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Christian Reichel

Mensch – Umwelt – Klima. Globale Herausforderungen und lokale Resilienz im Schweizer Hochgebirge

(Sozial- und Kulturgeographie 32), Bielefeld 2020, transcript, 295 Seiten mit Farbabbildungen, ISBN 978-3-8376-4696-2


Rezensiert von Daniel Best
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 19.08.2021

Christian Reichels Tätigkeit im internationalen Forschungsprojekt „Alpine Naturgefahren im Klimawandel – Deutungsmuster und Handlungspraktiken vom 18. bis zum 21. Jahrhundert“ (ANiK) bildet im vorliegenden Werk den Ausgangspunkt der Frage nach der Beziehung von Mensch und Umwelt. Reichel fokussiert dabei auf die „Bergbauern und -bäuerinnen, da diese aufgrund ihrer Lebens- und Wirtschaftsweise in enger Wechselwirkung zu vulnerablen Ökosystemen stehen und daher sozial-ökologische Veränderungsprozesse schneller und intensiver erfahren als dies in anderen Regionen der Fall ist“ (7). Den regionalen Schwerpunkt der Studie bildet das landwirtschaftlich geprägte Safiental im Schweizer Kanton Graubünden, das Reichel kontrastiv um weitere Ergebnisse seiner Forschungen aus dem touristisch geprägten Engadin sowie dem Masuputal im indonesischen Süd-Sulawesi erweitert. Dabei erweist sich gerade der Exkurs über das indonesische Bergvolk der Toraja Masupu (174–184) als sehr gewinnbringend und aufschlussreich, da er den Blick auf die globale Perspektive und auf die destruktiven Auswirkungen der Klimakrise abermals vor Augen führt und deutlich macht.
Durch den gewählten ethnografischen Zugang, der sich aus der teilnehmenden Beobachtung, halbstrukturierten Leitfaden- und Gruppeninterviews sowie der strukturierten Begehung zusammensetzt, gelingt es dem Autor, die Perspektive und insbesondere die Mensch-Umwelt-Beziehung der Akteur*innen des Safientals aufschlussreich zu analysieren. Den methodischen Schwerpunkt bildet zudem die partizipative Kartierung, deren Potenzial Reichel in seinem dritten Kapitel, das „Nachhaltige Klimaanpassungsstrategien“ (213–242) behandelt, ausführlich darstellt. Durch die Zusammenarbeit mit lokalen Akteur*innen wird die Dokumentation von Erfahrungswissen möglich und darüber hinaus die Beteiligung der lokalen Bevölkerung am politischen Aushandlungsprozess gestärkt (239). Durch die interaktiven Möglichkeiten und vor allem durch den Einbezug des ethnografischen Materials in diese Karten schafft Reichel eine „Kommunikationsplattform zwischen der lokalen Bevölkerung und professionellen Akteuren im Gefahrenmanagement“ (240). Die multimediale Aufbereitung ist dabei nicht nur „bloßes Beiwerk“, sondern eine wirkliche Bereicherung und ein Mehrwert für das Werk insgesamt – gerade auch in Hinblick auf Public Science. An dieser Stelle seien auch die zahlreichen illustrierenden Farbabbildungen und informierenden Schaubilder hervorgehoben, die einen guten Eindruck der Region Safiental entstehen lassen und dargestellte Zusammenhänge sinnvoll ergänzen.
Inhaltlich eröffnet Reichel mit einem ausführlichen theoretischen Bezugsrahmen, indem er zunächst die Folgen des anthropogenen Klimawandels auf globaler Ebene beleuchtet, um dann sukzessive den Fokus auf die spezifischen regionalen Herausforderungen zu verengen, die etwa im Auftauen des alpinen Permafrosts, in der Gletscherschmelze und daraus resultierenden Murgängen oder in veränderten Lawinensituationen und Großwetterlagen zu identifizieren sind. In der daran anschließenden Sinneinheit „Vulnerabilität, Resilienz und Adaption“ (71) geht es um die Auseinandersetzung um (lokales) Wissen, dessen Dynamik sowie räumliche und soziale Dimensionierung.
Im ethnografischen Teil der Studie führt Reichel den zuvor dargestellten Bezugsrahmen mit den im Feld erhobenen Daten zusammen. Bereits in der einführenden Beschreibung der Siedlungsgeschichte des Safientals, die um 1300 beginnt (116), wird deutlich, welche wesentliche Rolle das Erfahrungswissen von Beginn an spielte. Etwa dann, wenn einer der interviewten Akteure in Bezug auf die historische Auswahl von lawinen- und murensicheren Bauplätzen rückblickend vom „Try and Error“ (117) berichtet. Ebenfalls dicht am ethnografischen Material verhandeln die Teilabschnitte „Lokales Umweltwissen“ und „Naturwahrnehmung und Naturkonzeption“ den Umgang der lokalen Bevölkerung mit dem vulnerablen Ökosystem sowie dessen soziokulturelle und ökonomische Bedeutung. Der bereits erwähnte Exkurs zum Volk der Toraja Masupu schließt daran gewinnbringend an.
Insgesamt stellt Christian Reichels Werk eine sehr gelungene ethnografische Studie dar, die methodisch insbesondere durch die partizipative Kartierung und deren multimediale Aufbereitung besticht. Gerade vor dem Hintergrund der Klimakrise zeigt das Werk abermals die Potenziale ethnografischer Forschungen auf und lässt die Leser*innen durch die vielfältige Einbindung des im Feld erhobenen Materials an der Lebenswelt der Akteur*innen teilhaben. „Mensch – Umwelt – Klimawandel. Globale Herausforderungen und lokale Resilienz im Schweizer Hochgebirge“ dürfte dabei vor allem für Leser*innen relevant sein, die sich mit dem alpinen Raum, ländlichen Ökonomien sowie dem Klimawandel in vulnerablen Ökosystemen beschäftigen – auch über ein akademisches Interesse hinaus.