methodischen Grundsätzen, der Art der Quellenarbeit und der Zusammensetzung sowie dem Verbleib seiner Privatbibliothek nach. Er kann zeigen, dass Aventin am Beginn historischer Grundwissenschaften wie der Diplomatik, Aktenlehre und Epigraphik steht, aber auch bereits archäologische Sachquellen einbezog.

Darauf aufbauend würdigt er die Bedeutung Aventins als Geschichtsschreiber, dem es sowohl um die Wahrheit als auch um eine angemessene Form der Darstellung ging. Der Gelehrte aus Abensberg verwendete die lateinische und die deutsche Sprache, wobei er auf das unterschiedliche Zielpublikum Rücksicht nahm. Er hatte einen literarischen Anspruch und orientierte sich an antiken Vorbildern. Schmid sieht Aventin als Denker, welcher der Geschichte eine Aufgabe für die Deutung der Gegenwart zugewiesen habe. Obwohl er bayerische Geschichte schrieb, verstand er diese als „Ausschnitt einer allgemein gültigen Globalhistorie“ (S. 169). Vor dem Hintergrund der Hauptthemen Kaiser und Reich sowie Religion und Kirche behandelte Aventin die spezifische Rolle Bayerns und der regierenden Dynastie. Dabei zog er eine Kontinuitätslinie von den Wittelsbachern über die Luitpoldinger bis zurück zu den Karolingern und Agilolfingern. Diese verknüpfte er ihrerseits mit den von ihm postulierten deutschen Urkönigen und verortete sie damit letztlich in der Welt- und Heilsgeschichte. Breiten Raum nimmt die mit großem Stolz erfüllte Schilderung des bayerischen Volkes ein. Ausgewählte Höhe- und Wendepunkte in Aventins Werken analysiert Schmid eigens, um dessen Geschichtsdeutungen herauszuarbeiten. Mit ihnen hat er das Geschichtsbild späterer Generationen bis heute geprägt. In besonderem Maße gilt das etwa für Kaiser Ludwig den Bayern, den er zu einer der großen Figuren „der Reichs- und Weltgeschichte erhoben“ habe (S. 208).

Damit ist schon angedeutet, dass Schmid auch die Rezeptionsgeschichte behandelt. Dazu gehören die Drucklegung und Edition der Werke, die von konfessionellen und politischen Interessen der jeweiligen Gegenwart geprägt waren. Obwohl Aventin seit 1564 wegen seiner Angriffe auf geistliche Amtsträger und seine Abweichungen von der kirchlichen Lehre auf den römischen Index gesetzt war, wurde sein Werk von den bayerischen Herzögen und besonders von Kurfürst Maximilian geschätzt und für die eigene Geschichtsdeutung verwendet. Von der Churbayerischen Akademie der Wissenschaften wurde er dann uneingeschränkt positiv gewürdigt. Einen Höhepunkt erlebte seine Wertschätzung ab 1806, weil Aventin die Legitimation des Königsreichs Bayern durch den Rückgriff auf das Frühmittelalter ermöglichte. Schmid untersucht die reiche Erinnerungskultur des 19. Jahrhunderts, in deren Rahmen Aventin durch die Aufnahme in die Münchener Ruhmeshalle und die Walhalla, durch ein Denkmal in Abensberg und verschiedene Historiengemälde an prominenten Orten geehrt wurde. König Ludwig II. setzte sich für die kritische Edition der Werke Aventins durch die Akademie ein, die allerdings erst mit Verspätung zum 700jährigen Thronjubiläum des Hauses Bayern erschienen. Noch im Freistaat wirkt Aventin bis in die aktuelle Gegenwart nach, zum einen als Werbeträger, zum andern aber auch – und dies meist unbewußt – als geistiger Vater eines immer wieder in der Politik greifbaren bayerischen Selbstbewußtseins. Auch diese Erkenntnis gehört zu den überraschenden Ergebnissen dieser Studie. Alois Schmid würdigt Aventin als bedeutenden Historiker und Humanisten, der – wie bereits in der Deutung Oefeles – das bayerische Geschichtsbewußtsein bis heute maßgeblich geprägt habe. Damit trifft er sich mit einer anderen, gerade erschienenen Gelehrtenbiographie. Markus Christopher Müller zeigt Andreas Felix von Oefele als Gelehrten, Späthumanisten und bayerischen Patrioten, der sich selbst in der Traditionslinie Aventins sah. Für die zwei wohl bedeutendsten bayerischen Humanisten und Historiographen der Frühen Neuzeit, der eine zu Beginn, der andere am Ausgang, liegen nun umfassende Biographien vor.

Alois Schmid hat also weit mehr als die sorgfältig aus den Quellen gezeichnete Lebensgeschichte Aventins erarbeitet: er entwickelt das Modell einer Gelehrtengeschichte. Das Werk bietet eine Übersicht seines reichen Schaffens und seiner Einordnung in den Humanismus. Dabei geht Schmid der von Aventin entwickelten Methodik und Geschichtsdeutung nach und verfolgt in souveränem Zugriff die Rezeptions- und Wirkungsgeschichte bis in die Gegenwart. Nach einem halben Jahrtausend hat Johannes Turmair genannt Aventin, der Vater der bayerischen Geschichte, die verdiente große Biographie erhalten. Der mit einem Register versehene Band zeigt das Gelehrtenportrait auf seinem Epitaph in der ehemaligen Abtei St. Emmeram in Regensburg.