Aktuelle Rezensionen
Wolfgang Wüst/Franz Machilek (Hg.)
Neunkirchen am Brand. Die Geschichte einer fränkischen Marktgemeinde
In Zusammenarbeit mit Horst Miekisch, Sankt Ottilien 2019, EOS Editions Sankt Ottilien, 520 Seiten, zahlreiche AbbildungenRezensiert von Dieter J. Weiß
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 15.10.2020
Der oberfränkische Markt Neunkirchen am Brand genießt überregionale Bekanntheit besonders durch sein Chorherrenstift, die bis heute lebendige Karfreitagsprozession und den Obstanbau des Umlands. Dem Freundeskreis für Kunst und Kultur Neunkirchen am Brand ist es unter dem Vorsitz von Dr. Hilmar Grimm gelungen, die Professoren Franz Machilek und Wolfgang Wüst als Herausgeber für eine monumentale Ortsgeschichte zu gewinnen, die dabei von Horst Miekisch unterstützt wurden und hochqualifizierte Mitarbeiter verpflichteten. Im Anschluß an die heraldische Erklärung des Wappens wird die Ortsgeschichte mit der Vorstellung der naturräumlichen Lage zwischen Fränkischer Alb und Regnitz-Band (Tobias Chilla, Maren Teufel, Rupert Bäumler), archäologischen Forschungen zur Vorgeschichte (Martin Nadler) und der Deutung der Siedlungs- und Flurnamen (Dieter George) eingeleitet. Archäologische Untersuchungen einschließlich der archäobotanischen Auswertung von Pflanzenresten aus Brunnen bieten Matthias Tschuch, Barbara Zach und Oliver Specht.
Der beste Kenner der Geschichte des Augustiner-Chorherrenstifts Horst Miekisch hat neben dessen Geschichte sowie der Behandlung des mittelalterlichen Neunkirchens eine Reihe weiterer, stets aus den Quellen erstellter Beiträge übernommen. Das 1315 gegründete Stift kann zu den wichtigsten Konventen der Raudnitzer Reform gerechnet werden, trotzdem erlosch es 1555; sein Besitz wurde 1642 dem Priesterseminar Bamberg inkorporiert. Klaus Rupprecht stellt Amt und Markt in Karten um 1600 vor, Günter Dippold entwirft ein breites, aus den Archivquellen geschöpftes Panorama der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, dem Modellcharakter für weitere Untersuchungen zu diesem Bereich zukommt. Der Herausgeber Wolfgang Wüst hat die Darstellung Neunkirchens im Königreich Bayern übernommen, Andreas Stefan Hofmann schließt sich mit der Zeit der Weimarer Republik und des Dritten Reichs an (anzumerken ist hier nur, dass der König von Bayern nie abgedankt hat, S. 145). Auf der Basis der Visitationsakten entwickelt Andreas Hölscher die Pfarreigeschichte seit 1555. Die modernen Strukturveränderungen der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg behandelt Tobias Chilla.
Die Fülle weiterer Spezialthemen, die insgesamt ein umfassendes Bild des Marktes Neunkirchen ergeben, können nur noch in Auswahl vorgestellt werden. Die Dörfer im Umfeld Neunkirchens werden von mehreren sachkundigen Autoren behandelt, so dass weitere kleine Ortsgeschichten entstehen. In dem ritterschaftlichen Ort Ermreuth bestand bis 1938 eine jüdische Gemeinde, jüdische Bürger wurden nach der „Pogromnacht“ ermordet. Rajaa Nadler kann berichten, dass der Landkreis Forchheim und die Marktgemeinde 1989 die Sanierung der Synagoge übernahmen und das jüdische Gotteshaus mit seiner ursprünglichen Bestimmung rekonstruiert wurde, aber auch eine museale Nutzung erfährt.
Den Charakter einer kleinen Monographie gewinnt der herausragende Beitrag von Holger Kempkens zur Kunstgeschichte der ehemaligen Stiftskirche St. Michael und St. Augustin, der zugehörigen Kapellen und ihrer Ausstattung. In diesem Rahmen entwirft er auch Ansätze zu einer möglichen Rekonstruktion des spätmittelalterlichen Hochaltars, dem er Statuen und Tafelbilder aus dem Umfeld Albrecht Dürers zuordnen kann. Sibylle Ann dokumentiert die Gestaltung der Karfreitagsprozession und die Flurdenkmale der Umgebung. Das bis heute lebendige Trachtenwesen in und um Neunkirchen stellt Ingeborg Fuhrmann-Hoffmann vor, das Zentrum einer der drei wohl wichtigsten fränkischen Trachtenlandschaften. Kenntnisreich erarbeitet sie die historischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für diese bis heute lebendige Tradition. Unter den biographischen Würdigungen bedeutender Neunkirchener Bürger ragt das Lebensbild Max Spindlers von Franz Machilek heraus. Er stellt den aus dem Frankenwald stammenden Münchener Universitätsprofessor als aufrechten Katholiken gerade in der Zeit des Nationalsozialismus, als Landeshistoriker und Wissenschaftsorganisator vor. Die Verbindungen Spindlers zu Neunkirchen, wo er seine letzten Lebensjahre verbrachte und starb, liefen über seine hier lebende Mutter und die Familie seiner Schwester. Die Edition zentraler Quellen rundet den Band ab.
Man kann dem Markt Neunkirchen nur gratulieren, dass er eine so facettenreiche und umfangreiche Ortsgeschichte erhalten hat, die handbuchartig alle Aspekte der Historie Neunkirchens auf hohem wissenschaftlichem Niveau erfasst und in die allgemeine historische Entwicklung einbindet. Der Band ist geradezu opulent mit qualitätvollen Abbildungen, aber auch mit Karten und Tabellen ausgestattet und wird durch Personen- und Ortsregister erschlossen. Er bildet ein eindrucksvolles Zeugnis für den hohen Stand der modernen Landesgeschichtsforschung.