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Franz Schultheis

„Wir machen Kunst für Künstler“. Lohnarbeit in Kunstmanufakturen. Eine ethnografische Studie

(Edition transcript 7), Bielefeld 2020, transcript, 233 Seiten mit Abbildungen, ISBN 978-3-8376-5194-2


Rezensiert von Anke Bahl
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 19.08.2021

Damien Hirst, Jeff Koons, Ai Weiwei – diese prominenten Namen stehen beispielhaft für eine Vielzahl an zeitgenössischen Künstler*innen, deren Werke oft überlebensgroße Skulpturen sind. Sie schaffen Kunstobjekte, welche bei namhaften Galerien und einschlägigen Kunstmessen weltweit nicht nur viel Aufmerksamkeit, sondern auch große Gewinne erzielen. Wie steht es jedoch um jene, die diese Gebilde plastisch-materiell herstellen? Franz Schultheis’ neuestes Buch beleuchtet die Hinterbühne der schillernden Kunstwelt der Ausstellungen und ihrer Exponate und sucht jene auf, die im Auftrag von Künstler*innen ihren spezialisierten Handwerken in Kunst-Manufakturen nachgehen. Die Studie stützt sich dabei primär auf Interviews mit Mitarbeiter*innen unterschiedlicher Manufakturen mit Sitz in der Schweiz, in Österreich, Deutschland, Kanada und den USA. Schultheis verdichtet sie zur Sozialfigur des „Art Fabricator“, „einem lohnabhängigen Dienstleister an der Kunst Dritter“, an dem sich das Spannungsverhältnis von Kunst und Ökonomie „geradezu idealtypisch verkörpert“ (13). Im Zentrum stehen die beruflichen Selbstverhältnisse der Kunst-Produzierenden sowie ihre Arbeitsverhältnisse und -bedingungen. Die Monografie gliedert sich mit Einleitung und Schluss in zwölf ungefähr gleich lange Kapitel, deren Folge sich grob an dem Ablauf einer Produktion orientieren. Der Text spannt einen thematischen Bogen von den beruflichen Profilen der Befragten über die Risiken der Aushandlung von künstlerischen Auftragsarbeiten, das berufliche Selbstverständnis der Art Fabricators und ihre Zusammenarbeit mit den Künstler*innen bis zu der Frage, wann das handwerklich produzierte Objekt schließlich zu Kunst wird.
Layout und Satz der Innenseiten sind ästhetisch ansprechend: Fließtext und kontinuierlich eingefügte Interviewauszüge wechseln sich vom Schrifttyp ab; der großzügige Rand bietet Platz für Notizen. Zu Beginn jeden Kapitels ist links ein mittig angeordnetes Farbfoto auf einer sonst leeren Seite zu sehen. Leider sind die Fotos ohne Titel und werden an keiner Stelle im Buch thematisiert oder durch erläuternde O-Töne der Befragten zum Sprechen gebracht. Die wechselnden Ansichten aus Werkstätten und von handwerklichen Arbeitstätigkeiten leisten so wenig mehr als Trennblätter. Eingangs erläutert Schultheis sein zentrales Anliegen, nämlich das „unsichtbar und namenlos bleibende ‚Unterstützungspersonal‘[...] im Hinblick auf seine beachtliche Bedeutung für die ja immer durch und durch kollektive Hervorbringung von Kunst“ zu würdigen (11). Er skizziert den Wandel der Produktionsverhältnisse von Kunst im Zuge des Kapitalismus und fragt unter Verweis auf Pierre Bourdieu, wie sich das Künstler-Ideal des einsamen genialen Schöpfers eines singulären Gutes angesichts der hochgradigen Arbeitsteilung der Prozesse darin aufrechterhalten lässt (37). Das nächste Kapitel „Das Feld unserer empirischen Studie“ beschreibt sowohl die methodische Vorgehensweise als auch das Untersuchungssample nur rudimentär. Es werden keine Angaben zur Zahl der Betriebe oder zur Zahl der dort befragten Mitarbeiter*innen gemacht. Auch fehlt trotz des Verweises auf deren Spannbreite eine systematische Einordnung der unterschiedlichen Betriebsgrößen und -arten als Tableau. Es wird nur verallgemeinernd von der „Mehrzahl der beforschten Manufakturen“ im Kunstguss oder der „großen Mehrheit“ der Befragten etc. gesprochen. Es bleibt auch offen, in welchem Zeitraum die Gespräche geführt wurden. Dass Studierende und Mitarbeiter*innen des Autors daran beteiligt waren, ist dem Vorwort zu entnehmen. Auf die Kollektivität der Forschungsleistung verweist auch das im gesamten Text häufig gebrauchte Wort „wir“. Vor dem Hintergrund des erwähnten Anliegens der Forschung überrascht es daher, dass die Autorschaft der Studie – analog zum Kunstobjekt – von Schultheis allein beansprucht wird. Das dritte Kapitel befasst sich mit den beruflichen Werdegängen und dem Qualifikationsgefüge in den Manufakturen als Mix von handwerklich und technisch Versierten einerseits und kunstaffinen, meist akademisch Gebildeten andererseits. Mit Blick auf die Gießereien des deutschsprachigen Raums wird kurz auf die Spezifik der vertretenen Ausbildungsberufe wie zum Beispiel den Glockengießer verwiesen, dieser traditionell handwerkliche Bezug jedoch nicht weiter vertieft. Die folgenden drei Kapitel setzen sich in unterschiedlichen Nuancierungen mit der Anbahnung und Aushandlung von Aufträgen auseinander. Aus den Schilderungen der Befragten wird deutlich, wo die Chancen und Risiken bei unterschiedlich gearteten Aufträgen liegen und welcher Erfahrungen es bedarf, um als Nischenbetrieb mit höchsten Qualitätsansprüchen auf dem Markt bestehen zu können. Im siebten Kapitel wird die Lohnarbeit der Produktion selbst als Balanceakt zwischen ideeller Neigung beziehungsweise Anspruch an die eigene Arbeit einerseits und der Wirtschaftlichkeit des Auftrags andererseits thematisiert. Das achte Kapitel widmet sich der Zusammenarbeit mit dem Künstler oder der Künstlerin am Werk. Das neunte fokussiert geradezu staunend den „Berufsstolz der Namenlosen“, die in ihrer Arbeit persönlich sehr aufgehen, obschon sie dafür in der Kunstwelt selbst nicht gewürdigt werden. Das zehnte fragt nach dem Selbstverständnis der Art Fabricators im Hinblick auf den Schaffensprozess und inwiefern sie sich als (Mit-)Autor*innen des Werks betrachten. Das elfte Kapitel „Metamorphosen“ setzt sich mit der symbolischen Wertverschiebung auseinander, die erfolgt, sobald das Werk die Produktionsstätte verlässt, in die Weihen der Kunstwelt eintritt und zu symbolischem Kapital wird. Das Buch endet mit kapitalismuskritischen Überlegungen zur Entwicklung des Kunstmarktes und zur Zukunft der Kunstmanufakturen, nicht zuletzt angesichts des Einzugs neuer Technologien wie des 3D-Drucks.
Es ist das große Verdienst dieser Studie, erstmals die komplexe, in Kunstmanufakturen geleistete Arbeit in allen Phasen zu beleuchten und den dort Tätigen ausführlich Gehör zu verschaffen. Durch den essayistischen Charakter ist der Text leicht zugänglich; der häufig paraphrasierende und wenig systematische Umgang mit den Interviewaussagen sowie das kaum ausgearbeitete Fazit, lassen zugleich aber viele Fragen offen. Da die Auszüge aus den Transkripten nicht zuletzt aufgrund fehlender Siglen für die unterschiedlichen Betriebe und Sprecher*innen kaum kontextualisiert sind, liest sich die Aneinanderreihung eher anekdotisch und das Bild der Praxis bleibt trotz des reichhaltigen Interviewmaterials seltsam unscharf.
Achtet man aufs Detail, wirkt der Band mit etwas heißer Nadel gestrickt. Nicht nur gibt es viele redundante Passagen und wörtliche Wiederholungen schon in der Einleitung (beispielsweise auf den Seiten 16/22 und 18/35), sondern auch Ausschnitte aus dem Interviewmaterial werden gleich mehrmals angeführt (zum Beispiel 78/101, 80/98), ohne dass daraus ein Mehrwert entstünde. Weiterhin fehlt zur genannten Forschungsliteratur teilweise der Nachweis in der Bibliografie.
Als zentrale Folie der Argumentation und Interpretation der Interviewaussagen dienen Schultheis die Paradoxien der zeitgenössischen Kunstwelt mit ihren explodierenden Preisen. So arbeitet er sich wiederholt daran ab, dass die Lohnarbeitenden von sich selbst sagen, gern ihrer Arbeit nachzugehen, stolz auf ihren Beitrag zum Werk zu sein, sich dennoch nicht als Kunstschaffende beschreiben wollen, noch darauf pochen, an den teils enormen Gewinnen der Künstle*innen beteiligt zu werden. In einem kurzen Interview zum Buch auf der Website des Verlags siedelt Schultheis die spezifische Qualität ihres Schaffens an der „Schnittstelle von ‚reiner Kunst‘ und profaner Ökonomie“ an und führt aus: „Bourdieus Diktum, nach dem man in der Welt der Kunst nur tun kann, was man tut, indem man so tut als täte man es nicht, begleitete diese Forschung auf Schritt und Tritt.“ Diese Engführung auf Kunst oder Ökonomie und die pauschale Abwertung von Lohnarbeit als „konventionelle Produktion von Gütern“ (113) im Rahmen „anonymer Marktbeziehungen“ (115) verstellt jedoch den Blick auf die Ressourcen, die die Art Fabricators – allen von den Interviewer*innen unterbreiteten Dilemmata zum Trotz – aus ihrer Arbeit ziehen. Statt die Befragten primär als Spielball und Abhängige rein ökonomischer Logiken dastehen zu lassen, erlaubte eine andere Lesart, sie in Autorität und Arbeitsethos durchaus ernst zu nehmen und sich als Konsequenz den Quellen ihrer Genugtuung näher zuzuwenden. Dazu müsste die weitere Forschung sich jedoch ethnografisch tiefer auf die Arbeitspraxis in den Manufakturen selbst einlassen – idealerweise durch teilnehmende Beobachtung – und die Spezifik und Entwicklung handwerklichen Könnens im Gefüge einer Werkstatt (vergleiche hier insbesondere die Arbeiten von Richard Sennett) selbst berücksichtigen. Vieles im hier offerierten Material deutet daraufhin, dass die Schnittstelle von Handwerk und Kunst der zusätzlichen Betrachtung lohnte.