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Sebastian Parzer
Dr. Friedrich Engelhorn. Ein Mannheimer Unternehmer im Kaiserreich (1855–1911)
Hg. v. Friedrich-Engelhorn-Archiv e.V., Ubstadt-Weiher, regionalkultur 2018, 184 Seiten, 75 AbbildungenRezensiert von Richard Winkler
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 15.10.2020
Bereits 2011 bzw. 2014 hat der Verfasser in zwei Teilbänden eine Unternehmerbiographie über Friedrich Engelhorn (1821–1902), den Gründer und langjährigen kaufmännischen Direktor der „Badischen Anilin- und Soda-Fabrik“ (BASF) verfasst. Nun legt Sebastian Parzer eine biographische Studie über den gleichnamigen ältesten Sohn des Mannheimer Industriemagnaten vor. Dieser stand – trotz seiner erfolgreichen Tätigkeit als Teilhaber und schließlich Alleininhaber des bedeutenden Mannheimer Pharmaunternehmens „C.F. Boehringer & Söhne“ – stets im langen Schatten seines mächtigen Vaters. Auch sein früher Tod im Alter von nur 55 Jahren mag dazu beigetragen haben, dass sein unternehmerisches Wirken wie auch sein gesellschaftliches Engagement allzu schnell in Vergessenheit geriet und bislang keine angemessene wissenschaftliche Würdigung gefunden hat. Dieses Desiderat der südwestdeutschen Wirtschafts- und Unternehmergeschichtsforschung hat der Verfasser mit der vorgelegten Monographie beseitigt.
Aufgewachsen in einem wohlhabenden, gut bürgerlichen Umfeld unter neun Geschwistern nahm Engelhorn das Studium der Chemie an der Polytechnischen Schule in Karlsruhe auf, das er an der Universität Straßburg 1879 mit der Promotion abschloss. Den Militärdienst leistete er standesgemäß als Einjährig Freiwilliger bei einem kaiserlichen Garderegiment in Berlin. Anschließend trat er 1880 als Laborant bei der väterlichen BASF ein. Da der Senior aber nach zwanzigjährigem Wirken 1883 im Streit aus der Geschäftsleitung des Ludwigshafener Chemieunternehmens ausschied, musste auch der Filius die Firma verlassen. Das war freilich nicht weiter tragisch, denn er konnte nahtlos in die Firmenleitung des Chininherstellers Boehringer wechseln, an dem der Vater seit 1883 eine maßgebliche Beteiligung hielt. Nach dem Tod seines Schwagers Ernst Boehringer 1892 wurde Engelhorn im Alter von 36 Jahren schließlich Alleininhaber der Firma.
Im Gegensatz zum Vater, von dessen wirtschaftlichen Erfolgen, vielfältigen Beziehungen und führender Hand er profitierte, war der Sohn alles andere als ein Selfmademan. Aber er münzte die Vorteile der zweiten Unternehmergeneration zielstrebig in eigene Erfolge um, indem er die Mannheimer Firma zu einem sehr produktiven forschenden Unternehmen formte. Unter seiner Ägide wurde die Produktpalette des anfänglich nur auf die Produktion des fiebersenkenden Wirkstoffs Chinin spezialisierten Unternehmens um eine Reihe von synthetischen Arzneimitteln deutlich erweitert. Er baute die Firma zu einem bedeutenden Player der Pharmabranche im Kaiserreich aus, die an der Jahrhundertwende über 600 Mitarbeiter beschäftigte und ihre Erzeugnisse in großem Umfang ins Ausland exportierte. Engelhorns wirtschaftliche Betätigung erstreckte sich zudem auf namhafte Beteiligungen an fast einem Dutzend Kapitalgesellschaften unterschiedlicher Branchen, die teilweise schon sein Vater begründet hatte und bei denen er Aufsichtsratsmandate wahrnahm. 1897 erwarb er die Münchner Firma „Otto Perutz“, die Trockenplatten für die Fotoindustrie produzierte und in der Folgezeit merklich expandierte.
Neben dem unternehmerischen Wirken Engelhorns beschreibt Parzer ausführlich das gesellschaftliche, bürgerschaftliche und soziale Engagement des nationalliberal eingestellten Bismarck-Anhängers als aktives Mitglied in Vereinen seiner Heimatstadt, als langjähriges Mitglied des Mannheimer Bürgerausschusses und der örtlichen Handelskammer sowie – gemeinsam mit seiner Ehefrau Marie – als Förderer von karitativen Einrichtungen. Schließlich werden auch das Privatleben des Vaters von vier Söhnen und das Verhältnis zu den Geschwistern thematisiert. So ergibt sich das Bild eines nicht untypischen Lebensweges eines großbürgerlichen Unternehmers der zweiten Generation im wilhelminischen Kaiserreich.
Die vorgelegten biographischen Erkenntnisse sind akribisch erarbeitet und basieren auf umfangreichen Quellenstudien. Dies zeigt allein der Anmerkungsapparat (708 Endnoten zu 142 Textseiten). Kritisch anmerken lässt sich, dass der ausgesprochen deskriptive Stil der Monographie bisweilen zu Abschweifungen führt, etwa zur ausführlichen Interpretation der Speisen-, Wein- und Musikauswahl beim Hochzeitsfest des Protagonisten 1885 (S. 96–99). Dass der passionierte Jäger Engelhorn sich um 1909 ein Dackelweibchen zulegte, das den Namen „Gretel“ erhielt (S. 119), wird nicht einmal Waidmänner unter den Lesern der ansonsten verdienstvollen Studie interessieren.